Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.07.2010, Az. VIII ZR 327/07

8. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 4871

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Gegenstand

Gaspreiserhöhung: Konkludente vertragliche Vereinbarung mit Sondervertragskunden; Fortsetzung des Gasbezugs nach Übersendung der Jahresabrechnung ohne Beanstandung der Preiserhöhung; Darlegung einer Bezugskostensteigerung


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 29. November 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die von der [X.], einem regionalen Energieversorgungsunternehmen, einseitig vorgenommen wurden. Der Kläger wurde von der [X.] zum [X.] mit Erdgas beliefert. In diesem Tariferhöhte die Beklagte den Arbeitspreis zum 1. September 2004 von 3,00 Cent/kWh auf 3,40 Cent/kWh, zum 1. August 2005 auf 3,88 Cent/kWh und zum 1. Februar 2006 auf 4,26 Cent/kWh (jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer).

2

Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass der in dem zwischen den Parteien geschlossenen Gaslieferungsvertrag zum 1. September 2004 von der [X.] geänderte Gastarif [X.] insgesamt unbillig und unwirksam ist. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

4

Das Berufungsgericht ([X.], [X.], 63) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

5

Der Feststellungsantrag sei zulässig. Der Kläger sei nicht darauf beschränkt, die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung im Rahmen eines Rückforderungsprozesses geltend zu machen.

6

Die von der [X.] festgesetzten Gaspreise unterlägen in - zumindest entsprechender - Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB hätten die [X.]en der [X.] zwar nicht ausdrücklich eingeräumt, gleichwohl ergebe sich dieses aus der [X.], die auf das Lieferverhältnis der [X.]en Anwendung finde. Zwar handele es sich bei dem Kläger nicht um einen allgemeinen [X.], denn er habe mit der [X.] den [X.] abgeschlossen. Der Kläger werde aber im Rahmen dieses Tarifs auf der Grundlage der allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht zu den jeweils öffentlich bekannt gemachten Tarifen und Allgemeinen Bedingungen versorgt. Hierbei stehe der [X.] den Endverbrauchern als Allgemeinheit in gleicher Weise zur Verfügung wie der [X.]. Die nur formale Bezeichnung als [X.] könne nicht zu einer abweichenden rechtlichen Einordnung führen. Die Preisanpassungsregelung des § 4 [X.] finde daher zwischen den [X.]en direkt Anwendung.

7

Unabhängig davon seien die Bestimmungen der [X.] bei den Klägern als Sondertarifkunden in das Vertragsverhältnis mit einbezogen worden. Die Regelungen der [X.] seien im Verhältnis der [X.]en als Verordnung einzuordnen und unterlägen keiner Inhaltskontrolle. Allein der Umstand der Einbeziehung einer solchen einem Leitbild entsprechenden Verordnung in ein Vertragswerk mache diese nicht zu allgemeinen Vertragsbedingungen, die einseitig bestimmt worden seien, und selbst wenn man davon ausginge, läge jedenfalls weder eine Benachteiligung der Kunden vor noch könne von einer  Überraschungsklausel ausgegangen werden.

8

Im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB sei anerkannt, dass jedenfalls die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die [X.] im Grundsatz der Billigkeit entspreche. Vorliegend habe die [X.] zu den Bezugskostensteigerungen, die den umstrittenen Preiserhöhungen zu Grunde lägen, dezidiert vorgetragen und diese durch Vorlage entsprechender Wirtschaftsprüfungsberichte unabhängiger Wirtschaftsprüfer nachgewiesen. Hierzu hätten die Kläger nicht weiter substantiiert dargelegt, warum diese Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollten oder welche weiteren Unterlagen sie für erforderlich gehalten hätten. Das pauschale Bestreiten der ermittelten Ergebnisse sei in diesem Zusammenhang daher nicht beachtlich. Die vorgelegten Unterlagen belegten, dass die vorgenommenen Preiserhöhungen zum 1. September 2004, 1. August 2005 und 1. Februar 2006 nicht einmal die eingetretenen Bezugskostensteigerungen vollständig an die Kunden weitergäben, weshalb die Erhöhungen akzeptabel seien und sich innerhalb des der [X.] aus § 315 Abs. 3 BGB zuzubilligenden Entscheidungsrahmens bewegten.

9

Die Preiserhöhungen seien auch nicht deshalb unbillig, weil etwa die bereits vor der Preiserhöhung geforderten Tarife der [X.] unbillig überhöht gewesen wären. Eine Überprüfung dieser Tarife komme nicht in Betracht, denn es habe sich insoweit nicht um einseitig bestimmte, sondern um vereinbarte Preise gehandelt. § 315 BGB finde auf einen zwischen den [X.]en vereinbarten Anfangspreis keine unmittelbare Anwendung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht, wenn es sich bei den vor dem 1. September 2004 geltenden Tarifen um solche gehandelt habe, die in der Vergangenheit durch von der [X.] einseitig vorgenommene Preiserhöhungen zustande gekommen seien. Einer Überprüfung früherer Erhöhungen stehe entgegen, dass der Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresabrechnungen unbeanstandet hingenommen habe.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der vom Kläger beanstandeten Preiserhöhung nicht bejaht werden.

1. Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass die Klage zulässig ist. Insbesondere hat der Kläger ein rechtliches Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO) an der Feststellung, dass die ihm gegenüber vorgenommenen Gaspreiserhöhungen unwirksam sind. Auf eine Leistungsklage kann er schon deshalb nicht verwiesen werden, weil das Rechtsschutzziel der hier gegebenen negativen Feststellungsklage mit einer Leistungsklage nicht erreicht werden kann ([X.], 315, [X.]. 10).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die [X.] nicht unmittelbar aufgrund des gesetzlichen Preisänderungsrechts (vgl. dazu [X.]surteile vom 15. Juli 2009 - [X.], [X.], 1717, zur Veröffentlichung in [X.], 59 vorgesehen, [X.]. 19, und [X.], [X.], 1711, zur Veröffentlichung in [X.], 41 vorgesehen, [X.]. 20) gemäß § 4 Abs. 1 und 2 [X.] zur Preisänderung befugt. Die bis zum 7. November 2006 geltenden Vorschriften der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von [X.] mit Gas ([X.]; außer [X.] getreten gemäß Art. 4 der Verordnung zum Erlass von Regelungen des Netzanschlusses von Letztverbrauchern in Niederspannung und Niederdruck vom 1. November 2006, [X.] I, [X.]) sind nicht von Gesetzes wegen Vertragsbestandteil der zwischen den [X.]en bestehenden Versorgungsverträge. Denn bei dem Kläger handelt es sich nicht um einen [X.] (§ 1 Abs. 2 [X.]), sondern - wie die [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] klargestellt hat - um einen Sonderkunden (vgl. [X.]surteil vom 15. Juli 2009 - [X.], aaO, [X.]. 12).

3. Für die Wirksamkeit der von dem Kläger beanstandeten Preiserhöhungen kommt es deshalb darauf an, ob die [X.] sich wirksam vertraglich ein Preisänderungsrecht vorbehalten hat. Dazu hat das Berufungsgericht keine rechtsfehlerfreien Feststellungen getroffen.

Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Bestimmungen der [X.] seien bei dem Kläger als Sondertarifkunden in das Vertragsverhältnis mit einbezogen worden. Zur Begründung heißt es weiter, die Regelungen der [X.] seien im Verhältnis der [X.]en als Verordnung anzusehen; es handele sich nicht um allgemeine Vertragsbedingungen, die einseitig bestimmt worden seien.

Diesen Ausführungen lässt sich indessen nicht entnehmen, dass die Regelungen der [X.] - sei es durch individuelle Vereinbarung, sei es durch eine den Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB genügende Einbeziehung als Allgemeine Geschäftsbedingungen - Inhalt des zwischen den [X.]en bestehenden Vertragsverhältnisses geworden sind.

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum wirksamen Vorbehalt eines vertraglichen Preisänderungsrechts getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte im Streitfall ein vertraglich [X.] einseitiges Preisänderungsrecht der [X.] bestehen (vgl. dazu [X.]surteile vom 15. Juli 2009 - [X.], aaO, [X.]. 19, 23 f. m.w.N.; vom heutigen Tage - VIII ZR 246/08, unter [X.]), weist der [X.] mit Blick auf die im weiteren Verfahren vorzunehmende Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 BGB) auf Folgendes hin:

1. Der [X.] hat zu einseitigen Preiserhöhungen in einem [X.]vertrag entschieden: Eine Preiserhöhung kann auch deshalb der Billigkeit widersprechen, weil die bereits zuvor geltenden Tarife des Gasversorgers unbillig überhöht waren. Das gilt jedoch nicht, wenn die Preise bis zu der streitgegenständlichen Preiserhöhung von dem Versorger nicht einseitig festgesetzt, sondern zwischen den [X.]en vereinbart worden sind ([X.], 315, [X.]. 28 f.; 178, 362, [X.]. 15). Wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer öffentlich bekannt gegebenen einseitigen Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung des Versorgungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener [X.] gemäß § 315 BGB zu beanstanden, wird der zum [X.]punkt der Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif zu dem zwischen den [X.]en vereinbarten Preis. Er kann deshalb nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit überprüft werden ([X.], 315, [X.]. 36; vgl. auch [X.], 362, [X.]. 15 f.).

Dieser Grundsatz ist - sollte eine wirksame Einbeziehung der [X.] mit dem sich hieraus ergebenden Preisänderungsrecht in die zwischen den [X.]en jeweils bestehenden Vertragsverhältnisse zu bejahen sein - auch im vorliegenden Fall anzuwenden, soweit der Kläger geltend macht, die umstrittenen Preiserhöhungen seien unbillig im Sinne des § 315 BGB. In dogmatischer Hinsicht besteht insoweit kein entscheidungserheblicher Unterschied zwischen [X.] einerseits und [X.]verträgen oder Grundversorgungsverträgen andererseits, denn auch bei [X.] sind konkludente vertragliche Vereinbarungen möglich. Der [X.] hält es daher auch bei [X.] für [X.], nach Übersendung einer auf der Grundlage einer einseitigen Preiserhöhung vorgenommenen Jahresabrechnung durch das Versorgungsunternehmen und anschließender Fortsetzung des Gasbezugs durch den Kunden ohne Beanstandung der Preiserhöhung gemäß § 315 BGB in angemessener [X.] den zum [X.]punkt der Jahresabrechnung geltenden, zuvor einseitig erhöhten Preis nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit zu überprüfen. Die erforderliche Bestimmtheit des Preises ist bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts gemäß § 4 Abs. 1 und 2 [X.] (jetzt: § 5 Abs. 2 [X.]) in einen Sonderkundenvertrag aufgrund der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des Versorgungsunternehmens gewährleistet.

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die [X.] zur Billigkeit der einseitig vorgenommenen Preiserhöhungen vorgetragen, sie habe damit jeweils gestiegene Bezugskosten weiter gegeben, und hat zur Substantiierung dieses Vortrags unter anderem eine Bestätigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgelegt. Damit hat die [X.] den Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer Bezugskostensteigerung als Grundlage einer im Sinne von § 315 BGB billigem Ermessen entsprechenden Preiserhöhung genügt (vgl. dazu [X.], 362, [X.]. 31 ff.). Allerdings vermag die [X.] als solche, anders als das Berufungsgericht meint, die Bezugskostensteigerungen nicht zu beweisen. Die Bestätigung ist einem Privatgutachten vergleichbar, bei dem es sich um [X.]vortrag, nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt (vgl. [X.]surteil vom 8. Juli 2009 - [X.], [X.], 1957, [X.]. 21 f.).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger den Vortrag der [X.] zu den Bezugskostensteigerungen einschließlich des Inhalts der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pauschal bestreiten. Eine [X.] darf sich über Tatsachen, die - wie hier die Entwicklung der Bezugskosten der [X.] für den Kläger - nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären. Sie ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Tatsachen zu überprüfen, um sich näher zu ihnen äußern zu können. Der Kläger muss daher nicht weiter substantiiert darlegen, warum die in der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft benannten Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollen und welche weiteren Unterlagen er für erforderlich hielte (vgl. [X.]surteil vom 8. Juli 2009, aaO, [X.]. 23).

Ball                                          [X.]                                     Dr. [X.]

               Dr. Schneider                                      Dr. Bünger

Meta

VIII ZR 327/07

14.07.2010

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 29. November 2007, Az: 9 S 770/06, Urteil

§ 315 Abs 3 BGB, § 4 AVBGasV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.07.2010, Az. VIII ZR 327/07 (REWIS RS 2010, 4871)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4871

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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