Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2012, Az. 3 B 20/12

3. Senat | REWIS RS 2012, 52

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Gegenstand

Rückforderung von Beihilfen; Vertrauensschutz bei Irrtum der Behörde; Zulässigkeit einer Anschlussberufung


Leitsatz

In Fällen von zu Unrecht gezahlten Beihilfen liegt ein Irrtum der zuständigen Behörde im Sinne von Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 (juris: EGV 2419/2001) nicht bereits dann vor, wenn die Behörde bei Bewilligung der Beihilfe von einer Fehlvorstellung geleitet war. Voraussetzung ist vielmehr auch, dass der Fehler dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzurechnen ist.

Gründe

I.

1

Die [X.]eteiligten streiten über die Rückforderung von Flächenzahlungen.

2

Der Kläger ist Landwirt. Für die Jahre 2001 und 2002 wurden ihm Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen bewilligt. Mit Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Amtes für Agrarstruktur vom 14. Mai 2004 wurden die entsprechenden Zuwendungsbescheide teilweise zurückgenommen und der danach zu Unrecht gezahlte [X.]etrag zurückgefordert, weil der Kläger nicht beihilfefähige Flächen angegeben habe. Der Widerspruch des [X.] blieb im Wesentlichen erfolglos. Auf seine Klage hat das Verwaltungsgericht den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid hinsichtlich der Rückforderung aufgehoben; hingegen hat es die Klage als unzulässig abgewiesen, soweit sie sich gegen die Rücknahme der Zuwendungsbescheide für die Jahre 2001 und 2002 richtet. Über die Flächenzahlungen für diese Jahre habe das Amt für Agrarstruktur mit weiteren [X.]escheiden vom 14. Mai 2004 bestandskräftig entschieden. Auf die [X.]erufung der [X.]eklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage auch hinsichtlich der Rückforderung im Wesentlichen abgewiesen. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig betrachtet habe, sei das Urteil rechtskräftig geworden. Der [X.] geregelte Vertrauensschutz sei nur im Rahmen der Rücknahme der Zuwendungsbescheide zu prüfen. Diese sei jedoch bestandskräftig geworden. Ungeachtet dessen entfalle die Verpflichtung zur Rückzahlung - anders als es das Verwaltungsgericht meine - nicht nach Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001, denn die zu Unrecht erfolgten Zahlungen beruhten nicht auf einem Irrtum der zuständigen oder einer anderen [X.]ehörde. Vielmehr seien sie auf die fehlerhafte Angabe der [X.]eihilfefähigkeit der Flächen in den Anträgen auf Agrarförderung für die [X.]e 2001 und 2002 zurückzuführen. Etwas anderes ergebe sich für das [X.] 2001 auch nicht aus Art. 14 Abs. 4 VO ([X.]) Nr. 3887/1992.

II.

3

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

4

1. Für die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist erforderlich, dass dem [X.]erufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, auf dem das [X.]erufungsurteil beruhen kann. Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens erlaubt die Zulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] nur, soweit er in der [X.]erufungsinstanz in einer Weise fortwirkt, die sich zugleich als Mangel des [X.]erufungsverfahrens darstellt (vgl. [X.]eschluss vom 30. Juli 1990 - [X.]VerwG 7 [X.] 104.90 - [X.]uchholz 310 § 132 VwGO Nr. 289). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

5

Das [X.]erufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Rücknahme der Zuwendungsbescheide bestandskräftig geworden sei, weil das Verwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen habe. Das ist nicht zu beanstanden.

6

Auf den Zulassungsantrag der [X.]eklagten hat das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Entsprechend hatte die [X.]eklagte beantragt, das Urteil des [X.] abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde. Das [X.]erufungsverfahren erfasste damit nicht die Rücknahme der Zuwendungsbescheide, die einen rechtlich selbständigen Teil des Streitgegenstandes im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht darstellte, bezüglich dessen - wie geschehen - die Klage abgewiesen werden konnte. Hätte der Kläger das Urteil des [X.] insoweit nicht gegen sich gelten lassen wollen, hätte er auf die [X.]erufung der [X.]eklagten Anschlussberufung einlegen müssen.

7

Mit der durch § 127 VwGO eröffneten Anschlussberufung wird demjenigen, der eine [X.]erufung nicht einlegen will oder kann, die Möglichkeit gegeben, den Gegenstand des [X.]erufungsverfahrens zu erweitern. Im Rahmen des Antrags der Anschlussberufung entfällt die [X.]indung des Rechtsmittelgerichts an den [X.]erufungsantrag und eröffnet sich die Möglichkeit einer Entscheidung zum Nachteil des [X.]erufungsführers. Damit ist es dem [X.] möglich, Waffengleichheit herzustellen. Entsprechend hätte der Kläger die Rücknahme der Zuwendungsbescheide, die Voraussetzung der Rückforderung ist, zum Gegenstand des [X.]erufungsverfahrens machen können. Daran war er auch nicht mangels [X.]eschwer gehindert. Ungeachtet der im Einzelnen strittigen, überwiegend verneinten Frage, ob die Anschlussberufung eine [X.]eschwer voraussetzt (vgl. Meyer-Ladewig/Rudisile in [X.]/[X.]/[X.], VwGO, Stand Januar 2012, § 127 Rn. 6 m.w.[X.]), hätte sich der Kläger der [X.]erufung anschließen können; denn jedenfalls mit der [X.]erufung war der Kläger durch den die Klage abweisenden Teil des Urteils beschwert, weil ihm hierdurch wesentliche Einwendungen gegen die Rückforderung genommen wurden. Der Anschlussberufung stand im Übrigen auch die auf den stattgebenden Teil des Urteils beschränkte Zulassung der [X.]erufung nicht entgegen (Teilurteil vom 19. Januar 2006 - [X.]VerwG 3 C 52.04 - [X.]VerwGE 125, 44). Von dieser Möglichkeit hat der Kläger jedoch keinen Gebrauch gemacht. Danach musste das Oberverwaltungsgericht - ungeachtet der beachtlichen Gründe, die gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils sprechen - im [X.]erufungsverfahren von der [X.]estandskraft der Rücknahme der Zuwendungsbescheide ausgehen.

8

2. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

9

Die [X.]eantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Frage zur Auslegung des Irrtumsbegriffs und damit zum Anwendungsbereich der Vertrauensschutzregelung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001 bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, denn sie lässt sich ohne Weiteres mit Hilfe der üblichen Regeln der Gesetzesauslegung beantworten (vgl. [X.]eschluss vom 24. August 1999 - [X.]VerwG 4 [X.] 72.99 - [X.]VerwGE 109, 268 <270> = [X.]uchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13; [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]. [X.]/81, [X.] - Slg. 1982, 3415 Rn. 12 ff.).

Ein Irrtum der zuständigen [X.]ehörde im Sinne von Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001 liegt nicht bereits dann vor, wenn die [X.]ehörde bei [X.]ewilligung der [X.]eihilfe von der Fehlvorstellung geleitet war, die [X.]ewilligungsvoraussetzungen seien gegeben. Der [X.]egriff des Irrtums der zuständigen [X.]ehörde beschreibt nicht nur die - von Fällen des Vorsatzes abgesehen - stete Ursache einer fehlerhaften [X.]ewilligung, sondern setzt voraus, dass der Fehler dem Verantwortungsbereich der [X.]ehörde zuzuordnen ist. Der [X.] Normgeber verwendet den [X.]egriff "Irrtum" (en: error; fr: erreur) im Zusammenhang des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems synonym mit dem [X.]egriff des Fehlers (vgl. Urteil vom 26. August 2009 - [X.]VerwG 3 C 15.08 - [X.]uchholz 424.3 Förderungsmaßnahmen Nr. 10 ). Mit ihm ist nach herkömmlichem [X.]egriffsverständnis regelmäßig, und so auch hier, nicht nur eine Ursache beschrieben, sondern zugleich eine Zurechnung verbunden. Das kommt in der [X.] Sprachfassung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001 bereits mit der Formulierung zum Ausdruck, dass die Zahlung auf einen Irrtum der "zuständigen [X.]ehörde selbst" "zurückzuführen" sein muss. Die fehlerhafte Zahlung muss danach ihren Ursprung im Verantwortungsbereich der [X.]ehörde haben. Die [X.]edeutung dieser Formulierung wird umso klarer, als die ursprüngliche, noch bruchstückhafte Vorgängerregelung des Art. 14 Unterabs. 3 VO ([X.]) Nr. 3887/1992 vom 23. Dezember 1992 eine Pflicht zur Verzinsung verneinte, wenn zu Unrecht erfolgte Zahlungen "auf einem Irrtum der zuständigen [X.]ehörde beruhen". Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht darüber hinaus betont, dass es bei einer anderen Auslegung der Vorschrift nicht verständlich wäre, neben einem Irrtum der zuständigen [X.]ehörde auch den Irrtum einer anderen [X.]ehörde als Grundlage des Vertrauensschutzes zu nennen. Wäre jede Fehlvorstellung der zuständigen [X.]ehörde, die ursächlich für die zu Unrecht gezahlte [X.]eihilfe geworden ist, unabhängig davon erheblich, ob sie von der zuständigen [X.]ehörde zu verantworten ist, so wäre diese Erweiterung aber auch die Anknüpfung an einen Irrtum und Fehler der [X.]ehörde überhaupt praktisch bedeutungslos.

Diese Auslegung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001 fügt sich auch im Übrigen in das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystems ein. Offensichtliche Irrtümer eines [X.]eihilfeantrags sind jederzeit zu berichtigen und stehen der [X.]ewilligung einer [X.]eihilfe nicht entgegen, soweit die [X.]ewilligungsvoraussetzungen für den berichtigten Antrag gegeben sind (Art. 12 VO <[X.]> Nr. 2419/2001). Darüber hinaus führt die Verletzung von beihilferelevanten Vorschriften durch den Antragsteller dann nicht zu Sanktionen, wenn er schuldlos gehandelt hat (Art. 44 Abs. 1 VO <[X.]> Nr. 2419/2001). Mit diesen Regelungen, die bereits die Frage betreffen, ob Zahlungen überhaupt und in welchem Umfang zu Unrecht erfolgt und damit zurückzuzahlen sind (Art. 49 Abs. 1 VO <[X.]> Nr. 2419/2001), wird Fehlern des Antragstellers Rechnung getragen. Der Vertrauensschutz, den Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001 jenseits dessen gewährt, bezieht sich hingegen auf das Vertrauen, das der [X.]etriebsinhaber darauf haben darf, dass die [X.]ehörde ihrerseits fehlerfrei entscheidet.

Auf die weitere Frage, ob die Vertrauensschutzregelung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO ([X.]) Nr. 2419/2001, mit der die [X.] den Vertrauensschutz entsprechend der Vorgängerregelung des Art. 14 VO ([X.]) Nr. 3887/1992 in der Fassung der Änderungsverordnung VO ([X.]) Nr. 1678/1998 vom 29. Juli 1998 im Interesse der einheitlichen Handhabung abschließend geregelt hat ([X.]eschluss vom 29. März 2005 - [X.]VerwG 3 [X.] 117.04 - [X.]uchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112), nach [X.] Rücknahme der Zuwendungsbescheide bei der Rückforderung noch zu berücksichtigen ist, kommt es danach nicht an. Ist die angefochtene Entscheidung - wie hier - selbständig tragend auf mehrere [X.]egründungen gestützt, so ist die Revision nur dann zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder der verschiedenen [X.]egründungen ein Zulassungsgrund vorliegt. Dies ist von der [X.]eschwerde nicht dargelegt worden.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

3 B 20/12

20.12.2012

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 17. Januar 2012, Az: 10 LB 8/12, Urteil

Art 49 Abs 4 UAbs 1 EGV 2419/2001, § 127 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2012, Az. 3 B 20/12 (REWIS RS 2012, 52)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 52

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RN 5 K 15.593

21 ZB 14.2868

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