Bundessozialgericht, Urteil vom 17.02.2011, Az. B 10 EG 1/10 R

10. Senat | REWIS RS 2011, 9359

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Elterngeld - Höhe - Berechnung - Bemessung - Bemessungszeitraum - Einkommensermittlung - Steuerbescheid - Erwerbstätigkeit - selbstständige Arbeit - Gewinn - steuerlicher Veranlagungszeitraum - maßgeblicher Zwölfmonatszeitraum - wesentliche Übereinstimmung der in beiden Zeiträumen durchgängig ausgeübten Erwerbstätigkeit - erhebliches Abweichen


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 13. November 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückver-wiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld.

2

Die Klägerin ist seit 1993 als freiberufliche Journalistin tätig. Im Jahre 2004 gebar sie eine Tochter. Danach nahm sie ihre selbstständige Tätigkeit wieder auf und übte diese bis zur Geburt des [X.] am 10.12.2007 aus. Auf ihren Antrag gewährte die beklagte Stadt der Klägerin für die ersten zwölf Lebensmonate ihres [X.] Elterngeld. Der Berechnung legte sie die im Einkommensteuerbescheid für das [X.] festgestellten Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 11 950 Euro zugrunde (Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der [X.]).

3

Mit ihrer dagegen beim [X.] ([X.]) erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Gewährung höheren Elterngeldes unter Berücksichtigung ihres im Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt des [X.] (Dezember 2006 bis November 2007) erzielten höheren Einkommens aus selbstständiger Arbeit (betrieblicher Gewinn 2007: 35 504 Euro). Dazu hat sie vorgetragen: Der wesentlich niedrigere Gewinn im Jahre 2006 sei darauf zurückzuführen, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter im Jahre 2004 eine Weile gebraucht habe, um ihre Tätigkeit wieder auf dem vorher erreichten Niveau auszuüben. 2006 habe sie zudem erhebliche gesundheitliche Probleme gehabt. Außerdem seien Gelder für im Jahre 2006 abgewickelte Filmprojekte erst im Jahre 2007 ausgezahlt worden. Durch das Abstellen auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum komme es bei ihr zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung gegenüber abhängig Beschäftigten.

4

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Gerichtsbescheid des [X.] vom [X.]; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.11.2009). Das L[X.] hat ua ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Elterngeld, denn die Beklagte habe zu Recht nach § 2 Abs 9 Satz 1 Bundeselterngeld- und [X.] ([X.]) - abweichend von Abs 8 dieser Vorschrift - den durchschnittlich monatlich erzielten Gewinn zugrunde gelegt, wie er sich für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum, das [X.], auf der Grundlage des für diesen Zeitraum erlassenen Steuerbescheids ergebe. Die Gegenausnahme des § 2 Abs 9 Satz 2 [X.] greife nicht ein. Soweit nach der Verkündung des Berufungsurteils das [X.] (B[X.]) entschieden habe, dass eine Veränderung des (zeitlichen) Umfangs der selbstständigen Tätigkeit um 20 % oder mehr eine Anwendung des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] ausschließe (Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R -), habe der Senat Feststellungen in diese Richtung nicht treffen können. Die von der Klägerin vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken würden nicht geteilt. Die mit der Anwendung des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] verbundene Ungleichbehandlung von selbstständig Tätigen und abhängig Beschäftigten sei durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt, insbesondere durch das Interesse der Allgemeinheit an einer sparsamen und effektiven Verwaltung.

5

Die Klägerin hat die vom L[X.] zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 8 und 9 [X.]. Zur Begründung macht sie geltend: Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R -) könne bei der Berechnung des Elterngeldes dann nicht nach § 2 Abs 9 [X.] vorgegangen werden, wenn die im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum und im Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt ausgeübte selbstständige Tätigkeit nach Art und Umfang wesentlich voneinander abweiche. Dann sei es nicht mehr gerechtfertigt, davon auszugehen, das Einkommen im Veranlagungszeitraum sei für die Verhältnisse in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes repräsentativ. Dasselbe gelte bei erheblichen Abweichungen in den Einkommensverhältnissen zwischen dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum und dem an sich maßgeblichen Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt. In ihrem Falle liege eine den Anforderungen des § 4 Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) entsprechende Gewinnermittlung für das [X.] vor, die bei der Berechnung des Elterngeldes nach § 2 Abs 8 [X.] unter Berücksichtigung des im maßgeblichen Zwölfmonatszeitraums vor der Geburt erzielten Einkommens herangezogen werden könne.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 13. November 2009 und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 27. April 2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der [X.] vom 4. September 2008 zu ändern sowie die [X.] zu verurteilen, ihr höheres Elterngeld unter Berücksichtigung des von Dezember 2006 bis November 2007 erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das Urteil des L[X.] für zutreffend. Das L[X.] habe eine Veränderung des zeitlichen Umfangs der selbstständigen Tätigkeit um 20 % nicht feststellen können.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]).

1. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des erkennenden Senats liegen vor. Revision, Berufung und kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]) gegen den Bescheid vom [X.] in der Gestalt des [X.] sind statthaft und auch im Übrigen zulässig.

a) Die Klage richtet sich zutreffend gegen die [X.], zumal mit Wirkung vom 1.1.2011 die Beteiligtenfähigkeit einer Behörde nach § 70 [X.] [X.] iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande [X.] ([X.] [X.]) vom [X.] (GVBl [X.] 412) idF des [X.] (GVBl [X.] 1588) weggefallen ist. Durch Art 2 Nr 29 iVm Art 4 Satz 1 Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von [X.] im Land [X.] vom [X.] (GVBl [X.] 30) sind mit Wirkung vom 1.1.2011 die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen aufgehoben worden. Der Senat hat sich deshalb nicht mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 19/08 R - [X.] 4-3500 § 54 [X.] Rd[X.]4) zutrifft, dass eine Klage nach Einführung des Behördenprinzips zwingend gegen die Behörde zu richten ist (zur Gegenansicht BSG Urteil vom [X.] - B 9 SB 3/08 R - RdNr 21; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4).

b) Der erkennende Senat hat auch bereits entschieden, dass die [X.] in Angelegenheiten des Elterngeldes nach § 85 Abs 2 Satz 1 [X.] [X.] iVm § 5 Abs 2 Satz 2 Gesetz zur Eingliederung der [X.] in die allgemeine Verwaltung des Landes [X.] vom 30.10.2007 (GVBl [X.] 482) als Aufsichtsbehörde befugt war, den Widerspruchsbescheid zu erlassen (s Teilurteil vom [X.] EG 9/09 R - Rd[X.]8 f, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen).

2. In der Sache verfolgt die Klägerin mit der Revision ihre kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]) weiter, die auf Gewährung höheren Elterngeldes für die ersten zwölf Lebensmonate ihres am 10.12.2007 geborenen [X.] gerichtet ist. Sie begehrt insoweit die Berücksichtigung ihres im [X.] vor dem Monat der Geburt (Dezember 2006 bis November 2007) durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus selbstständiger Arbeit.

Ob das [X.] einen diesbezüglichen Anspruch auf höheres Elterngeld zu Recht verneint hat, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen. Entgegen der Auffassung des [X.] und der Beklagten kommt im vorliegenden Fall durchaus eine Festsetzung der Höhe des Elterngeldes nach § 2 Abs 1 und Abs 8 [X.] in Betracht. Dabei richtet sich der Anspruch der Klägerin nach dem [X.] idF vom [X.] ([X.] 1970).

a) Nach § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Dabei ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] bis 4 EStG nach Maßgabe des § 2 Abs 7 bis 9 [X.] zu berücksichtigen (§ 2 Abs 1 Satz 2 [X.]).

Bei Selbstständigen - wie der Klägerin - ist das zu berücksichtigende Einkommen entweder gemäß § 2 Abs 8 [X.] oder nach § 2 Abs 9 [X.] zu ermitteln.

aa) § 2 Abs 8 Satz 1 [X.] enthält den Grundsatz, dass als Einkommen aus selbstständiger Arbeit der (um Steuern, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte) Gewinn zu berücksichtigen ist. Nach § 2 Abs 8 Satz 2 [X.] ist Grundlage der Einkommensermittlung der Gewinn, der sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entsprechenden Berechnung (Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben) ergibt. Erst wenn der Gewinn danach nicht ermittelt werden kann, ist nach § 2 Abs 8 Satz 3 [X.] von den Einnahmen eine Betriebskostenpauschale in Höhe von 20 % abzuziehen.

Nach § 2 Abs 8 Satz 5 [X.] bleiben auf Antrag der berechtigten Person entsprechend der in § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 [X.] für abhängig Beschäftigte getroffenen Regelung Kalendermonate des Bezugs von Elterngeld für ein älteres Kind oder von Mutterschaftsgeld sowie Kalendermonate, in denen wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung die Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt werden konnte, bei der Bestimmung des [X.]s vor der Geburt des Kindes unberücksichtigt.

bb) Ist die dem zu berücksichtigenden Einkommen ua aus selbstständiger Arbeit zugrunde liegende Erwerbstätigkeit "sowohl während des gesamten für die Einkommensermittlung vor der Geburt maßgeblichen Zeitraums als auch während des gesamten letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraums ausgeübt worden", gilt nach § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] "abweichend von Abs 8" als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus dieser Erwerbstätigkeit der durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn, wie er sich aus dem für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergibt.

Diese Fiktion tritt nach § 2 Abs 9 Satz 2 [X.] nicht ein, wenn im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 [X.] vorgelegen haben, also Elterngeld für ein älteres Kind oder Mutterschaftsgeld bezogen worden ist und/oder Einkommen aus Erwerbstätigkeit wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung ganz oder teilweise weggefallen ist.

b) Entgegen der Auffassung des [X.] und der Beklagten kommt im vorliegenden Fall eine Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens der Klägerin aus selbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 und 8 [X.] in Betracht. Der erkennende Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] RdNr 23 ff; vgl dazu [X.], NJW 2010, 1418, 1420 f; [X.]/[X.], NJW 2010, 3808), dass es für die Anwendung des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck des Elterngeldes sowie unter Beachtung der sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen typisierender Regelungen nicht ausreicht, dass im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum ebenso wie in dem maßgeblichen [X.] vor der Geburt überhaupt eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt worden ist. Vielmehr muss die in beiden Zeiträumen durchgängig ausgeübte Erwerbstätigkeit nach Art und (zeitlichem) Umfang im Wesentlichen übereinstimmen. Weicht der (zeitliche) Umfang in beiden Zeiträumen um mindestens 20 % voneinander ab, kann nicht nach § 2 Abs 9 [X.] vorgegangen werden. Vielmehr hat die Einkommensermittlung nach § 2 Abs 8 [X.] zu erfolgen.

An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat nach erneuter Prüfung fest. Für die einschränkende Auslegung der gesetzlichen Fiktion des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] sind vor allem verfassungsrechtliche Erwägungen maßgebend (BSG [X.] 4-7837 § 2 [X.] Rd[X.]6 ff). Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine typisierende Regelung, die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei Selbstständigen einen Rückgriff auf den Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ermöglichen soll. Dabei ist der Gesetzgeber von der Annahme ausgegangen, dass das Einkommen im Veranlagungszeitraum für das Einkommen im [X.] vor der Geburt des Kindes repräsentativ ist (vgl BT-Drucks 16/2785 [X.]). Diese Annahme ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn die dem zu berücksichtigenden Einkommen zugrunde liegende Erwerbstätigkeit nach Art und Umfang erheblich von der Erwerbstätigkeit im maßgeblichen [X.] vor der Geburt des Kindes abweicht.

Eine erhebliche Abweichung der Art nach erfordert eine unterschiedliche Ausrichtung der in den beiden Zeiträumen durchgängig ausgeübten Erwerbstätigkeit. Eine solche liegt nicht bereits dann vor, wenn sich die selbstständige Erwerbstätigkeit im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum noch in einer Aufbau- oder Anlaufphase befunden hat, denn die damit verbundenen Auswirkungen auf das Einkommen sind für eine selbstständige Erwerbstätigkeit typisch (vgl [X.], NJW 2010, 1418, 1420; [X.]/[X.], NJW 2010, 3808).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Anwendung des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] auch dann nicht ausgeschlossen, wenn in beiden relevanten Zeiträumen lediglich die Einkommensverhältnisse erheblich voneinander abweichen. Dafür spricht schon dessen Wortlaut, der an "die … Erwerbstätigkeit" anknüpft. Zudem gehören schwankende Einkommen zu den typischen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit (vgl BSG [X.] 4-7837 § 2 [X.] RdNr 28, 37). Sie fallen in das allgemeine Risiko einer selbstständigen Erwerbstätigkeit.

Ob hier der Zeitaufwand der Klägerin für die selbstständige Erwerbstätigkeit im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum von demjenigen im maßgeblichen [X.] vor der Geburt des Kindes um mindestens 20 % abweicht, hat das [X.] - unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht festgestellt. Da der erkennende Senat die fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]).

3. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das [X.] Folgendes zu berücksichtigen haben:

a) Es wird zunächst davon ausgegangen werden können, dass der Zeitraum von Dezember 2006 bis November 2007 der für die Bemessung des Elterngeldes maßgebliche [X.] vor der Geburt des [X.] der Klägerin (10.12.2007) ist. Mit ihrem Klageantrag hat die Klägerin nämlich zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Verschiebung des [X.] wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld nach § 2 Abs 8 Satz 5 iVm Abs 7 Satz 6 [X.] begehrt. Zur Klärung, ob als Einkommen aus selbstständiger Arbeit gemäß § 2 Abs 8 Satz 1 bis 4 [X.] der in diesem Zeitraum tatsächlich erzielte Gewinn oder an dessen Stelle nach Maßgabe des § 2 Abs 9 [X.] derjenige Gewinn zugrunde zu legen ist, der sich aus dem Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ergibt, wird das [X.] die im [X.] vor der Geburt des Kindes durchgängig ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit festzustellen und sodann diese mit der im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum durchgängig ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit hinsichtlich ihrer Art und ihres zeitlichen Umfangs zu vergleichen haben.

b) Sollte das [X.] aufgrund weiterer Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen, dass - gemessen am zeitlichen Arbeitseinsatz - der Umfang der von der Klägerin im maßgeblichen [X.] vor der Geburt ihres [X.] durchgängig ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit um weniger als 20 % von demjenigen im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum abgewichen ist, gilt nach § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] der sich aus dem Steuerbescheid des letzten Veranlagungszeitraums (hier für das [X.]) ergebende durchschnittlich monatliche erzielte Gewinn als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus selbstständiger Arbeit.

Von dem nach § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] ermittelten Gewinn sind entsprechend dem auch für die Gewinneinkunftsarten geltenden Nettoprinzip (vgl § 2 Abs 8 Satz 1 [X.]) die auf dieses Einkommen monatlich entfallenden Abgaben (Steuern und ggf Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung) abzuziehen, im vorliegenden Fall also ua auch die monatlich anfallenden Beiträge der Klägerin zur Künstlersozialkasse (§§ 1, 15 bis 16a Künstlersozialversicherungsgesetz).

Bei Anwendung des § 2 Abs 9 Satz 1 [X.] ist Grundlage für die anzusetzenden Steuern der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil der im Steuerbescheid festgesetzten Einkommensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (§ 2 Abs 9 Satz 4 [X.]). Hier besteht die Besonderheit, dass die Klägerin und ihr Ehemann laut Steuerbescheid für 2006 nach § 26, 26 b EStG zusammen veranlagt wurden. Die von beiden Eheleuten erzielten Einkünfte wurden also zunächst zusammengerechnet und sodann die Ehegatten als ein Steuerpflichtiger (Ehe als [X.]) behandelt, also vom Gesamtbetrag der (positiven) Einkünfte (§ 2 Abs 3 EStG) die Sonderausgaben (§§ 10 ff EStG), die außergewöhnlichen Belastungen (§§ 33 bis 33c EStG) und der existenzsichernden Aufwendungen abgezogen (vgl § 2 Abs 4 und 5 EStG). Die Einkommensteuer (einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) wurde dann nach dem Splitting-Verfahren, also nach der in § 32a Abs 5 EStG vorgeschriebenen Halbteilung des Einkommens, ermittelt (vgl zum geltenden Ehegattensplitting etwa [X.], BB 2008, 591). Danach betrug die tarifliche Einkommensteuer das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens ergab. Die Klägerin wurde also so behandelt, als hätte sie die Hälfte des Gesamtbetrags der Einkünfte erzielt.

Insofern ist es rechtlich nicht zulässig, bei der Berechnung des Elterngeldes die auf den Gewinn der Klägerin entfallende tarifliche Einkommensteuer nach dem Einkommensteuertarif des § 32a Abs 1 EStG an Hand der [X.] für Alleinstehende zu ermitteln. Vielmehr ist bei einer Zusammenveranlagung von Eheleuten der auf den zu berücksichtigenden Gewinn entfallende proportionale Anteil an den gesamten Steuern zu errechnen (vgl BT-Drucks 16/2785 [X.]). In Übereinstimmung mit dem [X.] ergeben sich deshalb die auf den Gewinn der Klägerin entfallenden Steuern (einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) nach § 2 Abs 9 Satz 4 [X.] aus dem Anteil der im Steuerbescheid für die Eheleute insgesamt festgesetzten Steuern, der dem Anteil der Einkünfte der Klägerin an dem ebenfalls im Steuerbescheid ausgewiesenen Gesamtbetrag der Einkünfte entspricht (hier 15,44 %).

c) Sollte das [X.] feststellen, dass der zeitliche Umfang der selbstständigen Erwerbstätigkeit der Klägerin im maßgeblichen [X.] vor der Geburt ihres [X.] um mindestens 20 % von demjenigen im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum abgewichen ist, hat es - wie von der Klägerin letztlich begehrt - nach § 2 Abs 1 und 8 [X.] vorzugehen.

4. Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 10 EG 1/10 R

17.02.2011

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Köln, 27. April 2009, Az: S 23 EG 51/08, Urteil

§ 2 Abs 1 BEEG vom 19.08.2007, § 2 Abs 8 BEEG vom 19.08.2007, § 2 Abs 9 BEEG vom 19.08.2007, § 2 EStG, § 4 EStG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.02.2011, Az. B 10 EG 1/10 R (REWIS RS 2011, 9359)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9359

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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