Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.01.2016, Az. VI R 93/13

6. Senat | REWIS RS 2016, 17418

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Gegenstand

Zivilprozesskosten aus erbrechtlichen Streitigkeiten keine außergewöhnliche Belastung


Leitsatz

NV: Rechtsanwaltskosten wegen eines Zivilprozesses, die im Zusammenhang mit einer Erbauseinandersetzung und einem weiteren Verfahren wegen Vergütung dieser Rechtsanwaltskosten entstanden sind, sind keine außergewöhnlichen Belastungen .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. November 2013 3 K 1665/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) beantragten sie die Berücksichtigung von Krankheitskosten in Höhe von 916 € als außergewöhnliche Belastungen, die sich jedoch nach Abzug der zumutbaren Belastung von 1.013 € steuerlich nicht auswirkten.

3

Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch ein. Sie begehrten die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 4.899,18 €, die im Zusammenhang mit einer Erbauseinandersetzung und einem weiteren Verfahren wegen Vergütung dieser Rechtsanwaltskosten entstanden seien. Das Amtsgericht habe dem Antrag des [X.] auf Erteilung des Erbscheins als Alleinerbe seiner Mutter entsprochen. Der Rechtsstreit sei notwendig gewesen, weil der [X.] des [X.] dem Kläger das Erbe habe streitig machen wollen.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -[X.]-) wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der hiergegen erhobenen Klage gab das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2014, 641 veröffentlichten Gründen insoweit statt, als es Prozesskosten in Höhe von 4.199 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannte. Im Übrigen wies es die Klage ab.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Es beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 12. November 2013  3 K 1665/12 insoweit aufzuheben, als der Einkommensteuerbescheid für 2010 dahingehend geändert wurde, dass 4.199 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannt wurden.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung   [X.]O  ). Das [X.] hat die geltend gemachten Zivilprozesskosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt.

9

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des [X.]vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418; Senatsurteil vom 26. Juni 2014 [X.]/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 [X.]/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 [X.]/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553), und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob einem Steuerpflichtigen Prozesskosten in der Parteistellung als Kläger oder als Beklagter entstehen ([X.]-Urteil in [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726 und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

b) Demgegenüber nahm der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 [X.]/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 [X.] ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, so dass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

b) Der Senat kann aufgrund der vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Denn der Zivilprozess im Zusammenhang mit der Erbenstellung berührt keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens [X.] der oben genannten Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Mit der Durchsetzung seiner Erbenstellung verfolgte der Kläger das Ziel, seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch eine Erbschaft ist allerdings nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage und deren Bewahrung, Absicherung oder Zurückerlangung im Rahmen eines Zivilprozesses, gleichzustellen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 93/13

20.01.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 12. November 2013, Az: 3 K 1665/12, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.01.2016, Az. VI R 93/13 (REWIS RS 2016, 17418)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17418

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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