Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.03.2018, Az. 1 B 5/18

1. Senat | REWIS RS 2018, 12075

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Gegenstand

Zur Annahme eines Ausnahmefalles bei der Heranziehung eines Verpflichtungsgebers


Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der [X.] (1) und der Divergenz (2) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. August 2016 - 1 [X.] 82.16 - juris Rn. 3).

3

Die [X.]eschwerde wendet sich dagegen, dass nach der Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts der Verpflichtete aus einer Verpflichtungserklärung nach § 68 [X.], die er zugunsten zweier [X.] Staatsangehöriger eingegangen ist, vom [X.]eklagten nicht zur Erstattung von [X.]eiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden kann.

4

a) In diesem Zusammenhang hält die [X.]eschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob die in § 68 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ([X.]) enthaltenen Tatbestandsmerkmale 'sämtliche öffentlichen Mittel ... , die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich ... der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden' entsprechend dem [X.]ezug zum jeweiligen Leistungssystem auszulegen sind und daher in den jeweiligen Leistungssystemen unterschiedliche [X.]edeutung haben können oder ob Aussagen in einer Verpflichtungserklärung zum Umfang der Haftung eines [X.] (Haftungsfreistellung für Kosten bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit), die mit [X.]ezug auf das [X.] ([X.]) gemacht wurden, bei der [X.]eurteilung der Haftung nach § 68 [X.] für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ([X.]) [X.]edeutung haben können".

5

Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn sie können bereits anhand des Gesetzes unter [X.]erücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.

6

Schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergibt sich, dass der Verpflichtete sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten hat, die für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden. Als erstattungspflichtig werden im Gesetz ausdrücklich auch aufgewendete Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit genannt. Das können für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 [X.] Leistungen bei Krankheit nach § 4 [X.] und bei [X.]eziehern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose nach dem [X.] ([X.]) - wie hier im Streit - [X.]eitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung sein. Das [X.]erufungsgericht hat die abgegebene Verpflichtungserklärung des [X.] ohne Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln dahin ausgelegt, dass sie die Haftung für Kosten, die für die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden müssen, dem Grunde nach erfasst.

7

b) Die Revision kann auch nicht hinsichtlich der des Weiteren als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage zugelassen werden,

"ob die Nichtbeachtung von Vorgaben eines [X.] (Streichung der im Musterformular enthaltenen Aussagen zur Haftung für die Versorgung im Krankheits- und Pflegefall) bei Leistungen nach dem [X.] zu einer von der gesetzlichen Grundkonzeption des § 68 [X.] abweichenden atypischen Fallgestaltung führt (Folge: Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme des [X.]), wenn die Vorgaben insoweit weder mit dem Inhalt des [X.] ([X.]) nach § 23 Absatz 1 [X.] noch mit dem hierzu ergangenen Einvernehmen des [X.] ([X.]ministerium des Innern) übereinstimmten".

8

Diesbezüglich ist in der von dem Oberverwaltungsgericht in [X.]ezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (vgl. § 6 Abs. 1 [X.]), in der Regel verlangen, dass der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte, dass indes von dieser Regel bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden kann. Während typischerweise von einem Regelfall auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen [X.]elastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren [X.]elastung des Verpflichteten führen könnte, ist ein Ausnahmefall anzunehmen, wenn eine wertende [X.]etrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären. Im Übrigen ist unter Würdigung vornehmlich der Umstände, unter denen die jeweilige Verpflichtungserklärung abgegeben worden ist, zu klären, ob die Heranziehung zur vollen Erstattung der Aufwendungen gemäß § 68 [X.] namentlich im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist oder ob es weiterer Erwägungen bedarf, um zu einem angemessenen Interessenausgleich zu gelangen ([X.]VerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 [X.] 33.97 - [X.]VerwGE 108, 1 <17 ff.>). Die [X.]eschwerde legt nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar, dass mit [X.]lick auf die vorstehenden Grundsätze erneuter oder zusätzlicher rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Sie zeigt insbesondere nicht schlüssig auf, dass der Frage ungeachtet der Problematik, ob sie im Lichte der gebotenen Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles überhaupt einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in der angestrebten Weise zugänglich ist, fallübergreifende [X.]edeutung zukommt, sie also über den vorliegenden Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam ist. Der bloße Hinweis, es sei davon auszugehen, dass diese Konstellation häufig vorkomme, genügt hierfür nicht. Unabhängig davon bestimmt sich der Inhalt der gegenüber einer bestimmten [X.]ehörde abgegebenen Verpflichtungserklärung gemäß den §§ 133, 157 [X.]G[X.] nach dem Empfängerhorizont (hier dem der Ausländerbehörde). Nimmt diese eine Verpflichtungserklärung entgegen, die nach der tatrichterlichen Würdigung (eindeutig) die Haftung für bestimmte Leistungen ausschließt, ist die Erklärung auch nur mit diesem Inhalt wirksam geworden. Dies gilt auch dann, wenn in der Erklärung die Erstattungspflicht zulasten eines anderen Rechtsträgers (hier: der [X.]agentur für Arbeit) sachlich und/oder zeitlich eingeschränkt worden ist (s.a. [X.]eschluss vom 14. März 2018 - 1 [X.] 9.18 - Rn. 6).

9

2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.]verwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des [X.]eschwerdeführers divergierenden Rechtsätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 [X.] 38.10 - [X.] 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 - 1 [X.] 3.15 - juris Rn. 7). Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer [X.] nicht. Auch diesen Anforderungen wird die [X.]eschwerde nicht gerecht.

Es mag auf sich beruhen, ob mit der [X.]eschwerde davon auszugehen ist, dass den Ausführungen des [X.]verwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 26. Januar 2017 (- 1 [X.] 10.16 - [X.]VerwGE 157, 208 Rn. 38)

"Die [X.]elastung des [X.] ... mit den hier geltend gemachten Kosten ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Aufnahme [X.] [X.]ürgerkriegsflüchtlinge auf der Grundlage entsprechender Aufnahmeanordnungen auch öffentlichen Interessen diente. ... Denn der spezifischen staatlichen Mitverantwortung in [X.]ürgerkriegssituationen ist durch eine Haftungsbegrenzung in den Verpflichtungserklärungen bereits hinreichend Rechnung getragen."

Rechtssatzcharakter beizumessen ist. Jedenfalls ist dem angefochtenen Urteil des [X.] ein hiervon abweichender entscheidungstragender Rechtssatz des Inhalts,

"dass jede - gegebenenfalls nur dem Wortlaut nach bestehende - Differenz zwischen dem [X.] und/oder den entsprechenden landesinternen Anordnungen und Weisungen und/oder der konkreten Verpflichtungserklärung bereits dazu führt, dass abweichend vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes die Inanspruchnahme eines [X.] nach § 68 [X.] einer Ermessensentscheidung unterliegt,"

nicht zu entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht führt - wie von der [X.]eschwerde wiedergegeben - anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen des [X.]verwaltungsgerichts aus, ein Ausnahmefall liege vor, weil die Ausländerbehörde der Stadt [X.] die dem Kläger abgenommenen Verpflichtungserklärungen abweichend von den landesrechtlichen Vorgaben formuliert habe mit der Folge, dass diese eine in der Aufnahmeanordnung des [X.] ausdrücklich nicht vorgesehene Erstattungspflicht für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, [X.]ehinderung und Pflegebedürftigkeit nach dem [X.] enthielten. Damit sei die nach der Aufnahmeanordnung wegen der staatlichen Mitverantwortung in [X.]ürgerkriegssituationen beabsichtigte Lastenverteilung im Einzelfall des [X.] entgegen den Vorgaben der landesweit geltenden Regelungen verfehlt und dem Kläger eine nach dem maßgeblichen Willen des [X.] nicht gewollte [X.]elastung auferlegt worden. [X.]ei dieser Würdigung handelt es sich um die Subsumtion des Sachverhalts unter die vorstehenden Ausführungen des [X.]verwaltungsgerichts und nicht um die Formulierung eines Rechtssatzes.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts (509,55 € + 339,70 €) ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

1 B 5/18

20.03.2018

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Dezember 2017, Az: 18 A 1197/16, Urteil

§ 4 AsylbLG, § 23 AufenthG, § 68 AufenthG, § 68 Abs 1 S 1 AufenthG, § 6 Abs 1 HGrG, § 133 Abs 3 S 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.03.2018, Az. 1 B 5/18 (REWIS RS 2018, 12075)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12075

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AN 19 K 18.00908

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