Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.06.2010, Az. 2 AZR 1020/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 5966

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Gegenstand

Personenbedingte Kündigung - Krankheit - freier Arbeitsplatz


Tenor

Die Revision des beklagten [X.] gegen das Urteil des [X.]arbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Oktober 2008 - 24 [X.]/08 , 24 [X.] - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und über Annahmeverzugsansprüche.

2

Die Klägerin trat im Jahr 1991 in die Dienste des beklagten [X.]. Seit April 2000 war sie als Wachpolizistin beim Polizeipräsidenten in [X.] tätig. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sie ab 2002 zunächst befristet als Auskunftsassistentin (Pförtnerin) eingesetzt. Zuletzt im April 2006 befand der [X.], die Klägerin sei auf Dauer nicht mehr uneingeschränkt als Polizeiangestellte im Objektschutz einsetzbar. Die Klägerin ist behindert mit einem GdB von 30 und seit 2003 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

3

Aufgrund eines Beschlusses des Senats des beklagten [X.] von März 2005 wurden die Grundstücke und Gebäude der [X.]er Polizei mit Wirkung vom 1. Januar 2007 dem „Sondervermögen Immobilien“ des [X.] zugeordnet. Die Stellen des in diesen Liegenschaften tätigen Personals - ua. Pförtner - wurden organisatorisch zum [X.]betrieb für Gebäudewirtschaft (im Folgenden: [X.]betrieb) verlagert. Das Stammpersonal wurde dorthin versetzt, so auch die beim Polizeipräsidenten auf einer Planstelle als Pförtner beschäftigten [X.]. Die nicht auf einer Planstelle tätige Klägerin wurde nicht versetzt.

4

Mit Schreiben vom 2. April 2007 informierte das beklagte Land den Personalrat und das Integrationsamt von seiner Absicht, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen, und bat um Zustimmung. Der Personalrat erteilte diese am 18. April 2007, das Integrationsamt am 25. Mai 2007. Auf den Widerspruch der Klägerin wurde sie vom Widerspruchsausschuss des Integrationsamts versagt. Hiergegen hat das beklagte Land Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

5

Am 9. Mai 2007 erschien im Intranet des beklagten [X.] die Ausschreibung einer Dauerstelle als Empfangsdame/Schreibkraft beim Regierenden Bürgermeister/[X.]. Die Klägerin bewarb sich erfolglos.

6

Mit Schreiben vom 14. Juni 2007 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. Dezember 2007.

7

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels [X.] Rechtfertigung unwirksam. Sie habe als Pförtnerin oder auf einer anderen freien Stelle, zB als Empfangsdame beim Regierenden Bürgermeister weiter beschäftigt werden können.

8

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungserklärung vom 14. Juni 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.806,48 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.903,24 Euro brutto seit dem 1. Mai 2008 und weiteren 1.903,24 Euro brutto seit dem 1. Juni 2008 zu zahlen;

        

3.    

das beklagte Land zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

9

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigung für wirksam gehalten. Aufgrund der polizeiärztlich festgestellten dauerhaften Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Polizeiangestellte im Objektschutz auszuüben, sowie wegen der Verlagerung der [X.] zum [X.]betrieb gebe es für die Klägerin beim Polizeipräsidenten und in der gesamten [X.] keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Die Stelle beim Regierenden Bürgermeister sei für sie nicht in Betracht gekommen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem erstinstanzlich allein gestellten Kündigungsschutzantrag erkannt. Das [X.]arbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und das beklagte Land auf die Anschlussberufung der Klägerin zur Zahlung von [X.] und deren vorläufiger Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit der vom [X.]arbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt das beklagte Land weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Sie ist sozial ungerechtfertigt ([X.]). Deshalb schuldet das beklagte Land die von der Klägerin geltend gemachte Vergütung (I[X.]). Der Antrag auf Prozessbeschäftigung ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (II[X.]).

[X.] Die Kündigung vom 14. Juni 2007 ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 [X.].

1. Die Kündigung ist nicht durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt.

a) Die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, berechtigt den Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 [X.] grundsätzlich zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf Dauer erheblich gestört (Senat 22. September 2005 - 2 [X.] - Rn. 21, [X.] 116, 7).

b) Im Streitfall kann die Frage, ob die Klägerin ihre ursprüngliche und bis zum Jahre 2002 ausgeübte Tätigkeit als Polizeiangestellte im Objektschutz aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, offen bleiben. Auch eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn die Kündigung zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (st. Rspr., vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 [X.] - EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 57; 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.] 123, 234). Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung ist ein solches milderes Mittel. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat die Krankheit keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge (Senat 24. November 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, AP [X.] 1969 § 1 Krankheit Nr. 43 = EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 51).

aa) Im Streitfall bestand eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung als Auskunftsassistentin (Pförtnerin) beim Landesbetrieb. Die Klägerin war in dieser Beschäftigung über fünf Jahre hinweg einsatz- und leistungsfähig. Dass sich daran etwas geändert hätte, ist weder vom beklagten Land vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die bis zum Jahre 2007 von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit war nicht entfallen.

bb) Allerdings ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b [X.] in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Dienstes eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur dann zu berücksichtigen, wenn sie entweder in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben [X.]s besteht. Weder das eine noch das andere ist hier der Fall. [X.] hat die Stelle der Klägerin wie die weiteren Pförtnerstellen im [X.] organisatorisch in einen anderen [X.] verlagert. Sie ist nicht mehr dem Polizeipräsidenten und damit der [X.], sondern der [X.] zugeordnet. Gleichwohl ist im Streitfall die Beschäftigungsmöglichkeit als Auskunftsassistentin (Pförtnerin) zu berücksichtigen.

(1) Es kann dahinstehen, ob das beklagte Land zu einer über den [X.] hinausgehenden Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz bereits nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX verpflichtet war, wie das [X.] - allerdings in Bezug auf die Beschäftigungsmöglichkeit beim Regierenden Bürgermeister - angenommen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats muss dem öffentlichen Arbeitgeber eine über den [X.] hinaus bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit dann kündigungsrechtlich zugerechnet werden, wenn er die bisherige Verwaltungsaufgabe und Verwaltungsorganisation einer Dienststelle durch Gesetz oder Erlass aufgelöst hat, um - wenn auch nur teilweise - vergleichbare Aufgaben im Rahmen einer neu gebildeten Strukturform und Verwaltungsorganisation in einem anderen Verwaltungsbereich auszuführen. Andernfalls könnte die öffentliche Hand durch Neuorganisation der Verwaltung und Zuweisung zu einem neuen [X.] Dienststellen auflösen und die dort beschäftigten Mitarbeiter entlassen, obwohl deren anderweitige Verwendung im Rahmen derselben oder jedenfalls vergleichbarer Tätigkeiten möglich gewesen wäre (Senat 6. Februar 1997 - 2 [X.] - zu II 2 b der Gründe). Das würde bedeuten, dass Arbeitnehmer allein aufgrund einer Verschiebung von Zuständigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt werden könnten, obwohl sich weder am tatsächlichen Beschäftigungsbedarf noch am Arbeitsinhalt noch in der Person des Arbeitgebers irgendetwas geändert hat oder auch nur ändern soll.

(2) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Die Zuständigkeiten für die von der Polizei genutzten Immobilien sind aufgrund eines Senatsbeschlusses von der [X.] auf den Landesbetrieb verlagert worden. Die Planstellen der Pförtner sind auf diese Weise von einem [X.] auf einen anderen übertragen worden. Die Klägerin wurde, da sie trotz fünfjähriger Beschäftigung keine Planstelle innehatte, nicht zum Landesbetrieb versetzt, obwohl auch ihre Pförtnerstelle - ohne Änderung in Umfang und Inhalt - bei diesem weiterhin vorhanden ist. Damit muss das beklagte Land - auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit des öffentlichen Dienstes - die unzweifelhaft gegebene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit berücksichtigen.

(3) Dies steht nicht im Widerspruch zum Urteil des [X.] vom 5. Juni 1975 (- V C 57/73 - BVerwGE 48, 264, 271), auf das sich das beklagte Land beruft. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dort waren nicht zuvor Verwaltungsaufgaben von einem [X.] auf einen anderen verlagert worden.

2. Die Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Auch wenn die dafür maßgeblichen Grundsätze angewendet werden, ist sie wegen der Möglichkeit, die Klägerin weiterzubeschäftigen, sozial ungerechtfertigt.

I[X.] Die Begründetheit des Antrags zu 2. folgt aus der Begründetheit des Antrags zu 1.. Die rechnerisch unstreitige Klageforderung beruht auf § 615 Satz 1 BGB.

II[X.] Der auf die vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des [X.] gerichtete Antrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Die Kündigungsschutzklage ist mit Verkündung des vorliegenden Urteils rechtskräftig abgeschlossen.

IV. [X.] hat als unterlegene [X.] die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    [X.]    

        

    [X.]    

        

        

Meta

2 AZR 1020/08

10.06.2010

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 12. Dezember 2007, Az: 86 Ca 11407/07, Urteil

§ 1 Abs 2 S 2 Nr 2 Buchst b KSchG, § 81 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.06.2010, Az. 2 AZR 1020/08 (REWIS RS 2010, 5966)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5966

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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13 Sa 1379/08 (Landesarbeitsgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

1 BvR 2803/11

6 Sa 467/19

11 Sa 319/17

6 Sa 19/11

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