Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2014, Az. XII ZB 577/13

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7538

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 577/13

vom

26. Februar 2014

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §
1896 Abs.
1
a
Zur Fähigkeit des Betroffenen, einen freien Willen über die Einrichtung einer Betreuung zu bilden.
[X.], Beschluss vom 26. Februar 2014 -
XII ZB 577/13 -
LG [X.]

Notariat [X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
Februar 2014
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dose,
die Richterin
Weber-Monecke
und die Richter
Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 26.
September 2013
wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
[X.]: 5.000

Gründe:
I.
Die
60jährige Betroffene leidet an einer rezidivierenden depressiven Stö-rung bei
gegenwärtig leichter
Episode mit somatischem Syndrom. Ihr geschie-dener Ehemann betreibt die Teilungsversteigerung eines im gemeinsamen Ei-gentum beider stehenden, mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks, [X.] eine Hälfte die Betroffene bewohnt, während die andere Doppelhaushälfte leer steht.
Den hiergegen gerichteten
Antrag der Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens gemäß §
765
a ZPO
wies das Amtsgericht als unbegründet [X.]. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das [X.] nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens angenommen, dass die Betroffene wegen einer psychischen Erkrankung im Hinblick auf das Teilungsversteigerungsver-fahren nicht prozessfähig sei, und die Sachentscheidung zurückgestellt, bis das 1
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Verfahren durch einen Betreuer aufgenommen sei. Zugleich hat es die Einlei-tung des
Betreuungsverfahrens angeregt.
Das Notariat

Betreuungsgericht

hat daraufhin für die Betroffene eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in dem [X.] und in den damit im Zusammenhang stehenden Beschwerde-verfahren angeordnet
und die Beteiligte zu
2 zur [X.] bestellt. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückge-wiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Die Betroffene, die ihre psychische Erkrankung nicht in [X.] stelle, sei unbeirrbar darauf fixiert, im noch anhängigen familiengerichtlichen Verfahren einen hohen Ausgleichsanspruch gegen ihren geschiedenen [X.] sowie die Aufhebung des aus ihrer Sicht unberechtigten Teilungsverstei-gerungsverfahrens
zu erreichen.
Dabei sei sie
nicht mehr in der Lage, zwischen den einzelnen Verfahren zu unterscheiden, und allein von dem Gedanken be-seelt, ihrem geschiedenen Ehemann unredliches und schikanöses Verhalten nachzuweisen.
Sie habe sich auch nicht
damit auseinanderzusetzen vermocht, dass es unabhängig von dem Konflikt mit dem geschiedenen Ehemann im Be-treuungsverfahren allein darum gehe, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Sie sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsver-steigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung. Damit im Einklang stehe auch der Umstand, dass sie nach eigenen Angaben 2
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-
bislang fünf Rechtsanwälte beauftragt, das Mandat aber wegen unzureichender Unterstützung und Wahrung ihrer Interessen wieder entzogen habe. Zwar habe sich eine wahnhafte Störung oder affektive Psychose, wie vom Gutachter
im Teilungsversteigerungsverfahren angenommen,
nicht sicher erhärten
lassen, jedoch eine rezidivierende depressive Störung
mit somatischem Syndrom.

Der Betreuung stehe auch nicht entgegen, dass diese in erster Linie dem Zweck diene, das Teilungsversteigerungsverfahren weiterführen zu können. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebiete es, der Partei eines ge-richtlichen Verfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen.
Um die erforderliche ordnungsge-mäße Vertretung der prozessunfähigen Partei im Prozess zu gewährleisten, bedürfe es der Bestellung eines Betreuers. Andernfalls befände sich das Tei-lungsversteigerungsverfahren in einem nicht hinnehmbaren Schwebezustand.
Eine Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen sei im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung nicht mehr gegeben; insoweit sei ihr Wille unfrei.
2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Gemäß §
1896 Abs.
1 Satz
1 BGB bestellt das Betreuungsgericht ei-nen Betreuer, wenn
ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenhei-ten ganz oder teilweise nicht besorgen
kann.
Nach den getroffenen Feststellungen ist
die Betroffene nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren selbst zu besorgen,
und bedarf insoweit der Betreuung.

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5
-
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hängt der [X.] nicht davon ab, ob
Prozessunfähigkeit
für das Teilungsversteigerungs-verfahren
angenommen werden kann. Denn selbst wenn die von der [X.] in dem Verfahren abgegebenen Erklärungen als wirksam erachtet werden müssten, ist ihr Denken diesbezüglich eingeengt und bedarf deshalb der [X.] durch einen Betreuer.
Die Betreuerbestellung dient nämlich nicht nur der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, der es
gebietet, dem
Prozess-gegner die Möglichkeit einzuräumen, seine
Ansprüche
auch gegen eine pro-zessunfähige Partei durchzusetzen
(vgl. [X.]sbeschluss vom
19.
Januar 2011

XII
ZB
326/10

FamRZ 2011, 465
Rn.
11 mwN), sondern auch
dazu,
der Be-troffenen bei der Stellung
eigener Schutzanträge zur Seite zu stehen.
b) Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer allerdings nicht bestellt werden (§
1896 Abs.
1
a BGB).
aa) Ob der Betroffene in der Lage ist, einen freien Willen hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu bilden, bedarf einer eigenen tatrichterlichen Prü-fung. Denn die Bestellung eines Betreuers
gegen
den freien Willen des Be-troffenen
verletzt sein
Grundrecht aus Art.
2 Abs.
1 GG ([X.]sbeschluss vom 9.
Februar 2011

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ZB
526/10
FamRZ 2011, 630 Rn.
4; [X.] FamRZ 2010, 1624 Rn.
43).
Die Prüfung, ob ein freier Wille entgegensteht,
ist auch dann vorzuneh-men, wenn die Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Se-natsbeschluss vom 14.
März 2012

XII
ZB
502/11

FamRZ 2012, 869
Rn.
19). Denn jeder hat das Recht, sein Leben nach seinen frei gebildeten Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang aus-gestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art.
2 Abs.
1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen 9
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Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Eine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt
einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist (BT-Drucks. 15/2494 S.
28).
bb) Der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des §
1896 Abs.
1
a BGB und des §
104 Nr.
2 BGB ist, wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.]sbeschluss vom 9.
Februar 2011

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526/10
FamRZ 2011, 630 Rn.
7), im [X.] deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Ein-sicht zu handeln.
Einsichtsfähigkeit im Sinne des §
1896 Abs.
1
a BGB setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. [X.] dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an
einem Gebrechen im Sinne des §
1896 Abs.
1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Wil-len zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein [X.] Vertreter bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss dabei Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können.
Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt [X.] voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutref-fend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen ([X.]sbe-schluss vom 9.
Februar 2011

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526/10
RZ 2011, 630 Rn.
8).

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Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestim-mung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Er-kenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen.
cc) Den krankheitsbedingten Mangel des freien Willens
hat das [X.] beratene Gericht festzustellen.
Die tatrichterliche Beurteilung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewür-digt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig [X.] hat.
dd) Rechtserhebliche Mängel der vorbezeichneten Art liegen hier nicht
vor.
Das [X.] ist in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die
Betroffene nicht mehr in der Lage sei, ihren
Willen, was das Teilungsversteigerungsverfahren
betrifft, frei zu bilden.
Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung
könne sie zwi-schen den einzelnen Verfahren nicht mehr unterscheiden,
sondern
sehe
in [X.] Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsverstei-gerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung.
Damit
fehlt es, selbst wenn
die Betroffene imstande sein sollte, Grund, Bedeutung und Tragweite der Betreuung intellektuell zu erfassen, jedenfalls an ihrer
Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestim-mung.
Denn nach den getroffenen Feststellungen vermag
sich die Betroffene nicht damit auseinanderzusetzen, dass es im Betreuungsverfahren allein darum geht, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Das [X.] ist deshalb zu Recht da-16
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von ausgegangen, dass die Betroffene nicht imstande
ist, die sich aus einer
möglichen Einsicht ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen
und ihr Wille deshalb nicht nur in Bezug auf das Tei-lungsversteigerungsverfahren als solches, sondern auch in Bezug auf die Ein-richtung der Betreuung unfrei ist.

Dose

Weber-Monecke

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
Notariat [X.], Entscheidung vom 25.06.2013 -
VG I 2/13 -

LG [X.], Entscheidung vom 26.09.2013 -
3 T 71/13 -

Meta

XII ZB 577/13

26.02.2014

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2014, Az. XII ZB 577/13 (REWIS RS 2014, 7538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7538

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