Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.11.2010, Az. 2 WD 25/09

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2010, 1280

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Gegenstand

Notwendiger Inhalt der Anschuldigungsschrift; Auslegung


Tatbestand

1

1. [X.] wurde nach erfolgreichem Realschulabschluss zum "Feinblechner" ausgebildet. In der [X.] war er anschließend bis zum Antritt des Grundwehrdienstes am 3. April 1989 beschäftigt. Im Juni 1989 erfolgte die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf [X.] für zunächst vier Jahre und zwei Monate; nach stufenweisen Weiterverpflichtungen wurde er 1999 Berufssoldat.

2

Er wurde regelmäßig befördert. Die Ernennung zum [X.] erfolgte im April 2001. Nach der allgemeinen Grundausbildung und einer Ausbildung zum "Panzerunteroffizier Leopard 2" erfolgte seine Ausbildung zum Kampfmittelbeseitiger. Er bestand den "[X.]", den [X.] "[X.]" und den Lehrgang "Feuerwerker [X.]". Weitere fachspezifische Fort- und Weiterbildungen folgten, so u.a. die Lehrgänge "Fachkunde Munition im Truppenübungsplatzdienst", "Kampfmittelbeseitigung (EOD)", "Weiterbildung Fachkunde Munition", "Feuerwerker Weiterbildung Fachkundiger gem. ZDV 34/210", "Beseitigung behelfsmäßiger Sprengvorrichtungen" sowie - im Rahmen der Ausbildung für den Auslandseinsatz - die Spezialausbildung "[X.] - Kampfmittelbeseitigungspersonal".

3

Nach Verwendungen als Feuerwerker auf verschiedenen Truppenübungsplätzen sowie im Zentralen Kampfmittelbeseitigungsdienst der [X.] wurde er zum 1. April 2005 zur Kommandantur des [X.] auf den Dienstposten eines Feuerwerkers und Kampfmittelbeseitigers versetzt.

4

2. In der Sonderbeurteilung des Soldaten vom 21. August 2009 wurde die "Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten" einmal mit "5" und neunmal mit "4" bewertet, woraus sich ein Durchschnittswert von 4,1 ergab. Er wird als selbstbewusst auftretender Soldat beschrieben, der ein ausgeprägtes berufliches Selbstverständnis habe, gelegentlich aber unzufrieden wirke. Im letzten Auslandseinsatz habe er sich sehr gut bewährt. Insgesamt sei er ein durchaus leistungsfähiger und auch leistungswilliger Portepeeunteroffizier, der die ihm zugestandenen Freiräume nutze und in seinem Aufgabenbereich kreativ und konstruktiv agiere. Nach dem Sprengunfall 2006 falle es ihm auch und gerade im Hinblick auf das schwebende Disziplinarverfahren nicht immer leicht, seine Eigenmotivation im erforderlichen Maße aufrecht zu halten.

5

In der Hauptverhandlung vor dem [X.] sagte der als Leumundszeuge vernommene nächste Disziplinarvorgesetzte, Hauptmann W..., aus, der Soldat sei immer gewissenhaft und engagiert. Seine Leistungen lägen im mittleren Bereich. Es gebe kein Ereignis, das den Soldaten als übereifrig ausweise. Manchmal zeige er in einzelnen Fällen einen gehörigen Aktionismus und wolle Dinge, die ihm wichtig erschienen, schnell realisieren; dann müsse er etwas gebremst werden. Wenn der Soldat etwas sage, dann entspräche das nach seinen Erfahrungen auch der Wahrheit. Der in der Berufungshauptverhandlung vernommene Kommandant des [X.] und Disziplinarvorgesetzte, Oberstleutnant [X.], hat ausgesagt, der Soldat gehe nach seiner Einschätzung nicht vorschnell ein Risiko ein. Nach dem Unfall habe sich der Soldat zwar verschlossener gezeigt, seinen Dienst jedoch weiterhin "sauber" und beanstandungsfrei verrichtet.

6

3. Der Disziplinarbuchauszug enthält die Eintragung über die Erteilung einer förmlichen Anerkennung im Juni 1994 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Im November 1999 wurde in Anerkennung dauerhaft herausragender Gesamtleistungen des Soldaten eine Leistungsstufe festgesetzt. [X.] ist berechtigt, u.a. das Abzeichen für "Leistungen im Truppendienst in Gold, [X.]" und das "Ehrenkreuz der [X.] in Bronze" zu tragen. Außerdem wurden ihm für die Auslandseinsätze mehrere Einsatzmedaillen verliehen. Der [X.] vom 30. Juli 2009 enthält keinen Eintrag.

7

Die Staatsanwaltschaft [X.] hat das wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Wehrstrafgesetz und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt gegen den Soldaten sachgleich zum Disziplinarverfahren geführte Strafverfahren im Juni 2007 nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.

8

4. [X.] ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von sechs, zehn und elf Jahren. Er erhält Dienstbezüge der Besoldungsgruppe [X.] von monatlich netto etwa 3 400 €.

9

1. Das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten wurde nach seiner Anhörung mit Verfügung des Befehlshabers im [X.] vom 9. August 2007 eingeleitet. Die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft legte dem Soldaten mit [X.] vom 14. Juli 2008 folgenden Sachverhalt zur Last:

"1. [X.] legte bereits am 19.06.2006 dem Kommandanten Truppenübungsplatz [X.] ([X.]) den Entwurf einer Vernichtungsanordnung hinsichtlich nicht zur Wirkung gelangter Munition zur Unterschrift vor. Hierbei gab er wahrheitswidrig an, dass es sich bei der zur Vernichtung bestimmten Munition um Sprengkörper der Munitionsart "Mass" gehandelt habe, obwohl es sich tatsächlich um eine nicht in die [X.] eingeführte Munition im Sinne der [X.] Ziffer 109 handelte (Munitionsart [X.]) und er keinen entsprechenden Nachweis über die Ausbildung hieran besaß, was er auch wusste, zumindest jedoch hätte wissen können und müssen. [X.] ordnete gemäß der Vorlage des Soldaten am 20.06.2006 die Vernichtung an.

2. Anschließend führte der Soldat auf dem Gelände des [X.] am 20.06.2006 gegen 16.00 Uhr gemeinsam mit dem anderweitig verfolgten beteiligten Soldaten [X.]... einen Vernichtungsversuch der Munitionsart "Mass" mittels Abbrennen des Geschosses durch, obwohl er wusste, zumindest jedoch als Feuerwerker hätte wissen können und müssen, dass gemäß [X.] 183/100 Ziffer 207 phosphorhaltige Munition (roter Phosphor) ausschließlich durch Sprengung und nicht - wie von Ihm vorgenommen - mittels Abbrennen zu vernichten ist.

Aufgrund der zu Ziffer 1 und 2 genannten Verhaltensweise kam es im Rahmen des Sprengversuchs zu einer Deflagration (heftiger Abbrand). Hierbei erlitt [X.]... erhebliche Verbrennungen ersten und zweiten Grades an Armen und Schultern, eine Splitterverletzung am Kopf sowie ein Hämatom im Unterleibsbereich."

Im Abschnitt Ermittlungsergebnis nimmt die [X.] weitgehend auf den Abschlussbericht der Untersuchungskommission über das Besondere Vorkommnis am 20. Juni 2006 Bezug.

2. Mit Urteil vom 22. Januar 2009 hat die [X.] des [X.]s Süd gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren verhängt.

a) Den mitangeschuldigten Oberstleutnant [X.] hat die Kammer vom Vorwurf eines Dienstvergehens freigesprochen und im Wesentlichen ausgeführt: Bei der zu vernichtenden Munition habe es sich um eine andere [X.] gehandelt als von Oberstleutnant [X.] "vorausgesetzt". Der Unterschied zwischen den beiden [X.] sei nicht so groß gewesen, dass es bei der von Oberstleutnant [X.] "vorausgesetzten" Munition technisch zwingend zu einem anderen Verlauf hätte kommen können. Die Ursache für den Unfall sei die unfachmännische, in grob fahrlässiger Weise gezeigte Vorgehensweise der beiden Feuerwerker, nämlich des Soldaten und des [X.]s M..., gewesen. Wie sich aus den Angaben des Soldaten ergebe, habe dieser in seiner Eigenschaft als Beseitigungstruppführer den [X.]... angewiesen, sich trotz der zweifachen, von ihnen selbst verursachten thermischen Belastung dem nunmehr in hohem Maß gefährlichen Sprengkörper erneut zu nähern ohne den Sicherheitsabstand zu wahren. Aufgrund der für Oberstleutnant [X.] nicht vorhersehbaren überschießenden Kausalität, wonach sich [X.]... dem zweifach thermisch belasteten Nebelwurfkörper schließlich [X.] angenähert habe, sei eine unfallbezogene Verantwortlichkeit des die Vernichtung anordnenden Oberstleutnant [X.] ausgeschlossen. Hätten die beiden durchführenden Feuerwerker von vornherein das mit dem Zeugen Bi..., Waffenbauingenieur der Firma [X.], besprochene Verfahren der thermischen Beseitigung mittels EOD-Anzünder fachgerecht durchgeführt, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.

Die Aufforderung des Soldaten an den [X.]..., sich vom Zustand des belasteten Nebelwurfkörpers zu überzeugen, stelle eine vorhersehbare und in jeder Weise fahrlässige Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfaltspflichten dar und begründe eine Fürsorgepflichtverletzung. Diese Wirkung sei zwar für den Soldaten, nicht jedoch für Oberstleutnant [X.] vorhersehbar gewesen. Letzterer habe davon ausgehen dürfen, dass zwei ausgebildete Feuerwerker unter Beachtung aller Sorgfaltspflichten vorgehen und die Beseitigung fachgerecht ohne Gefahr für sich selbst vornehmen würden. Oberstleutnant [X.] sei daher vom Vorwurf, mit seiner Anordnung in vorwerfbarer Weise die Verletzung eines Untergebenen verursacht zu haben, freizustellen. Auch im Übrigen habe er auf die Richtigkeit der schriftlichen Anmeldung durch die Firma und die Darstellung der beiden erfahrenen Feuerwerker vertrauen dürfen.

b) Soweit es den Soldaten betrifft, hat das [X.] im Wesentlichen ausgeführt:

Durch die leichtsinnige Verfahrensweise und seine Befehlsgebung habe der Soldat eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben eines Untergebenen und Kameraden heraufbeschworen, die bei [X.]... zu einem schweren, nachhaltigen körperlichen Schaden geführt habe. [X.] sei als Beseitigungstruppführer Vorgesetzter des [X.]... gewesen. Daraus ergebe sich seine Verpflichtung zur Fürsorge diesem gegenüber. [X.] hätte verhindern müssen, dass sich sein Untergebener dem gefährlichen Wurfkörper erneut näherte. Stattdessen habe er ihn angewiesen, sich vom Zustand der Munition zu überzeugen und ihn damit vorhersehbar einer hohen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. Die Auswirkungen seien sowohl für den Betroffenen als auch den Dienstherrn erheblich gewesen, was sich allein aus dem längeren Krankenstatus und den Einschränkungen des [X.]s M... ergebe. Auch das Maß der Schuld sei nicht unerheblich, weil der Soldat in einem Bereich versagt habe, der zu seinem Aufgabenbereich zähle.

[X.] habe durch sein Verhalten fahrlässig gegen die Pflichten verstoßen, der [X.] treu zu dienen, für seine Untergebenen zu sorgen, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten sowie mit seinem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere.

3. Das gegen [X.]... sachgleich geführte gerichtliche Disziplinarverfahren wurde durch die Einleitungsbehörde im März 2008 unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt.

4. Gegen das ihm am 12. März 2009 zugestellte Urteil hat der Soldat am 9. April 2009 uneingeschränkt Berufung eingelegt und seinen Freispruch beantragt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Befehl von Oberstleutnant [X.], die belasteten Nebelwurfkörper durch Abbrennen zu vernichten, sei richtig gewesen. Auch sei das Abbrennen korrekt durchgeführt worden. Seine Bitte gegenüber dem [X.]..., sich dem ersten Nebelwurfkörper nochmals zu nähern, sei zudem zu einem [X.]punkt erfolgt, als dies nach der [X.] erlaubt und vertretbar gewesen sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des [X.]oldaten ist begründet. Von einer Zurückverweisung der [X.]ache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] hat der [X.]enat trotz eines erheblichen Verfahrensfehlers abgesehen.

1. Die [X.] bedarf der Auslegung.

a) Hinsichtlich des [X.]es 1 besteht wegen des [X.]atzes 2 Auslegungsbedarf. In [X.]atz 2 ist nicht nur erwähnt, dass es der [X.]oldat wahrheitswidrig unterlassen habe, den Kommandanten darüber zu informieren, dass es sich um eine nicht in die [X.] eingeführte Munition gehandelt habe; Erwähnung findet auch, dass er keinen Ausbildungsnachweis hierfür besessen habe. Isoliert betrachtet wird dadurch nicht deutlich, ob der Dienstherr gegenüber dem [X.]oldaten auch aus Letzterem einen disziplinarischen Vorwurf ableitet. Zudem stellt sich in diesem Fall die weitere Frage, ob die am Ende des [X.]atzes 2 beschriebene [X.]chuldform ("... auch wusste, zumindest hätte wissen können und müssen ...") dann beide Vorwürfe erfassen soll.

b) Unklarheiten dieser Art begründen schon deshalb erhebliche rechtliche Bedenken, weil zum Gegenstand der Urteilsfindung gemäß § 123 [X.]atz 3 [X.] in Verbindung mit § 107 Abs. 1 [X.] nur solche Pflichtverletzungen gemacht werden "können" (= dürfen), die in der [X.] dem [X.]oldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.

Die [X.] legt Umfang und Grenzen des [X.] fest und bestimmt insoweit den [X.]achverhalt, der allein zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf. Dementsprechend schreibt § 99 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.] auch vor, dass die [X.] die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen erblickt wird, darzustellen hat. Die gesetzliche Vorgabe ist trotz der als [X.]ollvorschrift gestalteten Fassung des § 99 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.] zwingend, soweit sie sich auf diesen notwendigen Inhalt der [X.] bezieht. Dies folgt insbesondere aus dem Regelungszweck und aus rechtsstaatlichen Gründen. Die [X.] hat zum einen die Aufgabe, dem Betroffenen die Vorbereitung seiner Verteidigung zu ermöglichen; zum anderen bildet der darin niedergelegte [X.]achverhalt zugleich die unabänderliche Grundlage für die Verhandlung und Entscheidung des Wehrdienstgerichts. Die [X.] können und dürfen den vom Wehrdisziplinaranwalt angeschuldigten [X.]achverhalt weder erweitern noch einengen (Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 - [X.] 2007, 28).

Der Tatvorwurf muss unter anderem erkennen lassen, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Verhaltensweise angeschuldigt ist. Dabei reicht es allerdings aus, dass sich die angeschuldigte [X.]chuldform aus der Fassung des [X.] ergibt (Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129 <131 f.> = [X.] 450.2 § 99 [X.] 2002 Nr. 2 m.w.N.). Zu den gemäß § 99 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.] darzustellenden Tatsachen gehören auch die Umstände, die die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Dienstpflichtverletzung erfüllen (Urteile vom 29. Juni 1978 - BVerwG 2 WD 18.78 - und vom 22. März 2006 - BVerwG 2 WD 7.05 - [X.] 450.2 § 107 [X.] 2002 Nr. 2). Deshalb darf nicht offen bleiben, welche Bekundungen von Zeugen als zutreffend angesehen oder welche Tatsachen aufgrund von Zeugenaussagen und sonstigen Beweismitteln als erwiesen betrachtet werden und aus der [X.]icht des [X.] einen [X.]chuldvorwurf rechtfertigen (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00, 43.00 - BVerwGE 114, 258 = [X.] 236.1 § 8 [X.]G Nr. 3).

Aus der doppelten Aufgabe der [X.] folgt, dass ein Anschuldigungssatz nur dann hinreichend bestimmter Inhalt der [X.] ist, wenn der in ihm erhobene Vorwurf eines schuldhaften Dienstvergehens in diesem [X.]inne aus der [X.]icht des Empfängers der [X.] bei objektiver Betrachtungsweise konkret und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 = [X.] 236.1 § 11 [X.]G Nr. 1 = [X.] 2005, 636 m.w.N.). Der dem [X.]oldaten gegenüber erhobene Vorwurf muss in der [X.] so deutlich und klar sein, dass sich der [X.]oldat in seiner Verteidigung darauf einstellen kann. Dazu genügt es nicht, einen historischen Geschehensablauf zu schildern, ohne hinreichend präzise erkennen zu lassen, welche Pflichtverletzungen dem [X.]oldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Die Darlegung eines konkreten und nachvollziehbaren Geschehensablaufs hinsichtlich des dem [X.]oldaten zur Last gelegten Verhaltens muss zu dem daraus abgeleiteten Vorwurf einer oder mehrerer Dienstpflichtverletzung(en) in Beziehung gesetzt werden. Entscheidend ist, dass in der konkreten Verknüpfung zwischen der Darlegung des historischen Geschehensablaufs und den daraus vom Wehrdisziplinaranwalt gezogenen [X.]chlussfolgerungen der von diesem erhobene, regelmäßig in der Anschuldigungsformel konzentriert zu fassende Vorwurf deutlich wird.

c) Bei Zweifeln über Gegenstand und Umfang des dem [X.]oldaten durch die [X.] zur Last gelegten Fehlverhaltens ist die [X.] auszulegen, um ihren exakten Regelungsinhalt zu ermitteln. Dabei sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) entsprechend anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern darauf an, wie die abgegebene Erklärung aus der [X.]icht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Verbleiben insoweit Zweifel, ist davon auszugehen, dass es an einer hinreichenden Anschuldigung im [X.]inne des § 99 Abs. 1 [X.] fehlt (BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 a.a.O.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann [X.] 1 der [X.] noch dahingehend ausgelegt werden, dass dem [X.]oldaten nicht nur vorgehalten wird, den Kommandanten über das Vorliegen einer nicht in die [X.] eingeführten Munition (1. Alternative des [X.]es 1), sondern auch über seinen fehlenden Ausbildungsnachweis wahrheitswidrig vorsätzlich, jedenfalls aber fahrlässig nicht informiert zu haben (2. Alternative des [X.]es 1).

2. [X.]oweit es den in der 2. Alternative des [X.]es 1 beschriebenen Vorwurf betrifft, ist der [X.]oldat davon schon deshalb freizustellen, weil er den Kommandanten des [X.] schon nicht hat täuschen können. Der als Zeuge vernommene [X.]... hat insoweit eindeutig ausgesagt, von der fehlenden Ausbildung des [X.]oldaten gewusst zu haben. Er sei davon ausgegangen, der zum Team des [X.]oldaten gehörende Zeuge Hauptfeldwebel M... habe über sie verfügt, was - wenn es sich denn um in die [X.] eingeführte Munition gehandelt hätte - nach gängiger Truppenpraxis ausgereicht hätte. Vorschriften, die dem entgegenstünden, seien ihm nicht bekannt. Dass dies der Truppenpraxis entspricht, haben auch die Zeugen Oberst a.D. D..., Oberstleutnant V... und Hauptfeldwebel M... bestätigt.

3. Vom in der 1. Alternative des [X.]es 1 beschriebenen Vorwurf ist der [X.]oldat ebenfalls freizustellen.

Dass es sich bei der vom [X.]oldaten zusammen mit dem [X.] vernichteten Munition [X.] nicht um die in die [X.] (dort bei der [X.]) bereits eingeführte Munition [X.] gehandelt hat, steht zwar fest. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist jedoch erwiesen, dass der [X.]oldat dies weder wusste noch hätte wissen müssen. Es fehlt somit an einer schuldhaft begangenen Dienstpflichtverletzung.

Fahrlässiges Handeln liegt dann vor, wenn der [X.]oldat eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, die er nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten hätte vorhersehen und vermeiden können (Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <174> = [X.] 235.01 § 38 [X.] 2002 Nr. 16). Diese Voraussetzungen erfüllt das Verhalten des [X.]oldaten nicht.

Wie bereits im Abschlussbericht festgestellt und durch die Aussage vor allem der Zeugen [X.]... und [X.]..., Qualitätstechniker bei der Firma [X.], bestätigt, ist durch die [X.]chießanmeldung der Waffenfirma bei der Truppe der Eindruck entstanden, es handele sich bei der Munition um in die [X.] eingeführte Munition der [X.]orte [X.], obwohl es sich objektiv um einen noch in der Entwicklung begriffenen Nebelwurfkörper handelte. Dieser Eindruck bestand nicht nur beim [X.]oldaten, sondern auch beim [X.] sowie bei den Vorgesetzten des [X.]oldaten; er war darauf zurückzuführen, dass die Waffenfirma in der [X.]chießanmeldung als [X.] ausdrücklich "Mass 81mm" angegeben hatte.

Auch nachdem der [X.]oldat die Munition später in Augenschein genommen hatte, musste er nicht erkennen, dass es sich um nicht in die [X.] eingeführte Munition handelte. Die (sachverständigen) Zeugen Oberst a.D. D... und Oberstleutnant V... haben insoweit übereinstimmend ausgesagt, ein Feuerwerker, der nicht den Lehrgang für die [X.]munition [X.] besucht habe, hätte nicht erkennen können, dass es sich um unterschiedliche [X.] handelte. Da selbst dem [X.], der im Gegensatz zum [X.]oldaten den Lehrgang für die eingeführte Munition [X.] besucht hatte, der Unterschied nicht aufgefallen war, kann dies erst recht nicht dem [X.]oldaten vorgehalten werden. Dies gilt umso mehr, als auch der bei der Waffenfirma angestellte Zeuge [X.]... ausgesagt hat, jedenfalls ohne Einsichtnahme in die Munitionsblätter, die dem [X.]oldaten unstreitig nicht vorgelegen haben, sei es nicht möglich, die [X.] zu unterscheiden. Dass auch die Beschriftung der Kisten, in denen die Munition zunächst gelagert war, für den [X.]oldaten kein Anlass sein musste, an der von der Waffenfirma angegebenen Munitionsart zu zweifeln, steht ebenfalls fest. Der Zeuge [X.]... hat insoweit ausgeführt, auf der Verpackung seien zwar die Inhaltsstoffe der Munition, nicht aber die [X.] selbst zu lesen gewesen.

Zur Überzeugung des Gerichts steht auch nicht fest, dass der [X.]oldat von Mitarbeitern der Waffenfirma darüber informiert worden war, dass es sich um nicht in die [X.] eingeführte Munition handelte. Der [X.]oldat hat dies unwiderlegbar in Abrede gestellt. Die gegenteilige Aussage des Zeugen [X.]... hielt der [X.]enat nicht für glaubhaft. Der Zeuge steht nicht nur im Dienst der Waffenfirma, die die unzutreffenden Angaben über die [X.] gemacht hatte; seine Aussage steht vor allem auch im Widerspruch zu der des [X.] Dieser hat ausgesagt, nach seiner Erinnerung habe der Zeuge [X.]... erklärt, es handele sich um in die [X.] eingeführte Munition, die lediglich zivil, nämlich zum [X.]chutz von Kernkraftwerken, eingesetzt werden solle.

4. Freizustellen war der [X.]oldat schließlich auch von dem unter [X.] 2 beschriebenen [X.]chuldvorwurf.

a) [X.]oweit das [X.] hinsichtlich dieses [X.]es ein Fehlverhalten mit der Begründung bejaht hat, der [X.]oldat hätte verhindern müssen, dass sich der Zeuge Hauptfeldwebel M... dem gefährlichen Wurfkörper erneut nähere, stattdessen habe er ihn angewiesen, sich vom Zustand der Munition zu überzeugen, kann die Feststellung schon deshalb zu keiner disziplinarischen Ahndung führen, weil der [X.]oldat eines solchen Verhaltens nicht angeschuldigt worden ist. Wie sich aus den Ausführungen zur Bedeutung der [X.] (unter [X.]) ergibt, hätte ein solches Fehlverhalten konkret bezeichnet werden müssen. Dies ist jedoch in der Anschuldigungsformel nicht ansatzweise erfolgt. [X.]elbst im Ermittlungsergebnis, das im Übrigen ohnehin nur ergänzend zur Auslegung einer Anschuldigungsformel herangezogen werden kann, wird dem [X.]oldaten nicht vorgehalten, den [X.] angehalten zu haben, sich dem [X.]prengkörper erneut zu nähern. Es steht somit lediglich die Anschuldigung gegen den [X.]oldaten im Raum, gegen [X.] der [X.] 183/100 dadurch verstoßen zu haben, dass er die Munition verbrannt und nicht gesprengt hat.

b) Das [X.] hat den [X.]oldaten damit unter Verstoß gegen § 107 Abs. 1 [X.] wegen eines nicht angeschuldigten Verhaltens verurteilt und wegen des tatsächlich angeschuldigten Verhaltens unter Verstoß gegen § 106 Abs. 1 [X.] keine Feststellungen getroffen. Trotz dieser erheblichen Mängel war von einer Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] nach § 121 Abs. 2 [X.] abzusehen, weil dem [X.]enat eine abschließende [X.]achverhaltsaufklärung möglich war und das Disziplinarverfahren den [X.]oldaten bereits seit August 2007 belastet (vgl. Urteil vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris). Der [X.]enat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung gemäß § 121 Abs. 2 [X.] insoweit dem Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 [X.]) Vorrang eingeräumt.

aa) [X.]oweit es das tatsächlich angeschuldigte Verhalten des [X.]oldaten betrifft, fehlt es an einer schuldhaft begangenen Pflichtverletzung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der [X.]oldat überhaupt gegen die [X.] 183/100 verstoßen und den objektiven Tatbestand des angeschuldigten Fehlverhaltens verwirklicht hat. Zweifel daran bestehen deshalb, weil [X.] der [X.] 183/100 von "Granaten" (mit rotem Phosphor/HC) spricht und selbst unter den sachverständigen Zeugen unterschiedliche Auffassungen darüber bestanden, ob die vom [X.]oldaten verbrannte Munition unter diesen Begriff zu subsumieren ist. Während der Zeuge [X.]... dies verneinte, hat der Zeuge Hauptmann W... - als dessen [X.]tellvertreter - dies bejaht. Das Gericht brauchte diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, weil jedenfalls der subjektive Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung nicht erfüllt ist:

bb) Als Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der [X.]oldat nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten nicht hätte vorhersehen müssen, mit seiner Handlung gegen [X.] der [X.] 183/100 zu verstoßen. Denn selbst die Vorgesetzten des [X.]oldaten haben unterschiedlich beurteilt, ob die [X.] 183/100 das Verbrennen der [X.] Mass 81 strikt verbietet.

Der Zeuge [X.]... als Kommandant des [X.] hat unter Hinweis auf Nr. 406 der [X.] angenommen, das Abbrennen der sich nach seiner Einschätzung nicht detonativ umsetzenden Munition sei mittels [X.] zulässig gewesen; erst auf Nachfrage des Gerichts hat er eingeräumt, es sei dann allerdings widersprüchlich, dass in der Vorbemerkung Nr. 5 die [X.] bei [X.] für nicht einschlägig erklärt werde. Im Gegensatz dazu hat der Zeuge Hauptmann W... die [X.] der [X.] 183/100 für maßgeblich und deren Nr. 406 deshalb nicht für einschlägig gehalten, weil durchaus eine detonative Umsetzung erfolge. Verbunden mit den Aussagen des [X.] zum unklaren Begriff der [X.]-Technik und der Aussage des mit der Vernichtung von Munition ebenfalls vertrauten [X.], die Verbrennung mittels [X.] sei mit der [X.] 183/10, jedenfalls aber mit der [X.] vereinbar, ergab sich damit für das Gericht das [X.]ld von einer insgesamt unklaren Vorschriftenlage. Da der [X.]oldat zudem auf der Grundlage der Vernichtungsanordnung des Kommandanten vom 19. Juni 2006 handelte und er diesen Befehl auch nicht durch eine Dienstpflichtverletzung erwirkt hat, kann ihm auch hinsichtlich dieses [X.]es nicht vorgehalten werden, schuldhaft gehandelt zu haben.

5. Da das Rechtsmittel des [X.]oldaten Erfolg hatte, sind die Kosten beider Instanzen einschließlich der dem [X.]oldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen dem [X.] aufzuerlegen (§ 138 Abs. 3 und 4, § 139 Abs. 1 [X.]atz 1, § 140 Abs. 1 [X.]).

Meta

2 WD 25/09

18.11.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Urteil

Sachgebiet: WD

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 22. Januar 2009, Az: S 5 VL 23/08, Urteil

§ 99 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 133 BGB, § 157 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.11.2010, Az. 2 WD 25/09 (REWIS RS 2010, 1280)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1280

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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