Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.10.2021, Az. 7 B 1/21

7. Senat | REWIS RS 2021, 2001

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Gegenstand

Maßgeblicher Zeitpunkt für gerichtliche Überprüfung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 6. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein Naturschutzverband, wendet sich gegen eine mit [X.]escheid vom 29. Dezember 2016 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den [X.]etrieb von zwei Windenergieanlagen. Der Kläger macht insbesondere artenschutzrechtliche Verstöße zulasten des Rotmilans und des [X.] geltend.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die [X.]erufung der [X.]eigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die [X.]eschwerde des [X.].

II

4

1. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde bleibt erfolglos.

5

a) Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> und vom 21. Mai 2021 - 7 [X.] 14.20 - juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

6

Die Frage, ob

der Rechtssatz, dass für die gerichtliche Überprüfung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der [X.] zugrunde zu legen ist, wobei Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten eines Anlagenbetreibers bei der Überprüfung der Genehmigung im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten zu berücksichtigen sind, auch im Hinblick auf die Prüfung des Vorliegens von Verboten des Artenschutzrechts uneingeschränkt gilt,

ist auf der Grundlage der für den Senat - mangels einer (durchgreifenden) Verfahrensrüge - bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) hinsichtlich der Frage einer [X.]eeinträchtigung der Art Rotmilan schon nicht entscheidungserheblich, weil eine diesbezügliche Änderung der Sachlage nicht festgestellt worden ist. Vielmehr ordnet das [X.]erufungsgericht die aus einer nach [X.] erstellten weiteren Raumnutzungsanalyse vom 15. September 2020 gewonnenen Informationen zur Tötungsgefahr für den Rotmilan als nachträglich gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich der ursprünglichen Sachlage ein (UA S. 21).

7

b) Hinsichtlich einer etwaigen [X.]eeinträchtigung der Art Schwarzstorch stellt das Oberverwaltungsgericht fest, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein im Genehmigungsverfahren für weggefallen erachteter [X.] mehr als fünf Jahre nicht besetzt gewesen sei. Insoweit handele es sich um nachträglich gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich der Frage, ob im Zeitpunkt der [X.]ehördenentscheidung über die Genehmigung noch mit einer Wiederbesetzung des [X.]s zu rechnen gewesen sei ([X.] f.). Auch insoweit stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage zum Umgang mit Änderungen der Sach- oder Rechtslage auf der Grundlage der Feststellungen des [X.]erufungsgerichts nicht.

8

Allerdings legt das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung hinsichtlich des [X.] weiter zugrunde, dass im Jahr 2019 innerhalb des 1 000-Meter-[X.]ereichs der Windenergieanlagen ein Schwarzstorchhorst neu entdeckt worden sei. Gleichzeitig fehle es an Anhaltspunkten, dass der [X.] schon im Zeitpunkt der [X.] oder des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2018 vorhanden gewesen sei. Für den [X.]ereich zwischen 1 000 und 3 000 Meter um die Anlagen sei weder im Zeitpunkt der [X.] noch der Entscheidung über den Widerspruch ein Schwarzstorchhorst zu berücksichtigen gewesen ([X.]). Hiernach ist auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Feststellungen die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage mit [X.]lick auf den 2019 neu entdeckten Schwarzstorchhorst insoweit entscheidungserheblich, als es um die [X.]erücksichtigung von Änderungen der Sachlage zulasten des [X.]etreibers einer genehmigungspflichtigen Anlage - hier nach Erlass des Widerspruchsbescheides - geht.

9

c) Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass bei der Überprüfung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers - im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten - auch in Ansehung eines etwaigen Verstoßes gegen ein Verbot des § 44 Abs. 1 [X.]NatSchG zu berücksichtigen sind ([X.]VerwG, Urteil vom 26. September 2019 - 7 [X.] 5.18 - [X.]VerwGE 166, 321 Rn. 43 im [X.] an [X.]eschluss vom 23. April 1998 - 4 [X.] 40.98 - [X.]uchholz 406.11 § 9 [X.]auG[X.] Nr. 87 S. 43 f.; vgl. auch Urteil vom 27. August 2020 - 4 [X.] 1.19 - [X.]VerwGE 169, 207 Rn. 35). Erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. Der Kläger bezeichnet es vielmehr selbst als ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Inhaber einer ursprünglich rechtmäßigen Genehmigung eine gegenüber späteren nachteiligen Änderungen der Sach- oder Rechtslage in ihrem [X.]estand grundsätzlich geschützte Rechtsposition erlangt habe. Entgegen dem [X.]eschwerdevorbringen hat das Oberverwaltungsgericht die Frage nach der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigung nicht offen gelassen, sondern bejaht ([X.] , [X.] f. ).

2. Der Kläger weist darauf hin, die Entscheidung des [X.] so zu verstehen, dass es sich bei den nach der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gewonnenen weiteren Erkenntnissen hinsichtlich des Rotmilans um Erkenntnisse zur ursprünglichen Sachlage handele, mache diese aktenwidrig. Legte man diesen Hinweis als Verfahrensrüge aus (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), bliebe auch diese ohne Erfolg. (Vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) können einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme hiervon kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in [X.]etracht (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 12. Februar 2008 - 9 [X.] 70.07 - juris Rn. 2 und vom 2. Juli 2021 - 7 [X.] 15.20 - juris Rn. 3). Wird gerügt, das Gericht habe bei seiner Überzeugungsbildung gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, müssen jedoch die Aktenteile, aus denen der Verstoß abgeleitet wird, gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genau bezeichnet werden (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 12. Februar 2001 - 9 [X.] 3.01 - juris Rn. 7 und vom 28. November 2013 - 9 [X.] 14.13 - DV[X.]l 2014, 237 Rn. 28). Daran fehlt es hier schon im Ansatz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

7 B 1/21

08.10.2021

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 6. Oktober 2020, Az: 1 A 11357/19, Urteil

§ 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO, § 44 Abs 1 BNatSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.10.2021, Az. 7 B 1/21 (REWIS RS 2021, 2001)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2001

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11 K 2853/20

8 K 2112/19

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