Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2018, Az. XII ZB 623/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 10998

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[X.]:[X.]:BGH:2018:110418BXII[X.]623.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 623/17

vom

11. April 2018

in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
[X.] §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 27; [X.] § 162 Nr. 2
a)
Das durch die Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen erworbene
Anrecht unterfällt grundsätzlich dem Versorgungsausgleich.
b)
Der Anrechtserwerb durch einen behinderten Menschen unter Anwendung
der besonderen Beitragsbemessung nach §
162 Nr.
2 SGB
VI rechtfertigt für
sich genommen
keine Beschränkung des Versorgungsausgleichs gemäß §
27 [X.].
BGH, Beschluss vom 11. April 2018 -
XII [X.] 623/17 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 11.
April 2018
durch
den Vorsitzenden Richter Dose
und
die Richter Prof.
Dr.
[X.], Dr.
Günter,
Dr.
Nedden-Boeger und
Guhling
beschlossen:
Der Antragsgegnerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bewilligt und Rechtsanwalt

beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 23.
Familien-senats des [X.]s [X.]
vom 30.
November 2017
wird auf Kosten der Antragsgegnerin
zurückgewiesen.
[X.]: 2.140

Gründe:
I.
Auf den am 22.
Februar 2016
zugestellten Antrag hat das [X.] die am 26.
Juni
1992
geschlossene Ehe des 1971 geborenen [X.] (im Folgenden: Ehemann) und der 1970 geborenen Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. [X.] der Ehezeit (1.
Juni 1992
bis 31.
Januar 2016; §
3 Abs.
1 [X.]) hat der Ehemann in der gesetzlichen Rentenversicherung 1,2972
Entgeltpunkte mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 0,6486
Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 4.398,76

Entgeltpunkte (Ost) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 5,6913
Entgeltpunkten 1
-
3
-
(Ost) und einem korrespondierenden Kapitalwert von 33.624,87

. [X.] hat, überwiegend durch Tätigkeiten
in einer Werkstatt
für behinder-te
Menschen, in der gesetzlichen Rentenversicherung 34,7177
Entgeltpunkte (Ost) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 17,3589
Entgeltpunkten (Ost) und einem korrespondierenden Kapitalwert von 102.558,43

erworben, darüber hinaus ein privates Anrecht mit einem ehezeitlichen Kapitalwert von 2.055,75

Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit (§
27 [X.]) ausgeschlossen, da die erwerbsunfähig
erblinde-te, auf einen Rollstuhl angewiesene und an epileptischen Anfällen
leidende Ehefrau voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein werde, weitere eigene [X.] zu erwirtschaften.
Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das
[X.] die in
der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechte intern geteilt
und nur den Ausgleich des privaten Anrechts wegen Geringfügigkeit (§
18 Abs.
2 [X.]) ausgeschlossen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechts-beschwerde der Ehefrau.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das [X.] hat
seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Versorgungsausgleich sei dem Grundsatz nach unabhängig von den Ursa-chen, die zur Auflösung der Ehe geführt haben, und den wirtschaftlichen [X.] beider Ehegatten durchzuführen. Für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs als Ausnahmefall sei erforderlich, dass seine
schematische Durchführung dem Gerechtigkeitsgedanken in uner-2
3
4
-
4
-
träglicher Weise widerspräche, wie es etwa der Fall wäre, wenn der [X.] Ehegatte auf seine
Versorgungsanrechte dringend angewiesen und der [X.] bereits anderweitig angemessen abgesichert sei. Diese Konstellation liege jedoch nicht vor, selbst wenn allein der insgesamt ausgleichsberechtigte Ehemann nach der Ehe noch Rentenanwartschaften durch Arbeit erwirtschaften könne. Aufgrund seines beruflichen Werdegangs und seiner gesundheitlichen Verfassung sei nicht zu erwarten, dass der [X.], der bislang
nur Anwartschaften von monatlich rund 380

ha-be, in den ihm verbleibenden 21
Erwerbsjahren in der Lage sei, nennenswerte weitere Anwartschaften zu erwirtschaften.
Eine grobe Unbilligkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass die Versiche-rungsbeiträge der Ehefrau nicht auf der Basis ihres
in der [X.] tatsächlich bezogenen, geringen Arbeitsentgelts errechnet worden seien, son-dern im Wesentlichen auf staatlichen Zuwendungen zugunsten behinderter Menschen
beruhten.
Ebenso reiche nicht aus, dass die Rentenkürzung bei der Ehefrau aufgrund des entfallenen früheren [X.] sofort wirksam werde, während der Ehemann erst nach seinem Renteneintritt davon profitiere.
Schließlich sei dem Ehemann keine grobe Verletzung seiner Unterhalts-pflichten vorzuwerfen, die einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs [X.] könnte, da er sich am Erwerb des Familieneinkommens und an der gemeinsamen Kindererziehung im Rahmen seiner Möglichkeiten beteiligt habe.
2. Diese
Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Zu Recht ist das [X.] davon ausgegangen, dass auch das durch die Tätigkeit der Ehefrau in einer Werkstatt für behinderte Menschen
erworbene Anrecht grundsätzlich dem Versorgungsausgleich unterfällt, weil
es durch Arbeit im Sinne des §
2 Abs.
2 Nr.
1
[X.] geschaffen
ist. Zwar 5
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7
8
-
5
-
bemessen
sich
die für behinderte Menschen
zu entrichtenden
Rentenbeiträge
gemäß
§
162 Nr.
2 SGB
VI nicht nach dem auf der Arbeitsleistung beruhenden Entgelt, sondern nach einem fiktiven Mindestarbeitsentgelt in Höhe von 80
Pro-zent
der Bezugsgröße, sofern

wie von der Ehefrau

kein höheres Arbeitsent-gelt
erreicht wird.
Darauf, ob
die Beitrags-
und spätere Rentenhöhe mit der Höhe
des
Arbeitsentgelts
korrespondiert, kommt es jedoch nicht an. Denn §
2 Abs.
2 [X.] verlangt nicht ein beitragsfinanziertes Versorgungssystem, sondern nur einen Kausalitäts-
und Zurechnungszusammenhang zwischen
der Arbeitsleistung des Ehegatten und seinem Rentenanspruch. [X.] wäre daher auch ein Rentenanrecht, das
sich allein aus Arbeitgeber-beiträgen
oder aus Steuermitteln finanziert, sofern nur das Teilhaberecht des Ehegatten
auf seine Arbeit als Teil der gemeinsamen Lebensleistung der Ehe-gatten zurückzuführen
ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19.
September 2012

XII
[X.]
649/11

FamRZ 2013, 106 Rn.
14 mwN).
b) Ebenso ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Ober-landesgericht nicht durch Anwendung des
§
27 [X.] von der Teilung des Anrechts ganz oder teilweise abgesehen hat.
Nach §
27 [X.] findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfah-ren der Rechtsbeschwerde nur
daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind und das Ermessen in einer dem [X.] entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Senatsbeschluss vom 16.
August 2017

XII
[X.]
21/17

FamRZ 2017, 1914
Rn.
25).
Nach diesem
ein-9
10
-
6
-
geschränkten Überprüfungsmaßstab sind Rechtsfehler bei der vom Oberlan-desgericht getroffenen Ermessensabwägung nicht zu erkennen.
aa) Das [X.] hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass die Ehefrau die in 1993, 1998 und 2001 geborenen
Kinder

eines davon schwerbehindert

versorgt hat,
sie selbst erblindet und auf einen Rollstuhl an-gewiesen ist und in den Jahren 2004 bis 2012 vollzeitig in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig war.
Weiter hat es berücksichtigt, dass der [X.] bis 2003 zunächst als Industrieschlosser und später in der [X.] mit einem Nettoeinkommen von zuletzt 1.400

e-ßend nur noch zeitweilig bei Zeitarbeitsunternehmen oder anderweitig gering bezahlt
tätig war.
Hinsichtlich der Versorgungssituation hat das [X.] [X.], dass der Ehemann nach derzeitigem Stand eine Altersrente von monat-lich 380,53

hefrau eine solche von 1.030,07

f-grund des durchgeführten Versorgungsausgleichs
ergebe sich eine Minderung der Altersrente der Ehefrau um monatlich 296,66

Derzeit beziehe die Ehefrau eine Erwerbsminderungsrente mit ei-
nem Auszahlbetrag von monatlich 1.244

zuzüglich
Landesblindengeld und Blindenhilfe
sowie Hilfe zur Pflege bis zu einem Gesamtwert von monatlich 1.685,17

tslos und trage für zwei Stunden in der Woche Zeitungen aus. Er bemühe sich um Arbeit, habe dabei aber Schwierigkeiten wegen seines starken Übergewichts und einer Knieschädigung.
Aufgrund seines
beruflichen Werdegangs und seiner körperlichen Ver-fassung sei anzunehmen, dass der Ehemann auch aufgrund nachehelicher [X.] voraussichtlich keine angemessene Altersabsicherung erwerben
wer-11
12
13
14
-
7
-
de. Auch bleibe die Ehefrau künftig nicht ohne jeglichen weiteren Ausbau ihrer Altersabsicherung, da sie aufgrund des Bezugs von Erwerbsminderungsrente von gesetzlichen Zurechnungszeiten
(vgl. §§
59, 253
a
SGB
VI) profitiere.
bb) Aus diesen Umständen
hat das [X.] in rechtlich nicht zu beanstandender Weise
gefolgert, dass ein unbilliges wirtschaftliches Un-gleichgewicht zwischen den beteiligten Eheleuten jedenfalls nicht daraus abge-leitet werden kann, dass der Ehemann als [X.]r bereits an-derweitig voll
abgesichert sei, während die insgesamt ausgleichspflichtige Ehe-frau auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung ihres Unterhalts dringend angewiesen sei (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8.
April 2015

XII
[X.]
428/12

FamRZ 2015, 1001 Rn.
21).
cc) Auch
steht
es
in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Senats-rechtsprechung, dass das Entfallen des früheren "[X.]" (§
101 Abs.
3 SGB
VI a.F.) durch das neue Versorgungsausgleichsrecht
eine grund-sätzlich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung darstellt, die für sich genommen, ohne Hinzutreten weiterer Umstände, keine Korrektur nach §
27 [X.] rechtfertigt
(Senatsbeschluss vom 11.
Dezember 2013

XII
[X.]
253/13

FamRZ 2014, 461 Rn.
16
f.). Dies gilt erst recht für den Fall des Bezugs einer laufenden Versorgung wegen Invalidität, für den das Gesetz nach näherer Maßgabe des §
35 Abs.
1 [X.] auf Antrag eine Anpas-sung
der Kürzung
vorsieht.
dd) Schließlich hat das [X.] mit zutreffenden Erwägungen keine besondere Härte darin gesehen, dass die
Ehefrau als behinderter Mensch in
Anwendung des §
162 Nr.
2 SGB
VI höhere Anwartschaften erwor-ben hat,
als es einer Beitragsleistung bemessen an dem von ihr tatsächlich be-zogenen Arbeitsentgelt

162 Nr.
1 SGB
VI)
entspräche.
Denn mit der Rege-15
16
17
-
8
-
lung des §
162 Nr.
2 SGB
VI wird nicht eine
verbesserte Altersversorgung be-hinderter Menschen gegenüber nicht behinderten Menschen verfolgt, deren Ausgleich den Zielen des Versorgungsausgleichs widerstreben könnte. [X.] wird durch die Regelung lediglich vorgebeugt, dass
behinderte Menschen
unter Zugrundelegung der tatsächlichen Arbeitsentgelte ihrer nach §
1 Satz
1 Nr.
2 SGB
VI versicherungspflichtigen
Tätigkeiten
lediglich Bagatellanrechte erwerben und ihnen dadurch unangemessene Rentennachteile gegenüber er-werbstätigen, nicht behinderten Menschen
entstehen
(vgl. BT-Drucks. 7/1992 S.
14 zu §
7 [X.]). Ausgehend vom Grundsatz der auf Lebenszeit angelegten ehezeitlichen Lebens-
und Versorgungsgemeinschaft fügt sich
deshalb auch der Ausgleich von aufgrund Beitragsbemessung nach §
162 Nr.
2 SGB
VI er-worbenen Rentenanrechten in das System der vom Gesetz gewollten Halbtei-lung.
-
9
-
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).

Dose

[X.]

Günter

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 06.03.2017 -
341 [X.]/16 -

OLG [X.], Entscheidung vom 30.11.2017 -
23 [X.] -

18

Meta

XII ZB 623/17

11.04.2018

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2018, Az. XII ZB 623/17 (REWIS RS 2018, 10998)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10998

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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