Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.09.2012, Az. VII B 190/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 2755

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Gegenstand

Keine Rückforderung insolvenzrechtlich angefochtener Steuerzahlungen durch Bescheid


Leitsatz

Der Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO ist kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch. Es ist daher ernstlich zweifelhaft, ob das auf einen solchen Anspruch Geleistete mithilfe eines hoheitlich ergehenden Bescheides zurückgefordert werden kann.

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist zum Verwalter in dem am 15. Juni 2010 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (GmbH) bestellt worden. Nach Eröffnung des Verfahrens hat der Antragsteller die von der GmbH geleisteten Zahlungen auf Lohnsteuer Februar und März 2010 nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 der Insolvenzordnung ([X.]) angefochten. Die Lohnsteuern (einschließlich Kirchensteuer und [X.]) in Höhe von insgesamt rd. 9.600 € waren am 10. März bzw. 12. April 2010 im Lastschriftverfahren von dem Konto der GmbH eingezogen worden. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) hat sie jedoch aufgrund der Insolvenzanfechtung dem Antragsteller zunächst erstattet. Er fordert sie jedoch jetzt, gestützt auf § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]), zurück und hat einen entsprechenden Bescheid unter dem 4. Juli 2011 erlassen. Die Anfechtungsvoraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Es liege eine konkludente Genehmigung der Lastschriften vor, die nämlich nach drei Bankarbeitstagen als genehmigt gölten.

2

Der Antragsteller hat gegen den Bescheid des [X.] Einspruch erhoben und beantragt Aussetzung der Vollziehung.

3

Das Finanzgericht ([X.]) hat den Antrag abgelehnt. Es ist der Auffassung, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sei nicht ernstlich zweifelhaft, weil die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht vorlägen, die strittigen Steuern deshalb ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt worden seien und nach § 37 Abs. 2 [X.] vom [X.] zurückgefordert werden könnten. Jedenfalls für die Abbuchung der Lohnsteuer Februar 2010 am 10. März 2010 habe am 16. April 2010, als der Insolvenzeröffnungsantrag gestellt worden sei, eine konkludente Genehmigung vorgelegen. Ob das Gleiche für die Abbuchung der Lohnsteuer März 2010 gelte, sei zwar zweifelhaft, weil noch keine gesicherte Rechtsprechung dazu vorliege, nach welcher Frist bei laufenden Abbuchungen im Lastschriftverfahren von einer konkludenten Genehmigung auszugehen sei. Auf diese Frage komme es aber im Ergebnis auch nicht an, weil kein substantiierter Vortrag dazu vorliege, dass das [X.] im Zeitpunkt der Erteilung der konkludenten Genehmigung die Zahlungsunfähigkeit der GmbH gekannt habe. Auch von dem Eröffnungsantrag habe es erst durch das Schreiben des Amtsgerichts vom 28. April 2010 erfahren.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom [X.] zugelassene Beschwerde des Antragstellers. Er trägt u.a. vor, der Abrechnungsbescheid sei nichtig, weil die in ihm getroffene Regelung im Zivilrechtsweg hätte geltend gemacht werden müssen. Rückzahlungsansprüche, die auf zivilrechtlichen Verpflichtungsgründen basierten, könnten nicht nach § 37 Abs. 2 [X.] geltend gemacht werden. Im Streitfall sei die Rückzahlung der Lohnsteuern nicht aufgrund einer vermeintlichen öffentlich-rechtlichen Erstattungspflicht, sondern allein aufgrund Insolvenzanfechtung erfolgt. Das dem zugrunde liegende [X.] nach § 143 Abs. 1 [X.] sei ein zivilrechtliches. Der vermeintliche Rückforderungsanspruch des [X.] müsse daher im Zivilrechtsweg als ungerechtfertigte Bereicherung i.S. des § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geltend gemacht werden. Das [X.] könne nicht durch Erlass eines Rückforderungsbescheides die rein zivilrechtliche Frage der Berechtigung einer Insolvenzanfechtung vor die Finanzgerichtsbarkeit bringen und dadurch den Antragsteller dem gesetzlichen Richter entziehen.

5

Das [X.] beruft sich auf das Urteil des Senats vom 23. September 2009 VII R 43/08 ([X.], 391, [X.], 215), wonach aufgrund einer ungerechtfertigten Insolvenzanfechtung ausgekehrte Steuerbeträge mit einem Bescheid nach § 37 Abs. 2 [X.] zurückgefordert werden könnten. Ferner beruft es sich auf den Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 27. September 2010 [X.] 1/09 ([X.], 105) und das Urteil des [X.]finanzhofs vom 24. November 2011 V R 13/11 ([X.], 137, [X.], 298), wonach nicht die vermeintlich bürgerlich-rechtliche Natur des insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruchs maßgeblich sei, sondern die Rechtsnatur des ursprünglichen [X.]. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des [X.]gerichtshofs ([X.]) könne auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Denn hiernach hätte der [X.] mit Erlass der Insolvenzordnung das Verwaltungsverfahren der Länder geregelt.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist begründet. Die Vollziehung des angegriffenen Abrechnungsbescheides ist auszusetzen, weil seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO).

7

Das [X.] hat sein Verlangen, der Antragsteller möge die an ihn auf seinen (angeblichen) [X.] nach § 143 Abs. 1 [X.] zurückgezahlten Steuern an das [X.] zurückgewähren, auf § 37 Abs. 2 [X.] gestützt. Nach dieser Vorschrift hätte das [X.] einen Anspruch auf Erstattung des an den Antragsteller zurückgezahlten Betrages, wenn an ihn eine Steuer ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt worden wäre. Den (vom [X.] jetzt nach erneuter Prüfung verneinten) rechtlichen Grund für die Rückzahlung der von der GmbH bezahlten Steuern hat das [X.] zunächst in dem [X.] des Antragstellers aus § 143 Abs. 1 [X.] gesehen, der dadurch entstanden sein soll, dass die Zahlungen der GmbH eine gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 [X.] anfechtbare Rechtshandlung darstellten.

8

Für diese Betrachtungsweise kann sich das [X.] auf das Urteil des erkennenden Senats in [X.], 391, [X.], 215 berufen, in dem der Senat sinngemäß den Anspruch auf Rückzahlung aufgrund eines [X.]s nach § 143 Abs. 1 [X.] zurückgezahlter Steuern als einen Anspruch i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 [X.] angesehen hat.

9

Die Richtigkeit dieser Betrachtungsweise ist indes nicht zweifelsfrei. Denn zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, ob die steuerlichen Rechtsgründe dafür vorliegen, dass das [X.] die betreffenden Lohnsteuern beanspruchen kann. Der steuerliche Rechtsgrund für die [X.] lag vielmehr vor und ist auch nicht nachträglich weggefallen. Streitig ist nur, ob ein insolvenzrechtlicher Rechtsgrund dafür besteht, dass der Antragsteller ungeachtet des Anspruchs des [X.] auf die Abführung der von der GmbH einbehaltenen Lohnsteuern von diesem die Rückzahlung der betreffenden Beträge verlangen kann, weil ihm nämlich § 143 Abs. 1 [X.] einen diesbezüglichen Anspruch verleiht. Diesen Anspruch, der unter den Voraussetzungen des § 129 ff. [X.] gegen jedermann besteht und von einer Finanzbehörde unter den gleichen Voraussetzungen wie von jedermann zu erfüllen ist, hat der [X.] in seinem Beschluss vom 24. März 2011 IX ZB 36/09 (Neue Juristische Wochenschrift 2011, 1365) ungeachtet dessen, ob die zurück zu gewährende Zahlung einen öffentlich-rechtlichen Anspruch (dort: sozialversicherungsrechtlicher Art) befriedigen sollte oder einen bürgerlich-rechtlichen, als einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch angesehen, der folglich vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verfolgen sei. Die Rückgewährpflicht gemäß § 143 Abs. 1 [X.] habe auch bei nach dem Sozialversicherungsrecht geschuldeten Leistungen nicht ihre Grundlage im Sozialversicherungsrecht, sondern allein im Insolvenzrecht. Dieses schaffe ungeachtet der --durch dasselbe nicht [X.] öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten in Gestalt des [X.]s des Insolvenzverwalters eine Rechtsbeziehung, die bürgerlich-rechtlicher Natur sei.

Die Entscheidung des [X.], die auf steuerrechtliche Rechtsbeziehungen mangels insoweit maßgeblicher sozialversicherungsrechtlicher Eigentümlichkeiten übertragen werden muss und von der der beschließende Senat nicht ohne vorherige Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] abweichen könnte, hat also für die Bestimmung der Rechtsnatur des [X.]s nach § 143 Abs. 1 [X.] nicht die Leistungsbeziehung für maßgeblich erachtet, auf deren Rückabwicklung jener Anspruch gerichtet ist (zu diesem Gesichtspunkt vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] in [X.]Z 187, 105, Rz 12), sondern die Rechtsnatur des jedermann zustehenden und deshalb auch von einer Finanzbehörde nicht aufgrund ihrer hoheitlichen Befugnisse geltend zu machenden [X.]s, welcher jene Leistungsbeziehung überlagert und das steuerrechtlich gebotene Ergebnis (hier: Anspruch des [X.] auf Lohnsteuern) gleichsam korrigiert.

Der beschließende Senat hat sich unbeschadet der im Schrifttum und in der Rechtsprechung mitunter aus vorgenannter Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] abgeleiteten abweichenden rechtlichen Folgerungen (vgl. dazu [X.], Erstattungsansprüche öffentlich-rechtlicher Gläubiger ..., Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2012, 959) bereits in seinem Beschluss vom 5. September 2012 VII B 95/12 ([X.], 325) der vorgenannten Entscheidung des [X.] unter Aufgabe seiner im Urteil in [X.], 391, [X.], 215, geäußerten Rechtsauffassung angeschlossen. Ist aber demnach der Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 [X.] kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 [X.], sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch, so ist zumindest i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.] ernstlich zweifelhaft, ob das auf einen solchen Anspruch Geleistete nach § 37 Abs. 2 [X.] mithilfe eines entsprechenden hoheitlich ergehenden Bescheides zurückgefordert werden kann oder nicht vielmehr ggf. von der Finanzbehörde ebenso vor den ordentlichen Gerichten eingeklagt werden muss, wie ein Insolvenzverwalter dort seinen [X.] nach § 143 Abs. 1 [X.] geltend machen müsste. Der vom [X.] im Streitfall erhobene Anspruch richtet sich zwar auf Rückzahlung einer (zurückgezahlten) Steuer, so dass § 37 Abs. 2 [X.] wortwörtlich genommen einschlägig zu sein scheint; indes kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der in § 37 Abs. 2 [X.] geregelte Anspruch gleichsam auf der Umkehrung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 [X.] beruht (vgl. Klein/Ratschow, [X.], 11. Aufl., § 37 Rz 14) und ein Anspruch auf Rückgewähr einer Leistung grundsätzlich die Rechtsnatur des Anspruchs teilt, auf den jene Leistung erbracht worden ist.

Nach alledem ist ernstlich zweifelhaft, ob der angegriffene Rückforderungsbescheid Bestand haben kann, ohne das es auf die sonstigen von dem Antragsteller gegen ihn erhobenen Einwendungen ankommt.

Meta

VII B 190/11

27.09.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 7. September 2011, Az: 11 V 2576/11 AO, Beschluss

§ 37 Abs 1 AO, § 37 Abs 2 AO, § 218 Abs 2 AO, § 130 Abs 1 Nr 2 InsO, § 143 Abs 1 InsO, § 69 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.09.2012, Az. VII B 190/11 (REWIS RS 2012, 2755)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2755

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1 BvR 2096/13

2 Ta 348/13

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