Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.08.2014, Az. VII R 16/13

7. Senat | REWIS RS 2014, 3289

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Gegenstand

(Erstattungsansprüche des Organträgers nach § 37 Abs. 2 AO im Anschluss an eine Insolvenz der Organgesellschaft)


Leitsatz

NV: Im Verhältnis zwischen insolventer Organgesellschaft, Organträger und Finanzamt liegt ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn der Organträger einen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch geltend macht, obwohl das Finanzamt den entsprechenden Betrag bereits wegen einer (vermeintlichen) Anfechtung in die Insolvenzmasse der Organgesellschaft gezahlt hat und ohne die Anfechtung eine Verpflichtung des Organträgers zur Weiterleitung des Betrags an die Organgesellschaft bestanden hätte.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war umsatzsteuerliche Organträgerin der [X.] [X.] handelte sowohl bei der Komplementärin der Klägerin als auch bei der [X.] als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) vollstreckte im [X.] Steuern, welche die Klägerin aus Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für das [X.] schuldete. Vom 7. Mai 2002 bis zum 3. Juni 2002 suchte hierfür eine Vollziehungsbeamtin mehrmals die gemeinsamen Geschäftsräume der Klägerin und der [X.] auf. Dort erhielt sie von [X.] Zahlungen in Höhe von insgesamt 40.424,82 €, und zwar fünf Schecks in Höhe von 12.735 €, welche die [X.] von ihren Kunden erhalten hatte, und 27.689,82 € aus der Barkasse der [X.]

3

Am 5. September 2002 eröffnete das Amtsgericht … das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.]

4

Auf die entsprechende Forderung des Insolvenzverwalters, der sich auf die Anfechtbarkeit einer inkongruenten Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 145 Abs. 2 Nr. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) und hilfsweise auf die Anfechtbarkeit einer kongruenten Deckung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 145 Abs. 2 Nr. 1 [X.] berief, zahlte das [X.] die zuvor erhaltenen 40.424,82 € in zwei Teilbeträgen in die Insolvenzmasse zurück.

5

Im April 2004 reichte die Klägerin für das [X.] eine Umsatzsteuerjahreserklärung ein, aus der sich gegenüber der vorangemeldeten Umsatzsteuer in Höhe von 49.193,95 € nur noch eine Umsatzsteuer in Höhe von 5.425,63 € ergab. Das [X.] stimmte der Steuererklärung im Juni 2004 zu. Daraufhin erhob die Klägerin beim [X.] Klage gegen das Land … auf Rückzahlung der zuvor schon an die Insolvenzmasse zurückgezahlten 40.424,82 €. Das [X.] ([X.]), an das der Rechtsstreit verwiesen worden war, gab der Klage statt.

6

Auf die Berufung des [X.] … hob das [X.] … das Urteil des [X.] auf und verwies den Rechtsstreit an das [X.] ([X.]), bei dem es unter dem [X.]. 6 K 1786/09 geführt wird. Dieses Verfahren ruht bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im hiesigen Verfahren, in dem es um den nach § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung [X.]) erlassenen Abrechnungsbescheid vom 20. Oktober 2009 geht. In diesem Abrechnungsbescheid stellte das [X.] im Hinblick auf die Umsatzsteuer 2002 lediglich Zahlungen der Klägerin in Höhe von 7.368,90 € fest. Dabei ging das [X.] ausführlich auf die gezahlten und später der Insolvenzmasse zurückgezahlten 40.424,82 € ein. Wegen der Rückzahlung an den Insolvenzverwalter erhöhten diese Zahlungen letztlich nicht die vom [X.] festgestellten Zahlungen der Klägerin in Höhe von 7.368,90 €. Auf Grundlage der in Höhe von 5.425,63 € festgesetzten Umsatzsteuer führte dies zu einem Guthaben in Höhe von 1.943,27 €.

7

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das [X.] urteilte, der Klägerin stehe ein weiterer Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Höhe von 40.424,82 € zu, da die in den Geschäftsräumen der Klägerin und der [X.] vollstreckten 40.424,82 € unstreitig auf Rechnung der Klägerin gezahlt worden seien und der Insolvenzverwalter der [X.] keinen Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrags in die Insolvenzmasse gehabt habe. Ein Anspruch auf Rückzahlung habe sich insbesondere nicht aus § 143 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergeben, da kein Anfechtungstatbestand [X.] der §§ 130 ff. [X.] vorgelegen habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1084 veröffentlicht.

8

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, der Insolvenzverwalter habe ein Anfechtungsrecht nach § 134 [X.] gehabt. Dadurch habe dem Insolvenzverwalter ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Höhe von 40.424,82 € zugestanden. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass die Klägerin keinen entsprechenden Erstattungsanspruch haben könne.

9

Die [X.] habe mit der ursprünglichen Zahlung in Höhe von 40.424,82 € dem [X.] eine Leistung [X.] des § 134 [X.] erbracht. Auch die Voraussetzung der Unentgeltlichkeit der Leistung sei erfüllt. Die [X.] habe (ausschließlich) eine Steuerverbindlichkeit der Klägerin getilgt, d.h. eine fremde Verbindlichkeit. Die entsprechende Steuerforderung sei aber wegen der Zahlungsunfähigkeit der Klägerin [X.] des § 17 Abs. 2 [X.] nicht werthaltig gewesen. Hierfür hätten verschiedene Indizien gesprochen. Entgegen der Auffassung des [X.] könne die Zahlungsfähigkeit der Klägerin auch nicht damit begründet werden, dass die [X.] auf Grundlage einer internen Ausgleichsverpflichtung gegenüber der Klägerin bzw. einer konkludenten Kreditgewährung an die Klägerin gezahlt habe. Die [X.] habe vielmehr unmittelbar an das [X.] gezahlt, ohne dass aufgrund eines internen Schuldverhältnisses eine Zwischenübereignung an die Klägerin stattgefunden habe.

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie folgt grundsätzlich der Rechtsauffassung des [X.]. Allerdings habe nicht die [X.], sondern sie, die Klägerin, dem [X.] 40.424,82 € gezahlt, zumal sich auch die Vollstreckung ausschließlich gegen sie gerichtet habe. Gegenüber der [X.] habe sie, die Klägerin, im Innenverhältnis einen Erstattungsanspruch gehabt.

Im Übrigen habe das [X.] zu Recht ein Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters der [X.] gemäß § 134 [X.] verneint. Denn der Anspruch des [X.] gegen sie, die Klägerin, sei werthaltig gewesen. Die vom [X.] vorgetragenen Indizien reichten nicht aus, um eine gegenteilige Rechtsauffassung zu begründen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) und ist auch nicht im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 [X.]O). Der [X.] vom 20. Oktober 2009 ist rechtmäßig. Unabhängig davon, ob im Streitfall die Voraussetzungen der §§ 129 ff. [X.] für eine Anfechtung des Insolvenzverwalters gegenüber dem [X.] gegeben waren, weist der Bescheid zutreffend keinen zusätzlichen Anspruch der Klägerin in Höhe von 40.424,82 € aus.

1. Für ein Zwei-Personen-Verhältnis hat der Senat bereits mehrfach entschieden, dass im Zusammenhang mit einer insolvenzrechtlichen Anfechtung stehende Ansprüche keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind, über die durch [X.] gemäß § 218 Abs. [X.] entschieden werden kann. Dies gilt sowohl für den [X.] des Insolvenzverwalters nach § 143 Abs. 1 [X.] (Senatsbeschluss vom 27. September 2012 VII B 190/11, [X.], 526, [X.], 109, m.w.N.; insbesondere unter Hinweis auf den Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 24. März 2011 IX ZB 36/09, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2011, 1365) als auch für eine anschließende Rückforderung aus der Insolvenzmasse unter Hinweis auf das Fehlen der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvoraussetzungen (Senatsurteil vom 12. November 2013 VII R 15/13, [X.], 309, [X.], 359). Insofern handelt es sich um bürgerlich-rechtliche Ansprüche, für die der Zivilrechtsweg zu beschreiten ist.

Der Vorrang des insolvenzrechtlichen [X.] gilt auch dann, wenn sich nachträglich die zugrunde liegende Steuerforderung mindert. Wie der [X.] in seinem Beschluss in NJW 2011, 1365 ausgeführt hat, sind den zivilrechtlichen Ansprüchen in diesem Fall die geänderten Steuerbescheide zugrunde zu legen, ohne deren Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies bedeutet im Rahmen des § 144 Abs. 1 [X.], dass der Steueranspruch des [X.] nur insoweit aufleben kann, wie er nach der neuen Bescheidlage noch besteht. Die zivilrechtlichen Ansprüche passen sich also der geänderten steuerrechtlichen Bescheidlage an. Ein abgabenrechtlicher Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. [X.], über den durch [X.] nach § 218 Abs. [X.] entschieden wird, kann also nur insoweit bestehen, wie das Volumen der [X.] über die von der Insolvenzanfechtung betroffenen Beträge hinausgeht.

Darüber hinaus bleibt es auch dann beim Vorrang des insolvenzrechtlichen [X.], wenn das Finanzamt als [X.] nur auf ein vermeintliches Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters gezahlt hat. Auch in diesem Fall hat es in Befolgung des (vermeintlichen) [X.] und nicht auf Grundlage eines Steuerschuldverhältnisses gezahlt, so dass eine Rückforderung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (Senatsurteil in [X.], 309, [X.], 359).

2. Ob bzw. inwieweit diese Grundsätze auf [X.] und damit auf den Streitfall übertragbar sind, ist noch nicht geklärt (zur Anwendbarkeit des § 144 Abs. 1 [X.] im anfechtungsrechtlichen [X.] vgl. [X.]-Urteil vom 22. November 2012 IX ZR 22/12, [X.] Zivilrecht 2013, 163, m.w.N.; MünchKomm[X.]/Kirchhof, 3. Aufl., § 144 [X.] Rz 7a).

Da die Beteiligten des ursprünglichen Steuerschuldverhältnisses Klägerin/[X.] nicht mit denjenigen des (vermeintlichen) [X.] Insolvenzverwalter/[X.] identisch sind, stellt sich u.a. die Frage, ob die zivilrechtliche Rückabwicklung eines im Verhältnis Insolvenzverwalter/[X.] tatsächlich nicht bestehenden [X.] den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. [X.], der sich im Verhältnis Klägerin/[X.] aus der Festsetzung einer niedrigeren Steuerschuld ergab, überlagern und beschränken könnte.

Darüber hinaus ist fraglich, ob das [X.] im Streitfall zu Recht das Vorliegen der in Betracht kommenden Anfechtungsvorschriften der [X.] geprüft hat oder ob es für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 144 Abs. 1 [X.] nicht ausreicht, dass das [X.] den Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters anerkannt und den streitigen Betrag an die Insolvenzmasse ausgekehrt hat (vgl. MünchKomm[X.]/Kirchhof, a.a.[X.], § 144 [X.] Rz 3, [X.] 4).

3. Im Streitfall können diese Fragen dahingestellt bleiben. Im [X.] vom 20. Oktober 2009 ist jedenfalls kein zusätzlicher Anspruch in Höhe von 40.424,82 € auszuweisen, weil die Geltendmachung dieses Anspruchs durch die Klägerin gegen [X.] und Glauben verstößt.

Zwar hätte die Klägerin wegen der nachträglichen Minderung der festgesetzten Steuern ohne die Anfechtung des Insolvenzverwalters einen zusätzlichen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. [X.] in Höhe von 40.424,82 € gehabt. Diesen Betrag hätte sie aber ihrer Organgesellschaft, der [X.], weiterleiten müssen. Dies folgt aus einer analogen Anwendung des § 426 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, da die streitigen Steuern auf der Geschäftstätigkeit der [X.] beruhten und aus deren Vermögen bezahlt worden waren. Durch die Rückzahlung des [X.] in die Insolvenzmasse ist also genau dasjenige Ergebnis eingetreten, das auch ohne die Anfechtung eingetreten wäre. Hätte die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg, müsste das [X.] zusätzlich 40.424,82 € an die Klägerin zahlen, ohne dass diese den Betrag an die Insolvenzmasse der [X.] auszukehren hätte. Denn die Insolvenzmasse der [X.] hat diesen Betrag wegen der (vermeintlichen) Anfechtung bereits durch eine direkte Zahlung des [X.] erhalten. Letztlich würde die Klägerin also etwas dauerhaft behalten können, das ihr ohne die Anfechtung gar nicht zugestanden hätte. Dies widerspricht [X.] und Glauben.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII R 16/13

26.08.2014

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 16. Oktober 2012, Az: 6 K 721/10, Urteil

§ 37 Abs 2 AO, § 218 Abs 2 AO, §§ 129ff InsO, § 143 Abs 1 InsO, § 144 Abs 1 InsO, § 129 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.08.2014, Az. VII R 16/13 (REWIS RS 2014, 3289)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3289

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V R 28/19 (Bundesfinanzhof)

Verfahrensfehler


Referenzen
Wird zitiert von

7 C 6/16

7 C 4/16

7 C 3/16

7 C 5/16

12 W 1/18

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