Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.01.2010, Az. 4 B 53/09

4. Senat | REWIS RS 2010, 10093

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Gegenstand

Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts


Leitsatz

Das Wohl der Allgemeinheit (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB) rechtfertigt die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen und erkennbar ist, dass die Gemeinde alsbald diejenigen Schritte vornehmen wird, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel zu verwirklichen.

Gründe

1

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

Die [X.]eklagte möchte in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen:

[X.] es - sofern alle übrigen Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Nr. 5 [X.] gegeben sind - gem. § 24 Abs. 3 [X.] zur [X.]egründung der Ausübung des Vorkaufsrechts und zur Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts zum Wohle der Allgemeinheit aus, wenn die Gemeinde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts als Verwendungszweck angibt oder zugrunde legt, dass die Gemeinde das Grundstück, über welches sie das Vorkaufsrecht ausgeübt hat, zur Vergrößerung ihres Eigentumsanteils in dem im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche dargestellten Gebiet beziehungsweise als Austausch- oder Ersatzland, insbesondere zum Zwecke der Entschädigung in Land benötigt und wird diesem Verwendungszweck auch dann entsprochen, wenn erst langfristig mit einer Überplanung entsprechend dem bestehenden Flächennutzungsplan zu rechnen ist?

3

Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des [X.] dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt. So liegt es hier.

4

Dabei ist zunächst zur Präzisierung der Fragestellung hervorzuheben, dass sie sich im vorliegenden Verfahren nur insoweit stellt, als "nach den insoweit zeitlich und inhaltlich noch völlig unbestimmten Planungsvorstellungen" der das Vorkaufsrecht ausübenden Gemeinde "(wenn überhaupt) erst langfristig mit einer Überplanung gerechnet werden kann". Denn an die entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ([X.]), der dabei auf Schreiben der [X.]eklagten [X.]ezug nimmt, ist das Revisionsgericht gebunden. In dieser präzisierten Form kann die Frage verneint werden, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.

5

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [X.] ist zunächst, dass es sich um unbebaute Flächen im Außenbereich handelt, für die nach dem Flächennutzungsplan eine Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet dargestellt ist. Das allein genügt - entgegen der Auffassung der [X.]eklagten - für die Ausübung des Vorkaufsrechts jedoch nicht. Weitere Voraussetzung ist nach § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.], dass das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden darf, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Die Antwort auf die Frage, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat sich an den Zielen zu orientieren, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 [X.] verfolgt werden. Mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 (und 6) [X.] wird insbesondere das Ziel verfolgt, Flächen für den Wohnungsbau verfügbar zu machen. Dies schließt solche Grundstücke ein, die der infrastrukturellen Ausstattung des zu entwickelnden Wohngebiets dienen sollen ([X.]egründung des [X.]). Daher rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [X.] nur, wenn damit Flächen - unmittelbar oder mittelbar (als [X.]) - für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen [X.]odenbevorratung ("zur Vergrößerung ihres Eigentumsanteils") oder zum Erwerb von Grundstücken zur Verfügung, die später möglicherweise als Tauschgrundstücke im Rahmen der Verfolgung gänzlich anderer Zwecke verwendet werden sollen, wie dies die [X.]eklagte offenbar meint (vgl. auch die [X.]eschlüsse vom 15. Februar 2000 - [X.]VerwG 4 [X.] - [X.] 406.11 § 25 [X.] Nr. 4 = [X.] und vom 8. September 2009 - [X.]VerwG 4 [X.] 38.09 - [X.] 2010, 81 zu Satzungen nach § 25 [X.]). So verweist die [X.]eschwerdebegründung auf die Erfahrungen der beklagten Gemeinde mit dem Erwerb von Tauschgrundstücken als Manövriermasse, die beispielsweise die Durchführung der Umgehung einer [X.]undesstraße erheblich vereinfacht habe. Zur Verfolgung dieses Ziels kann jedoch nicht auf die Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [X.] zurückgegriffen werden.

6

Dieses Ergebnis wird durch die Gesetzgebungsgeschichte, auf die bereits das Verwaltungsgericht ([X.] f. = [X.] 2008, 960 = [X.]) und der Verwaltungsgerichtshof ([X.] = [X.], 470 = [X.] 2010, 71) [X.]ezug genommen haben, und durch systematische Überlegungen bestätigt. Das jetzt in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [X.] geregelte Vorkaufsrecht wurde durch das [X.]/[X.] 1990 eingeführt und später in das [X.] übernommen (vgl. Stock, in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], [X.], Stand Oktober 2009, Rn. 9 f. zu § 24 [X.]). Mit ihm sollte die Vorbereitung und Durchführung von [X.] in Gebieten, die die Gemeinde durch [X.]ebauungspläne entwickeln will, erleichtert werden ([X.]TDrucks 11/6508 S. 11). Weitergehende Vorschläge (vgl. die Stellungnahme des [X.] und den Antrag des [X.] ), ein umfassendes Vorkaufsrecht auch zu Zwecken der [X.]aulandbevorratung zu schaffen, haben sich nicht durchgesetzt ([X.]eschlussempfehlung des [X.] 13/8019).

7

Die enge Verknüpfung des Vorkaufsrechts an das jeweilige städtebauliche Ziel, hier die Vorbereitung und Schaffung von Wohnungsbau, wird auch durch die Regelungen in § 26 Nr. 4 [X.] und § 27 [X.] bestätigt. Danach ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück bereits entsprechend den Festsetzungen des [X.]ebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist; der Käufer kann die Ausübung des Vorkaufsrechts ferner abwenden, wenn er in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist nach den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen. Diese Einschränkungen des Vorkaufsrechts in §§ 26 und 27 [X.] bilden auch einen Maßstab, der für die Auslegung von § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.] heranzuziehen ist ([X.]eschluss vom 29. Juni 1993 - [X.]VerwG 4 [X.] 100.93 - [X.] 406.11 § 25 [X.] Nr. 1 = NVwZ 1994, 284). Sie verdeutlichen, dass mit dem Vorkaufsrecht nicht gänzlich andere Zwecke verfolgt werden dürfen und dass keine Rechtfertigung besteht, von der [X.]efugnis nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Gebrauch zu machen, wenn das städtebauliche Ziel auch unter Mitwirkung eines bauwilligen Grundstückseigentümers erreicht werden kann. [X.]ei der Ermessensausübung ist entsprechend gewichtigen [X.]elangen des [X.]etroffenen ebenfalls Rechnung zu tragen ([X.]eschluss vom 26. April 1993 - [X.]VerwG 4 [X.] 31.93 - [X.] 310 § 113 VwGO Nr. 255 S. 105 = NVwZ 1994, 282). An diesen Maßstäben hat sich auch die [X.]eantwortung der Frage zu orientieren, in welchen Fällen das Vorkaufsrecht ausgeübt werden darf, um [X.] zu erwerben.

8

Auch in zeitlicher Hinsicht unterliegt die Ausübung des Vorkaufsrechts Grenzen. Das öffentliche Wohl rechtfertigt die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers nur dann, wenn die Gemeinde alsbald diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel, [X.] bereit zu stellen, zu verwirklichen. Der Gesetzgeber hat die [X.]efugnisse der Gemeinden erweitert, damit diese einem akuten Wohnraummangel begegnen können. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden [X.]ebauungsplans gebieten (vgl. hierzu Stock, in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], [X.], Stand Oktober 2009, Rn. 77 zu § 24 [X.]; [X.], in: [X.]erliner Kommentar, [X.], [X.]d. 1, Stand November 2009, Rn. 27 zu § 24 [X.]; [X.], in: [X.]rügelmann, [X.], [X.], Stand Oktober 2009, Rn. 71a zu § 24 [X.]). Ob und inwieweit auch andere Vorbereitungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang geeignet sind, die ernsthafte Verfolgung der vom Gesetzgeber angestrebten Ziele zu belegen, bedarf vorliegend keiner Klärung. Denn hierfür ist nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nichts ersichtlich.

9

Dem steht auch die Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht entgegen. Danach darf das Vorkaufsrecht bereits ausgeübt werden, wenn die Gemeinde den [X.]eschluss gefasst und ortsüblich bekannt gemacht hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen und wenn nach dem Stand der Planungsarbeiten anzunehmen ist, dass der künftige Flächennutzungsplan eine solche Nutzung darstellen wird. Denn dies ändert nichts daran, dass die Gemeinde von der [X.] nur Gebrauch machen darf, wenn sie die alsbaldige Schaffung von [X.] anstrebt. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass weitere Verfahrensschritte erforderlich sind, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Welcher Zeitraum als angemessen anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls in einem Fall, in dem wie vorliegend die Planungsvorstellungen der (nicht identischen) Trägerin der Flächennutzungsplanung und der Trägerin der [X.]auleitplanung noch völlig unbestimmt sind und erst langfristig mit einer Überplanung gerechnet werden kann, rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [X.].

Meta

4 B 53/09

25.01.2010

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 25. Juni 2009, Az: 5 S 574/08, Urteil

§ 24 Abs 1 S 1 Nr 5 BauGB, § 24 Abs 3 S 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.01.2010, Az. 4 B 53/09 (REWIS RS 2010, 10093)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10093

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

RN 6 K 16.53

W 5 K 14.808

15 B 13.100

W 4 K 14.688

AN 3 K 13.01946

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