Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.12.2021, Az. 4 StR 162/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 467

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Gegenstand

Strafverfahren: Nichteinräumung des Rechtes des Nebenklägers auf einen Schlussvortrag


Tenor

1. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des [X.] vom 8. Januar 2021 wird verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Strafbefehl nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision macht die Nebenklägerin geltend, dass der Angeklagte auch wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts hätte verurteilt werden müssen.

2

Die Überprüfung des Urteils in dem durch § 400 Abs. 1, § 301 [X.] vorgegebenen Umfang hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich folgende Verfahrensbeanstandung:

3

Die in der Hauptverhandlung vor dem [X.] nicht anwaltlich vertretene Nebenklägerin macht zu Recht geltend, dass ihr nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, gemäß § 258 Abs. 1 i.V.m. § 397 Abs. 1 Satz 3 [X.] einen Schlussvortrag zu halten. Der [X.] vermag aber unter den hier gegebenen Umständen auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 [X.]).

4

1. [X.] beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es möglich erscheint oder nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem [X.] fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt die Entscheidung über das [X.] stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 [X.], [X.], 221 Rn. 17; Beschluss vom 19. August 2010 - 3 [X.], [X.], 73, 74; [X.]/[X.] in: [X.] § 337 Rn. 129; [X.] in: [X.], [X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 181 mwN). Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass die für die Versagung des letzten Wortes des Angeklagten nach § 258 Abs. 3 [X.] entwickelten strengen Maßstäbe nicht ohne Weiteres auf die Nichteinräumung des Rechtes des [X.] auf einen Schlussvortrag nach § 258 Abs. 1 [X.] übertragen werden können (vgl. dazu [X.], Urteil vom 11. Juli 2001 - 3 [X.], [X.], 610 [zum Erwiderungsrecht des [X.] nach § 258 Abs. 2 [X.]]). Denn beide Verfahrensrechte haben ein unterschiedliches Gewicht. Auch ist in Betracht zu ziehen, dass der Nebenkläger das Urteil nur in Bezug auf bestimmte Delikte und nicht mit dem Ziel einer anderen Rechtsfolge angreifen kann (§ 400 Abs. 1 [X.]), so dass sich die Frage des [X.]s auf den Schuldspruch beschränkt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2001 - 3 [X.], aaO).

5

2. Die Betrachtung der Umstände des Einzelfalls in der vorliegenden Sache zeigt, dass das Urteil im Schuldspruch nicht anders ausgefallen und der Angeklagte nicht wegen eines (weiteren) Nebenklagedelikts verurteilt worden wäre, wenn die Nebenklägerin die Möglichkeit gehabt hätte, einen Schlussvortrag nach § 258 Abs. 1 [X.] zu halten.

6

a) [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte nur mit [X.] handelte, als er der Tochter der Nebenklägerin mit einer PET-Flasche wuchtig in das Gesicht schlug. Dabei vertraute er darauf, dass sich die in der Folge verstorbene Geschädigte von dieser Verletzung wieder erholen werde. Zur Begründung hat das [X.] dabei unter anderem darauf abgestellt, dass es in der Vergangenheit mehrfach zu vergleichbaren Misshandlungen ohne schwerwiegende Folgen gekommen war. Die Nebenklägerin, die in der Hauptverhandlung zur Tatvorgeschichte als Zeugin vernommen wurde und deren Angaben in die Bewertung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer eingeflossen sind, hat diese Erwägungen in ihrer Revisionsbegründung nicht in Frage gestellt. Dass von ihr in einem Schlussvortrag gleichwohl Gesichtspunkte vorgebracht worden wären, die das [X.] zur Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes veranlasst hätten, ist mit Blick hierauf, aber auch mit Rücksicht auf die Beweislage, nur theoretischer Natur.

7

b) Soweit die Nebenklägerin mit ihrer Revision geltend macht, der Angeklagte hätte jedenfalls wegen Totschlags oder Mordes durch Unterlassen verurteilt werden müssen, weil er nach der Misshandlung des [X.] in Kenntnis der bestehenden Todesgefahr keine Hilfe geholt habe, vermag der [X.] gleichfalls auszuschließen, dass von ihr in einem Schlussvortrag noch Gesichtspunkte angeführt worden wären, die zu einer entsprechenden Verurteilung des Angeklagten geführt hätten.

8

Die sachverständig beratene [X.] vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte Rettungsmaßnahmen in der Annahme unterließ, er werde die Geschädigte durch sein Nichtstun in eine lebensbedrohliche Lage bringen. Denn sie konnte bereits nicht feststellen, wie groß die [X.]spanne zwischen der Misshandlung des [X.] durch den Angeklagten und dem Todeseintritt war. Auch ließen sich keine Feststellungen dazu treffen, ob die Geschädigte in dieser [X.] Merkmale aufwies, die auf einen bedrohlichen Gesundheitszustand hindeuteten. Bei dieser Beweislage ist nicht ersichtlich, durch welche Erwägungen die Überzeugung zu begründen wäre, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz von Rettungsmaßnahmen abgesehen.

9

Auch den Ausführungen der Nebenklägerin zu dem von ihr beabsichtigten Vorbringen lässt sich dazu nichts entnehmen. Vielmehr wird darin ein [X.]szusammenhang gerade nicht aufgezeigt. Soweit sie vorträgt, sie hätte „richtigstellen können“, dass der Angeklagte der Geschädigten zuvor massiv nachgestellt und sie auch einseitig misshandelt habe, betrifft dies nur die Tatvorgeschichte. Ihr nicht näher spezifiziertes Vorbringen, der Angeklagte habe sich schuldig gemacht, weil er keine Hilfe geholt habe, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Die an anderer Stelle - in der Begründung einer nicht zulässig erhobenen Aufklärungsrüge - angestellten Erwägungen der Nebenklägerin zu einem möglichen Motiv des Angeklagten für sein Nichtstun (Verstoß gegen das [X.]) betreffen nicht den von der [X.] bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes für maßgeblich erachteten Gesichtspunkt der Nichterkennbarkeit einer Lebensgefahr. Sie wären daher, ihr Vorbringen durch die Nebenklägerin in ihrem Schlussvortrag unterstellt, ebenfalls unbehelflich gewesen.

Sost-Scheible     

        

     Quentin     

        

Bartel

        

[X.] ist im Urlaub
und daher gehindert zu
unterschreiben.

        

Maatsch     

        
        

Sost-Scheible

                          

Meta

4 StR 162/21

09.12.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Siegen, 8. Januar 2021, Az: 31 Ks 2/20

§ 258 Abs 1 StPO, § 258 Abs 3 StPO, § 337 Abs 1 StPO, § 397 Abs 1 S 3 StPO, § 400 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.12.2021, Az. 4 StR 162/21 (REWIS RS 2021, 467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 467

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Referenzen
Wird zitiert von

AnwSt (R) 6/22

Zitiert

3 StR 470/14

3 StR 226/10

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