Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2011, Az. 3 StR 208/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4242

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 208/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen

wegen

schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 2.
August 2011 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10.
Februar 2011 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstan-denen notwendigen Auslagen, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in acht Fällen, sexuellen Missbrauch eines Kindes in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, [X.] eingezogen und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwah-rung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge sowie eine [X.]
-
3
-
dung gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

Während der Schuld-
und Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hält die [X.] rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, die Anordnung verstoße ge-gen das Verbot der doppelten Bestrafung (Art.
103 Abs.
3 GG), weil der [X.] in seiner Entscheidung vom 17.
Dezember 2009 (NStZ 2010, 263) die Sicherungsverwahrung als Strafe eingeordnet habe; eine solche dürfe neben der erkannten Freiheitsstrafe nicht mehr verhängt werden.

Diese Einordnung der Sicherungsverwahrung hat der Gerichtshof im Zu-sammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§
66b StGB, §
7 Abs.
2 [X.]) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§
67d Abs.
3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art.
7 Abs.
1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach §
66 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 21.
Oktober 2010 -
Nr.
24478/03 G.

./. [X.] -
sowie Urteile vom 9.
Juni 2011 -
Nr. 30493/04 S.

./. [X.] -
und
31047/04 und 43386/08 M.

./. [X.]; vgl. schon [X.], Beschluss vom 27.
September 1995 -
2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122).

2. Hingegen bestehen gegen die Annahme eines Hangs im Sinne des §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB aF durchgreifende Bedenken. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand 2
3
4
5
-
4
-
des [X.], der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. [X.] ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegen-heit bietet, ebenso wie derjenige, der [X.] ist und aus innerer [X.] nicht zu widerstehen vermag ([X.], Urteil vom 17.
Dezem-ber 2009 -
3 StR 399/09). Das
Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des [X.] und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen ([X.],
Beschluss vom 27.
September 1994 -
4 [X.], [X.]R StGB §
66 Abs.
1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs.
2 und Abs.
3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und [X.] fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat (vgl. [X.], Urteil vom 15.
Februar 2011 -
1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204).

An dieser sorgfältigen Gesamtwürdigung fehlt es vorliegend. Es hätte der Würdigung auch all der Umstände bedurft, die das [X.] (ausschließ-lich) zur Begründung seiner Überzeugung angeführt hat, warum die bei dem Angeklagten festgestellte "homosexuelle Hauptströmung" mit einer "Präferenz auf vorpubertierende Jungen" nicht zu einer Einschränkung der Steuerungs-fähigkeit geführt hat. Die [X.] hat dabei
darauf abgestellt, dass der Angeklagte zwar in den Jahren 1978, 1981, 1983, 1986 und 1994 immer wieder
bestraft wurde, indes nach seiner letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Frühjahr 1997 beruflich einen Abschluss erlangte, wieder über längere Phasen hinweg arbeitete sowie mehrere Jahre eine auch sexuell erfüllte Beziehung zu einer erwachsenen Frau hatte. Auch nach deren Beendigung im Jahr 2003 ha-be er sich weitere sechs Jahre straffrei verhalten. Dies belege, dass der Ange-klagte grundsätzlich zu normgerechtem Verhalten fähig sei. Diese Umstände, 6
-
5
-
die das [X.] -
insoweit rechtsfehlerfrei -
bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erwogen hat, hätten auch bei der über einen Hang nach §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB der Erörterung bedurft.

3. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Land-gericht bei der auf §
66 Abs.
2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsver-wahrung des ihm dabei eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. [X.], [X.] vom 11.
September 2003 -
3
StR 481/02, [X.], 438). Dass das [X.] eine Ermessensentscheidung getroffen hat, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Der [X.] kann dies -
entgegen der Ansicht des [X.] -
auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht sicher entneh-men. Die Erwägungen des [X.]s zur möglicherweise eintretenden [X.] während des Strafvollzugs befinden sich in dem Abschnitt der Urteilsgründe, der sich mit der Gefährlichkeit des Angeklag-ten befasst. Sie schließen auch sprachlogisch ("") an die Darlegung der Gefahrenprognose an. Die dabei neben anderen zitierte Entscheidung ([X.], Urteil vom 19.
Juli 2005 -
4 [X.], [X.], 337) betrifft die Frage, unter welchen (außergewöhnlichen) Umständen bei der Prognose aus-nahmsweise auf den Zeitpunkt der Entlassung abgestellt werden kann.

Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten ([X.], Beschluss vom 21.
August 2003 -
3 [X.], [X.], 12).

4. Für das weitere Verfahren weist der [X.] auf Folgendes hin:

Durch das Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011
(2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Be-7
8
9
10
-
6
-
stimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art.
2 Abs.
2 Satz 2 GG i.V.m. Art.
104 Abs.
1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfas-sungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer [X.] durch den Gesetzgeber -
längstens bis 31. Mai 2013 -
nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es we-gen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt-
oder Sexualstraftaten aus konkreten Umstän-den in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist"
([X.] aaO Rn.
172).

Der [X.] versteht die vom [X.] geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung"
dahin, dass bei beiden Elementen der Gefähr-lichkeit -
mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. Mai 2011 -
4 [X.])
-
ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzule-gen ist. Hierzu im Einzelnen:

a) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt-
oder Sexualstraftaten"
in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkatalo-ge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden"
(vgl. §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB aF bzw. §
66 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 StGB), sind auch "schwere Gewalt-
oder Sexualstrafta-11
12
-
7
-
ten"
im Sinne der Maßgabe des [X.] zur Weitergeltung von §
66 StGB.

Nach Ansicht des [X.]s sind Fälle des schweren sexuellen [X.] von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) wegen der dafür angedrohten [X.] von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig [X.] psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstrafta-ten"
im vorstehenden Sinn anzusehen.

b) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus kon-kreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzulei-ten"
sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwür-digung des [X.] und seiner Taten". Der neue Tatrichter wird, sofern er erneut zur Feststellung eines Hangs gelangt, die Gefährlichkeit aus konkreten Um-ständen herleiten und sich dabei insbesondere auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte über einen langen Zeitraum straffrei verhal-ten hat.

VRi[X.] [X.] befindet Pfister Schäfer
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

Pfister

Mayer Menges
13
14

Meta

3 StR 208/11

02.08.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2011, Az. 3 StR 208/11 (REWIS RS 2011, 4242)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4242

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 208/11

1 StR 645/10

2 BvR 2365/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.