Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2019, Az. 4 StR 500/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1291

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Gegenstand

Rücktritt vom versuchten sexuellen Missbrauch von Kindern; Verstoß gegen Doppelverwertungsverbot bei Berücksichtigung des Altersabstandes


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2019 aufgehoben

a) in [X.]) der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen,

b) im verbleibenden Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (Fall II. 2. f) der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durch.

3

2. Die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Fall II. 2. f) der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen eine revisionsrechtliche Überprüfung der Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts nicht ermöglichen.

4

a) Danach fuhr der Angeklagte mit der zu diesem Zeitpunkt maximal dreizehn Jahre alten Nebenklägerin in seinem PKW an eine nicht einsehbare Stelle. Nachdem beide ihre Hose ausgezogen hatten, „sollte“ sich die Nebenklägerin auf den Angeklagten setzen, damit dieser mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr durchführen konnte. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto funktionierte dies jedoch nicht. Nachdem die Nebenklägerin kurz auf dem Angeklagten gesessen hatte und ohne dass es zu einem Eindringen gekommen war, zogen beide sich wieder an und fuhren nach [X.] ([X.]. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung dieses Vorfalls wird das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch ausschließlich mit der Erwägung abgelehnt, der Angeklagte habe nicht freiwillig auf den Geschlechtsverkehr verzichtet. Vielmehr habe das Eindringen aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto nicht funktioniert, so dass die Situation deshalb abgebrochen worden sei (UA S. 43).

5

b) Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des [X.] hiervon (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 [X.], NStZ-RR 2014, 9 f. mwN; Beschluss vom 3. April 2014 – 2 [X.], NStZ-RR 2014, 241). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 19. März 2013 – 1 [X.], [X.], 273; vom 13. August 2015 – 4 [X.], [X.], 470, jeweils mwN; Beschluss vom 26. Februar 2019 – 4 [X.]/18).

6

c) So liegt der Fall hier. Den [X.] ist nicht zu entnehmen, warum die Beendigung der Bemühungen zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf die räumlichen Verhältnisse in dem Auto zurückzuführen sein sollte. Es fehlt an jeglichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt, insbesondere an der Erörterung naheliegender Varianten einer möglichen Fortsetzung des Geschehens etwa in anderer Position oder außerhalb des verdeckt parkenden Autos.

7

d) Die Aufhebung erfasst auch den für sich genommen [X.] Schuldspruch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

8

3. Auch im verbleibenden Umfang unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung.

9

a) Das [X.] hat sowohl bei der Bestimmung des Strafrahmens für die Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes als auch bei der Strafzumessung in allen Einzelfällen den „großen Altersunterschied“ zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten ([X.], 48) jeweils zu dessen Lasten gewertet. Diese Erwägung stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB dar, denn das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer als solchem ist in dem Schutzzweck des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angelegt. Eine nicht unerhebliche Höhe dieses Altersgefälles ist für Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zumindest typisch (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 StR 186/17 mwN). Zwar war der Angeklagte nicht nur deutlich älter als die Geschädigte, er nahm ihr gegenüber auch eine Vaterstellung mit entsprechender Autorität ein. Diesen Umstand hat das [X.] aber bereits durch die strafschärfend gewürdigte tateinheitliche Verwirklichung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen berücksichtigt. Der [X.] kann daher letztlich nicht ausschließen, dass ohne den Rechtsfehler auf niedrigere Strafen erkannt worden wäre. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt und die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hiervon nicht berührt sind, können diese bestehen bleiben.

b) Die Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen entzieht dem [X.] die Grundlage.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass die bislang unterbliebene Prüfung einer gemäß § 55 StGB vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung nähere Feststellungen zu den Vollstreckungsständen der Verurteilungen des Angeklagten durch das [X.] vom 9. Mai und 18. Dezember 2014 voraussetzt.

[X.]     

      

[X.]     

      

Bender

      

Feilcke     

      

[X.]     

      

Meta

4 StR 500/19

21.11.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Arnsberg, 9. Mai 2019, Az: II-6 KLs 13/18

§ 24 StGB, § 46 Abs 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2019, Az. 4 StR 500/19 (REWIS RS 2019, 1291)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1291

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 99/15

5 StR 229/13

1 StR 647/12

4 StR 464/18

4 StR 186/17

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