Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 29/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 9893

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Gegenstand

Zivilprozesskosten aus erbrechtlichen Streitigkeiten keine außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

NV: Kosten eines Zivilprozesses, in dem die Steuerpflichtige zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation Auskunfts- und Pflichtteilsansprüche gegenüber den Erben ihres verstorbenen Vaters geltend macht, sind regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 20.01.2016 VI R 20/14) .

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 18. März 2015  2 K 256/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2011) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In ihrer Einkommensteuererklärung machten sie u.a. "Prozesskosten Erbsache" in Höhe von 1.668 € und "Anwaltskosten Erbsache" in Höhe von 4.144 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Diese Kosten beruhten auf einem Rechtsstreit, mit dem die Klägerin gegen die Erben ihres leiblichen [X.] Auskunfts- und Pflichtteilsansprüche geltend gemacht hatte.

2

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung lediglich die "Prozesskosten Erbsache" in Höhe von 1.668 € als außergewöhnliche Belastungen.

3

Nach einem [X.] im Einspruchsverfahren erkannte das [X.] in der Einspruchsentscheidung auch den vorgenannten Betrag nicht mehr als außergewöhnliche Belastungen an.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Kläger ihr Begehren zur Berücksichtigung der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen weiterverfolgten, mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2015, 981 veröffentlichten Gründen ab.

5

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

6

Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des [X.] vom 18. März 2015  2 K 256/12 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 3. Juli 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. November 2012 in der Weise zu ändern, dass außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 5.811,20 € berücksichtigt werden.

7

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die von den Klägern geltend gemachten Zivilprozesskosten zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt.

9

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

Dagegen nahm der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.

Der Senat hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

Die Vorentscheidung ist nach diesen Grundsätzen nicht zu beanstanden. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin in dem Zivilprozess geltend gemachten Auskunfts- und Pflichtteilsansprüche gegenüber den Erben ihres verstorbenen [X.] keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens [X.] der vorgenannten Rechtsprechung berührten. Mit der Durchsetzung der Auskunfts- und Pflichtteilsansprüche verfolgte die Klägerin das Ziel, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch die Realisierung von Pflichtteilsansprüchen betrifft keinen existenziell wichtigen Bereich (zur Durchsetzung der Erbenstellung ebenso Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 20/14, [X.]/NV 2016, 1000).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 29/15

15.06.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 18. März 2015, Az: 2 K 256/12, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 29/15 (REWIS RS 2016, 9893)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9893

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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15 K 632/13

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