Bundessozialgericht, Urteil vom 29.08.2012, Az. B 10 EG 7/11 R

10. Senat | REWIS RS 2012, 3592

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Elterngeld - Anspruchsvoraussetzung - Ausübung keiner oder keiner vollen Erwerbstätigkeit - Freistellung durch den Arbeitgeber - Fehlen tatsächlicher Arbeitsleistung


Leitsatz

Wer aufgrund einer Freistellung von der Arbeitsleistung durch seinen Arbeitgeber seiner Arbeit tatsächlich nicht nachgeht, übt im Sinne des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG keine Erwerbstätigkeit aus.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 12. April 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat ihres am 4.6.2010 geborenen [X.] M.

2

Die Klägerin übte in den zwölf Monaten vor dem Monat der Geburt des [X.] eine Vollzeitbeschäftigung als Bankfachwirtin bei der [X.] (Arbeitgeber) mit einem monatlichen Bruttogehalt von rund 5000 Euro aus. Am 22.11.2009 schloss sie mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis am 31.12.2010 endete. Für die [X.] vom 4. bis 15.1.2010 wurde Urlaub vereinbart. Vom 18.1. bis [X.] wurde die Klägerin widerruflich, vom 1.4. bis 31.12.2010 unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt. Ferner wurde die Zahlung des vollen Gehalts an die Klägerin bis zu ihrem Ausscheiden (31.12.2010) vereinbart. Mutterschaftsgeld bezog die Klägerin nicht.

3

Auf ihren am [X.] gestellten Leistungsantrag, mit dem die Klägerin Elterngeld für den 2. bis 4. sowie den 6. bis 14. Lebensmonat des Kindes beanspruchte, bewilligte ihr die beklagte [X.] mit Bescheid vom [X.] Elterngeld für den 8. bis 14. Lebensmonat in Höhe des Höchstbetrages von 1800 Euro monatlich. Für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat - also für die [X.]räume vom 4.7. bis 3.10.2010 und vom [X.] bis 3.1.2011 - lehnte die Beklagte die Gewährung von Elterngeld ab, weil die Klägerin insoweit ohne Arbeitsleistung über ihr volles Arbeitseinkommen verfügt habe. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom [X.] zurück.

4

Mit ihrer daraufhin beim [X.] ([X.]) erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung von Elterngeld in Höhe des monatlichen Grundbetrages von 300 Euro für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat ihres [X.] beansprucht. Sie hat die Auffassung vertreten, wegen der Freistellung von der Arbeitsleistung habe sie in den streitigen [X.]räumen gemäß § 1 Abs 1 [X.] Bundeselterngeld- und [X.] ([X.]) keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt.

5

Das [X.] hat die Klage - unter Zulassung der Sprungrevision - durch Urteil vom [X.] abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

6

Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 [X.] [X.] wonach Anspruch auf Elterngeld habe, wer - neben den erfüllten Voraussetzungen der [X.] bis 3 des § 1 Abs 1 [X.] - keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübe, lägen nicht vor. Die Klägerin habe vielmehr in einem Arbeitsverhältnis gestanden und sei voll erwerbstätig gewesen. Ihr Anstellungsvertrag habe bis zum 31.12.2010 bestanden; sie habe eine monatliche Vergütung von 5089 Euro erhalten. Der Umstand der Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 [X.] [X.] nicht. Der dort verwendete Begriff "ausübt" habe keine eigenständige Bedeutung, sondern diene lediglich der sprachlichen Einbettung des maßgeblichen Begriffs der Erwerbstätigkeit. Der Gesetzgeber wolle nur solche Personen zum Elterngeld zulassen, die nicht oder nicht voll erwerbstätig seien. Das Gesetz bezwecke, Eltern den [X.] weitgehend auszugleichen. Erwerbstätigkeit meine allgemein eine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit. Allein das tatsächliche Fehlen des Tätigseins, des Ausübens einer Arbeitsleistung, lasse die "Erwerbstätigkeit" noch nicht entfallen und führe nicht bereits deshalb zum Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs 1 [X.] [X.]. Gehe ein Elternteil nach der Geburt des Kindes einer den [X.] ausschließenden Beschäftigung nach, so könne er für die [X.] des Urlaubs oder der Krankheit nicht Elterngeld verlangen mit der Begründung, dass er in dieser [X.] keine Erwerbstätigkeit "ausübt". Gleiches gelte für die [X.] der Freistellung von der Arbeitspflicht unter Beibehaltung des Vergütungsanspruchs.

7

Soweit sich die Klägerin für ihre Rechtsauffassung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (B[X.]) vom 10.2.2005 ([X.] EG 5/03 R) berufe, lasse sich daraus für ihren Anspruch auf Elterngeld in der Freistellungsphase nichts herleiten. Das B[X.] habe sich in dem Urteil mit der Arbeitszeit von Lehrern unter besonderer Berücksichtigung von Stillzeiten, Unterrichtspflichtstunden und dem [X.]aufwand für die Erledigung sonstiger berufstypischer Aufgaben auseinandergesetzt, um entscheiden zu können, ob und wann ein Lehrer die Grenze nicht voller Erwerbstätigkeit iS von § 2 Abs 1 [X.] Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) unterschreite und dadurch die Anspruchsvoraussetzungen erfülle. Das B[X.] habe dabei an den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit, wie er sich aus dem Arbeitsvertrag oder aus der Natur der Sache ergebe, angeknüpft. Die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit der Klägerin habe hier 40 Stunden pro Woche betragen. Es handele sich nach dem Arbeitsvertrag also um ein Vollzeitarbeitsverhältnis, um eine Vollzeiterwerbstätigkeit. Diese habe nicht nur bis zum [X.], sondern auch darüber hinaus während des Urlaubs, während der widerruflichen Freistellungsphase und auch während der unwiderruflichen Freistellungsphase bestanden. Daraus folge, dass die Klägerin auch in der [X.] nach der Geburt des Kindes bis zum 31.12.2010 eine (volle) Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, was ihrem hier geltend gemachten Anspruch entgegenstehe.

8

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen Rechts: Zunächst sei § 1 Abs 1 [X.] iVm Abs 6 [X.] verletzt. Diese Vorschriften stellten auf die tatsächliche Arbeitsleistung ab. Ihre tatsächliche Arbeitszeit habe im streitigen [X.]raum aber null Arbeitsstunden betragen. Erwerbstätigkeit meine eine allgemeine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit. Die vorrangige sprachliche Auslegung des Begriffes "Ausübung einer Erwerbstätigkeit" im Zusammenhang mit § 1 Abs 6 [X.] verlange nach der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit. Diese sei aber bei einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses nicht mehr gegeben.

9

Die Gestaltung der unwiderruflichen Freistellung im streitigen [X.]raum könne insoweit nicht mit einem dem Anspruch schädlichen bezahlten Erholungsurlaub innerhalb eines Anstellungsverhältnisses gleichgesetzt werden. Bei einem Urlaub handele es sich um bezahlte Freizeit, die der Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dienen solle. Während des Urlaubs dürfe der Arbeitnehmer deshalb keine dem [X.] widersprechende Erwerbstätigkeit leisten. Bei der vorliegenden unwiderruflichen Freistellung bis zum Ende des Anstellungsverhältnisses sei dies gerade nicht der Fall. Es werde keine Erwerbstätigkeit mehr für den bisherigen Arbeitgeber ausgeübt. Eine andere Erwerbstätigkeit sei hingegen statthaft. Es fehle an einer Erwerbstätigkeit, wenn das Beschäftigungsverhältnis - wie hier - zwar nicht beendet werde, aber die Hauptpflicht der Arbeitsleistung dauerhaft und bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses ruhe. Aufgrund der unwiderruflichen Freistellung mit Wirkung ab dem 1.4.2010 habe der Arbeitgeber keinen Anspruch mehr darauf gehabt, dass sie eine Erwerbstätigkeit für sein Unternehmen fortsetze.

Die unwiderrufliche Freistellung der Klägerin gründe zudem nicht auf ihrem Anstellungsvertrag, sondern originär auf dem Aufhebungsvertrag vom [X.] Hinzu komme, dass ihr damaliger Arbeitgeber seine Niederlassung in A. Ende März 2010 vollständig geschlossen habe, sodass ihr auch tatsächlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für den Arbeitgeber unmöglich geworden sei. Von der Ausübung einer (vollen) Erwerbstätigkeit könne deshalb nicht ausgegangen werden. Die gegenteilige Auffassung des [X.] überdehne die Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs 1 [X.] [X.] in unzulässiger Weise.

Der Auffassung des [X.] gegenüber stehe auch der Zweck des Anspruches auf Elterngeld, dass nämlich ein Kind selbst betreut und erzogen werde. Allein der Bezug von Einkommen sei für einen Anspruchsausschluss nicht maßgeblich. Durch die Anspruchsvoraussetzung "wer keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt" solle sichergestellt werden, dass der "Pflege und Betreuung des Kindes" Vorrang vor der Erwerbstätigkeit eingeräumt werde. Diese Voraussetzung sichere also vor allem die Einhaltung der in § 1 Abs 1 [X.] [X.] enthaltenen Forderung, das Kind selbst zu betreuen und zu erziehen. Das, was nicht als volle Erwerbstätigkeit zu verstehen sei, beschreibe § 1 Abs 6 [X.]. Hier sei entscheidend, dass sie aufgrund der unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses eine volle Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgeübt habe, weil sie sich vollständig der Pflege und Betreuung des Kindes gewidmet habe. Dieser Fall unterscheide sich rechtserheblich von der Konstellation, in der lediglich das tatsächliche Fehlen einer Tätigkeit festzustellen sei wie zB bei Urlaub oder vorrübergehender Arbeitsunfähigkeit.

Die Auslegung des [X.] und der Beklagten sei auch vom [X.] des [X.] nicht gedeckt. Denn durch die Regelung des § 2 Abs 5 [X.] sei klargestellt, dass Elterngeld - bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Grunde nach - mindestens in Höhe von 300 Euro monatlich gezahlt werde. Insoweit habe das Elterngeld nicht den Charakter einer Einkommensersatzleistung, sondern trage Züge einer Sozialleistung. Die Fortzahlung ihrer Bezüge stehe dem nicht entgegen, da es hier nicht um eine Anrechnung nach dem [X.] gehe, sondern um den Mindestanspruch nach § 2 Abs 5 [X.].

Neben der zu beanstandenden Auslegung von § 1 Abs 1 [X.] [X.] werde weiter gerügt, dass das erstinstanzliche Urteil keine Feststellungen dahingehend getroffen habe, dass ihr Arbeitgeber seine Niederlassung in A. Ende März 2010 vollständig geschlossen habe, sodass ihr auch tatsächlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für den Arbeitgeber unmöglich geworden sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] Aachen vom [X.] aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] zu verurteilen, ihr für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat ihres am 4.6.2010 geborenen [X.] Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 161 [X.]G statthaft, weil sie vom [X.] im angefochtenen Urteil zugelassen worden ist. Die Klägerin hat die Sprungrevision auch unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Formen und Fristen eingelegt und begründet. Die Revisionsbegründung erfüllt die Anforderungen des § 164 Abs 2 [X.] [X.]G.

Die Revision ist insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] führt.

Der Sachentscheidung des Senats stehen keine Hindernisse entgegen. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 [X.]G) ist zulässig. Insbesondere ist das gemäß § 78 [X.]G erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.10.2010, soweit darin die Ablehnung der Bewilligung von Elterngeld für den 2. bis 4. und den 6. und 7. Lebensmonat des am 4.6.2010 geborenen Kindes (also die [X.]räume vom 4.7. bis 3.10.2010 und 4.11.2010 bis 3.1.2011) geregelt ist. Soweit der Klägerin in demselben Bescheid Elterngeld für den 8. bis 14. Lebensmonat zugesprochen worden ist, ist er nicht angefochten und damit bindend (§ 77 [X.]G).

Ob die Anfechtungsklage und die zugleich geführte Leistungsklage auf Bewilligung von Elterngeld für die streitigen [X.]räume in Höhe von monatlich 300 Euro begründet ist, kann wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des [X.] noch nicht abschließend beurteilt werden. Der Anspruch der Klägerin kann jedoch gegeben sein. Er ist entgegen der Auffassung des [X.] und der Beklagten nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen [X.]raum unter Fortzahlung ihres Gehalts von der Arbeitsleistung für ihren Arbeitgeber freigestellt war.

Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die streitigen Lebensmonate ihres am 4.6.2010 geborenen [X.] ergibt sich dem Grunde nach aus § 1 Abs 1 [X.] idF vom 5.12.2006 ([X.] 2748; die Änderungen bzw Ergänzungen des § 1 [X.] durch spätere Gesetze insbesondere des Abs 7 durch das Gesetz vom [X.], [X.] 1970, des Abs 2 durch das Gesetz vom [X.], [X.] 160 sowie des Abs 8 durch das Gesetz vom [X.], [X.] 1885, sind hier unbeachtlich).

Nach § 1 Abs 1 [X.] hat Anspruch auf Elterngeld, wer

1.    

einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hat,

2.    

mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,

3.    

dieses Kind selbst betreut und erzieht und

4.    

keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

§ 1 Abs 6 [X.] bestimmt ergänzend, dass eine Person nicht voll erwerbstätig ist, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats nicht übersteigt (die weiteren Regelungen des Abs 6 zur Berufsausbildung und [X.] sind hier nicht einschlägig).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] hat die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 [X.] bis 3 [X.] erfüllt. Das [X.] hat festgestellt, dass die Klägerin seit der Geburt des [X.] und auch im streitigen [X.]raum mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt in [X.] gelebt und das Kind betreut und erzogen hat. Soweit es den Tatbestand des § 1 Abs 1 [X.] [X.] betrifft, hat das [X.] im Rahmen seiner rechtlichen Erörterungen darauf hingewiesen, dass die Klägerin von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt war. Zudem hat das [X.] ausgeführt, dass "allein das tatsächliche Fehlen des Tätigseins, des Ausübens der Arbeitsleistung" die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 [X.] [X.] noch nicht erfülle. Damit hat das [X.] festgestellt (§ 163 [X.]G), dass die Klägerin im [X.] rein tatsächlich einer Erwerbstätigkeit für ihren Arbeitgeber nicht nachgegangen ist. Ob die Klägerin daneben auch anderweitig keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, muss dagegen noch ermittelt werden.

Die rechtliche Würdigung des [X.], die Klägerin habe trotz der tatsächlichen Nichtausübung ihrer zuvor für den bisherigen Arbeitgeber verrichteten Tätigkeit als Bankfachwirtin allein wegen des fortbestehenden Anstellungsverhältnisses bei voller Gehaltszahlung iS des § 1 Abs 1 [X.] [X.] eine "volle Erwerbstätigkeit ausgeübt", teilt der erkennende Senat nicht. Die Klägerin hat nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen im streitigen [X.]raum für ihren bisherigen Arbeitgeber "keine Erwerbstätigkeit ausgeübt". Wer aufgrund einer Freistellung von der Arbeitsleistung durch seinen Arbeitgeber einer Arbeit tatsächlich nicht nachgeht, übt iS des § 1 Abs 1 [X.] [X.] keine Erwerbstätigkeit aus.

Schon der Wortlaut des § 1 Abs 1 [X.] [X.] ("keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt") legt nahe, dass das Gesetz ein tatsächliches, aktives Verhalten des Anspruchstellers beschreiben will. Denn nach dem natürlichen Wortverständnis bedeutet das "Ausüben" einer "Tätigkeit" deren tatsächliches Ausführen. Das Wort "ausüben" meint bezogen auf eine Tätigkeit deren Ausführung oder Verrichtung ([X.], [X.], 4. Aufl 2010, 168). Bestätigt wird dieses Verständnis durch § 1 Abs 6 [X.]. Die dortige Formulierung "wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit … nicht übersteigt" ist im Sinne der tatsächlichen Verrichtung von Arbeit unterhalb der angegebenen zeitlichen Grenze zu verstehen.

Zwar erscheint immerhin eine Wortlautinterpretation dahin möglich, dass auch ein Nichtstun als Erwerbstätigkeit, also als eine auf Erzielung eines wirtschaftlichen Erfolges gerichtete Tätigkeit in selbstständiger oder [X.]er Form (s B[X.] Urteil vom 13.5.1998 - [X.] [X.] R - [X.] 3-7833 § 2 [X.]), gewertet werden kann. Das gilt insbesondere für selbstständig Erwerbstätige, die je nach Gegenstand und Organisation ihres Unternehmens zeitweise oder ganz ohne eigene Arbeitsleistung ihre Erwerbstätigkeit ausüben können. Dieses Verständnis des Wortlauts des § 1 Abs 1 [X.] [X.] lässt sich jedoch nicht mit der (Vor-)Geschichte, dem Bedeutungszusammenhang (Systematik), der [X.] und dem Sinn und Zweck des Gesetzes (zu diesen Auslegungsgesichtspunkten vgl allg [X.]/[X.], Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, 143 mwN; [X.] 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81) vereinbaren. Die historische, die systematische sowie die teleologische Betrachtung bestätigen eindeutig einen Gesetzesinhalt, der dem natürlichen Wortsinn entspricht.

Die Materialien zum [X.], also die Begründungen des Gesetzentwurfs und der Änderungsvorschläge sowie die Protokolle über die Beratungen des Entwurfs, belegen, dass der anspruchsberechtigte Elternteil die vor der Geburt ausgeübte volle Erwerbstätigkeit reduzieren oder aufgeben und der Betreuung und Erziehung des Kindes Vorrang gegenüber der Erwerbstätigkeit einräumen muss. Das Elterngeld soll Eltern bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützen, die sich im ersten Lebensjahr des Neugeborenen vorrangig der Betreuung des Kindes widmen ([X.] vom 16.6.2006, Gesetzentwurf der Bundesregierung, [X.]; BT-Drucks 16/1889 vom [X.], Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.], [X.]). Die Beschlussempfehlung und der Bericht des [X.], Frauen und Jugend vom 27.9.2006 (BT-Drucks 16/2785) enthält zu § 1 [X.] keine hier relevante Änderung, sodass insoweit die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und Fraktionen der [X.] und [X.] maßgebend geblieben ist.

Die vom Senat für zutreffend gehaltene Auslegung wird systematisch entscheidend gestützt durch den Umstand, dass in den §§ 15 ff [X.] - arbeitsrechtliche - Regelungen zur Elternzeit für in einem Arbeitsverhältnis stehende Anspruchsberechtigte geschaffen bzw erhalten worden sind, die speziell darauf ausgerichtet sind, das Arbeitsverhältnis gerade nicht zu beenden, sondern dem Arbeitnehmer, der Elternzeit in Anspruch nimmt, dessen Fortsetzung zu gewährleisten. Die Elternzeit lässt den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses nämlich unberührt ([X.] in [X.], Elterngeld - Elternzeit - Kindergeld, Stand Dezember 2009, § 15 Rd[X.]5 mwN; [X.] in [X.]/Bieresborn, Mutterschutzgesetz, § 15 [X.] Rd[X.]). Es wäre ein unlösbarer systematischer Widerspruch, das Arbeitsverhältnis im Rahmen der Vorschriften über die Elternzeit zu erhalten, im Rahmen der Vorschriften über das Elterngeld aber als Anspruchsvoraussetzung dessen Beendigung zu verlangen. Gerade dies tut das Gesetz auch nicht und unterstreicht damit, dass die Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs 1 [X.] iVm Abs 6 [X.] für selbstständig wie für [X.] Erwerbstätige so zu verstehen ist, dass es auf das Ausmaß der tatsächlichen Erwerbsaktivität des Elternteils ankommt. Die Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinne der Nichtverrichtung während des Elterngeldbezugszeitraumes ist ausreichend, um den Anspruch auf Elterngeld zu begründen.

Dagegen führte das vom [X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegte Verständnis des Begriffs der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dazu, dass ein Arbeitnehmer, sofern er nicht Elternzeit in Anspruch nimmt, Anspruch auf Elterngeld nur dann haben kann, wenn er nach der Geburt nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis und einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht, denn nach dem Verständnis des [X.] übt ein Arbeitnehmer seine Erwerbstätigkeit auch aus, wenn er tatsächlich nicht arbeitet und nur das Arbeitsverhältnis weiterbesteht.

Ein tatsächlich geprägtes Wortverständnis des Begriffs des Ausübens keiner oder keiner vollen Erwerbstätigkeit entspricht schließlich auch dem Sinn und Zweck des Elterngeldes. Das [X.] hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass das Elterngeld während der Betreuung des Kindes [X.] Erwerbseinkommen - in den gesetzlich festgelegten Grenzen - ersetzen bzw ausgleichen soll. Es soll Familien bei der Sicherung der Lebensgrundlage unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (B[X.] Urteil vom [X.] EG 9/08 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] Rd[X.] 28 mwN; B[X.] Urteil vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.] 4-7837 § 2 [X.] Rd[X.]4; s auch B[X.] Urteil vom 17.2.2011 - [X.] EG 17/09 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] Rd[X.] und 80 mwN). Indes ist dies nicht der alleinige Zweck des Elterngeldes. Diese Leistung soll daneben auch dafür sorgen, dass sich Eltern der Betreuung und Erziehung des Kindes widmen können, wenn sie auf die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verzichten. Das jedoch setzt neben der wirtschaftlichen Absicherung in erster Linie das Vorhandensein von [X.] für die Kinderbetreuung voraus, die fehlt, wenn der Elternteil im gleichen [X.]raum seiner Erwerbstätigkeit tatsächlich nachgeht. Deshalb hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass Elterngeld nur dann gezahlt wird, wenn der betreffende Elternteil eine Erwerbstätigkeit so weit reduziert, dass genügend [X.] für die Kindesbetreuung verbleibt. Das Gesetz hat in § 1 Abs 6 [X.] die höchstens zu tolerierende wöchentliche Arbeitszeit, in der der Elternteil für diese Betreuung nicht zur Verfügung steht, auf 30 Stunden begrenzt. Daraus wird deutlich, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine - den Anspruch auf Elterngeld nach begründende - Betreuung und Erziehung des Kindes typischerweise nicht mehr angenommen werden kann, wenn der Anspruchsteller einer Erwerbstätigkeit von durchschnittlich mehr als 30 Stunden wöchentlich tatsächlich nachgeht.

Wie aus § 2 Abs 5 [X.], der jedem Elterngeldberechtigten einen Mindestbetrag von 300 Euro monatlich garantiert, ersichtlich ist, kommt dem Elterngeld nur teilweise eine Einkommensersatzfunktion zu. Der sog [X.] stellt eine Anerkennung der Betreuungsleistung durch den Elternteil dar und ist unabhängig von einer Bedürftigkeit zu gewähren (B[X.] Urteil vom 17.2.2011 - [X.] EG 17/09 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] Rd[X.] 57). Er ist damit auch unabhängig von einem Erwerbseinkommen nach der Geburt. Die Funktion des [X.]es wird zudem durch § 3 Abs 2 [X.] unterstrichen, der ihn von der Anrechnung auf nach der Geburt bezogene Entgeltersatzleistungen freistellt (vgl [X.] in [X.]/Bieresborn, Mutterschutzgesetz, § 15 [X.] Rd[X.] 26).

Die vom Senat vertretene Auslegung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des B[X.] zu der Vorläufervorschrift des § 1 Abs 1 [X.] [X.]. § 1 Abs 1 [X.] BErzGG bestimmte von seinem Inkrafttreten am [X.] bis zu seinem Außerkrafttreten am 31.12.2008 als Voraussetzung für den Anspruch auf Bundeserziehungsgeld, dass keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Dazu hat das B[X.] in seinem Urteil vom 10.2.2005 ([X.] EG 5/03 R - [X.] 4-7833 § 1 [X.] 8) in Bezug auf eine [X.] tätige Lehrerin unter den Begriff der ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht nur die Arbeitszeit aus deren rechtlich vorbestimmter Unterrichtsverpflichtung gezählt, sondern auch [X.], die notwendigerweise tatsächlich für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie die sonstigen berufstypischen Aufgaben anfällt. Obwohl im Rahmen jener Entscheidung keine Veranlassung bestand, den Begriff der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Auslegung allgemein zu bestimmen, ist das B[X.] ersichtlich von einem tatsächlich geprägten Verständnis des Begriffs ausgegangen.

Durch seine ausschließliche Anknüpfung an die tatsächlichen nachgeburtlichen Lebensverhältnisse lässt § 1 Abs 1 [X.] die vorgeburtlichen Lebensumstände der Eltern unberücksichtigt und behandelt sie hinsichtlich der Anspruchsberechtigung auf Elterngeld gleich. Es unterstreicht damit, dass der wesentliche Grund für die Gewährung von Elterngeld die Betreuung und Erziehung des eigenen Kindes bei ganz oder teilweisem Verzicht auf die eigene Erwerbsarbeit ist ([X.], [X.], 32; BT-Drucks 16/1889, [X.], 15). Für nach der Geburt weiter in einem Arbeitsverhältnis stehende Eltern bedeutet dies, dass gemäß § 1 Abs 1 [X.] auch für sie ein rein tatsächlich geprägter Begriff der - aktiven - Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt.

Dadurch dass § 1 Abs 1 [X.] [X.] als Anspruchsvoraussetzung die - volle oder teilweise - tatsächliche Nichtausübung von Erwerbsarbeit verlangt, ermöglicht er den Bezug von Elterngeld in Fällen einer - bezahlten - endgültigen Freistellung von der Arbeitsleistung im Rahmen eines noch bestehenden Arbeitsverhältnisses. Die gleiche Beurteilung könnte während eines sog [X.]s im Sinne eines Langzeiturlaubs, also einer durch Ansparung von Arbeitsentgelt durch vorherigen Verzicht ermöglichten bezahlten Freistellung von der Arbeit (s dazu [X.], [X.] und Elterngeld - geht das zusammen, [X.] 2009, 179), geboten sein. Denn es liegt fern anzunehmen, der Arbeitnehmer übe während des Langzeiturlaubs (s)eine Erwerbstätigkeit aus. Hiervon geht auch [X.] (aaO) aus, denn sie befasst sich ausschließlich mit der Höhe des Anspruchs auf Elterngeld während eines [X.]s. Ob auch in Fällen eines - bezahlten oder unbezahlten - Erholungs- oder Sonderurlaubs von der Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit auszugehen ist (dagegen Urteil des Sächsischen L[X.] vom 18.1.2007 - L 3 EG 4/04), bedarf hier keiner abschließenden Erörterung.

Nach alledem ist die [X.] der bezahlten Freistellung der Klägerin von der Arbeit durch ihren Arbeitgeber nicht als Ausübung einer Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 [X.] [X.] anzusehen. Ob die Klägerin im streitigen [X.]raum anderweitig einer Erwerbstätigkeit in einem zeitlich schädlichen Umfang nachgegangen ist und damit eine solche "ausgeübt" hat, ist vom [X.] nicht festgestellt worden. Entsprechende Ermittlungen sind nunmehr nachzuholen. Da sie der erkennende Senat nicht selbst durchführen kann (§ 163 [X.]G), ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das [X.] geboten (§ 170 Abs 2 [X.] [X.]G).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 10 EG 7/11 R

29.08.2012

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Aachen, 12. April 2011, Az: S 13 EG 12/10, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 4 BEEG, § 1 Abs 6 BEEG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 29.08.2012, Az. B 10 EG 7/11 R (REWIS RS 2012, 3592)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3592

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