Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2006, Az. 5 StR 324/06

5. Strafsenat | REWIS RS 2006, 571

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5 [X.][X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 29. November 2006 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. 6. wegen Steuerhinterziehung u. a. - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Hauptverhand-lung vom 7., 27. und 29. November 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] Basdorf, [X.]in [X.], [X.] Dr. Brause, [X.] [X.], [X.] Dr. [X.] als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.], [X.]chtsanwalt M. als Verteidiger für den Angeklagten [X.], [X.]chtsanwalt [X.]als Verteidiger für den Angeklagten [X.], [X.]chtsanwalt Oe. als Verteidiger für den Angeklagten [X.], [X.]chtsanwalt [X.]. als Verteidiger für den Angeklagten [X.], - 3 - [X.]chtsanwalt [X.]. als Verteidiger für den Angeklagten [X.], [X.]chtsanwalt [X.]als Verteidiger für den Angeklagten [X.]. , Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, - 4 - am 29. November 2006 für [X.]cht erkannt: 1. Auf die [X.]visionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 15. Dezember 2005, soweit es die Angeklagten [X.]
, [X.] , S.

, [X.]
, [X.]und [X.].

betrifft, jeweils im gesamten [X.]chtsfolgenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der [X.]chtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.
[X.] Von [X.]chts wegen [X.]
G r ü n d e Das [X.] hat [X.] neben einem geringer verurteilten [X.], der am [X.]visionsverfahren nicht beteiligt ist [X.] den Angeklagten [X.]wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 13 Fällen, den Angeklagten [X.]wegen Steuer-hinterziehung in 33 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen sowie den Angeklagten [X.]

wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu [X.] von jeweils zwei Jahren verurteilt. Es hat gegen den [X.] [X.]wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen und wegen Anstif-tung zur Steuerhinterziehung in 20 Fällen, gegen den Angeklagten [X.]wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie gegen den Angeklagten [X.]. wegen [X.] in 31 Fällen, wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 14 Fällen [X.] von jeweils einem Jahr und neun Monaten verhängt. Die Vollstre-ckung sämtlicher Freiheitsstrafen hat das [X.] zur Bewährung ausge-setzt. Mit ihren auf den [X.]chtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten [X.]visionen, die von der [X.] vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die verhängten Einzel- und Gesamtstrafen als nicht mehr schuldangemessen niedrig. Zudem [X.] sie sich gegen die Aussetzung der verhängten Gesamtstrafen zur Be-währung. Die [X.]chtsmittel haben Erfolg. [X.] 1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellun-gen getroffen: 3 Ab 1996 unterhielten die Angeklagten [X.], [X.] , [X.] und [X.] in unterschiedlicher Besetzung mehrere nur zum Schein als Bauunternehmen auftretende Gesellschaften, welche sie aus-nahmslos als sogenannte —Serviceunternehmenfi verschiedenen Kolonnen-schiebern zur Verschleierung von deren unternehmerischer Tätigkeit bereit-stellten. Diese auf Initiative und unter wechselnder Beteiligung gesondert verfolgter weiterer Täter betriebenen Firmen traten nach außen an die Stelle der [X.] und nahmen formal, unter Vorlage steuerlicher, [X.] und krankenkassenrechtlicher Unbedenklichkeitsbescheinigungen, de-ren [X.]chte und Pflichten aus den Bautätigkeiten wahr. So ermöglichten die Angeklagten den [X.]n, darunter auch dem selbst als Kolon-nenschieber tätigen Angeklagten [X.]. , ihre Bauleistungen unter Einsatz nicht ordnungsgemäß bei den Krankenkassen und Finanzämtern gemeldeter Arbeitnehmer —schwarzfi zu erbringen und den Tatbestand der illegalen [X.] - 6 - beitnehmerüberlassung zu verdecken. Zu keinem Zeitpunkt war geplant, dass die Unternehmen selbst Bauleistungen ausführen sollten. Zu den —Dienstleistungenfi der Angeklagten gehörte auch, den [X.]n die für den Anschein eines tätigen Bauunternehmens notwendigen, teilweise sogar notariell beglaubigten Firmenunterlagen und die Nachweise über den erforderlichen Konzessionsträger in einem Paket zusammenzustellen. Die Angeklagten waren dazu imstande, ihre Serviceun-ternehmen, die sie zur Erschwerung der Verfolgbarkeit jeweils nach kurzer Zeit durch andere Firmen mit gleicher Funktion austauschten, sich ändern-den tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten anzupassen. So setzten sie beispielsweise aufgrund von Bedenken der Auftraggeber der [X.] nur noch [X.] Geschäftsführer ein und passten die Vertragsunterla-gen den Vorgaben des Arbeitnehmerentsendegesetzes an. Die im Rahmen ihrer —Servicegeschäftstätigkeitfi anfallenden Aufgaben wie [X.]chnungschrei-ben, Kassenführung und Verhandlung mit den [X.]n teilten die Angeklagten unter sich auf. 5 Die Serviceunternehmen erstellten unter ihrem Namen nach Vorgabe der [X.] [X.]chnungen mit Umsatzsteuerausweis an die Auftraggeber. Die bezahlten Beträge übergaben die Angeklagten nach Abzug eines Entgelts in Höhe der vereinnahmten, aber nicht an das Finanz-amt abgeführten Umsatzsteuer bar an die [X.] zur Entlohnung der Schwarzarbeiter. Bei der Einlösung von Schecks kamen sogenannte Scheckwechsler zum Einsatz, zu denen zeitweise auch der Angeklagte [X.]. gehörte. Der aus der einbehaltenen Umsatzsteuer finanzierte [X.], der sich für jeden Angeklagten wöchentlich auf bis zu 2.500 DM belief, war so erheblich, dass der Angeklagte [X.]1997 einen Betrag von 100.000 DM aufwenden musste, um sich in die Serviceunternehmensgruppe einkaufen zu können. Die von den Angeklagten angeworbenen und geleite-ten Scheingeschäftsführer wurden mit einmaligen Beträgen bis zu 100.000 DM neben einer Kostenpauschale von 400 DM wöchentlich entlohnt. 6 - 7 - Dem Hinterziehungssystem entsprechend unterließen es die Angeklagten pflichtwidrig, für die Serviceunternehmen [X.] für die Jahre 1996 bis 1999 abzugeben, obwohl sie in den jewei-ligen Anmeldezeiträumen zahlreiche Ausgangsrechnungen erstellt und von den Auftraggebern auch bezahlt erhalten hatten. Zudem erklärten die Ange-klagten das vereinnahmte Entgelt für das Zurverfügungstellen der Firmen-mäntel und das Schreiben der [X.]chnungen [X.] jeweils mindestens 15 % der [X.] [X.] gegenüber den Finanzbehörden nicht. In [X.] sieben Fällen betrug die durch die Nichtanmeldung von Umsätzen und [X.]chnungsbeträgen verursachte Steuerverkürzung jeweils mehr als 500.000 DM, davon in drei Fällen mehr als 1 Mio. DM (S. H. GmbH 1996 und 1997 sowie [X.] GmbH 1998), in zwei Fällen sogar mehr als 2 Mio. DM ([X.] H.

GmbH 1997) bzw. 4,5 Mio. DM (I.

B. GmbH 1998). 7 Als im März 1999 der Geschäftsführer einer der Scheinfirmen festgenommen wurde, legten die Angeklagten die von ihnen gegründeten Gesellschaften still und erbrachten [X.] in unterschiedlicher Beteiligung und Dauer [X.] ihre —Servicetätigkeitenfi nunmehr über von [X.] erworbene Fir-menmäntel. Sie gaben auch für diese Firmen weder eine Umsatzsteuerjah-reserklärung für das [X.] noch Voranmeldungen für die Monate Januar bis November 2001 ab und begingen dadurch weitere Steuerhinterziehun-gen. Entsprechend einer vorherigen Absprache für den Fall der Festnahme eines der Tatbeteiligten verschaffte die Tätergruppe dem festgenommenen Geschäftsführer einen Verteidiger und unterstützte seine Familie finanziell, wofür sie monatlich insgesamt 4.000 DM aufwandte. 8 Die Betreiber dreier weiterer Unternehmen konnten von den Angeklagten dafür gewonnen werden, nach den Vorgaben der Kolonnen-schieber unter der jeweiligen Firma Scheinrechnungen auszustellen, die dann von den Angeklagten an die [X.] weitergegeben wurden. Die für diese Firmen Verantwortlichen gaben, von den Angeklagten dazu be-9 - 8 - stimmt, weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1999 bzw. 2000 noch Voranmeldungen für Januar bis November 2001 ab und bewirkten damit wei-tere Steuerverkürzungen. Auch in diesen Anmeldezeiträumen vereinnahmten die Angeklagten jeweils mindestens 15 % der [X.] für ihre Vermittlungstätigkeiten, die sie mit den [X.] teilten. Gleich-wohl gaben sie auch insoweit keine Umsatzsteuererklärungen ab. Insgesamt verursachte der Angeklagte [X.]einen [X.] von über 14,7 Mio. DM, der Angeklagte [X.] von fast 7,8 Mio. DM, der Angeklagte S.

von fast 15,7 Mio. DM, der Angeklag-te [X.] von fast 13 Mio. DM, der Angeklagte [X.]
[X.] der zudem ohne ent-sprechende Erlaubnis im Besitz eines [X.]volvers mit Munition war [X.] von fast 9,4 Mio. DM und der Angeklagte [X.].

von fast 5,5 Mio. DM. 10 Mit den aus der vereinnahmten Umsatzsteuer erzielten [X.]en finanzierten die Angeklagten ihren hohen Lebensstandard und bilde-ten Vermögen. Zum Teil verloren sie ihre Einnahmen aber auch durch Spe-kulationen und Glücksspiele. Zur Schadenswiedergutmachung ließen die Angeklagten, die sich [X.] mit Ausnahme des Angeklagten [X.][X.] zwischen sieben und fast zehn Monaten ([X.] ) in Untersuchungshaft befanden, dem Fiskus Kautionen und Vermögenswerte von rund 40.000 • (jeweils [X.] und [X.] ), 20.000 • ([X.] ), 35.000 • sowie eine Arresthypothek ([X.]) und 17.500 • ([X.].
) zukommen. Das Finanzamt konnte hieraus bislang knapp 43.000 • erlösen. 11 2. Das [X.] hat in den sieben Fällen mit einem Steuer-schaden von über 500.000 DM das Vorliegen des [X.]gelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] bejaht und aus dem erhöhten Strafrahmen [X.] für die Angeklagten stets gleichlautend, soweit ihnen der gesamte Steuerschaden des jeweiligen Erklärungszeitraums zugerechnet wurde [X.] (fiktive) Einzelfrei-heitsstrafen von neun Monaten ([X.]B. GmbH 1999), von elf Monaten (K. [X.]H. GmbH 2000), zweimal einem Jahr (S. H. GmbH 1997 und 12 - 9 - [X.] GmbH 1998), zweimal einem Jahr zwei Monaten (S. H. GmbH 1996 und [X.]H. GmbH 1997) sowie von einem Jahr sechs Monaten ([X.] 1998) verhängt. Als besonders strafmildernd hat das [X.] dabei die bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgegebenen umfassenden Geständnisse der Angeklagten und das lange Zurückliegen der Taten gewertet. Um eine um zwei Jahre verzögerte überlange Verfahrensdauer kompensatorisch zu berücksichtigen, hat das [X.] die vorgenannten Einzelstrafen auf sechs Monate, sieben Monate, zweimal acht Monate, zweimal neun Monate und ein Jahr reduziert. Dabei hat es neben der Belas-tung durch das schwebende Verfahren vor allem auf die Schwierigkeiten für die Angeklagten, einen Arbeitsplatz zu finden, abgestellt. 13 In den übrigen Fällen hat das [X.] ausgehend von dem Strafrahmen des [X.] des § 370 Abs. 1 [X.] Freiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sechs Monaten gebildet und die kurzen Freiheits-strafen unter Berufung auf die Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB mit general-präventiven Erwägungen begründet. Unter dem Gesichtspunkt der rechts-staatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das [X.] in diesen Fällen das Strafmaß auf [X.] zwischen vier Monaten und einem Monat bzw. auf Geldstrafen reduziert. 14 Ohne Verfahrensverzögerung hätte das [X.] aus den unverminderten Einzelstrafen für die Angeklagten [X.], [X.]und [X.]

Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten sowie für die Angeklagten [X.] , [X.]und [X.]. von jeweils drei Jahren ge-bildet. 15 Die Strafaussetzung zur Bewährung hat das [X.] vor allem damit begründet, dass die Angeklagten seit der [X.] erfolg-ten Entlassung aus der Untersuchungshaft keine Straftaten mehr begangen, 16 - 10 - sich somit von der Haft und dem Strafverfahren beeindruckt gezeigt und zum Teil wieder Arbeit gefunden haben. Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hat das [X.] im Wesentlichen in den [X.], den Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und dem weiten Zurückliegen der Taten gesehen. [X.]Die auf den [X.]chtsfolgenausspruch beschränkten [X.]visionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. 17 1. Eine weitergehende konkludente Beschränkung der [X.]visi-onen auf einzelne Strafen liegt nicht vor. Zwar wendet sich die Staatsanwalt-schaft in ihrer [X.]visionsbegründungsschrift primär nur gegen die Bemessung der Einzelstrafen für die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 [X.] und gegen die Strafaussetzung zur [X.]. Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft ihr ausdrücklich bezeichnetes Anfechtungsziel, die Aufhebung des gesamten [X.]chtsfolgenausspruchs, weiter einschränken wollte. Maßgeblich ist in [X.] Fällen der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers entsprechende Wille (vgl. [X.]St 29, 359, 365; [X.] NJW 1997, 3322 m.w.N.). Diese Auslegung ergibt hier, auch im Einklang mit dem gestellten Antrag Folgendes: Die Staatsanwaltschaft hat gezielt die Einzelstrafen in den besonders schwerwiegenden Fällen heraus-gegriffen und als unvertretbar mild beanstandet; im Übrigen erstrebt sie aber eine insgesamt neue Strafzumessung, auch bezogen auf die weiteren, an den gravierendsten Einzelstrafen orientierten Strafen im Rahmen eines ein-heitlichen Komplexes, damit bei der Strafzumessung keine [X.] entstehen und die [X.]lation der Einzelstrafen zueinander gewahrt bleibt. 18 - 11 - 2. Die Strafzumessung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. 19 a) Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes als in dem [X.] gegen zwei weitere Angeklagte derselben Tätergruppe, die das Senats-urteil vom 8. August 2006 [X.] 5 [X.] ([X.], 428) behandelt: 20 Jedenfalls das Ausmaß der den Angeklagten wegen überlan-ger Verfahrensdauer zugebilligten [X.] ist nicht nachvollziehbar. Das [X.] hat ihnen [X.] für sich nicht beanstandenswert [X.] eine [X.]sverzögerung von zwei Jahren zugrunde gelegt. Neben der überlangen Konfrontation mit der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens hat das [X.] als zusätzliche, durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] verursachte Belastungen allein erhebliche Schwierigkeiten der zum Zeitpunkt der Verfahrensverzögerung bereits nicht mehr in Untersu-chungshaft befindlichen Angeklagten bei ihrer Integration auf dem [X.] berücksichtigt. Diese Belastungen und die Dauer der [X.] lassen indes auch bei uneingeschränkter [X.]ung des tatgerichtli-chen [X.] eine derart hohe [X.]duzierung der vom [X.] ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen für angemessen erachteten Strafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte nicht zu. Dies gilt insbesondere auch für das Ergebnis der Gesamtstrafreduzierung. Allein die festgestellten Belastungen vermögen nicht zu rechtfertigen, dass anstelle von zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren sechs Monaten bzw. drei Jahren, die bei dem Gewicht der Taten nicht zuletzt schon unter Berücksichtigung des Zeitfaktors mild bemessen sind, aber im Ergebnis doch noch eine gravierende Sanktion darstellen, nur noch zur Be-währung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafen verhängt wurden. 21 Ohnehin widerstreitet eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der [X.]chtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer, 22 - 12 - zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. [X.]St 50, 299, 308 f.). Besonders misslich ist es, wenn das zu einer Strafmilderung verpflichtete Tatgericht gar durch eigenes unsachgemäßes Verhalten maßgebliche Ursa-chen für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Gerade vor diesem Hintergrund darf das [X.]visionsgericht einen überzogenen Straf-abschlag, wie er hier zu konstatieren ist, nicht hinnehmen. b) Daneben bedarf auch hier die Frage letztlich keiner Ent-scheidung, ob die Erwägungen der [X.] dem Umstand ausreichend [X.]chnung tragen, dass die Angeklagten ein hochkriminelles und gut durch-organisiertes überaus profitables Steuerhinterziehungssystem installierten und betrieben, das ihnen ermöglichte, jahrelang allein von den einbehaltenen Umsatzsteuern zu leben und damit einen Lebensstil von gehobenem Niveau zu finanzieren. Dies liegt jedoch nach nochmaliger Überprüfung des [X.] durch den Senat außerordentlich fern. 23 Wie bei den sogenannten [X.]n sind Kettengeschäfte unter Einschaltung von Serviceunternehmen im Be-reich der illegalen [X.] dadurch geprägt, dass [X.] die Betreiber der Firmen allein von dem Handel mit Scheinrechnun-gen leben und damit die —Steuerhinterziehung als Gewerbefi betreiben (vgl. [X.] wistra 2005, 30, 31; [X.] wistra 2002, 201, 203 f.). Damit unterschei-den sich solche Erscheinungsformen der Steuerhinterziehung gravierend von den Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger dem Fiskus rechtmäßig erzielte Einkünfte verschweigt, um sie ungeschmälert für sich verwenden zu können. Bereits in derartigen Fällen ist es äußerst fraglich, ob eine zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe noch dem Unrechtsgehalt einer Steuerhin-terziehung gerecht werden kann, wenn der Hinterziehungsschaden deutlich im Millionenbereich liegt und nicht erhebliche Strafmilderungsgründe vorhan-den sind, wie etwa eine weitgehende Schadenswiedergutmachung. Einen gerechten Schuldausgleich stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jeden-falls dann grundsätzlich nicht mehr dar, wenn die Täter [X.] wie hier über den 24 - 13 - Umweg des Vorsteuerabzugs der Auftraggeber [X.] mit einem auf Dauer ange-legten, gut organisierten und an veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszahlung hoher Geldbe-träge bewirken und damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen. Hinzu kommen weitere Schäden im Bereich der Lohnsteuer und der [X.] sowie die Schädigung der [X.] durch solches verbreitet mehr oder weniger stillschweigend geduldetes Verhalten immer stärker zurückgedräng-ten [X.] legal arbeitenden Bauwirtschaft, deren Wettbewerbsfähigkeit beein-trächtigt wird (vgl. insgesamt zur Einschätzung der sozialschädlichen [X.] der illegal agierenden Subunternehmerketten im Baugewerbe den Bericht des [X.] vom 3. September 2003, BT-Drucks. 15/1495, [X.], 10 ff.). Serviceunternehmen schädigen das Steueraufkommen letztlich in ähnlicher Weise wie [X.], bei denen über [X.] auf der Grundlage von Scheinrechnungen in großem Umfang Steuergelder betrügerisch erlangt werden (vgl. hierzu [X.] 2006, 205, 207). Zweifelhaft sind auch die Erwägungen, mit denen das [X.] die Höhe des entstandenen [X.] relativiert hat, da die [X.] der Angeklagten allein auf das Ausstellen der Scheinrechungen zurück-zuführen sei und dies bereits Straf- und Sanktionscharakter habe. Damit hat das [X.] das erhebliche Gefährdungspotential außer [X.] gelassen, das die Erstellung entsprechender Scheinrechnungen birgt (vgl. [X.]St 47, 343, 346 f. mit näheren Erläuterungen). 25 c) Dass das Ergebnis etwa auf eine Förderung der Erledigung durch eine vom [X.] ohne Einbeziehung der Staatsanwaltschaft [X.] Verständigung zurückginge (vgl. zur —Zusagefi einer Strafober-grenze ohne staatsanwaltliche Zustimmung: [X.] [X.], 394), hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht geltend gemacht. Hiergegen hätte sie sich gegebenenfalls mit den gebotenen prozessualen Mitteln zur Wehr set-zen müssen (vgl. [X.]R StPO vor § 1/faires Verfahren [X.] Vereinbarung 15 26 - 14 - m.w.N.). Auf der anderen Seite können die Angeklagten aus dem gerichtli-chen Vorgehen für sich keine günstige Position im Sinne eines Vertrauens-tatbestandes herleiten (vgl. [X.]R aaO). Ausweislich des Protokolls ist vor Abgabe der Geständnisse in der Hauptverhandlung ein in Beschlussform gefasster gerichtlicher Hinweis erteilt worden, dass —jeweils Bewährungsstra-fen in Betracht kommenfi. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Staatsanwalt-schaft, die in der Hauptverhandlung zu vollstreckende Freiheitsstrafen [X.] hat, diesen Hinweis als gerichtliche Zusage von Bewährungsstrafen verstanden hätte und hierauf in einer Zustimmung signalisierenden Weise untätig geblieben wäre. Insbesondere hatten die Angeklagten weitgehend bereits im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt. Jedenfalls bei dieser Sachlage besteht kein Anlass zu erwägen, mit Aufhebung der [X.]chtsfolgen-aussprüche etwa aus [X.] auch die Schuldsprüche mitaufzuhe-ben (vgl. dazu [X.], 481).
3. Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es bei den erkannten Wertungsfehlern nicht. Das neue Tatge-richt wird auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen fiktive und wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] kompensierte Einzel- und Gesamtstrafen (vgl. [X.]R [X.] Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrens-verzögerung 16) neu festzusetzen haben. Das [X.] darf seiner Be-wertung weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zugrunde legen. Auch unter Berücksichtigung der durch die neue Verhand-lung verlängerten Verfahrensdauer erscheint es allerdings kaum vorstellbar, dass erneut verhängte Bewährungsstrafen den genannten Strafschärfungs-gründen gerecht werden könnten. Dies gilt umso mehr, als die bislang für den fiktiven Fall fristgerechter Sacherledigung, allerdings ihrerseits schon unter Berücksichtigung des 27 - 15 - zeitlichen Abstands zwischen Tat und Aburteilung festgesetzten Strafen an der unteren Grenze des [X.] liegen.
Basdorf Gerhardt Brause [X.] [X.]

Meta

5 StR 324/06

29.11.2006

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2006, Az. 5 StR 324/06 (REWIS RS 2006, 571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 571

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