Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2022, Az. 6 StR 228/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 7049

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Betäubungsmittelstrafrecht: Anforderungen an die Darlegung von verschlüsselten Chatnachrichten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge und auf Verfahrensbeanstandungen gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Die Feststellungen entbehren einer tragfähigen Beweiswürdigung.

3

a) Nach den Urteilsgründen handelte der Angeklagte in der [X.] von März bis Mai 2020 in 13 – näher festgestellten – Fällen im Raum [X.] mit [X.] im [X.]. Über die Kommunikationsplattform „[X.]“ traf er jeweils mit seinem „Großhändler“ sowie seinen Abnehmern Abreden über Mengen und Preise sowie „Modalitäten der Abholung und Übergaben“. In der Beweiswürdigung hat die [X.] mitgeteilt, dass der Angeklagte geschwiegen habe, und ausgeführt: „Die Feststellungen zu Übergaben der Betäubungsmittel, der Art, der Mengen sowie der gezahlten Preise ergeben sich aus den im Wege des [X.] eingeführten Chats des [X.] Nutzers ‚P.    ‘.“

4

b) Diese Beweiswürdigung ist lückenhaft.

5

Ihr kann im Ausgangspunkt zwar noch die – sachlich-rechtlich nicht zu beanstandende – Zuordnung des maßgeblichen [X.] zum Angeklagten entnommen werden. Es fehlt aber an einer nachvollziehbaren Darstellung der dem Urteil zugrundeliegenden fallbezogenen Würdigung, die erkennen lässt, woraus das Tatgericht namentlich auf die Art der Tatbeteiligung, die [X.] sowie Art, Menge und Qualität gehandelter Betäubungsmittel jeweils konkret geschlossen hat.

6

Der pauschale Hinweis auf inhaltlich nicht näher beschriebene Chatnachrichten als Gegenstand eines [X.] (§ 249 Abs. 2 StPO) ersetzt die zumindest in Grundzügen notwendigen Darlegungen hierzu nicht. Zwar ist eine ausführliche Inhaltsangabe oder eine gar wörtliche Wiedergabe sämtlicher Chatprotokolle regelmäßig untunlich und kann die notwendige Darlegung der erforderlichen eigenverantwortlichen tatrichterlichen Beweiswürdigung nicht ersetzen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28. Mai 2013 – 3 [X.]; vom 23. April 1998 – 4 [X.], [X.], 277 mwN; vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.], NStZ-RR 2020, 28), sondern im Einzelfall sogar den Bestand eines Urteils gefährden (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Mai 2018 – 3 [X.]; vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.], NStZ-RR 2020, 28). Auch insoweit hat das Tatgericht eine wertende Auswahl zwischen [X.] und [X.] zu treffen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.], NStZ-RR 2020, 28; Urteil vom 7. August 2014 – 3 [X.]) und kann – gerade bei [X.] im Betäubungsmittelstrafrecht naheliegend – zur Straffung und gedanklichen Gliederung (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2020 – 2 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 9, Rn. 4 mwN) etwa mehrere Taten einende Gesichtspunkte der jeweils fallbezogenen Darstellung voranstellen, namentlich An- und Verkaufspreise sowie die Qualität gehandelter Betäubungsmittel. Hier fehlt es aber an jeder Darstellung der Nachrichteninhalte.

7

Vor dem Hintergrund der von den Tatbeteiligten ersichtlich verwendeten verschlüsselten Kommunikation mittels Codewörtern (vgl. [X.]) wäre zur revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit ferner eine Erläuterung zu erwarten gewesen, wie die Entschlüsselung der relevanten Passagen im Einzelnen vollzogen wurde und auf Grund welcher Erwägungen es zur Bewertung der Gesprächsinhalte gekommen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.], NStZ-RR 2020, 28). Überdies bleibt letztlich offen, ob die [X.] ihre Überzeugung von der erfolgreichen Abwicklung der mittels Chatnachrichten verabredeten [X.] darauf gestützt hat, dass im Nachgang eines telefonisch oder mittels Chatnachrichten vereinbarten Betäubungsmittelgeschäfts Beanstandungen der Beteiligten, etwa auch hinsichtlich Menge und Qualität des übergebenen Betäubungsmittels, ausgeblieben sind, was rechtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre.

8

2. Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf diesem Erörterungsmangel nicht auszuschließen (§ 337 StPO). Die Sache bedarf schon deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es des [X.] auf die Verfahrensrügen bedarf.

9

3. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:

a) Das neue Tatgericht wird bei der Bestimmung des [X.] der gehandelten Betäubungsmittel eingehender als bisher zu prüfen haben, wie tragfähig die Rückschlüsse aus der ein Jahr nach der letzten festgestellten Tat sichergestellten Betäubungsmittelmenge sind (UA S. 13).

b) Sollte der Angeklagte auch in der neuen Hauptverhandlung Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen verweigern, so müssen die Urteilsgründe zumindest das Bemühen des Tatgerichts erkennen lassen, auf anderem Wege ein Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten zu gewinnen (vgl. [X.], Urteil vom 31. August 1976 – 1 StR 473/76, NJW 1976, 2220; Beschluss vom 29. Juli 2021 – 1 [X.]).

Sander     

      

Feilcke     

      

Tiemann

      

Wenske     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 228/22

14.06.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 3. März 2022, Az: 46 KLs 14/21

§ 249 Abs 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2022, Az. 6 StR 228/22 (REWIS RS 2022, 7049)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7049

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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