Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. 1 StR 640/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10296

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Steuerhinterziehung: Tatvollendung bei Hinterziehung von Umsatzsteuern durch Unterlassen


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. Juni 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte weder Umsatz- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben und so für die Jahre 2002 und 2003 jeweils Umsatzsteuer und Einkommensteuer hinterzogen hat. [X.] sei jeweils eingetreten "zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Finanzbehörde die Steuer festgesetzt hätte", für die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer "dürfte dies spätestens ein Jahr nach Ablauf der Einreichungsfrist" der Fall sein. Ausgehend hiervon hat das [X.] den Angeklagten wegen zweier Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung sowie wegen zweier Fälle der Einkommensteuerhinterziehung unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einem Urteil des [X.] und unter gleichzeitiger Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass hiervon wegen einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verfahrensverzögerung vier Monate als verbüßt gelten.

2

Die gegen diese Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des [X.] bemerkt der [X.]:

4

1. Mit Blick auf das vom [X.] aufgezeigte Schreibversehen im Tenor der [X.] fasst der [X.] diesen klarstellend neu. Dabei verzichtet er zur Vereinfachung der Urteilsformel auf die Angabe der von der Steuerhinterziehung jeweils betroffenen Steuerarten. Die Art der hinterzogenen Steuer muss nicht im Tenor angegeben werden, nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO genügt die Angabe der rechtlichen Bezeichnung der Tat. Daher reicht die Bezeichnung "Steuerhinterziehung" aus ([X.], Beschluss vom 13. September 2010 - 1 [X.], Rn. 69, [X.], 484, 493; [X.], Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 [X.], [X.], 388, 391).

5

2. Die - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen tragen in allen vier Fällen eine Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung.

6

a) Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) ist bei [X.], die wie die Umsatzsteuer als Anmeldungssteuern ausgestaltet sind, mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunktes vollendet. Liegt die als Steuerfestsetzung geltende Steueranmeldung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht vor, ist zu diesem Zeitpunkt die Steuer [X.]. § 370 Abs. 4 Satz 1 [X.] verkürzt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. November 2010 - 1 [X.], Rn. 8; [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 [X.], Rn. 15, [X.], 189; [X.], Beschluss vom 11. Dezember 1990 - 5 [X.], wistra 1991, 215; [X.] in [X.]/Gast/[X.], Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 [X.], Rn. 37; [X.], [X.], 10. Aufl., § 370, Rn. 105; [X.], Steuerstrafrecht, 7. Aufl., Stand Dezember 2010, § 370 [X.], Rn. 457).

7

Deshalb trat hier [X.] bereits mit Ablauf des 31. Mai 2003 (für die Umsatzsteuer 2002) bzw. mit Ablauf des 31. Mai 2004 (für die Umsatzsteuer 2003) ein. Zu diesen Zeitpunkten waren die Taten zugleich beendet (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 [X.], Rn. 15 mwN, [X.], 189); die - entgegen der Annahme der Revision nicht drei, sondern fünf Jahre betragende (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StPO) - Verfolgungsverjährung wurde rechtzeitig unterbrochen (u.a. durch den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Oktober 2006).

8

b) Bei der Hinterziehung von [X.] durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 2. November 2010 - 1 [X.], Rn. 77; [X.], Beschluss vom 28. Oktober 1998 - 5 StR 500/98, [X.], 218). Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat (vgl. [X.] aaO mwN; [X.], [X.], 10. Aufl., § 370, Rn. 92).

9

Maßgeblich sind die konkreten Verhältnisse in dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Finanzamt (vgl. [X.], [X.], 10. Aufl., § 370, Rn. 92). Von Bedeutung sind aber auch die konkreten steuerlichen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten. Der [X.] hat insofern erwogen, ob zumindest bei einfach gelagerten Sachverhalten (und sofern - wie hier - keine Besonderheiten, die Abweichungen rechtfertigen könnten, festgestellt sind) von einer Zeitspanne der Bearbeitung fristgerecht eingereichter Steuererklärungen von längstens einem Jahr auszugehen ist. Das Tatgericht ist weder nach dem [X.] noch sonst gehalten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen es an zureichenden Anhaltspunkten fehlt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. April 2007 - 1 [X.], [X.], 530; [X.], Beschluss vom 25. April 2007 - 1 [X.], [X.]St 51, 324; [X.], Urteil vom 7. November 2006 - 1 [X.], [X.], 86; vgl. auch [X.], Beschluss vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07, [X.], 381, 382). Insofern ist es von Rechts wegen auch nicht geboten, [X.] stets erst zum Zeitpunkt der [X.] anzunehmen, wenn also das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat und demzufolge nicht mehr mit einer Veranlagung zu rechnen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 7. November 2001 - 5 [X.], [X.]St 47, 138).

Dies bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann ausgeschlossen werden, dass die Veranlagungsarbeiten für die Jahre 2002 und 2003 in dem für den Angeklagten zuständigen Finanzamt [X.] zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ermittlungen (der zuvor erlassene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 23. Oktober 2006) noch nicht abgeschlossen waren. Die Tatbestandsverwirklichung war zu diesem Zeitpunkt also hinsichtlich aller vier Taten bereits eingetreten.

3. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift (§ 200 StPO) und - daran anknüpfend - einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Anklageschrift enthält die nach der Rechtsprechung des [X.] für die Anklageerhebung bei Steuerstraftaten notwendigen Angaben (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 2007 - 1 [X.], [X.], 340).

Nack                                  Wahl                                 Graf

                     [X.]                                 [X.]

Meta

1 StR 640/10

19.01.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wiesbaden, 14. Juni 2010, Az: 6 KLs 1120 Js 33621/06, Urteil

§ 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 370 Abs 4 S 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. 1 StR 640/10 (REWIS RS 2011, 10296)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10296

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 640/10 (Bundesgerichtshof)


II R 7/17 (Bundesfinanzhof)

Beginn des Laufs von Hinterziehungszinsen bei einer durch Unterlassen der Anzeige begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer


II R 8/17 (Bundesfinanzhof)

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 28.08.2019 II R 7/17 - Beginn des Laufs von Hinterziehungszinsen bei …


1 StR 172/16 (Bundesgerichtshof)

Steuerstrafsache: Verjährungsfrist bei Hinterziehung von Veranlagungssteuern; Mitteilungspflicht über Verständigungsgespräche; Transparenzverstoß als Revisionsgrund


5 StR 395/01 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.