Bundessozialgericht, Urteil vom 15.06.2023, Az. B 9 SB 3/22 R

9. Senat | REWIS RS 2023, 7323

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Schwerbehindertenrecht - GdB-Herabsetzungsbescheid - Wirkung "ab Bekanntgabe" - Bestimmtheit -sozialrechtliches Verwaltungsverfahren


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. November 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grads der Behinderung (GdB) von 80 auf weniger als 50.

2

Mit Bescheid vom 21.3.2011 stellte der Beklagte bei dem Kläger nach einer Krebserkrankung einen GdB von 80 fest. Nach Überprüfung von Amts wegen hob er diesen Bescheid mit Wirkung "ab Bekanntgabe" auf und reduzierte den GdB auf 20 (Bescheid vom 19.6.2017). An welchem Tag der Herabsetzungsbescheid zur Post aufgegeben wurde, lässt sich den [X.] nicht entnehmen; an den Tag seines Zugangs vermag sich der Kläger nicht zu erinnern. Den auf den 14.7.2017 datierten Widerspruch des [X.] wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.11.2017).

3

Die hiergegen erhobene Klage hat das [X.] abgewiesen (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung des [X.] hat das L[X.] - wie vom ihm beantragt - das erstinstanzliche Urteil geändert und den Herabsetzungsbescheid aufgehoben, soweit darin unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 21.3.2011 ein GdB von weniger als 50 festgestellt worden ist (Urteil vom 25.11.2021). Der Herabsetzungsbescheid sei mangels hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig. [X.] Bestandteil der Feststellung eines GdB sei der Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit, weil dieser im Rechtsverkehr eine Dokumentationsfunktion gegenüber Dritten zukomme. Für den Adressaten und für Dritte müsse erkennbar sein, ab wann die Feststellung wirke. Nichts anderes gelte, wenn die Behörde die Rechtswirkungen entsprechender Feststellungen beseitigen wolle. Soweit der Beklagte angeordnet habe, die Herabsetzung gelte "ab Bekanntgabe", genüge der Bescheid diesen Anforderungen nicht. Der Zeitpunkt, ab dem die Herabsetzung gelten solle, sei ungewiss. Er könne weder anhand der Vorschrift des § 37 Abs 2 Satz 1 [X.]B X noch durch Auslegung ermittelt werden. Unabhängig davon erweise sich der streitgegenständliche Bescheid bereits deshalb als zu unbestimmt, weil es dem Beklagte nicht gelungen sei, den Zeitpunkt der Bekanntgabe, an den er die materielle Herabsetzungsentscheidung geknüpft habe, nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund könne es dahingestellt bleiben, ob die medizinischen Voraussetzungen für eine Herabsetzung des GdB vorgelegen hätten.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 33 Abs 1 [X.]B X. Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Herabsetzung lasse sich eindeutig durch Auslegung feststellen. Ein verständiger Empfänger müsse die Formulierung "ab Bekanntgabe" so verstehen, dass diese mit dem Zeitpunkt des Zugangs des Bescheids wirksam werden solle. Dieser Zeitpunkt sei für den Empfänger bestimmbar. Die Rechtsbehelfsbelehrung zur Berechnung der Widerspruchsfrist stelle darauf in gleicher Weise ab, ohne dass ein konkretes Datum benannt werden müsse. Wie der fristgemäß eingelegte Widerspruch belege, sei dem Kläger der Bescheid zugegangen; damit habe für ihn ein hinreichend bestimmter Zeitpunkt der Wirksamkeit festgestanden.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 25. November 2021 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 10. September 2019 zurückzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er bezieht sich auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Gründe des angefochtenen L[X.]-Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist iS der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G).

9

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des [X.], mit dem es auf die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]G) des [X.] das Urteil des [X.] geändert und den [X.] des Beklagten vom 19.6.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.11.2017 (§ 95 [X.]G) aufgehoben hat, soweit darin unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 21.3.2011 bei dem Kläger ein GdB von weniger als 50 festgestellt worden ist. Der [X.] kann mangels tatsächlicher Feststellungen des [X.] zu den gesundheitlichen Verhältnissen des [X.] nicht abschließend entscheiden, ob dies zu Recht erfolgt ist.

Rechtsgrundlage für die Herabsetzung des GdB ist § 48 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand eines behinderten Menschen ist ua dann auszugehen, wenn diese einen um wenigstens 10 veränderten [X.] rechtfertigt (vgl B[X.] Urteil vom 11.11.2004 - [X.] SB 1/03 R - juris Rd[X.]2; vgl auch Teil [X.] a der Anlage zu § 2 [X.] "Versorgungsmedizinische Grundsätze").

Der Bescheid vom 21.3.2011, mit dem der Beklagte den GdB des [X.] auf 80 festgesetzt hatte, ist ein Dauerverwaltungsakt (stRspr; zB B[X.] Urteil vom 11.8.2015 - [X.] S[X.]/15 R - [X.] 4-1300 § 48 [X.] Rd[X.]3 mwN). Diesen hat er nach Ablauf der Heilungsbewährung mit Bescheid vom 19.6.2017 wegen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse des [X.] für die Zukunft mit Wirkung "ab Bekanntgabe" aufgehoben. Der [X.] ist zwar gegenüber dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden (dazu unter 1.). Ob die Herabsetzung des GdB mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheids auch materiell rechtmäßig ist, kann der [X.] aber nicht abschließend beurteilen (dazu unter 2.).

1. Die im Bescheid vom 19.6.2017 verfügte Herabsetzung des GdB ist gemäß § 39 Abs 1 Satz 1 [X.]B X durch Bekanntgabe iS von § 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B X gegenüber dem Kläger spätestens am 14.7.2017 wirksam geworden.

Nach § 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt oder der von ihm betroffen wird. Ein Verwaltungsakt wird gemäß § 39 Abs 1 Satz 1 [X.]B X gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird nach § 39 Abs 1 Satz 2 [X.]B X mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Mit der Bekanntgabe wird der Verwaltungsakt sowohl für den Adressaten als auch für die erlassende Behörde bindend (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 10 EG 7/12 R - B[X.]E 114, 180 = [X.] 4-1300 § 31 [X.], Rd[X.]4; [X.]/[X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 39 Rd[X.] 4 und 8).

Der Begriff der "Bekanntgabe" ist gesetzlich nicht definiert. Dennoch ist er im [X.] ein feststehender Rechtsbegriff, der jedenfalls heute nicht mehr ungenau oder missverständlich (so bereits B[X.] Urteil vom 9.4.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 115, 288 = [X.] 4-1500 § 87 [X.], Rd[X.]1; anders noch B[X.] Urteil vom 27.9.1983 - 12 RK 75/82 - juris Rd[X.]4), sondern in Rechtsprechung und Schrifttum geklärt ist.

Danach ist die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts die zielgerichtete (willentliche) Mitteilung des Inhalts eines Verwaltungsakts durch die Behörde an den Adressaten (B[X.] Urteil vom 15.11.2016 - [X.] U 19/15 R - [X.] 4-2700 § 131 [X.] Rd[X.]5; B[X.] Urteil vom 9.4.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 115, 288 = [X.] 4-1500 § 87 [X.], Rd[X.]2; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 38 [X.] Rd[X.]2; B[X.] Urteil vom [X.] - B 10 EG 7/12 R - B[X.]E 114, 180 = [X.] 4-1300 § 31 [X.], Rd[X.]6; [X.] in Diering/[X.]/[X.], [X.]B X, 6. Aufl 2022, § 37 Rd[X.]; [X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 37 Rd[X.], jeweils mwN; ebenso zur Parallelbestimmung in § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz <[X.]> Baer in [X.]/[X.], [X.], § 41 Rd[X.]4, Stand August 2022, mwN).

Die Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolgt mit dessen Zugang. Unter Anwesenden ist dies die Übergabe des Verwaltungsakts an den Adressaten. Unter Abwesenden ist ein Verwaltungsakt nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung (zB B[X.] Urteil vom [X.] - B 10 EG 7/12 R - B[X.]E 114, 180 = [X.] 4-1300 § 31 [X.], Rd[X.]6; B[X.] Urteil vom 3.6.2004 - B 11 AL 71/03 R - juris Rd[X.]4; ebenso BVerwG Beschluss vom 22.2.1994 - 4 [X.]12.93 - juris Rd[X.] zur Parallelbestimmung in § 41 [X.]; [X.] - [X.]/97 - [X.], 292 - juris Rd[X.]9 zur Parallelbestimmung in § 122 Abgabenordnung <[X.]>, jeweils mwN) und Schrifttum (zB [X.] in Diering/[X.]/[X.], [X.]B X, 6. Aufl 2022, § 37 Rd[X.] 4; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]B X, Stand 21.12.2020, § 37 Rd[X.]4 f; [X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 37 Rd[X.]; ebenso [X.] in [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2023, § 41 Rd[X.]; [X.] in [X.], [X.], 16. Aufl 2022, § 122 Rd[X.] 5 und 10, jeweils mwN) zugegangen, wenn er so in den Bereich des Adressaten (Empfängers) gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat. Auf dessen tatsächliche Kenntnisnahme kommt es für den Zugang und damit die Bekanntgabe nicht an (B[X.] Urteil vom 9.4.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 115, 288 = [X.] 4-1500 § 87 [X.], Rd[X.]2; [X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 37 Rd[X.]).

Erfolgt die Bekanntgabe des Verwaltungsakts wie hier mit einfachem Brief, so gilt ein Verwaltungsakt gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 [X.]B X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 37 Abs 2 Satz 3 [X.]B X ). Diese der Verwaltungsvereinfachung (vgl hierzu B[X.] Urteil vom 10.3.2022 - B 1 KR 6/21 R - [X.] 4-2500 § 13 [X.] Rd[X.]3 mwN; vgl auch bereits B[X.] Urteil vom 19.3.1957 - 10 RV 609/56 - B[X.]E 5, 53 - juris Rd[X.]5) dienende [X.] oder Zugangsfiktion (beide Begriffe werden synonym verwendet s zB einerseits B[X.] Urteil vom 10.3.2022 - B 1 KR 6/21 R - [X.] 4-2500 § 13 [X.] Rd[X.]1 und andererseits B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] AS 12/09 R - [X.] 4-1300 § 37 [X.] Rd[X.]0) greift aber nur, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den [X.] vermerkt wurde (vgl B[X.] Urteil vom 3.3.2009 - [X.] AS 37/08 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.]5 Rd[X.]7; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] U 33/05 R - B[X.]E 97, 279 = [X.] 4-2700 § 136 [X.], Rd[X.]5; [X.] in Diering/[X.]/[X.], [X.]B X, 6. Aufl 2022, § 37 Rd[X.]1; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]B X, Stand 21.12.2020, § 37 Rd[X.] 97; [X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 37 Rd[X.]9). Dies ist hier nach den Feststellungen des [X.] nicht geschehen. Deshalb gelten im Fall des [X.] für die Bekanntgabe des [X.]s die vorgenannten allgemeinen Maßstäbe.

Danach ist auf Grundlage der für den [X.] bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (vgl § 163 [X.]G) der [X.] vom 19.6.2017 spätestens am 14.7.2017 dem Kläger iS des § 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B X bekannt gegeben und damit nach § 39 Abs 1 Satz 1 [X.]B X wirksam geworden. Denn spätestens an diesem Tag muss der [X.] in seinen tatsächlichen [X.] gelangt sein, weil der Kläger unter diesem Datum Widerspruch eingereicht hat.

2. Ob der [X.] des Beklagten vom 19.6.2017 materiell rechtmäßig ist, kann der [X.] nicht abschließend beurteilen.

Zwar genügt er entgegen der Ansicht des [X.] hinsichtlich des verfügten Wirksamkeitszeitpunkts den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit von Verwaltungsakten (dazu unter a). Ob die Herabsetzung des GdB im Übrigen materiell rechtmäßig ist, kann der [X.] aber mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des [X.] zu den gesundheitlichen Verhältnissen des [X.] nicht entscheiden (dazu unter b).

a) Der Bescheid ist inhaltlich hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 [X.]B X (dazu allgemein unter aa), obwohl er kein konkretes Datum des Beginns seiner Wirksamkeit benennt, sondern insoweit lediglich auf seine Bekanntgabe verweist (dazu unter bb).

aa) Nach § 33 Abs 1 [X.]B X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts (B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 114, 188 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]5; B[X.] Urteil vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 112, 221 = [X.] 4-1300 § 45 [X.]2, Rd[X.]6) verlangt, dass dessen [X.] nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und sich aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers in der Position des Betroffenen (objektiver Empfängerhorizont) vollständig, klar und eindeutig ergeben muss, was die Behörde in welchem Umfang und für welchen Zeitraum will (stRspr; zB B[X.] Urteil vom 25. 10. 2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.]9 Rd[X.]7; B[X.] Urteil vom 17.12.2009 - [X.] [X.]0/09 R - B[X.]E 105, 194 = [X.] 4-4200 § 31 [X.], Rd[X.]3; B[X.] Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - B[X.]E 67, 104 = [X.] 3-1300 § 32 - juris Rd[X.]). Unklarheiten gehen insoweit zu Lasten der Behörde (B[X.] Urteil vom 3.4.2014 - [X.] U 25/12 R - B[X.]E 115, 256 = [X.] 4-2700 § 136 [X.], Rd[X.]5; B[X.] Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - B[X.]E 67, 104 = [X.] 3-1300 § 32 [X.] - juris Rd[X.]).

Die Anforderungen an die notwendige inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr; zB B[X.] Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - B[X.]E 123, 293 = [X.] 4-2500 § 13 [X.]6, Rd[X.]7 mwN). [X.] ist, wenn der Regelungsgehalt des [X.]es anhand der Begründung des Verwaltungsakts einschließlich seiner Anlagen, unter Rückgriff auf frühere Bescheide oder auf allgemein zugängliche Unterlagen durch Auslegung ermittelt werden muss (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 6.3.2020 - [X.] SB 86/19 B - juris Rd[X.]; B[X.] Urteil vom 25.10.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.]9 Rd[X.]7). Diese Auslegungsmöglichkeiten finden ihre Grenze allerdings dort, wo auch nach methodengerechter Auslegung mehrere Deutungsmöglichkeiten verbleiben und es allein dem Adressaten überlassen bleibt, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang einer Regelung zu bestimmen. Denn die in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Behörde ist verpflichtet, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (B[X.] Urteil vom 29.11.2012 - [X.] AS 196/11 R - [X.] 4-1300 § 33 [X.] Rd[X.]6 mwN; s auch B[X.] Urteil vom 25.10.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.]9 Rd[X.]3 mwN).

Zur Auslegung von Verwaltungsakten ist auch das B[X.] als Revisionsgericht berufen; es ist befugt, den Inhalt von Verwaltungsakten selbstständig und damit gegebenenfalls sogar abweichend von den Vorinstanzen auszulegen (stRspr; zB B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] 4-3100 § 18a [X.] - juris Rd[X.]0; B[X.] Urteil vom 28.6.2022 - [X.] U 9/20 R - juris Rd[X.]5; B[X.] Urteil vom 25.10.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.]9 Rd[X.]4).

bb) Gemessen an diesen Vorgaben genügt der [X.] des Beklagten vom 19.6.2017 auch hinsichtlich seines Wirksamkeitszeitpunkts den Anforderungen des § 33 Abs 1 [X.]B X an die inhaltliche Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Der Kläger konnte bei verständiger Würdigung des Bescheids erkennen und feststellen, ab wann die darin verfügte Herabsetzung des GdB wirksam werden sollte.

Entgegen der Ansicht des [X.] ist ein [X.] nicht deshalb zu unbestimmt, weil er für den Beginn der Herabsetzung des GdB kein konkretes Datum benennt, sondern vielmehr festlegt, dass diese ab Bekanntgabe des Bescheids wirksam sein soll. Denn der Beklagte hat damit gegenüber dem Kläger lediglich iS von § 31 Satz 1 [X.]B X für dessen Einzelfall geregelt, was von Gesetzes wegen ohnehin nach der Grundregel des § 39 Abs 1 Satz 1 [X.]B X gegolten hätte.

(1) Der [X.] hat bereits in seinen Entscheidungen zur zeitlichen Teilbarkeit eines Verwaltungsakts (Urteil vom 21.12.2022 - [X.] SB 3/20 R - juris Rd[X.]5; Urteil vom 16.12.2021 - [X.] SB 6/19 R - [X.] 4-1300 § 48 [X.] Rd[X.]9, 31; Urteil vom 16.12.2021 - [X.] SB 7/19 R - juris Rd[X.]7, 21 ff, 29) eine Herabsetzung des GdB für die Zukunft "ab Bekanntgabe" iS von § 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B X für zulässig erachtet. Zur Frage der Wirksamkeit der Herabsetzung mit der Bekanntgabe des Bescheids nach § 39 Abs 1 Satz 1 [X.]B X hat er ausgeführt, dass dieser Zeitpunkt - soweit notwendig - von den Gerichten zu ermitteln und festzustellen ist (vgl B[X.] Urteil vom 21.12.2022 - [X.] SB 3/20 R - juris Rd[X.]1). Im Übrigen zeigt auch schon der Rechtsgedanke des § 32 Abs 2 [X.] [X.]B X, dass der Inhalt eines Verwaltungsakts bei Erlass von dem "ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses" abhängen kann, ohne zu unbestimmt iS des § 33 Abs 1 [X.]B X zu sein.

(2) Der Bedeutungsgehalt des Begriffs "Bekanntgabe" ist für einen verständigen Bescheidempfänger zu erkennen. Dieser Begriff ist - wie oben unter 1. aufgezeigt - in Rechtsprechung und Schrifttum zu §§ 37 Abs 1 Satz 1, 39 Abs 1 [X.]B X geklärt. Die Annahme, der Beklagte wolle diesen Begriff im [X.] des [X.]s anders verstanden wissen, ist daher fernliegend. Vielmehr ist die Bekanntgabe - wie oben unter 1. ebenfalls ausgeführt - mit dem Zugang des Verwaltungsakts vollzogen. Bei schriftlichen Verwaltungsakten wird der Zugang durch die Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über das den Verwaltungsakt verkörpernde Schriftstück bewirkt, sobald unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Diesen Zeitpunkt kann ein verständiger Empfänger regelmäßig ohne Weiteres erkennen oder sich diese Kenntnis jedenfalls mit zumutbarem Aufwand verschaffen.

Die Verknüpfung der Wirksamkeit des [X.]s mit dessen Bekanntgabe stellt diese auch keineswegs zur Disposition des Adressaten. Als tatsächliches Ereignis steht die Bekanntgabe nicht in dessen Belieben. Er kann den Zugang insbesondere nicht dadurch vereiteln, dass er die Kenntnisnahme des in seinen Machtbereich gelangten Verwaltungsakts verweigert oder unterlässt. Zudem besteht grundsätzlich eine Obliegenheit, Bescheide zu lesen und deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen (B[X.] Urteil vom [X.] - B 10 EG 7/12 R - B[X.]E 114, 180 = [X.] 4-1300 § 31 [X.], Rd[X.]6).

(3) Die fehlende Erkennbarkeit des genauen Zeitpunkts der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts für Dritte, der - wie hier - die Herabsetzung des GdB mit seiner Bekanntgabe wirksam werden lässt, hat keine Auswirkungen auf dessen hinreichende inhaltliche Bestimmtheit. Denn der Adressat kann den [X.] und Wirksamkeitszeitpunkt des an ihn gerichteten Bescheids bei Erhalt - wie oben ausgeführt - im Regelfall ohne Weiteres feststellen und deshalb auch Dritten mitteilen.

Das zugrunde liegende materielle Recht verlangt nach § 69 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]B IX in seiner hier noch maßgeblichen bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung des [X.] ([X.] 1046; seit 1.1.2018 § 152 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]B IX in der Fassung des [X.], [X.] 3234), dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB "zum Zeitpunkt der Antragstellung" oder "zu einem früheren Zeitpunkt" feststellen. Denn diese Feststellungen dienen der Inanspruchnahme einer Vielzahl von konkreten Leistungsansprüchen und Vergünstigungen aus zahlreichen unterschiedlichen Vorschriften auch außerhalb des Schwerbehindertenrechts. Ohne eine echte Drittwirkung zu entfalten, binden sie zu diesem Zweck ua auch andere Behörden, etwa Finanzämter bei der Gewährung des [X.] für behinderte Menschen nach § 33b Einkommensteuergesetz oder Jobcenter bei der Anerkennung von Mehrbedarfen nach § 21 Abs 4, § 23 [X.] [X.]B II (vgl B[X.] Urteil vom 16.12.2014 - [X.] SB 3/13 R - [X.] 4-1200 § 66 [X.] Rd[X.]1; BVerwG Urteil vom 12.7.2012 - 5 C 16.11 - BVerwGE 143, 325 - juris Rd[X.]1).

Im Fall einer Herabsetzung wegen einer Änderung der Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 Satz 1 [X.]B X, insbesondere wenn der GdB auf weniger als 50 absinkt und damit die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 [X.]B IX entfallen, obliegt es dem Adressaten eines [X.]s im Rahmen seiner jeweiligen Mitwirkungspflichten - etwa nach § 60 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B I oder nach § 90 Abs 1 [X.] - diesen Behörden den Zeitpunkt der Wirksamkeit der im Bescheid verfügten Herabsetzung des GdB mitzuteilen. Entsprechendes kann zB auch gegenüber einem Arbeitgeber gelten. Denn hat der Arbeitnehmer bei Einstellung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung mitgeteilt, so trifft ihn die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Arbeitgeber zu informieren, wenn sich der GdB so ändert, dass der Status als schwerbehinderter Mensch entfällt ([X.] Landesarbeitsgericht Urteil vom 8.8.2018 - 13 Sa 1237/17 - juris Rd[X.]). Mit dem Verlust des Status als schwerbehinderter Mensch verliert der Betroffene nämlich alle daraus folgenden Rechte und Vergünstigungen. Der Status des Schwerbehinderten beginnt grundsätzlich mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 2 [X.]B IX (vgl stRspr; zB B[X.] Urteil vom 7.11.2001 - [X.] SB 3/01 R - B[X.]E 89, 79 = [X.] 3-3870 § 59 [X.] - juris Rd[X.]5; BVerwG Urteil vom 12.7.2012 - 5 C 16.11 - BVerwGE 143, 325 - juris Rd[X.]0; [X.] Urteil vom 13.2.2008 - 2 AZR 864/06 - [X.]E 125, 345 - juris Rd[X.]6); er endet aber trotz Wegfalls dieser Voraussetzungen erst am Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheids (§ 199 Abs 1 [X.]B IX; sog Schon-, Auslauf- oder Nachfrist; vgl hierzu [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]B IX, 6. Aufl 2022, § 199 Rd[X.]; [X.] in [X.], [X.], 19. Aufl 2021, § 178 Rd[X.]8).

(4) [X.] für die Beurteilung der Bestimmtheit des [X.]s des Beklagten vom 19.6.2017 ist auch, dass der genaue Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegenüber dem Kläger nicht mehr rekonstruiert werden kann, weil dieser sich nicht mehr an den [X.] erinnern und der Beklagte ihn nicht nachweisen kann. Dies hat lediglich zur Folge, dass der Zeitpunkt der tatsächlichen und der Zeitpunkt der beweisbaren Bekanntgabe auseinanderfallen.

Zwar wirft eine solche Konstellation Fragen nach den an den Wirksamkeitszeitpunkt anknüpfenden Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen dem Adressaten, der den Bescheid ausstellenden Behörde und den auf die Information über diesen Zeitpunkt angewiesenen Dritten auf. Die damit zusammenhängenden Fragen betreffen aber lediglich die Beweisebene und sind von derjenigen nach der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit des [X.]s zu trennen. Die Folgen der Beweislosigkeit des Zugangszeitpunkts trägt derjenige, der sich auf einen bestimmten Zeitpunkt beruft (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] 4-2600 § 115 [X.] Rd[X.]0; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]B X, Stand 21.12.2020, § 37 Rd[X.] 97). Steht - wie hier - lediglich fest, dass der Bescheid dem Adressaten zu einem bestimmten Zeitpunkt zugegangen und damit iS des § 37 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 [X.]B X bekannt gegeben sein muss, so entsteht dem Betroffenen hieraus kein Nachteil. Vielmehr verringert sich ihm gegenüber die Eingriffsintensität des Verwaltungsakts, weil er die ursprüngliche Feststellung eines höheren GdB und die davon (insbesondere vom Status als schwerbehinderter Mensch) abhängige Leistungsgewährung durch Dritte möglicherweise für einen - regelmäßig allerdings nur geringfügig - längeren Zeitraum beanspruchen kann.

(5) Schließlich stellt auch die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs 2 Satz 1 [X.]B X, die im Fall des [X.] ohnehin nicht greift (s oben unter 1.), die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nicht infrage, dessen Wirksamkeitsbeginn an die Bekanntgabe geknüpft ist. Die diese Fiktion auslösenden äußeren Umstände, insbesondere der notwendige Vermerk der Aufgabe des den Verwaltungsakt verkörpernden Schriftstücks zur Post in den [X.], lassen sich im Zweifelsfall eindeutig feststellen. Dies macht den [X.] ("dritter Tag" nach der Aufgabe zur Post) hinreichend bestimmbar. Ohnehin bleibt es dem [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 3 [X.]B X unbenommen, die Bekanntgabefiktion durch substantiierten Vortrag zur Möglichkeit eines späteren Zugangs zu erschüttern (vgl [X.] in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 37 Rd[X.]3).

b) Ob die Herabsetzung des GdB des [X.] mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheids vom 19.6.2017 im Übrigen materiell rechtmäßig ist, kann der [X.] mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den gesundheitlichen Verhältnissen des [X.] nicht entscheiden. Zu solchen Feststellungen hatte das [X.] - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - auch keinen Anlass. Es wird diese im wieder eröffneten Berufungsverfahren nunmehr nachholen müssen.

B. Das [X.] wird zudem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

        

Kaltenstein

Othmer

Röhl   

Meta

B 9 SB 3/22 R

15.06.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Potsdam, 10. September 2019, Az: S 5 SB 369/17, Urteil

§ 33 SGB 10, § 37 SGB 10, § 48 SGB 10, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.06.2023, Az. B 9 SB 3/22 R (REWIS RS 2023, 7323)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7323

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