Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.08.2019, Az. II R 8/17

2. Senat | REWIS RS 2019, 4083

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 28.08.2019 II R 7/17 - Beginn des Laufs von Hinterziehungszinsen bei einer durch Unterlassen der Anzeige begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer)


Leitsatz

1. NV: Bei einer durch Unterlassen der Anzeige begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer beginnt der Lauf der Hinterziehungszinsen zu dem Zeitpunkt, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte .

2. NV: Der Zeitpunkt für den Beginn des Zinslaufs kann unter Berücksichtigung der beim zuständigen FA durchschnittlich erforderlichen Zeit für die Bearbeitung eingegangener Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 24.11.2016 - 3 K 1628/15 [X.] aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Kosten des Finanzgerichtsverfahrens tragen der Kläger zu 80 % und der Beklagte zu 20 %.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichte zusammen mit seiner Ehefrau am 25.03.2010 eine Selbstanzeige beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ein. Darin erklärte er die schenkweise Übertragung zweier Konten bei [X.] Banken auf sich und seine Ehefrau nach, die seine Schwiegermutter zum Stichtag 17.04.2007 bzw. 19.12.2007 auf die Ehegatten umgeschrieben hatte. Am 27.03.2013 erließ das [X.] gegenüber dem Kläger zwei seinen jeweiligen Anteil betreffende Schenkungsteuerbescheide.

2

Mit Bescheiden vom 14.11.2013 für die Schenkung vom 19.12.2007 und vom 20.01.2014 für die Schenkung vom 17.04.2007 setzte das [X.] [X.] gemäß § 235 der Abgabenordnung ([X.]) wegen hinterzogener Schenkungsteuer fest. Den [X.] berechnete es für die Schenkung vom 17.04.2007 ab dem 18.10.2007 und für die Schenkung vom 19.12.2007 ab dem 20.06.2008.

3

Nach erfolglosen Einspruchsverfahren, die der Kläger wegen des nach seiner Ansicht zu frühen Beginns des [X.] führte, erhob er Klage vor dem [X.] ([X.]). Im finanzgerichtlichen Verfahren ermittelte das [X.] anhand eines internen Controllingberichts eine Bearbeitungsdauer von Schenkungsteuerfestsetzungen beim [X.] im Jahr 2008 von durchschnittlich 7,1 Monaten. Es änderte daraufhin mit Bescheiden vom 18.05.2016 den Beginn des [X.] auf elf Monate nach dem jeweiligen Stichtag der Schenkung ([X.]beginn für die Schenkung vom 17.04.2007 am 18.03.2008 und für die Schenkung vom 19.12.2007 am 20.11.2008). Dabei ging es von einer Anzeigefrist nach § 30 Abs. 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von drei Monaten sowie einer auf acht Monate aufgerundeten Bearbeitungszeit aus.

4

Das [X.] kam zu dem Ergebnis, dass der [X.] einen weiteren Monat später beginne. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Da anders als bei [X.] für die Schenkungsteuer mangels eines kontinuierlichen abschnittsbezogenen [X.] kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden könne, sei zur Anzeigefrist von drei Monaten und der Frist zur Abgabe der Steuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 ErbStG von mindestens einem Monat die durchschnittliche Bearbeitungsdauer des Finanzamts, das die Festsetzung der Schenkungsteuer durchzuführen habe, für die Berechnung des [X.]beginns hinzu zu addieren. Ab diesem Zeitpunkt sei die Verkürzung oder Erlangung des [X.] nach § 235 Abs. 2 Satz 1 [X.] eingetreten.

5

Das [X.] hat am 24.01.2017 geänderte Zinsbescheide erlassen, mit denen es das Urteil des [X.] umgesetzt hat ([X.]beginn für die Schenkung vom 17.04.2007 am 18.04.2008 und für die Schenkung vom 19.12.2007 am 20.12.2008). Ferner hat es mit [X.] vom [X.] einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 % pro Monat hinzugefügt.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 235 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Diese Norm stelle wie § 370 Abs. 1 [X.] auf den Eintritt der Steuerverkürzung als Vollendung der Tat ab. Beim [X.] müsse dabei auf einen fiktiven Moment abgestellt werden. Die Frage der Tatvollendung (Eintritt der Steuerverkürzung) sei anlassbezogen zu beantworten.

7

Es führe zu einer Ungleichbehandlung zwischen der aktiven Tat und der [X.], beim Zinsbeginn einer durch Unterlassen begangenen Schenkungsteuerhinterziehung auf die durchschnittliche Festsetzungsdauer statt auf die tatsächliche Bearbeitungsdauer abzustellen. Denn hätte der Kläger --anders als im [X.] eine fehlerhafte Steuererklärung abgegeben und hätte das [X.] die Schenkungsteuerfestsetzung erst nach mehr als drei Jahren durchgeführt, wäre der [X.] erst mit Bekanntgabe der Steuerfestsetzung eingetreten und wären erst ab diesem Zeitpunkt [X.] angefallen. Ebenso liege eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung in Bezug auf die Unterscheidung des [X.] für [X.] bei laufend veranlagten Steuern und nur einmal festzusetzenden Steuern vor. Während bei ersteren fast unstreitig auf den Abschluss der wesentlichen Veranlagungsarbeiten abgestellt werde, solle es im Rahmen der anlassbezogenen Steuern für die Vollendung auf die durchschnittliche Festsetzungsdauer ankommen. Aus den [X.] der Finanzverwaltung könne zwar ermittelt werden, in welcher Zeit etwa 95 % der Schenkungsteuerfälle abgearbeitet würden. Die pauschale Berücksichtigung einer durchschnittlichen Bearbeitungsdauer bei einer Tatbegehung durch Unterlassen sei aber keine sachgerechte Pauschalierung, da bei einem Einmalereignis wie der Schenkungsteuer mit der konkreten Bearbeitungsdauer ein transparenter Vergleichsmaßstab zur Verfügung stehe.

8

Zudem sei die Festlegung der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer für den Zinsbeginn auch rechtssystematisch nicht haltbar. § 235 [X.] setze eine vollendete Steuerhinterziehung voraus. Die [X.] dafür trage das [X.]. Der Grundsatz in dubio pro reo sei zu beachten.

9

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid vom [X.] über die Festsetzung von [X.] für die Schenkung vom 17.04.2007 dahin zu ändern, dass als Beginn des [X.] der 19.07.2010 berücksichtigt wird, sowie den Bescheid vom [X.] über die Festsetzung von [X.] für die Schenkung vom 19.12.2007 dahin zu ändern, dass als Beginn des [X.] der 21.03.2011 berücksichtigt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Ein Rückgriff auf die tatsächliche Bearbeitungszeit sei nicht vertretbar. Der Kläger habe die aufgrund des Strafverfahrens außergewöhnlich lange Bearbeitungsdauer der Veranlagungsarbeiten selbst beeinflusst. Bei pünktlicher und korrekter Erklärungsabgabe wäre die Durchlaufzeit --ohne Strafverfahren-- mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel kürzer ausgefallen und hätte der durchschnittlichen Bearbeitungszeit entsprochen.

Entscheidungsgründe

II.

Das Urteil des [X.] war aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das [X.] zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). An die Stelle der Zinsbescheide vom 18.05.2016, über die das [X.] entschieden hat, sind während des Revisionsverfahrens zuletzt die Bescheide vom [X.] getreten. Diese sind nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 14.11.2018 - II R 34/15, [X.], 273, [X.] 2019, 674, Rz 12, m.w.N.).

Einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] nach § 127 [X.]O bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund der [X.] an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten im Übrigen nichts geändert hat (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 273, [X.] 2019, 674, Rz 13). Im Streitfall führen die [X.] lediglich zu einer Reduzierung des Streitstoffs. Die vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des [X.]; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet (vgl. [X.]-Urteil vom 26.06.2019 - II R 58/15, [X.]/NV 2019, 1222, Rz 11, m.w.N.).

III.

Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Die Bescheide über die Festsetzung von [X.] vom [X.] sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Das [X.] und das [X.] sind zutreffend davon ausgegangen, dass der [X.] jedenfalls nicht später als am 18.04.2008 hinsichtlich der Schenkung vom 17.04.2007 und nicht später als am 20.12.2008 hinsichtlich der Schenkung vom 19.12.2007 begonnen hat.

1. Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. § 235 [X.] soll dem Nutznießer einer Steuerhinterziehung den durch die Tat erlangten Vorteil, dass er die gesetzlich entstandene Steuer erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlen muss, wieder entziehen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen (vgl. [X.]-Urteil vom 01.08.2001 - II R 48/00, [X.]/NV 2002, 155, unter II.3.).

§ 235 [X.] ist auch bei einer steuerbefreienden Selbstanzeige anwendbar. Denn die wirksame Selbstanzeige beseitigt als persönlicher Strafaufhebungsgrund nur die Straf- und damit Verfolgbarkeit der Tat (vgl. [X.]-Urteil vom 29.04.2008 - VIII R 5/06, [X.]E 222, 1, [X.], 844, unter [X.] bb (2); [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 235 [X.] Rz 5).

a) Voraussetzung des [X.] ist eine vollendete Steuerhinterziehung. Der objektive und der subjektive Tatbestand des § 370 [X.] müssen erfüllt sein. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 [X.] beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben ([X.]-Urteil vom 12.07.2016 - II R 42/14, [X.]E 254, 105, [X.], 868, Rz 12). Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] begeht, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]).

Über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung hat das [X.] nach Maßgabe des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die Feststellungslast trägt das [X.], da es sich um steuerbegründende Tatsachen handelt. Der [X.] ist nach den Grundsätzen des § 118 Abs. 2 [X.]O an die tatsächlichen Feststellungen gebunden (vgl. im Einzelnen [X.]-Urteil in [X.]E 254, 105, [X.], 868, Rz 13 bis 16, m.w.N.).

b) Der Lauf der [X.] beginnt grundsätzlich u.a. mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]), also mit der Tatvollendung.

aa) Ergeht bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) kein Steuerbescheid, ist die Tat nach herrschender Meinung bei kontinuierlich abschnittsweise zu veranlagenden Steuern wie der Einkommensteuer erst vollendet und mithin die Steuer verkürzt, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärung auch der unterlassende Täter spätestens veranlagt worden wäre (vgl. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 28.10.1998 - 5 StR 500/98, [X.] --HFR-- 1999, 669, m.w.N.; vom 13.05.2009 - 1 StR 704/08, juris, und vom 02.11.2010 - 1 StR 544/09, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2011, 294, Rz 77; [X.]-Urteil vom 12.04.2016 - VIII R 24/13, [X.]/NV 2016, 1537, Rz 27; [X.], Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz 138; [X.] in Gosch, [X.] § 370 Rz 189; Ransiek in [X.], Steuerstrafrecht, § 370 [X.], Rz 413, jeweils m.w.N.; differenzierend die --in erster Linie den Zeitpunkt der Beendigung der Tat betreffenden-- [X.] vom 07.11.2001 - 5 StR 395/01, [X.], 138, [X.], 259, unter [X.], und vom 19.01.2011 - 1 StR 640/10, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht --wistra-- 2012, 484, Rz 8, 9).

bb) Im Falle einer Steuer, deren Festsetzung nicht kontinuierlich abschnittsbezogen nach [X.], sondern anlassbezogen wie bei der Schenkungsteuer erfolgt, kann nicht festgestellt werden, wann im Wesentlichen die Bearbeitung der Steuererklärungen und –festsetzungen abgeschlossen ist (vgl. [X.] vom 25.07.2011 - 1 StR 631/10, [X.]St 56, 298, Rz 41, und vom 08.07.2014 - 1 StR 240/14, [X.], 408, Rz 3; [X.], Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz 157; Wiese in [X.], Steuerstrafrecht, 6. Aufl., S. 214 Rz 519; [X.], Steuerstrafrecht, 4. Aufl., S. 457; [X.], Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 241; [X.] in [X.]/[X.]/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 900 [X.], § 370 Rz 487 und § 376, Rz 48; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., § 376 Rz 23a; [X.] in Tipke/ [X.], a.a.[X.], § 370 [X.] Rz 96; [X.]/[X.], Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 67, Rz 218; [X.]/[X.], [X.], 108, 112; Einemann, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge --[X.]-- 2017, 316, 319).

Zwar ermöglicht die umfangreiche Datenerfassung der Finanzverwaltung die Feststellung, wann Erklärungen für derartige Steuern, die z.B. in einem konkreten Jahr eingegangen sind, weitgehend bearbeitet wurden. Dies entspricht aber nicht dem allgemeinen Veranlagungsschluss bei periodischen Steuern. Denn abschnittsbezogene Steuern entstehen in der Regel mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (z.B. § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes) und haben zudem eine weitgehend einheitliche Abgabefrist, durch die auf den Abschluss der Veranlagungsarbeiten für einen Veranlagungszeitraum hingewirkt wird. Bei der Schenkungsteuer ist hingegen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ein konkreter Moment, der Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung, für die Entstehung der Steuer maßgeblich, mit der Folge, dass die Schenkungsteuer je nach Fallgestaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten entsteht. Insoweit gibt es keinen allgemeinen Veranlagungsschluss wie bei periodisch festzusetzenden Steuern (vgl. [X.], Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht --[X.]-- 2018, 37 f.).

cc) Für den Eintritt der Steuerverkürzung ist bei der Schenkungsteuer als stichtagsbezogener Steuer der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das [X.] bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte (vgl. [X.] in [X.], 408, Rz 3, und vom 14.10.2015 - 1 StR 521/14, [X.], 74, Rz 21, jeweils zur Tabaksteuer; [X.], Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz 157; [X.] in [X.]/ [X.]/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 900 [X.], § 370 Rz 487 f.; [X.], [X.] 2018, S. 37, 38; [X.] in [X.], Steuerstrafrecht, § 370 [X.], Rz 1523, anders aber Rz 1518; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 370 [X.] Rz 96; Einemann, [X.] 2017, 316, 319). Wann dies der Fall ist, ist eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Tatfrage. Dabei kann der Zeitpunkt für den Beginn des [X.]s unter Berücksichtigung der beim zuständigen [X.] durchschnittlich erforderlichen Zeit für die Bearbeitung eingegangener Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden.

(1) Entgegen der Ansicht des [X.] ist bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht auf die tatsächliche Dauer der Festsetzung der hinterzogenen Schenkungsteuer abzustellen, insbesondere wenn diese durch steuerstrafrechtliche Untersuchungen oder andere hinterziehungsbedingte Umstände beeinflusst ist.

So kann aufgrund der Ermittlungsmaßnahmen oder der Überprüfung der Selbstanzeige eine Veranlagung zunächst zurückzustellen sein. Dementsprechend hieß es auch im Streitfall auf einer Mitteilung des Finanzamts für [X.] an das [X.] über die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger handschriftlich "auf Bericht warten"; die Wörter "ggfs. bevorzugte Bearbeitung" waren durchgestrichen. Dass die Veranlagung bei rechtzeitiger Anzeige und Erklärung ebenso lange gedauert hätte wie im Fall einer verspäteten Anzeige, ist Spekulation und nicht anhand von Tatsachen überprüfbar.

(2) Anders als vom Kläger und teilweise der Literatur ([X.] in [X.]/[X.], Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370, Rz 337, krit. hingegen in § 376, Rz 44 f.; [X.], Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 210 f. zur Beendigung; [X.] in [X.], Steuerstrafrecht, § 370 [X.], Rz 1518; nur mit Ausführungen zu kontinuierlich veranlagten Steuern Wiese in [X.], Steuerstrafrecht, 6. Aufl., S. 212 ff., Rz 516 ff.) ausgeführt wird, kann auch nicht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" auf den spätesten Zeitpunkt für den Zinsbeginn abgestellt werden.

Dieser Grundsatz setzt Zweifel des Tatrichters über tatsächliche Gegebenheiten voraus (vgl. [X.] in [X.], 138, [X.], 259, unter [X.]; ebenso [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., § 370 Rz 201; [X.], [X.] 2018, 37, 38; [X.], Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 241). Die Unsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts der Vollendung der durch Unterlassen begangenen Tat betrifft aber nicht den tatsächlichen, sondern einen fiktiven Geschehensablauf. Die Festsetzung von [X.] setzt zwar eine vollendete Steuerhinterziehung voraus, und dies verlangt die Erfüllung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Der [X.] bei Begehung einer Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen der Anzeige lässt sich aber nicht an einen konkreten Umstand, der auf die Tatvollendung hindeutet, anknüpfen. Somit muss die Tatvollendung anhand der im Einzelfall gegebenen Tatsachen beurteilt werden. Bestehen hinsichtlich dieser Tatsachen keine Zweifel, ist für die Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" kein Raum. Zu Annahmen, für deren Vorliegen es an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt, besteht kein Anlass (vgl. [X.] in [X.], 484, Rz 9, m.w.N.). Maßgebend für den Beginn des [X.]s ist danach der Zeitpunkt, zu dem nach Überzeugung des Tatsachengerichts bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Schenkungsteuer gegen den unterlassenden Täter festgesetzt worden wäre.

(3) Der [X.] selbst hat bei der Frage, wann die Hinterziehung von Schenkungsteuer beendet ist, auf den Zeitpunkt der frühestmöglichen Bekanntgabe des Schenkungsteuerbescheids abgestellt und kam so auf eine Frist von vier Monaten nach der Schenkung. Er führte zur Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden aus, sie sei bei dieser fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Monat anzusetzen, denn das Finanzamt könne gemäß § 31 Abs. 1 und Abs. 7 [X.] die Abgabe einer Steuererklärung binnen eines Monats verlangen, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen habe ([X.] in [X.]St 56, 298, Rz 41; ähnlich [X.], Steuerstrafrecht, 4. Aufl., S. 457; krit. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 370 [X.] Rz 96; [X.], Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 245).

(4) Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung zur aktiven Tatbegehung verweist, nach der eine vollendete Hinterziehung von Einkommensteuer erst vorliegt, wenn der unzutreffende Bescheid dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wird ([X.]-Urteil in [X.]E 222, 1, [X.], 844, m.w.N.), führt dies zu keiner anderen Bewertung. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes liegt nicht vor. Denn die Sachverhalte beider Begehungsarten sind nicht vergleichbar. Durch die Bekanntgabe des Steuerbescheids aufgrund einer rechtzeitigen, aber unrichtigen Erklärung ist feststellbar, wann die nicht erklärten Tatsachen bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt worden wären. Bei einer Tat durch Nichtabgabe irgendeiner Anzeige bzw. Erklärung fehlt dieser Anhaltspunkt.

c) Wer für eine verspätete Festsetzung von Steuern verantwortlich ist, ist unerheblich (vgl. [X.]-Urteil vom 31.07.1996 - XI R 82/95, [X.]E 180, 533, [X.] 1996, 354, unter [X.]). Denn § 235 [X.] soll den steuerlichen Vorteil beim Nutznießer der Steuerhinterziehung abschöpfen. [X.] stellen keine Strafe dar (vgl. [X.]-Beschluss vom 30.10.2001 - X B 147/01, [X.]/NV 2002, 505, unter 4.a, 4. Spiegelstrich, m.w.N. zu § 233a [X.]).

2. Nach diesen Maßstäben hat das [X.] im [X.] an die Entscheidung des [X.] den Beginn des [X.]s bei beiden Schenkungen jedenfalls nicht auf ein zu frühes Datum festgelegt.

a) Die Feststellungen, die das [X.] zur Annahme des objektiven und subjektiven Hinterziehungstatbestandes veranlasst haben, sind ausreichend und vom Kläger nicht angegriffen worden. Nach Überzeugung des [X.] bewirkte der Kläger, dass die geschuldete Schenkungsteuer (zunächst) nicht festgesetzt und dadurch verkürzt wurde, indem er es entgegen § 30 Abs. 1 [X.] pflichtwidrig unterließ, die im Jahr 2007 erhaltenen Schenkungen dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen, und dieses in Folge des Unterlassens keine Steuererklärungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 [X.] anforderte.

b) Ferner ist das [X.] rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass der [X.] jedenfalls nicht später als zwölf Monate nach der jeweiligen Schenkung begonnen hat.

aa) Für seine Berechnung hat das [X.] die Anzeigefrist beim [X.] gemäß § 30 Abs. 1 [X.] von drei Monaten, eine --nach § 31 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 7 [X.] mindestens vom [X.] zu gewährende-- Erklärungsfrist von einem Monat sowie die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beim beklagten [X.] herangezogen. Gegen die der Vorentscheidung zugrunde gelegte durchschnittliche Bearbeitungsdauer beim [X.] hat der Kläger keine Einwände erhoben. Das [X.] konnte auf dieser Grundlage seine Entscheidung treffen.

bb) Besondere Umstände des Einzelfalls, die dafür sprächen, dass auch bei ordnungsgemäßer Anzeige und Erklärung der Schenkungen die Festsetzungen der Schenkungsteuer nicht innerhalb der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer durchgeführt worden wären, hat der Kläger nicht vorgebracht. Vielmehr trug er im Einspruchsverfahren vor, die Schenkungen und deren steuerliche Behandlung wiesen keine erhöhten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf. Das [X.] verwies auf die Selbstanzeige, bei der eine Festsetzung in der Regel im Rahmen der [X.] erfolge. Der Kläger habe die aufgrund des Strafverfahrens außergewöhnlich lange Bearbeitungsdauer der Veranlagungsarbeiten selbst beeinflusst.

cc) Das [X.] ist auf dieser Grundlage zu der Überzeugung gelangt, dass das [X.] die Schenkungsteuer bei ordnungsgemäßer Anzeige innerhalb der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer festgesetzt hätte. Zugleich hat es festgestellt, dass die Bearbeitungsdauer bei aufgerundet acht Monaten gelegen hat. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach Hinzurechnung der Fristen des § 30 Abs. 1 [X.] sowie des § 31 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 7 [X.] hat es damit seiner Entscheidung jedenfalls keine zu frühen Zeitpunkte für den [X.] zugrunde gelegt. Soweit der [X.] weitergehend für den Zeitpunkt der Beendigung bei nicht angezeigter Schenkung auf die frühestmögliche Bekanntgabe abgestellt hat ([X.] in [X.]St 56, 298), kommt es hierauf im Streitfall aufgrund des Verböserungsverbots nach §§ 96 Abs. 1 Satz 2, 121 Satz 1 [X.]O (vgl. [X.]-Urteil vom 03.04.2019 - VI R 15/17, [X.]E 264, 24, [X.] 2019, 446, Rz 25, m.w.N.) nicht mehr an.

3. [X.] folgt für das finanzgerichtliche Verfahren aus § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O und für das Revisionsverfahren aus § 135 Abs. 2 [X.]O (vgl. [X.]-Urteile vom 15.03.2017 - II R 10/15, [X.]/NV 2017, 1153, Rz 24, und in [X.]E 264, 24, [X.] 2019, 446, Rz 26).

Meta

II R 8/17

28.08.2019

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 24. November 2016, Az: 3 K 1628/15 Erb, Urteil

§ 235 Abs 1 S 1 AO, § 235 Abs 2 S 1 Halbs 1 AO, § 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 370 Abs 4 S 1 Halbs 1 AO, § 30 Abs 1 ErbStG 1997, § 31 Abs 1 ErbStG 1997, § 31 Abs 7 ErbStG 1997, § 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.08.2019, Az. II R 8/17 (REWIS RS 2019, 4083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4083

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 7/17 (Bundesfinanzhof)

Beginn des Laufs von Hinterziehungszinsen bei einer durch Unterlassen der Anzeige begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer


II R 39/10 (Bundesfinanzhof)

Mittelbare Schenkung des Erlöses aus dem Verkauf übertragener Gesellschaftsanteile - Prüfungsumfang bei Festsetzung von Hinterziehungszinsen …


II R 42/14 (Bundesfinanzhof)

Feststellung einer Steuerhinterziehung - Vorliegen eines Treuhandverhältnisses


4 K 1902/15 (FG Nürnberg)

Nichtangabe einer Kunstsammlung mit erheblichen Wert bei Erklärung der Schenkung eines Einfamilienhauses mit Zubehör und …


VIII R 18/18 (Bundesfinanzhof)

Festsetzung von Hinterziehungszinsen für verkürzte Einkommensteuervorauszahlungen neben der Festsetzung von Hinterziehungszinsen für hinterzogene Jahreseinkommensteuer


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.