Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 3 StR 484/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10616

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverfahrenshindernis: Voraussetzungen der Ersetzung bzw. der Nachholung eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2010 - auch soweit es den Mitangeklagten [X.] betrifft - aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten D. wegen Betruges in fünf Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem Urteil des [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass von der Gesamtstrafe drei Monate als verbüßt gelten. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens, auch soweit es den Mitangeklagten [X.] betrifft, der gegen seine Verurteilung kein Rechtsmittel eingelegt hat.

2

Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, da es entgegen der Ansicht des [X.]s ([X.]) an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss im Sinne der §§ 203, 207 [X.] fehlt.

Ein Beschluss der [X.], durch den die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 19. April 2008 ([X.]. 129 ff. [X.]) gegen den Revisionsführer zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, ist in den Akten nicht vorhanden.

Die fehlende Eröffnungsentscheidung ist nicht durch den Übernahmebeschluss der Kammer vom 16. Dezember 2008 ([X.]. 210 [X.]) oder durch die [X.] vom 18. März 2010 ([X.]. 14 f. I[X.]) ersetzt worden (vgl. [X.], 520; NStZ-RR 2003, 95 zu §§ 40 Abs. 2, 41 Abs. 1 Nr. 2 [X.]; [X.] NStZ-RR 1998, 74 f.; [X.] NStZ-RR 2001, 139; [X.] in [X.] 6. Aufl. § 207 Rn. 17 m.w.[X.]). Zwar enthält die Strafprozessordnung keine spezielle Formvorschrift für den Eröffnungsbeschluss; dennoch bedarf es im Hinblick auf seine Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens und mit Rücksicht auf die Erweislichkeit der Beschlussfassung in weiteren Verfahrensstadien regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung (BGHSt 34, 248; [X.] a.a.[X.]). Erforderlich ist dabei aus Gründen der Rechtssicherheit, dass das fragliche Schriftstück aus sich selbst heraus oder in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass [X.] die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat ([X.] a.a.[X.] m.w.[X.]). Dies ist vorliegend weder bei dem Übernahmebeschluss noch bei der [X.] der Fall. Während in dem Beschluss vom 16. Dezember 2008 lediglich die Übernahmebereitschaft der [X.] nach Prüfung ihrer Zuständigkeit zum Ausdruck kommt, dient eine allein vom Vorsitzenden unterzeichnete [X.] gemäß §§ 213 ff. [X.] ausschließlich der 'Vorbereitung der Hauptverhandlung' im Sinne des dafür in der Strafprozessordnung besonders vorgesehenen Abschnitts. Eine Zulassung der Anklage - gegebenenfalls mit Änderungen - zur Hauptverhandlung sowie die genaue Bezeichnung des Verfahrensgegenstandes und des Gerichts, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, kann in beiden Entscheidungen nicht gesehen werden. Dass der Übernahmebeschluss nicht zugleich die (schlüssige) Eröffnung des Hauptverfahrens beinhaltet, belegt zudem die - ansonsten entbehrliche - Bestimmung des § 40 Abs. 4 Satz 2 [X.], wonach der Übernahmebeschluss der [X.] mit dem Eröffnungsbeschluss zu verbinden ist ([X.], 95). Auch die im Beschluss vom 16. Dezember 2008 enthaltene Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 [X.] genügt für sich nicht. Diese ist nur ausnahmsweise, nämlich in Verbindung mit einem gleichzeitig ergehenden Haftbefehl, durch den die Prüfung des dringenden Tatverdachts zum Ausdruck gebracht wird, geeignet, einen ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss zu ersetzen (vgl. [X.], 13).

Da der fehlende Eröffnungsbeschluss ausweislich der Sitzungsniederschriften vom 13. April 2010, 19. April 2010, 22. April 2010, 26. April 2010 und 10. Mai 2010 in der Hauptverhandlung nicht nachgeholt worden ist (dazu BGHSt 29, 224; 33, 167) und das Verfahrenshindernis nicht durch die nachträgliche Erklärung des Richters, die Eröffnung des Verfahrens beschlossen zu haben, beseitigt werden kann ([X.] 1981, 343), ist das Urteil des [X.]s aufzuheben (§ 349 Abs. 4 [X.]) und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 [X.] einzustellen (vgl. [X.] a.a.[X.] § 206a Rn. 4; [X.] [X.] 53. Aufl. § 206a Rn. 6, jeweils m.w.[X.])."

3

Dem schließt sich der Senat an. Die Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens wegen des fehlenden [X.] war gemäß § 357 Satz 1 [X.] auf den Mitangeklagten R zu erstrecken ([X.], [X.], 53. Aufl., § 357 Rn. 10).

4

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 [X.].

Becker                                     von [X.]                                 Hubert

                      Schäfer                                           [X.]

Meta

3 StR 484/10

11.01.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aurich, 10. Mai 2010, Az: 11 KLs 111 Js 3068/06 (27/08), Urteil

§ 203 StPO, § 207 Abs 1 StPO, § 40 Abs 4 S 2 JGG, § 70 Abs 2 GVG, § 76 Abs 2 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 3 StR 484/10 (REWIS RS 2011, 10616)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10616

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 484/10 (Bundesgerichtshof)


6 StR 102/21 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafverfahren: Folgen fehlerhafter Besetzung der Großen Straf- oder Jugendkammer bei der Entscheidung über die Eröffnung …


4 RVs 166/18 (Oberlandesgericht Hamm)


2 StR 514/15 (Bundesgerichtshof)

Verfahrenshindernis im Strafverfahren: Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen Übernahmebeschluss


4 Ss 1038/99 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.