Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.07.2013, Az. XII ZB 298/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4257

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

BESCHLUSS
XII [X.] 298/12
Verkündet am:

10.
Juli 2013

Breskic,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1610, 1606
a)
Kosten für den längerfristigen Besuch von Förderunterricht bei einem priva-ten Lehrinstitut (hier: Therapie einer Lese-Rechtschreib-Schwäche) können unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf begründen.
b)
Für berechtigten Mehrbedarf eines minderjährigen Kindes haben grundsätz-lich
beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen und nach den Maßstäben des §
1603 Abs.
1 BGB aufzukommen, so dass vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts ab-
zuziehen ist (im [X.] an Senatsurteil vom 26.
November 2008

XII
ZR
65/07
-
FamRZ 2009, 962).
BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 -
XII [X.] 298/12 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 10.
Juli 2013 durch [X.], die Richterin Weber-Monecke
und [X.], Dr.
Günter und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Be-schluss des 2.
Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesge-richts in [X.]
vom 25.
April 2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des
Oberlandesgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen des
Kindesunterhalts
um Mehrbedarf für eine Therapie
einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS).
Der am 25.
Juli 1997 geborene Antragsteller ist der nichtehelich gebore-ne [X.] der Antragsgegnerin, der seit Mai 2010 bei dem Kindesvater lebt. Die Antragsgegnerin arbeitet vollschichtig als Sachbearbeiterin bei einer Versiche-rung und ist zudem als Rechtsanwältin zugelassen, ohne aus einer solchen Tä-tigkeit Einkünfte zu erzielen. Der verheiratete Kindesvater ist als Rechtsanwalt in einer
größeren Kanzlei tätig.

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-
3
-

Der Antragsteller absolvierte seit März 2011 eine einjährige LRS-Thera-pie bei einem privaten Anbieter ([X.]), durch die Kosten in einer Gesamt-höhe von 2.304

sind. Die Antragsgegnerin
lehnt die
-
erstmals im März 2011 geltend gemachte
-
Beteiligung an den Kosten der
LRS-Therapie bei dem [X.] ab.
Im vorliegenden Verfahren verlangt
der durch den Kindesvater vertretene Antragsteller
von
der
Antragsgegnerin
Zahlung von anteiligen Therapiekosten in Höhe von 797,04

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob genü-gende Gründe für die Durchführung der LRS-Therapie -
zudem bei einem priva-ten Anbieter
-
vorgelegen haben; ferner ist streitig, in welcher Höhe die Antrags-gegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet.
Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Ober-landesgericht zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechts-beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die vollständige Abweisung des Antrags
weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlan-desgericht.
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht
erkannt, dass
die während der Dauer des
einjährigen Förderunterrichts
des [X.] anfallenden monatlichen Kosten unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf darstellen können. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs (§
1610 BGB) 3
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-

anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er beim Kindesunterhalt mit den
Tabellensätzen nicht -
zumindest
nicht vollständig
-
erfasst werden kann, andererseits aber kal-kulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berück-sichtigt werden kann
(Senatsurteil vom 5.
März 2008 -
XII
ZR
150/05
-
[X.], 1152 Rn.
24).
2. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die [X.], die das Beschwerdegericht im Zusammenhang mit der Notwendigkeit und der Angemessenheit des
privaten Förderunterrichts
angestellt hat.
a) Das
Beschwerdegericht hat -
dem Amtsgericht folgend
-
seine Über-zeugung, dass der Antragsteller an einer förderungsbedürftigen Rechtschreib-schwäche leide, insbesondere aus der Auswertung eines [X.], den der Antragsteller auf Anregung seines Deutschlehrers am 24.
Februar 2011 bei dem [X.]
absolviert hat; das dabei angewendete Testverfahren (sog. [X.]) kann
dieser
Auswertung entnommen werden.
Diese tatrichterliche Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber insbesondere geltend
macht, dass es sich bei dem [X.] um ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen [X.], dessen Kompetenz ungeklärt sei, will sie
damit die eigene Würdigung von der Überzeugungskraft des Beweismittels an die Stelle der Würdigung des [X.] setzen, was ihr im Verfahren der Rechtsbeschwerde verwehrt ist.
b) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der [X.] den durch den kostenauslösenden Besuch einer privaten Bildungsein-richtung entstandenen Mehrbedarf nicht unbeschränkt, sondern nur beim [X.] von sachlichen Gründen geltend machen kann. Darüber hinaus bedarf es einer besonderen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, wenn die 8
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5
-

Entscheidung für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung einen nicht unerheblichen Mehrbedarf im
Vergleich mit anderen denkbaren Lösungen des zugrunde liegenden schulischen Problems verursacht (vgl. Senatsurteil vom 3.
November 1982 -
IVb
ZR
324/81
-
FamRZ 1983, 48, 49 zur Privatschule).
Im vorliegenden Fall war daher zu prüfen, ob für die kostenauslösende Inan-spruchnahme eines privaten Lehrinstituts im Vergleich zu den schulischen [X.] so gewichtige Gründe vorliegen, dass es gerechtfertigt erscheint, die dadurch verursachten Mehrkosten zu Lasten der Antragsgegnerin als an-gemessene Kosten der Ausbildung im Sinne von §
1610 Abs.
2 BGB anzuer-kennen.

Auch diese Beurteilung obliegt im [X.] der tatrichterlichen Würdigung (vgl. Senatsurteil vom 3.
November 1982 -
IVb
ZR
324/81
-
FamRZ 1983, 48, 49). Das Beschwerdegericht hat -
auch insoweit dem Amtsgericht folgend
-
den Besuch eines privaten Förderunterrichtes insbesondere deshalb als gerechtfer-tigt angesehen, weil der Antragsteller bereits zwischen der fünften und siebten Klasse öffentliche Förderungsmaßnahmen durch Regionale Beratungs-
und Un-terstützungsstellen ([X.]) zur Behebung von Lese-
und Rechtschreibschwä-chen ohne besonderen Erfolg durchlaufen habe. Dies
hält sich im Rahmen ei-ner zulässigen tatrichterlichen
Überzeugungsbildung und ist daher aus Rechts-gründen
nicht zu beanstanden.
3.
Im Ausgangspunkt richtig ist die Annahme des [X.], dass für berechtigten
Mehrbedarf grundsätzlich beide Elternteile
anteilig
nach ihren Einkommensverhältnissen (Senatsurteil vom 5.
März 2008

XII
ZR
150/05
-
[X.], 1152 Rn.
28)
und nach den Maßstäben des §
1603 Abs.
1 BGB aufzukommen haben, so dass vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten
Einkünfte generell ein Sockelbetrag in 11

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-

Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen
ist (Senatsurteil vom 26.
November 2008
-
XII
ZR 65/07
-
FamRZ 2009, 962 Rn.
32).

4. Das Beschwerdegericht hat indessen das unterhaltsrechtlich zu be-rücksichtigende Einkommen des
Kindesvaters
nicht rechtsfehlerfrei ermittelt.
a) Das Beschwerdegericht legt seinen Berechnungen durchgehend
das von dem Kindesvater im Jahre 2011 erzielte monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 6.921

im Jahre 2012 entstandenen Kosten der LRS-Therapie des Antragstellers nicht mehr zutreffend, weil
sich das Einkommen des Kindesvaters nach den Feststel-lungen des [X.] im Jahre 2012 wegen der Zahlung einer Brutto-tantieme in Höhe von 12.000

b) Soweit das Beschwerdegericht das Nettoeinkommen des [X.] um den steuerlichen
Splittingvorteil
(richtig: um etwa die Hälfte des steuer-lichen Splittingvorteils)
in Höhe von 325

sei-ner Ehe
vorzubehalten sei, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Ein
vom Beschwerdegericht angenommenes Verbot der Teilhabe am steuerlichen Splittingvorteil besteht
beim
Kindesunterhalt -
um den es hier geht
-
nicht. Vielmehr gilt insofern der allgemeine Grundsatz, dass alle Einkom-mensbestandteile
und somit auch der Splittingvorteil für den Kindesunterhalt herangezogen werden können, und zwar sowohl bei der Ermittlung des Bedarfs nach §
1610 BGB als auch bei der Leistungsfähigkeit
nach §
1603 BGB (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 2.
Juni 2010 -
XII
ZR
160/08
-
FamRZ 2010, 1318 Rn.
18
ff. und [X.], 79 =
[X.], 2189 Rn.
16
ff.). Der aus der Ehe resultierende Splittingvorteil ist beim Kindesunterhalt immer dann uneinge-schränkt einkommenserhöhend zu berücksichtigen, wenn er auf dem
alleinigen
Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruht. Nur dann, wenn der Ehegatte des Unterhaltspflichtigen eigene steuerpflichtige Einkünfte bezieht, ist der Splitting-13

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vorteil -
insoweit zum Nachteil des Kindes
-
auf den Unterhaltspflichtigen und seinen Ehegatten zu verteilen
(vgl. Senatsurteil [X.], 79 =
[X.], 2189 Rn.
31), allerdings nicht nach einem Halbteilungsmaßstab, sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten (vgl. [X.]/[X.] 8.
Aufl. §
1 Rn.
977; Graba [X.], 2192; [X.] 2010, 363, 364).
c) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde ferner die Behandlung der von dem Kindesvater geltend gemachten Verbindlichkeiten für die Finanzierung des in seinem Eigentum stehenden Hauses. Das Beschwerdegericht hat vom Ein-kommen des Kindesvaters [X.] in Gesamthöhe von 2.199

e-setzt, ohne dabei zu berücksichtigen, dass den Belastungen ein Gegenwert durch den Vorteil mietfreien Wohnens gegenübersteht. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich bestritten, dass die von dem Kindesvater getragenen [X.] die Höhe des durch die Immobilie geschaffenen
Wohnwerts
übersteigen. Zur Höhe dieses Wohnwertes, der beim Kindesunterhalt grund-sätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete
zu bemessen ist
(Senatsurteil vom 17.
Mai 2006 -
XII
ZR
54/04
-
FamRZ 2006, 1100, 1104; vgl. allerdings auch Senatsurteil BGHZ 154,
247, 252
ff. =
[X.], 1179, 1180
f.), hat der für die Einkommensverhältnisse seines Vaters darlegungs-
und beweisbelastete Antragsteller bislang keinen Vortrag gehalten.
5. Auch die Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens aufseiten der Kindesmutter ist nicht frei von [X.]. Insoweit sieht der Senat ge-mäß §
74 Abs.
7 FamFG mit Blick auf den Senatsbeschluss vom heutigen
Tage in der Parallelsache XII
[X.]
297/12
von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung ab.
Der Senat macht von der Möglichkeit des §
74 Abs.
6 Satz
3 FamFG Gebrauch. Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht auch zu 16

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beachten haben, dass das Einkommen
des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsan-teilsberechnung um den geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist (vgl. [X.]/[X.] 8.
Aufl. §
2 Rn.
435).

Dose

Weber-Monecke

Schilling

Günter

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 23.11.2011 -
733 [X.]/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 25.04.2012 -
2 UF 3/12 -

Meta

XII ZB 298/12

10.07.2013

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.07.2013, Az. XII ZB 298/12 (REWIS RS 2013, 4257)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4257

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