Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.07.2016, Az. 2 StR 514/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8168

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Gegenstand

Verfahrenshindernis im Strafverfahren: Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen Übernahmebeschluss


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 29. April 2015  auch soweit es die Mitangeklagten [X.]und [X.]        betrifft mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten [X.]  , mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils, auch soweit es die Mitangeklagten [X.]     und [X.]       betrifft.

2

Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des angefochtenen Urteils hat ergeben, dass das [X.] das Verfahren 932 [X.]/14 jug [X.] nicht wirksam übernommen hat.

3

1. Nachdem das [X.] die alle drei Angeklagte betreffende Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit Beschluss vom 9. Oktober 2014 unverändert zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte, hat es das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 5. November 2014 gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 StPO dem [X.] zur Übernahme vorgelegt ([X.]. 144 ff.). Ein Übernahmebeschluss der [X.] in einer von allen mitwirkenden [X.]n unterzeichneten schriftlichen Fassung befindet sich nicht bei den Akten. Allerdings hat der Vorsitzende der [X.] mit Verfügung vom 11. November 2014 angeordnet, dem [X.], der Staatsanwaltschaft [X.] und den Verteidigern der Angeklagten mitzuteilen, dass „das Verfahren u. dem [X.] 12 [X.] hier übernommen wurde“ ([X.]). Mit Beschluss vom selben Tag hat die [X.] zudem einen - noch an das [X.] gerichteten - Antrag der Staatsanwaltschaft [X.] auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Mitangeklagten [X.]       zurückgewiesen.

4

2. Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juni 2011 - 3 StR 164/11, [X.], 46; vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 2 StR 106/11; [X.]/[X.] in: [X.], 5. Aufl., § 225a Rn. 30) Verfahrenshindernis, weil es an einem wirksamen Übernahmebeschluss fehlt.

5

Die Form des Übernahmebeschlusses, der den Eröffnungsbeschluss insoweit abändert, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 StPO im Verhältnis zu § 225a Abs. 3 Satz 1 StPO), und seine Anfechtbarkeit richten sich nach den für den Eröffnungsbeschluss geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Sätze 2 und 3 StPO). Ein ordnungsgemäßer Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst werden (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, [X.], 400, 401; Beschluss vom 3. April 2012 - 2 StR 46/12, [X.], 583, [X.]. [X.]); hingegen ist die Unterzeichnung eines solchen Beschlusses durch den oder die erlassenden [X.] keine Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. auch [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, [X.], 400 f. [X.]). Dies gilt auch für den Übernahmebeschluss (vgl. [X.], Urteil vom 23. April 2015 - 4 StR 603/14, [X.], 250, 251 [X.]). An einem schriftlich abgefassten Übernahmebeschluss fehlt es indes hier.

6

[X.] vom 11. November 2014 stellt - unbeschadet der äußeren Form und der fehlenden Unterschriften der beteiligten [X.] - keine hinreichend deutliche schriftliche Dokumentation des Willens der [X.] dar, das Verfahren zu übernehmen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Übernahmebeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens und aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl. auch BT-Drucks. 8/976, S. 49) ist eine schriftliche Niederlegung der - ggfls. mit Änderungen versehenen - Entscheidung erforderlich. Weder aus der Vorsitzendenverfügung vom 11. November 2014 noch aus oder in Verbindung mit dem am selben Tage gefassten, von allen drei mitwirkenden [X.]n unterzeichneten Beschluss der [X.] betreffend den Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Mitangeklagten [X.]       lässt sich dieses entnehmen.

7

Auf der Grundlage der dienstlichen Erklärungen der drei Berufsrichter steht zwar im Raum, dass die [X.] durch diese drei [X.] und damit in ordnungsgemäßer Besetzung die Übernahme des Verfahrens beschlossen und lediglich die schriftliche Abfassung dieser Entscheidung versäumt hatte. Ein solches Verfahren ersetzt jedoch nicht einen ordnungsmäßigen Übernahmebeschluss, zu dessen wesentlichen Förmlichkeiten jedenfalls die schriftliche Abfassung durch die mitwirkenden [X.] gehört.

8

3. Die Aufhebung des Urteils ist gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten zu erstrecken. Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn ein Urteil wegen Fehlens einer von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung aufgehoben wird (vgl. auch [X.], Beschluss vom 28. Januar 1986 - 1 [X.], [X.], 275, 276 [X.]).

9

4. Der Senat verweist die Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige [X.] des [X.]s zurück. Zwar ist das Verfahren bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] anhängig geblieben. Dieses Gericht hat aber nicht nur das Hauptverfahren eröffnet, sondern die Sache auch wirksam gemäß § 225a Abs. 1 Hs. 1 StPO dem [X.] zur Übernahme vorgelegt. In diesem Stadium befindet sich das Verfahren erneut nach der Aufhebung des Urteils durch den Senat. Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] (§ 354 Abs. 2 StPO) wird daher zunächst gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO über die Übernahme der Sache zu befinden haben (vgl. [X.], Urteil vom 23. April 2015 - 4 StR 603/14, [X.], 250, 251).

Appl                         Mutzbauer                        Eschelbach

                Ott                                 Zeng

Meta

2 StR 514/15

14.07.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 29. April 2015, Az: 12 KLs 264/14 jug

§ 207 Abs 1 StPO, § 225a Abs 3 S 2 StPO, § 225a Abs 3 S 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.07.2016, Az. 2 StR 514/15 (REWIS RS 2016, 8168)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8168

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