Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2023, Az. 2 StR 323/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 9739

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten M.       und [X.]wird das Urteil des [X.] vom 30. März 2023, soweit es diese beiden Angeklagten betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II.2 der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und

c) soweit der [X.] eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten M.     wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten M.     in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass vor der Unterbringung drei Jahre der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen sind. Den Angeklagten [X.]hat das [X.] wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Dauer des [X.] der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung hat es auf zwei Jahre und drei Monate bestimmt. Außerdem hat die [X.] gegen beide Angeklagte eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2

Der Angeklagte M.     hat das Urteil mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts angegriffen. Der Angeklagte [X.]hat die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Rechtsmittel beider Angeklagter erzielen den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3

1. Das [X.] hat zur Tat II.2 der Urteilsgründe – soweit hier von Bedeutung – die folgenden Feststellungen getroffen:

4

Die Angeklagten [X.]und [X.]schlossen sich im Jahr 2018 mit dem bereits rechtskräftig abgeurteilten [X.].       zusammen, um gemeinsam arbeitsteilig und wiederkehrend in [X.]r. und Umgebung dauerhaft mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben. Die Angeklagten beschafften die Betäubungsmittel. [X.].        übernahm auf Geheiß der Angeklagten die Organisation und Abwicklung des Straßenverkaufs in [X.]r.   . Hierfür baute er eine mehrköpfige Struktur aus Bunkerhaltern und „Läufern“ auf, welche die von den Angeklagten M.     und [X.]gelieferten Betäubungsmitteln an die Abnehmer verkauften. Die von den „Läufern“ durch den Betäubungsmittelverkauf generierten Gelder lieferte [X.].        sodann bei den in Vorleistung getretenen Angeklagten [X.] und [X.] ab. Am 30. [X.]i 2019 verbrachte [X.].        eine Sporttasche mit zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten und im Einzelnen bezeichneten Betäubungsmitteln, die zuvor von den Angeklagten [X.]und [X.]in einem einheitlichen Vorgang erworben worden waren, in eine von ihm unterhaltene Bunkerwohnung, wo sie am 31. [X.]i 2019 von der Kriminalpolizei sichergestellt wurde.

5

2. Die [X.] stützt sich in ihrer Beweiswürdigung unter anderem auf die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils gegen [X.].         . In diesem Urteil hatte eine andere [X.] des [X.]s festgestellt, dass [X.].            Kopf einer Bande war, die sich zum gewinnbringenden Verkauf von Betäubungsmitteln zusammengeschlossen hatte und deren Tätigkeitsfeld darin bestand, dass verschiedene „Läufer“ Betäubungsmittel in [X.]r.   veräußerten. Sämtliche Betäubungsmittel hatte [X.].           ausweislich der Feststellungen jenes Urteils von seinen Lieferanten „auf [X.]“ erworben, um sie im Nachhinein mit den Verkaufserlösen zu bezahlen. Die Angeklagten [X.]  und [X.]werden namentlich in dem Urteil gegen [X.].            nicht erwähnt.

6

Von der Richtigkeit dieser Feststellungen einschließlich des Verkaufs der Betäubungsmittel an [X.].         „auf [X.]“ hat sich die [X.] „nach eigener Beweiswürdigung“ überzeugt. Die [X.] zwischen den Angeklagten [X.]  und [X.]begründet sie in ihrer rechtlichen Würdigung damit, dass die Angeklagten [X.] und [X.]durch ihre Vorleistung das finanzielle Risiko getragen und außerdem [X.].        gezielt für den Straßenverkauf aufgebaut hätten.

II.

7

1. Die vom Angeklagten [X.]  erhobenen Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen keinen Erfolg.

8

2. Die Überprüfung aufgrund der Sachrügen führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die rechtliche Würdigung der [X.], dass die Angeklagten in diesem Fall als Mitglied einer Bande handelten, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9

a) Die bandenmäßige Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Betäubungsmitteldelikte zu begehen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 2. Juni 2022 – 2 StR 12/22, juris Rn. 20). Ob ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung in Form einer [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 [X.], juris Rn. 21). Kein [X.] liegt vor, wenn sich die Beteiligten eines Betäubungsmittelgeschäftes auf der [X.] und der [X.] als selbstständige Geschäftspartner gegenüberstehen (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2007 – 2 [X.], [X.], 55 mwN). Das gilt auch dann, wenn es sich um eine andauernde Geschäftsbeziehung und ein eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem handelt ([X.], Beschlüsse vom 6. Februar 2007 – 4 [X.], [X.]R BtMG § 30a Bande 11).

Die vorstehenden [X.]ßstäbe sollen grundsätzlich auch bei Geschäften „auf [X.]“ Anwendung finden (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 [X.], juris Rn. 8 mwN). Kauft ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter allerdings Betäubungsmittel „auf [X.]“, bedarf die Annahme einer mit diesem getroffenen [X.] insoweit regelmäßig näherer Feststellungen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 [X.], juris Rn. 21). Dass Betäubungsmittel „auf [X.]“ bezogen werden, wird nämlich isoliert betrachtet häufig auf die Stellung eines selbstständigen, eigene Interessen verfolgenden Geschäftspartners hindeuten. Darin kann aber auch lediglich die verdeckende Umschreibung dafür zu sehen sein, dass der „auf [X.]“ erwerbende Beteiligte in unselbstständiger Weise als verlängerter Arm seines Lieferanten anzusehen ist (vgl. [X.], Urteil vom 9. Oktober 1996 – 3 [X.], [X.]St 42, 255, 260; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, BtMG, 4. Aufl., § 30 Rn. 51). Ob eine Person, die regelmäßig von einem bestimmten Verkäufer Betäubungsmittel „auf [X.]“ zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs bezieht, in die [X.] des Verkäufers eingebunden ist oder ob sie diesem stattdessen als selbstständiger Geschäftspartner gegenüber steht, beurteilt sich wesentlich nach der getroffenen Risikoverteilung. Von einer Einbindung in die [X.] als verlängerter Arm des Verkäufers ist in der Regel auszugehen, wenn die Verkäuferseite dem Abnehmer die Höhe des Verkaufspreises vorgibt, Zeitpunkt und Umfang der Lieferungen der Betäubungsmittel bestimmt sowie am Gewinn und Risiko des Weiterverkaufs beteiligt ist. Der Abnehmer in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem, der die Betäubungsmittel zum vereinbarten Preis erwirbt und diese anschließend ausschließlich auf eigenes Risiko verkauft, ist demgegenüber regelmäßig als selbstständiger Käufer anzusehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er die Verkaufspreise selbst festsetzt und über die erzielten Gewinne allein disponieren kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. Juli 2011 – 3 [X.], juris Rn. 8 mwN; vom 31. Juli 2012 – 5 [X.], [X.], 49). Für ein selbstständiges Agieren spricht auch, wenn der Abnehmer für ausbleibende Zahlungen haftbar gemacht wird (vgl. [X.], Urteil vom 9. Oktober 1996 – 3 [X.], [X.]St 42, 255, 260).

b) Ausgehend davon hat das [X.] eine [X.] zwischen den Angeklagten [X.]   und [X.] sowie dem gesondert Verfolgten [X.].          nicht tragfähig begründet. Insbesondere fehlt es an einer eingehenden Auseinandersetzung mit der zwischen [X.].       und den Angeklagten [X.]und [X.]   getroffenen Risikoverteilung.

aa) Die [X.] legt ihrer rechtlichen Würdigung zwar im Ausgangspunkt die für [X.]sgeschäfte geltenden [X.]ßstäbe zutreffend zugrunde. Die Erwägungen, mit denen sie eine [X.] annimmt, stützen das Vorliegen einer Bandentat nach diesen [X.]ßgaben indes nicht. Die Annahme, dass die Angeklagten das „Risiko des Weiterverkaufs“ getragen hätten, weil sie mit der Übergabe der Betäubungsmittel an [X.].         in Vorleistung gegangen seien, verfängt nicht. Denn dass Lieferanten in Vorleistung treten, weil sie ihrem Abnehmer die Betäubungsmittel zunächst ohne Gegenleistung überlassen, ist dem [X.]sgeschäft immanent und besagt noch nichts über die maßgebliche Risikoverteilung im Sinne der Haftung für ausbleibende Zahlungen oder das Scheitern von Verkäufen. Auch der Umstand, dass [X.].          von den Angeklagten [X.]   und [X.]„gezielt für den Straßenverkauf aufgebaut“ wurde, belegt für sich genommen noch nicht, dass er Teil einer Bande bestehend aus ihm und den Angeklagten [X.]und [X.]war. Eine solche gezielte „Platzierung“ ist auch bei [X.] möglich, die dem Lieferanten fortan als selbstständiger Geschäftspartner in einem auf Dauer angelegten Bezugs- und Absatzsystem gegenüberstehen sollen.

bb) Den Ausführungen in der Beweiswürdigung vermag der Senat keine weitergehenden Erkenntnisse zu entnehmen, die die rechtliche Würdigung der [X.] bezogen auf eine [X.] mit den Angeklagten stützen könnten. Insbesondere fehlen Erkenntnisse zu möglichen Vorgaben der Angeklagten für den Verkauf des Rauschgifts durch [X.].      , bezogen etwa auf den Zeitpunkt oder den Umfang, sowie zu einer denkbaren Gewinnbeteiligung an der „Weiterveräußerung“ durch diesen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass [X.].            trotz seiner festgestellten Beteiligung an einer Bande mit den Straßenverkäufern zugleich in eine mit den Angeklagten [X.]  und [X.]bestehende Bandenstruktur eingebunden war. Ohne nähere Feststellungen zu dem Verhältnis der beiden Gruppierungen zueinander und zu den insoweit bestehenden Absprachen bezogen auf Gewinnverteilung, Haftung und Befugnisse im Rahmen des Weiterverkaufs der Betäubungsmittel lässt sich die Frage der Eingliederung des [X.].           in die Absatzstrukturen der Angeklagten aber nicht beurteilen. Dafür, dass [X.].          an anderen Teilakten des Handeltreibens beteiligt war und sich somit aus anderen Gründen als dem Straßenverkauf eine Eingliederung in die Bande der Angeklagten ergibt, bieten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte (vgl. dazu [X.], Urteil vom 3. September 2014 – 1 [X.], [X.], 227).

c) [X.] der Urteilsgründe bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Der Wegfall der die Angeklagten [X.] und [X.]betreffenden Schuldsprüche im Fall II.2 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen und der Gesamtstrafenaussprüche nach sich.

4. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält bezogen auf die Angeklagten [X.]  und [X.]auch unter Berücksichtigung der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Neufassung des § 64 StGB rechtlicher Nachprüfung stand (§ 2 Abs. 6 StGB). Allerdings entzieht der Wegfall der Gesamtstrafen den Anordnungen des [X.] die Grundlage. Insoweit wird die neu zur Entscheidung berufene [X.] die geänderte Fassung des § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB zu beachten haben. Das Verbot der Schlechterstellung steht der Berechnung des [X.] nach der Neufassung nicht entgegen, § 358 Abs. 2 Satz 3 StGB (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Januar 2008 – 5 [X.], juris Rn. 2 mwN; vom 14. November 2023 – 1 StR 354/23, juris).

[X.]     

      

Zeng     

      

Meyberg

      

Schmidt     

      

Lutz     

      

Meta

2 StR 323/23

21.11.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Marburg, 30. März 2023, Az: 6 KLs - 4 Js 12616/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2023, Az. 2 StR 323/23 (REWIS RS 2023, 9739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9739

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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