Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2014, Az. 5 StR 602/13

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 8852

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Urteilsgründe; Berücksichtigung fehlender Vorbelastung bei der Gefährlichkeitsprognose


Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 10. September 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s suchte der spätestens seit 2002 an einer schizophrenen Psychose leidende, bislang unbestrafte Beschuldigte am Tattag um eine Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach, wobei er sich in einem akut psychotischen Zustand befand. Im Zuge seiner Aufnahmebemühungen stürzte er sich auf einen Arzt, brachte ihn zu Boden und würgte ihn. Er war wahnhaft bedingt davon überzeugt, dass dieser Arzt gegen ihn sowie seine Freundin intrigiere und dafür verantwortlich sei, dass sein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht sei. Erst durch mehrere kräftige Faustschläge einer Ärztin konnte er dazu gebracht werden, von seinem Opfer abzulassen.

3

Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das [X.] angenommen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschuldigte auch zukünftig wenigstens gleichgewichtige Taten begehen werde.

4

2. Die Feststellungen des [X.]s belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln (vgl. [X.], Urteile vom 17. August 1977 - 2 StR 300/77, [X.]St 27, 246, 248 f., und vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, [X.]R StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt - wie hier - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. November 2006 - 2 [X.], [X.], 73, 74). Nach diesen Maßstäben hat die [X.] die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.

5

Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, bei aufgrund fehlender Krankheitseinsicht abzusehendem Behandlungsabbruch oder unzureichender Medikation sei - ungeachtet des Umstands, dass die hier erfolgte Verurteilung seine erste sei - hochwahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten zu rechnen. Angesichts bislang fehlender Vorbelastung hätte es das [X.] indessen nicht bei diesem knappen Hinweis belassen dürfen, sondern eingehend erörtern müssen, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder wie hier gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten ([X.], Beschlüsse vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, [X.], 198, 199; vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 209 Rn. 6, vom 4. Juli 2012 - 4 [X.], [X.], 206 Rn. 11, jeweils mwN).

6

Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der [X.] nicht die notwendigen Darlegungen entnehmen. Zu in der Vergangenheit häufigen „fremdaggressiven Verhaltensweisen" fehlt jegliche Erläuterung; das Gleiche gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte 2012 „ins Wasser sprang, wobei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen werden" konnte ([X.] 3).

7

3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Bewertung vermochte der [X.] nicht zu treffen, weil nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose heranzuziehende, vom [X.] lediglich als (einfache) vorsätzliche Körperverletzung gewertete [X.] nicht allzu schwer wiegt und zudem gegenüber einem Betreuer begangen wurde, weswegen sie auch nicht mit vollem Gewicht als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Beschuldigten herangezogen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.], aaO Rn. 7 mwN).

Basdorf                       Dölp                         König

                 Berger                      [X.]

Meta

5 StR 602/13

08.01.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 10. September 2013, Az: (530) 283 Js 1160/13 KLs (18/13)

§ 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2014, Az. 5 StR 602/13 (REWIS RS 2014, 8852)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8852

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