Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2012, Az. XII ZB 444/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2480

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 444/11
vom
10. Oktober 2012
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG §
21
GG Art.
100 Abs.
1
a)
Der Anfechtung nach §
21 Abs.
2 FamFG unterliegen sowohl Beschlüsse, die eine Aussetzung des Verfahrens anordnen als auch solche Beschlüsse, mit denen die von einem Verfahrensbeteiligten angeregte oder beantragte Aussetzung abge-lehnt wird.
b)
Solange sich das Gericht keine abschließende Überzeugung von der Verfas-sungswidrigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes gebildet hat, ist die Aussetzung eines Verfahrens nach §
21 Abs.
1 FamFG ohne gleichzeitige Vorlage an das [X.] möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit die-ses Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage ist.
c)
Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes nach §
21 FamFG unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hat dabei grundsätzlich die durch das vorinstanzliche Gericht vertretene Rechtsauffassung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsvorschrift zugrunde zu legen.
[X.], Beschluss vom 10. Oktober 2012 -
XII ZB 444/11 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 10.
Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterinnen [X.] und
Dr.
Vézina
und [X.]
[X.] und Dr.
Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11.
Zivilsenats -
Familiensenat
-
des [X.]s [X.] vom 20.
Juli 2011 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
[X.]: bis 600

Gründe:
I.
Der minderjährige Betroffene wurde im Februar 2005 [X.]. Die Mutter des Kindes ist [X.] St[X.]tsangehörige aus dem [X.], die sich zu diesem Zeitpunkt nach Ablehnung von Asyl-
und Asylfolgeanträgen mit vier weiteren minderjährigen Kindern aufgrund einer ausländerrechtlichen [X.] im [X.] aufhielt. Im April 2006 erkannte der Beteiligte zu
1, ein [X.] St[X.]tsangehöriger, mit Zustimmung der Kindesmutter vor dem Ju-gendamt der Stadt
S. die [X.]chaft für das betroffene Kind an. Aufgrund der durch die [X.]chaftsanerkennung durch den Beteiligten zu
1 vermittelten [X.] St[X.]tsangehörigkeit des Betroffenen wurde der Kindesmutter und ihren weiteren Kindern im September 2006 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu
1 und dem betroffenen Kind besteht nicht.
1
-
3
-
Im Juli 2010 hat der Antragsteller auf der Grundlage der ihm durch [X.] übertragenen Zuständigkeit unter Hinweis auf das behördliche Anfech-tungsrecht nach §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB die [X.]chaft angefochten. Das betroffene Kind ist der [X.]chaftsanfechtung entgegengetreten und hat [X.], das Verfahren im Hinblick auf die beim [X.] auf-grund von Richtervorlagen des [X.] (FamRZ 2011, 1073) und des [X.] ([X.] 2010, 306) anhängigen Normenkontrollverfahren zu §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB auszusetzen. Das [X.] hat diesen
Antrag durch Beschluss vom 19.
Mai 2011 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und
das Verfahren in [X.] Instanz bis zur Entscheidung des [X.]s über die bei-den vorbenannten Richtervorlagen ausgesetzt.
Hiergegen wendet
sich der Antragsteller mit seiner vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
21 Abs.
2 FamFG i.V.m. §
574 Abs.
1 Nr.
2 ZPO statthaft (vgl. [X.]sbeschluss vom 15.
Februar 2012

XII
ZB
451/11
-
FamRZ 2012, 619 Rn.
5 mwN; [X.]Z 184, 323 =
[X.] 2010, 154 Rn.
5). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig; in der Sache hat es keinen Erfolg.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung aus-geführt, dass es zwar nicht völlig von der Verfassungswidrigkeit des §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB überzeugt sei. Die Richtervorlagen des [X.]s 2
3
4
5
-
4
-
Bremen und des [X.] an das [X.] hätten auch nicht zwingend zur Folge, dass dieses Verfahren auszusetzen sei.
Allerdings stellten die anderweitigen Richtervorlagen einen wichtigen Grund im Sinne von §
21
FamFG dar. Daher müsse im vorliegenden Verfahren nach richterlichem Ermessen über eine mögliche Aussetzung befunden werden. Eine entsprechende Abwägung habe das Amtsgericht bei der Zurückweisung des von dem betroffenen Kind gestellten Aussetzungsantrages nicht ausgeübt, weil es in seiner Entscheidung ausschließlich
darauf abgestellt habe, dass §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB nach seiner Ansicht verfassungsgemäß sei. In die Abwägung seien insbesondere die möglichen Nachteile der Fortsetzung des Verfahrens einzubeziehen, die den Beteiligten entstehen, wenn später das [X.] die Vorschrift des §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB für ver-fassungswidrig erklären sollte. Diese seien abzuwägen gegen die Nachteile, die bei Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts entstehen könnten. Die Abwägung aller Umstände spreche hier für ei-ne Aussetzung des Verfahrens und gegen eine Fortsetzung, bei der als nächs-tes die
[X.]chaft des Beteiligten zu
1 zu klären wäre.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
a) Mit Recht hat das [X.] die Erstbeschwerde gegen die angefochtene Zwischenentscheidung nach §
21 Abs.
2 FamFG i.V.m. §
567 Abs.
1 Nr.
1 ZPO als statthaft angesehen, obwohl das Amtsgericht das [X.] nicht ausgesetzt, sondern die beantragte Aussetzung des [X.] hat.
Ob auch der Beschluss, mit dem ein Antrag zur Aussetzung abgelehnt wird, nach §
21 Abs.
2 FamFG der Anfechtung unterliegt, kann dem Wortlaut 6
7
8
9
-
5
-
der Vorschrift nicht zweifelsfrei entnommen werden. §
21 Abs.
1 FamFG verhält sich ausschließlich zur positiven Aussetzungsentscheidung, woraus abgeleitet werden könnte, dass auch die im folgenden Absatz der Vorschrift eröffnete An-fechtungsmöglichkeit nur gegenüber einer positiven Aussetzungsentscheidung gelten soll. Gleichwohl hält die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur auch die Anfechtung negativer Aussetzungsentscheidungen nach §
21 Abs.
2 FamFG für möglich
([X.] FamRZ 2010, 1462
f.; [X.]/Sternal FamFG 17.
Aufl. §
21 Rn.
32; Musielak/[X.] FamFG 3.
Aufl. §
21 Rn.
5; Prütting/[X.] FamFG 2.
Aufl. §
21 Rn.
12; [X.]/[X.] FamFG 10.
Aufl. §
21 Rn.
5; a.[X.] in [X.] FamFG [Stand: 1.
Mai 2012] §
21 Rn.
17).
Der [X.] tritt der herrschenden
Auffassung bei. Eine Beschränkung der Anfechtbarkeit von Beschlüssen auf positive Aussetzungsentscheidungen hätte zur (systemwidrigen) Folge, dass in Familiensachen der freiwilligen Gerichts-barkeit einerseits und in Ehesachen und Familienstreitsachen andererseits un-terschiedliche Anfechtungsmöglichkeiten gegenüber [X.] der Gerichte bestünden, weil der in Ehesachen und Familienstreitsachen über die Verweisung in §
113 Abs.
1 Satz
2 FamFG anwendbare §
252 ZPO ausdrücklich
auch die Anfechtung von negativen Aussetzungsentscheidungen ermöglicht. Zudem entspricht die Erstreckung des Anwendungsbereichs von §
21 Abs.
2 FamFG auf solche Entscheidungen, mit denen die von einem Betei-ligten beantragte [X.] abgelehnt worden ist, den erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers, der mit der Vorschrift des §
21 Abs.
2 FamFG die zum alten Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit allgemein vertretene [X.] zur Anfechtbarkeit der Aussetzungsentscheidung aufgreifen wollte (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S.
184). Unter der Geltung des alten Verfahrensrechts entsprach es indessen allgemeiner Ansicht, dass sowohl positive als auch ne-gative Aussetzungsentscheidungen mit der Beschwerde angegriffen werden 10
-
6
-
konnten (vgl. die in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich zitierte [X.] bei [X.]/[X.]/Winkler-Kahl FGG 15.
Aufl. §
19 Rn.
13).
b) Mit Recht ist das Beschwerdegericht ferner davon ausgegangen, dass ein Aussetzungsgrund im Sinne von §
21 Abs.
1 FamFG vorliegt.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen, insbesondere wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet oder von einer Ver-waltungsbehörde festzustellen ist. Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes als Voraussetzung für die Ermessensentscheidung unterliegt im Beschwerdever-fahren der uneingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht (vgl. [X.] Beschluss vom 12.
Dezember 2005

II
ZB
30/04
-
NJW-RR 2006, 1289 Rn.
6).
[X.]) Soweit im vorliegenden Fall allerdings die Frage zu beurteilen ist, ob Zweifel an
der Verfassungsmäßigkeit des §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB bestehen, ist in dem durch §
21 Abs.
2 FamFG eröffneten Rechtsmittelzug allein die Rechtsansicht des Amtsgerichts zugrunde zu legen, das §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB für verfassungsgemäß gehalten hat.
Hält das mit der Hauptsache befasste Gericht eine entscheidungserheb-liche Norm für verfassungsgemäß und lehnt es deshalb eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage nach Art.
100 Abs.
1 GG an das Bundesverfas-sungsgericht ab, kann diese Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts
nach allgemeiner Meinung nicht zum Gegenstand der Überprüfung
in einem Rechts-mittelverfahren
gegen [X.]
gemacht werden (vgl. [X.] NJW 1956, 387; OLG Karlsruhe
FamRZ 1979, 845; OLG Düsseldorf NJW 1993, 411). Ein [X.] kann nur aufgrund einer Entscheidung des 11
12
13
14
-
7
-
[X.]s (§
31 Abs.
1 [X.]) dazu verpflichtet werden, ein
entscheidungserhebliches
Gesetz nicht anzuwenden. Solange es an einer bindenden Entscheidung des [X.]s fehlt, bleibt die Frage, welche gesetzlichen Vorschriften bei der Entscheidungsfindung angewendet werden dürfen, ein Element der Sachentscheidung, die nach der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz ergebenden Aufgabenverteilung dem Gericht der Hauptsache zugewiesen ist
(vgl. [X.]/Sternal FamFG 17.
Aufl. §
21 Rn.
54). Das mit einem Rechtsmittel gegen eine Aussetzungsentscheidung befasste [X.] kann seine eigene Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht an die Stelle der Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts setzen.
[X.]) Ebenfalls der Überprüfung im Rechtsmittelzug weitgehend entzogen ist die rechtliche Beurteilung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zur Frage der Entscheidungserheblichkeit des Gesetzes, über dessen Verfas-sungsmäßigkeit die Beteiligten streiten; auch an diese Rechtsansicht der Vorinstanz
ist das Beschwerdegericht gebunden, sofern sie nicht offensichtlich falsch ist (vgl. [X.], 1436 Rn.
9). Im vorliegenden Fall unterliegt es keinem Zweifel, dass die Frage nach
der Verfassungsmäßigkeit des §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB entscheidungserhebliche Bedeutung hat. Denn
würde §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB, der die Grundlage der behördlichen [X.]chaftsanfechtung darstellt, gegen Grundrechte des betroffenen Kindes verstoßen, könnte der Rechtsstreit nicht entschieden werden.
[X.]) Ob auf der Grundlage dieser materiell-rechtlichen Beurteilungen durch das Gericht der Hauptsache ein wichtiger Grund zur Aussetzung des [X.] vorliegt, ist in dem durch §
21 Abs.
2 FamFG eröffneten Beschwerde-verfahren vollständig zu prüfen.
15
16
-
8
-
Die Aussetzung des Verfahrens nach §
21 Abs.
1 FamFG (oder den ver-gleichbaren Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen) ohne gleichzeitige Vorlage an das [X.] ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich möglich, wenn die Verfassungsmäßig-keit eines entscheidungserheblichen Gesetzes bereits Gegenstand einer an-hängigen Verfassungsbeschwerde (Art.
93 Abs.
1 Nr.
4
a GG) oder Richtervor-lage (Art.
100 Abs.
1 GG) geworden ist. Voraussetzung für eine solche Ausset-zung ist allerdings, dass sich das mit der Hauptsache befasste [X.]

wie hier das Amtsgericht
-
noch keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Rechtsnorm gebildet hat ([X.] vom 27.
Juni 2012 -
XII
ZB
89/10
-
FamRZ 2012, 1489 Rn.
6; [X.] Beschlüsse vom 25.
März 1998 -
VIII
ZR
337/97
-
NJW 1998, 1957 und vom 18.
Juli 2000 -
VIII
ZR
323/99
-
RdE 2001, 20). Im anderen Falle kann und muss das von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugte Gericht sein
Verfahren durch Vorlage nach Art.
100 Abs.
1 GG an das Bundesverfassungs-gericht fördern.
c) Ob das Gericht bei
Vorliegen eines Aussetzungsgrundes von der Mög-lichkeit der [X.] nach §
21 Abs.
1 FamFG Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen ([X.]sbeschluss vom 5.
November 2008 -
XII
ZB
53/06
-
FamRZ 2009, 303 Rn.
23).
[X.]) Bei dieser Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichti-gen, ob den Beteiligten die aussetzungsbedingte Verfahrensverzögerung [X.] werden kann ([X.] 1966, 357, 359; [X.] 1967, 19, 23; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 832; [X.] [X.] 2008, 254, 259). Trägt das mit der Hauptsache befasste Gericht -
wie hier das Amtsgericht
-
kei-nerlei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Vor-schrift, spricht dies in der Regel gewichtig dafür, den Interessen derjenigen Ver-17
18
19
-
9
-
fahrensbeteiligten, die nicht auf eine Aussetzung angetragen haben, an einer zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang einzuräumen (vgl. [X.] Be-schluss
vom 14.
März 2007 -
X
ZB
9/06
-
GRUR 2007, 859, 861).
[X.]) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings erkannt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts auf einer zumindest unvollständigen Würdigung aller maßgeblichen Umstände beruhte, weil bei der Ausübung des Ermessens auch solche möglichen Nachteile in den Blick zu nehmen sind, die im Falle [X.] auf der Grundlage einer möglicherweise verfas-sungswidrigen Vorschrift entstehen könnten (vgl. auch [X.] FamRZ 2011, 787 Rn.
21).
(1) Zutreffend
weist die Rechtsbeschwerde indessen
darauf hin, dass [X.] für den Beteiligten zu
2
bei einem Fortgang des Verfahrens in der Hauptsache keine Nachteile zu besorgen gewesen wären, auch wenn das Amtsgericht die von ihm bereits angekündigte Beweisaufnahme durch [X.] eines Abstammungsgutachtens durchgeführt hätte.
Das [X.] hat zur Begründung für den Erlass einst-weiliger Anordnungen (§
32 Abs.
1 [X.]), die es im Rahmen von anhängi-gen [X.] gegen [X.] betreffend die Einholung eines Abstammungsgutachtens in behördlichen [X.]chaftsanfech-tungsverfahren erlassen hat, mehrfach darauf abgestellt, dass bei einer unge-klärten sozial-familiären Bindung das eine [X.]chaft ausschließende Ergebnis eines Abstammungsgutachtens dazu geeignet wäre, eine möglicherweise be-stehende sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind zu stören oder zu zerstören (vgl. [X.] FamRZ 2011, 787 Rn.
22 und Beschluss vom 7.
Oktober 2010 -
1
BvR
2509/10
-
juris Rn.
17). Unter diesen Voraussetzungen würde auch in der hier vorliegenden Konstellation ein schwerwiegender Eingriff in das 20
21
22
-
10
-
Elternrecht des [X.] (Art.
6 Abs.
2 Satz
1 GG) vorliegen, wenn das Bundes-verfassungsgericht später §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB
für verfassungswidrig erklä-ren und damit dem behördlichen [X.]chaftsanfechtungsverfahren die Rechts-grundlage entziehen würde.
Allerdings ist unter den hier obwaltenden Umständen nach den vom Be-schwerdegericht getroffenen Feststellungen bereits unstreitig, dass zwischen dem betroffenen Kind und dem Beteiligten zu
2
keine sozial-familiäre Bezie-hung besteht. Darüber hinaus hat sich der Beteiligte zu
2
in diesem Verfahren mit der "Aberkennung der [X.]chaft"
einverstanden erklärt und seine Mitwir-kung an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung ausdrücklich angeboten. Ein Verfahrensfortgang könnte daher unabhängig von der mögli-chen Verfassungswidrigkeit des §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB ersichtlich nicht zu einer Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Belange des Beteiligten zu
2
führen.
(2) Dies gilt indessen nicht für die Grundrechte des betroffenen Kindes und der beteiligten Kindesmutter, die sich der Mitwirkung an einer molekularge-netischen Abstammungsuntersuchung voraussichtlich
widersetzen werden.
Jede Untersuchung und Verwendung von DNA-Identifizierungsmustern
greift in das durch Art.
2 Abs.
1 i.V.m.
Art.
1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Denn zu den grundrechtlich geschützten Daten gehören auch solche, die Informatio-nen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in [X.] mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen ([X.] FamRZ 2007, 441, 443). Die Weigerung, an einer mole-kulargenetischen Abstammungsuntersuchung mitzuwirken, ist Ausfluss dieses (negativen) informationellen Selbstbestimmungsrechts ([X.]sbeschluss [X.]Z 23
24
25
-
11
-
162, 1, 4 =
[X.], 340). Das Recht auf informationelle [X.] wird zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Es darf aber nur im überwie-genden Interesse anderer Personen oder der Allgemeinheit und unter Beach-tung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden ([X.]sbeschluss [X.]Z 162, 1, 5 =
[X.], 340; vgl. auch [X.] FamRZ 2007, 441, 443).
Müssten das betroffene Kind und die Kindesmutter daher aufgrund einer Beweisanordnung des Amtsgerichts eine Untersuchung ihres genetischen [X.] dulden und erweist sich später, dass keine verfassungsgemäße [X.] für das behördliche Anfechtungsrecht besteht, wäre wegen fehlender Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse in ihre Grund-rechte auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden. Vor unge-rechtfertigten Zugriffen auf das Datenmaterial des Kindes ist die sorgeberech-tigte Kindesmutter im Übrigen auch im Hinblick auf ihr Elternrecht (Art.
6 Abs.
2 Satz
1 GG) zu schützen, denn ihr Sorgerecht umfasst auch das Recht, darüber bestimmen zu können, ob genetische Daten des Kindes erhoben und verwertet werden dürfen ([X.] FamRZ 2007, 441, 443). Der Umstand, dass die mögli-che Weigerung des Kindes und seiner Mutter, an einer Abstammungsuntersu-chung mitzuwirken, naheliegende aufenthaltsrechtliche Motive haben dürfte, ändert an der Grundrechtsrelevanz des mit der Abstammungsuntersuchung verbundenen Eingriffes nichts.
(3) Soweit die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, dass durch die [X.] auch das Grundinteresse des betroffenen Kindes an der Kenntnis von seiner tatsächlichen Abstammung beeinträchtigt wird, ist darauf hinzuweisen, dass ein Anfechtungsverfahren nicht vorrangig der Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung, sondern vielmehr der Herstellung 26
27
-
12
-
einer Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher [X.]chaft dient (vgl. [X.] NJW 2009, 425, 426).
(4) Wenn das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund offensichtlich
davon ausgeht, dass im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Abstam-mungsuntersuchung die Nachteile der Verfahrensfortführung im Falle der [X.] von §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB die Interessen des [X.] an einer zügigen Erledigung des Verfahrens überwiegen, hält diese [X.] (vgl. dazu [X.] Urteil vom 24.
November 1995 -
V
ZR
174/94
-
NJW 1996, 1054, 1055 mwN) Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.
d) Im Übrigen erweist sich die Entscheidung des [X.] zum jetzigen Zeitpunkt schon deshalb als richtig, weil sich der [X.] -
nach [X.] der angefochtenen Entscheidung
-
der Auffassung angeschlossen hat, dass die behördliche [X.]chaftsanfechtung nach §
1600 Abs.
1 Nr.
5 BGB in ihrer derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung wegen der Verletzung des Gebots der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder (Art.
6 Abs.
5 GG) ver-fassungswidrig ist. Der [X.] hat zwei bei dem [X.] als Rechts-beschwerdegericht anhängige Verfahren nach Art.
100 Abs.
1 Satz
1 GG aus-gesetzt und Entscheidungen des [X.]s zu dieser Frage eingeholt ([X.]sbeschlüsse vom 27.
Juni 2012 -
XII
ZR
89/10
-
FamRZ 2012, 1489 Rn.
34
ff. und -
XII
ZR
90/10
-
juris Rn.
32
ff.).
Zwar ist bereits dargelegt worden, dass für die Frage nach dem Vorlie-gen eines Aussetzungsgrundes
im Rahmen des nach §
21 Abs.
2 FamFG er-öffneten Beschwerderechtszuges grundsätzlich die Rechtsauffassung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zugrunde zu legen ist. Die von einem über-geordneten [X.] gewonnene Überzeugung von der Verfassungswidrig-28
29
30
-
13
-
keit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm kann allerdings im Rahmen der Ermessensausübung Bedeutung gewinnen, wenn dieses als zuständiges Gericht mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache be-fasst werden kann und bereits feststeht, dass es die der Verfassungsbeschwer-de oder der anderweitigen Richtervorlage zugrundeliegende Rechtsauffassung teilt
(vgl. [X.], 538, 539). In diesen Fällen verbleibt
dem Gericht kaum Spielraum bei der Ausübung seines [X.], weil es den auf [X.] antragenden Beteiligten regelmäßig nicht zuzumuten ist, das Verfahren erst in eine höhere Instanz tragen zu müssen, um dort die von ihnen erstrebte Aussetzung zu erreichen.

Dose

[X.]

Vézina

[X.]

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.05.2011 -
8 [X.]/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 20.07.2011 -
11 [X.]/11 -

Meta

XII ZB 444/11

10.10.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2012, Az. XII ZB 444/11 (REWIS RS 2012, 2480)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2480

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