Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2017, Az. 1 StR 418/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10407

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Konkurrenzverhältnisse bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen; Strafzumessung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten B.     wird das Urteil des [X.] vom 18. März 2016

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 61 Fällen schuldig ist,

b) und im gesamten Strafausspruch aufgehoben; die für die Taten II.1, 2, 3, 4, 19, 20, 21 und 22 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen entfallen.

2. Auf die Revision des Angeklagten [X.]     wird das vorbezeichnete Urteil

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 58 Fällen schuldig ist,

b) und im gesamten Strafausspruch aufgehoben; die für die Taten II.1, 2, 3, 4, 19, 20, 21 und 22 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen entfallen.

3. Auf die Revision des Angeklagten A.    wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit diesem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den [X.] wegen Steuerhinterziehung in 69 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, den Angeklagten [X.]     wegen Steuerhinterziehung in 66 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten und den Angeklagten [X.]     wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer solchen von zwei Jahren verurteilt. Die Revision des [X.] greift mit der Sachrüge – beschränkt auf den Strafausspruch – insbesondere die Feststellungen zum Schuldumfang an. Die Angeklagten [X.]      und [X.] mit ihren Revisionen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel der Angeklagten erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind ihre Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Die Verfahrensrügen der Angeklagten [X.]      und [X.]    bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] ohne Erfolg.

II.

3

Die Revisionen der [X.]und [X.]    :

4

1. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat zu den Schuldsprüchen – mit Ausnahme der fehlerhaften Beurteilung der [X.] hinsichtlich der von den [X.]und [X.]      begangenen Taten II.1 ([X.] 2010), II.19 (Körperschaftsteuerhinterziehung 2010) und [X.] (Gewerbesteuerhinterziehung 2010), der Taten II.2 ([X.] 2011), [X.] (Körperschaftsteuerhinterziehung 2011) und [X.] (Gewerbesteuerhinterziehung 2011), der Taten II.3 ([X.] 2012), [X.] (Körperschaftsteuerhinterziehung 2012) und [X.] (Gewerbesteuerhinterziehung 2012) sowie der Taten II.4 ([X.] 2013), [X.] (Körperschaftsteuerhinterziehung 2013) und [X.] (Gewerbesteuerhinterziehung 2013) der Urteilsgründe – keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Insbesondere begegnet die vom [X.] vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen keinen Bedenken.

5

2. Die fehlerhafte Bewertung der [X.] hinsichtlich der Hinterziehung von Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2010 bis 2013 führt hingegen zur Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der [X.]und [X.]       sowie zum Wegfall der gegen sie festgesetzten Einzelstrafen für die [X.]en 2010 bis 2013 (Taten II.1 bis 4 der Urteilsgründe) sowie für die [X.] 2010 bis 2013 (Taten II.19 bis 22 der Urteilsgründe).

6

a) Bei der Beurteilung der [X.] von Steuerstraftaten gilt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.], dass die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung grundsätzlich als selbständige Tat im Sinne von § 53 StGB zu werten ist. Von [X.] ist also dann auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Ausnahmsweise kann jedoch Tateinheit (§ 52 StGB) vorliegen, wenn die Steuerhinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben werden. Entscheidend dabei ist, dass die Abgabe im äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen übereinstimmend unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 1985 – 1 StR 583/84, [X.]St 33, 163; Urteile vom 28. Oktober 2004 – 5 [X.], [X.], 53 und vom 27. Oktober 2015 – 1 [X.], [X.]St 61, 28, Rn. 20 ff., jeweils mwN).

7

b) [X.] unrichtige Angaben im Sinne dieser Rechtsprechung können beispielsweise im Verhältnis von Körperschaftsteuerhinterziehung, Gewerbesteuerhinterziehung und [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 20. September 1995 – 5 [X.], [X.], 62) oder im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 5. März 1996 – 5 [X.], [X.], 231) vorliegen. Denn hier werden übereinstimmende unrichtige Angaben regelmäßig deshalb abgegeben, weil der Täter sich bei unterschiedlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen in den verschiedenen Steuererklärungen, die letztlich denselben Lebenssachverhalt betreffen, einem erhöhtem Entdeckungsrisiko aussetzen würde (vgl. [X.], Beschluss vom 5. März 1996 – 5 [X.], [X.], 231).

8

c) So liegt der Fall auch hier. Nach den Urteilsfeststellungen wurden die vom [X.] eigenhändig unterschriebenen Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 2010 und 2011, die falsche Angaben zu den Einnahmen der [X.] enthielten, jeweils zeitgleich am 5. Oktober 2011 bzw. am 3. September 2012 beim Finanzamt eingereicht. Gleiches gilt für die für das [X.] jeweils am 22. Mai 2013 eingereichten Steuererklärungen, auch wenn das Datum für die Umsatzsteuerjahreserklärung (15. Mai 2013) von den Daten der Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung (10. Mai 2013) abweicht. Die Einreichung der jeweils auf den 17. Juli 2014 datierten Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen sowie der Umsatzsteuerjahreserklärung für das [X.] wurde von den Angeklagten ebenfalls nicht ausschließbar gleichzeitig veranlasst.

9

3. Der Strafausspruch hinsichtlich der Angeklagten B.    und [X.]     hat keinen Bestand.

Das [X.] hat als bestimmenden [X.] berücksichtigt, dass beweiserhebliche Unterlagen von den Angeklagten vernichtet wurden. Sie hätten aus einem Taschenkalender monatlich fortlaufend Seiten herausgetrennt, aus denen sich die täglich vereinnahmten Zahlungen für die an ihre Kunden erfolgten „Schwarzlieferungen“ von Waren ergaben. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass die sorgfältig geplante Vermeidung von Tatspuren oder deren Beseitigung vor der Tat als die Tat prägende Umstände strafschärfend herangezogen werden dürfen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 [X.], [X.], 239 mwN). Dem Täter darf aber nicht straferschwerend zur Last gelegt werden, er habe den Ermittlungsbehörden seine Überführung nicht erleichtert, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise geschaffen oder solche hinterlassen habe.

Nach den Urteilsfeststellungen dienten die Aufzeichnungen im [X.] und späteren anteiligen Aufteilung der „schwarz“ vereinnahmten Kundengelder. Es war von Anfang an von den Angeklagten nicht vorgesehen, diese Aufzeichnung der Einnahmen buchhalterisch zu erfassen, so dass der Umstand, dass diese Aufzeichnungen nach Aufteilung der Gelder vernichtet worden sind, nicht strafschärfend hätte berücksichtigt werden dürfen.

Das [X.] hätte zwar straferschwerend auf die Verletzung von Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten hinsichtlich geschäftlicher Unterlagen abstellen können (vgl. u.a. § 379 Abs. 1 Nr. 3 AO sowie [X.], Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 [X.], [X.], 635, 637 und vom 28. Juli 2010 – 1 [X.], [X.], 233, 235). Die Verletzung dieser Pflichten stellt jedoch einen anderen Strafzumessungsgesichtspunkt als die Erschwerung der [X.] des Sachverhalts dar.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die insofern getroffenen Feststellungen sind von dem [X.] nicht betroffen und bleiben daher bestehen (§ 353 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

III.

Die Revision des Angeklagten [X.]    :

1. Der Schuldspruch und die Bemessung der verhängten Strafen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

2. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat seine Entscheidung lediglich formelhaft begründet. Unabhängig von der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 267 Abs. 3 StPO sind aus materiell-rechtlichen Gründen Ausführungen im Urteil zur Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als Grundlage für die revisionsrechtliche Nachprüfung geboten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juli 2011 – 4 StR 283/11 mwN).

Dies ist hier der Fall, weil angesichts der konkreten Umstände des Falles eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht so fern liegt, dass eine nähere Erörterung der [X.] entbehrlich erscheint. Der Angeklagte [X.]    ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und seit Tatbegehung – die Taten betrafen die Hinterziehung von Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2010 und 2011 – weitere Straftaten nicht festgestellt wurden. Der Angeklagte hat zudem die Taten zwar nicht eingeräumt, sie aber auch nicht bestritten, sondern in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht zur Sache einzulassen. Ferner lebt er seit 2004 sozial integriert in [X.]; seit 2011 ist er verheiratet und hat einen 2012 geborenen Sohn.

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit dem Angeklagten [X.]     Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Die getroffenen Feststellungen sind hiervon nicht betroffen und bleiben daher bestehen (§ 353 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Jäger     

      

Bellay     

      

Cirener

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 418/16

24.05.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 18. März 2016, Az: 71 KLs - 300 Js 25/15 - 6/15

§ 370 Abs 1 AO, § 52 StGB, § 46 StGB, § 53 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2017, Az. 1 StR 418/16 (REWIS RS 2017, 10407)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10407

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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