Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2024, Az. 1 StR 106/24

1. Strafsenat | REWIS RS 2024, 2005

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2023

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass die Angeklagten wegen verbotenen Besitzes von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen in Tateinheit mit Beihilfe zum verbotenen Handeltreiben mit Cannabis verurteilt sind,

b) im Strafausspruch aufgehoben, jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten [X.]und M.    jeweils wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben zum Strafausspruch Erfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; der Schuldspruch ist neu zu fassen.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s lebten und arbeiteten die Angeklagten jedenfalls vom 24. März 2023 bis zu ihrer Festnahme am 24. Mai 2023 als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage. Die Plantage wurde im Jahr 2021 von einer nicht näher bekannten, überregional tätigen Bandenorganisation in einer eigens dafür angemieteten ehemaligen Industrieimmobilie auf zwei Stockwerken errichtet und betrieben, wobei am Stromzähler der mit einer Mittelspannungsstromleitung versorgten Räumlichkeiten zwei der drei Phasen abgetrennt wurden, so dass der in den Plantagen durch Lampen, Lüfter und andere Elektrogeräte verbrauchte Strom zum Großteil nicht erfasst werden konnte. Zu den Aufgaben beider Angeklagten gehörte – gegen ein vereinbartes Monatsentgelt von 1.000 € sowie freie Kost und Logis – insbesondere die händische Bewässerung der auf neun separate Pflanzräume mit etwa 690 Quadratmetern verteilten Pflanzkübel, die Versorgung der Pflanzen mit Dünger sowie der Betrieb der Lüftungsanlage (67 Lüfter, 68 Kohlefilter und 447 Stromverteiler) und der Wärmelampen (447 Hochleistungslampen) auf Anweisung der Hinterleute. Daneben oblag es den Angeklagten, dritten Personen und Fahrzeugen über ein Rolltor die Ein- und Ausfahrt in die Plantage zu ermöglichen. Bei einer Durchsuchung des Anwesens am 24. Mai 2023 fanden sich dort über 1.763 Cannabispflanzen mit mindestens 160 kg Marihuana und mit einer Gesamtmenge von 22.105 g Tetrahydrocannabinol (THC), wobei die im Untergeschoss aufgefundenen 1.554 Pflanzen mit insgesamt 147 kg Marihuana einen Wirkstoffgehalt von durchschnittlich mindestens 13,81 Prozent (20.339,337 g THC) und die auf das Obergeschoss entfallenden 209 Pflanzen mit mindestens 13 kg Marihuana einen Wirkstoffgehalt von durchschnittlich mindestens 12,68 Prozent (1.766,261 g THC) aufwiesen. Das Marihuana war, wie die Angeklagten wussten, zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.

II.

3

Die auf die Revisionen der Angeklagten veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung im Strafausspruch und zur durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 ([X.] I 2024, [X.]; nachfolgend: Cannabisgesetz) erforderlich gewordenen Neufassung des Schuldspruchs.

4

1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung am Maßstab des am 1. April 2024 in [X.] getretenen [X.], auf das gemäß § 2 Abs. 3 StGB [X.]. § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle abzustellen ist, stand.

5

Das vom [X.] festgestellte Tatgeschehen stellt sich als gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verbotener Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1c [X.]. § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) in Tateinheit mit Beihilfe zum nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 [X.] verbotenen Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 [X.]. § 2 Abs. 1 Nr. 4 [X.], § 27 StGB) dar. Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des [X.] als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 [X.]). Die Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 [X.] hat der Gesetzgeber ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des BtMG angelehnt (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]). Hinsichtlich der in § 34 Abs. 1 Nr. 4 [X.]. § 2 Abs. 1 Nr. 4 [X.] beschriebenen Tathandlung des „Handeltreibens“ hat der Gesetzgeber darüber hinaus auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]), so dass die zu den in §§ 29 ff. BtMG unter Strafe gestellten Handlungsformen entwickelten Grundsätze auf § 34 Abs. 1 [X.] zu übertragen sind. Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung hat sich gegenüber der bisherigen Rechtslage (vgl. etwa [X.], Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 [X.] Rn. 9; Beschlüsse vom 8. Mai 2018 – 2 StR 130/18 Rn. 9; vom 26. Januar 2011 – 5 [X.] Rn. 15 f.; vom 4. August 2009 – 3 [X.] Rn. 5 ff. und vom 12. Januar 2005 – 1 [X.], [X.]R BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4; jew. [X.]) nicht geändert. Der [X.] passt den Schuldspruch nach Maßgabe dessen an die am 1. April 2024 in [X.] getretenen rechtlichen Bestimmungen an.

6

2. Im Strafausspruch kann das angefochtene Urteil infolge des gegenüber der bisherigen Rechtslage niedrigeren Strafrahmens jeweils keinen Bestand haben. Zwar sind nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des [X.]s des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] erfüllt, weil sich die strafbare Handlung auf eine nicht geringe Menge bezieht. Umstände, die für ein Entfallen der Regelwirkung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Allerdings weicht der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 [X.] von dem bisher maßgeblichen Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG erheblich zugunsten der Angeklagten ab, so dass die Strafe daran ausgerichtet neu zu bemessen ist.

7

a) Der Grenzwert der nicht geringen Menge für Tetrahydrocannabinol (§ 1 Nr. 2 [X.]) im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] beträgt 7,5 g.

8

Maßgebend hierfür sind folgende Erwägungen:

9

aa) Bereits im [X.] (BtMG) hat der Gesetzgeber den unbestimmten Begriff der nicht geringen Menge nicht definiert, sondern dies der Rechtsprechung überlassen, die dafür auf alle Betäubungsmittel gleichermaßen anwendbare allgemeingültige Maßstäbe entwickelt hat.

(1) Bei der Festlegung der Grenzwerte stellt der [X.] in ständiger Rechtsprechung nicht auf die Gewichtsmenge des jeweiligen Suchtstoffes, sondern auf die darin enthaltene Wirkstoffmenge ab (vgl. [X.], Urteile vom 14. Januar 2015 – 1 [X.], [X.]St 60, 134; vom 17. November 2011 – 3 [X.], [X.]St 57, 60; vom 3. Dezember 2008 – 2 [X.], [X.]St 53, 89; vom 24. April 2007 – 1 [X.], [X.]St 51, 318; vom 9. Oktober 1996 – 3 [X.], [X.]St 42, 255; vom 22. Dezember 1987 – 1 [X.], [X.]St 35, 179; vom 1. September 1987 – 1 [X.], [X.]St 35, 43; vom 11. April 1985 – 1 [X.], [X.]St 33, 169; vom 1. Februar 1985 – 2 [X.], [X.]St 33, 133; vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8; Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, [X.]St 42, 1 und vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, [X.]St 32, 162). Der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels ist stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen [X.]einheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten [X.]enten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials, zu bemessen. In einem zweistufigen Verfahren wird die nicht geringe Menge mithin durch ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustandes erforderlichen Wirkstoffmenge bestimmt, welche aus dem Produkt einer Einzelmenge und einer an der Gefährlichkeit orientierten Maßzahl, gemessen in [X.], errechnet wird. Lassen sich auch zum [X.]verhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 10. August 2023 – 3 StR 462/22 Rn. 7; vom 14. Januar 2015 – 1 [X.], [X.]St 60, 134 Rn. 35; vom 5. November 2015 – 4 [X.] Rn. 14; vom 17. November 2011 – 3 [X.], [X.]St 57, 60 Rn. 10; vom 3. Dezember 2008 – 2 [X.], [X.]St 53, 89 Rn. 13; vom 24. April 2007 – 1 [X.], [X.]St 51, 318 Rn. 12 f.; vom 28. Oktober 2004 – 4 StR 59/04 Rn. 18 f.; vom 1. September 1987 – 1 [X.], [X.]St 35, 43, 44 f.; vom 22. Dezember 1987 – 1 [X.], [X.]St 35, 179 f.; vom 1. Februar 1985 – 2 [X.], [X.]St 33, 133, 136 f.; vom 11. April 1985 – 1 [X.], [X.]St 33, 169, 170 f.; vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 9 f.; Beschlüsse vom 11. Dezember 2023 – 1 StR 276/23 Rn. 8; vom 8. März 2022 – 3 [X.] Rn. 12; vom 27. Januar 2022 – 3 [X.] Rn. 9; vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, [X.]St 42, 1, 10 f. und vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, [X.]St 32, 162, 163 f.). Im Ergebnis drückt die nicht geringe Menge damit ein Vielfaches des zum Erreichen eines Rauschzustands erforderlichen jeweiligen Wirkstoffs ([X.]einheit) aus, wobei die Grenzwerte für die verschiedenen Betäubungsmittel gerade wegen ihrer qualitativ unterschiedlichen Wirkung aufeinander abgestimmt sein müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, [X.]St 42, 1, 10). Bei der insoweit vorzunehmenden Gesamtbetrachtung sind dabei nicht nur die dem jeweiligen Suchtstoff innewohnenden, pharmakologischen Wirkungen auf den Menschen wie Beschaffenheit, Wirkungsweise und Gefährlichkeit zu berücksichtigen, sondern auch das Umfeld, in dem der [X.] typischerweise erfolgt (vgl. dazu die Nachw. bei [X.]/[X.]/[X.], 10. Aufl., BtMG § 29a Rn. 50).

(2) Für Tetrahydrocannabinol (THC) hat der [X.] den Grenzwert der nicht geringen Menge unter Anwendung dieser Maßgaben auf 7,5 g festgesetzt und dies infolge fehlender Bestimmbarkeit einer lebensbedrohlichen Einzeldosis (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 10) auf dessen konkrete Wirkweise und Gefährlichkeit gestützt. Er ist auf der Grundlage öffentlich zugänglicher sachverständiger Bewertungen, darunter einer Analyse von sachkundigen Chemikern der Landeskriminalämter und des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 12), zu dem Ergebnis gelangt, dass zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Zubereitung von [X.]en im Durchschnitt 15 mg THC erforderlich seien (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 11 f.). Um den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des [X.] einer durchschnittlichen [X.]einheit von [X.]en unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe und den unterschiedlichen [X.]formen Rechnung zu tragen und zugleich einen angemessenen Abstand zu der harten Droge Heroin zu schaffen, hat er der Bestimmung des Grenzwerts 500 [X.] mit diesem Wirkstoffgehalt zugrunde gelegt (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 13 f.). Denn anders als Heroin führt Tetrahydrocannabinol nicht zur physischen Abhängigkeit und nur zu mäßiger psychischer Abhängigkeit, wenngleich es allerdings Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Antriebs- und Verhaltensstörungen, Lethargie, Angstgefühle, Realitätsverlust und Depressionen, zuweilen auch Psychosen hervorruft sowie eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen begründet (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 12 f.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. März 1994 – 2 [X.] u.a., [X.]E 90, 145 ff.). Aus diesen anhand der konkreten Wirkweise und Gefährlichkeit bestimmten Faktoren errechnet sich der bislang geltende Grenzwert (500 x 15 mg = 7,5 g).

bb) Wie das [X.] verhält sich auch das [X.]cannabisgesetz ([X.]) zum Begriff der nicht geringen Menge nicht. Anstatt selbst einen Grenzwert zu bestimmen oder nur Maßgaben dazu aufzustellen, hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, die Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge der Rechtsprechung zu überlassen ([X.]. 20/8704, [X.]). Mit Blick auf die unveränderte Wirkweise und Gefährlichkeit des Tetrahydrocannabinols hält der [X.] das Merkmal „nicht geringe Menge“ der Strafzumessungsregel in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] für erfüllt, wenn das tatgegenständliche [X.] mindestens 7,5 g THC enthält.

Die auf chemisch-toxikologischer Grundlage getroffene Feststellung, wonach zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Zubereitung von [X.]en im Durchschnitt 15 mg THC erforderlich sind, gilt nach wie vor. Auch die im Vergleich zur harten Droge Heroin entwickelte Anzahl der [X.] beansprucht unverändert Geltung; das pharmakodynamische Wirkungsverhältnis von THC zu Heroin ist heute nicht anders zu beurteilen als im Zeitpunkt der erstmaligen Grenzwertbestimmung. Dafür spricht auch die Wechselwirkung zwischen den Grenzwerten der verschiedenen Betäubungsmittel, die auf der Grundlage des Gefährlichkeitsvergleichs in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander stehen. Die im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln geringere Gefährlichkeit von [X.]en hat der [X.] bereits bei der Festsetzung des Grenzwerts von 7,5 g THC berücksichtigt (zum Stufenverhältnis von sog. harten Drogen wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen wie Cannabis vgl. etwa [X.], Urteil vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 274/18 Rn. 7; Beschlüsse vom 14. Juni 2017 – 3 [X.] Rn. 13; vom 15. Juni 2016 – 1 [X.] Rn. 12 und vom 26. März 2014 – 2 [X.] Rn. 20). Die einzelnen vom [X.] festgesetzten Grenzwerte und ihre Abstufung werden schließlich sowohl in der Praxis als auch im Schrifttum als praktikabel angesehen und gemeinhin akzeptiert (vgl. [X.], [X.] 2024, 151, 153; [X.]/[X.]/[X.], 10. Aufl., BtMG § 29a Rn. 50 [X.]; [X.]/[X.]/[X.], 6. Aufl., BtMG § 29a Rn. 68).

cc) Die Regelung in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] gibt keinen Anlass, den Grenzwert der nicht geringen Menge höher als unter Geltung des § 29a BtMG festzusetzen.

(1) Der Wortlaut der Vorschrift enthält dafür keine Anhaltspunkte; im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt und dessen Ausfüllung der Rechtsprechung überantwortet (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]).

(2) Sinn und Zweck der Vorschrift in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] sprechen für die Beibehaltung des auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Grenzwerts von 7,5 g THC.

Die Schaffung der Strafvorschriften in § 34 [X.] hat der Gesetzgeber für geeignet und erforderlich gehalten, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen. Die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis außerhalb der gesetzlichen Ausnahmen hält er für ein notwendiges Mittel, um den Verkehr mit dieser riskanten Droge zu unterbinden oder jedenfalls möglichst weit zurückzudrängen und dadurch vor allem junge Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Das Cannabisgesetz zielt gemäß seiner [X.] darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen. Ungeachtet der Straflosstellung bestimmter Verhaltensweisen liegt dem Gesetz die Annahme zugrunde, es handele sich bei Cannabis um ein gefährliches Suchtmittel. Die Begründung des Gesetzentwurfs enthält dazu schon eingangs der [X.] folgende Erwägung (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]): „Der [X.] von Cannabis, das vom Schwarzmarkt bezogen wird, ist häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, da der [X.] unbekannt ist und giftige Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide enthalten sein können, deren Wirkstärke von den [X.]entinnen und [X.]enten nicht abgeschätzt werden kann. Das Gesetz zielt darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, […]“. Im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung ist ausgeführt ([X.]. 20/8704, [X.] f.): „Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen auch, ist der [X.] von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, wie beispielsweise [X.], verbunden. Daher sollte auf den [X.] von Cannabis verzichtet werden. […] Darüber hinaus sollen nichtkonsumierende Bürgerinnen und Bürger vor den direkten und indirekten Folgen des Cannabiskonsums geschützt werden.“ Von der [X.] des [X.]s von Cannabis und der Gefahr der Heranführung und Gewöhnung selbst Jugendlicher an berauschende Mittel geht der Gesetzgeber mithin unverändert aus und zielt mit den Regelungen des [X.] darauf, den [X.] möglichst zu unterbinden. Dieser Zielsetzung dienen auch die Strafvorschriften in § 34 [X.], die für verschiedenartige Verstöße gegen das grundsätzlich bestehende Verbot des Umgangs mit [X.]en Kriminalstrafe androhen. Insoweit hat sich gegenüber dem Regelungszweck des § 29a BtMG nichts geändert.

(3) Die Gesetzessystematik steht der Beibehaltung des zu § 29a BtMG entwickelten Grenzwerts gleichfalls nicht entgegen. Der Umgang mit Cannabis ist gemäß § 2 [X.] weiterhin – verwaltungsrechtlich – verboten. Der Gesetzessystematik liegt ein allgemeines Verbot für den Umgang mit Cannabis zugrunde, in § 2 Abs. 3 [X.] werden lediglich bestimmte, gesetzlich erlaubte Handlungen vom Verbot ausgenommen ([X.]. 20/8704, [X.]). Auf welcher Grundlage die strafrechtlich irrelevanten Mengen festgelegt wurden, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung allerdings ebenso wenig, wie eine Aussage zur Bewertung ihrer Gefährlichkeit.

Die gemäß § 3 [X.] legalen – nicht wirkstoffbezogen festgelegten – [X.] von bis zu 25 g Cannabis zum Eigenkonsum (Abs. 1) und bis zu 50 g Cannabis sowie drei lebenden Cannabispflanzen am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mit einer Gesamtmenge an Cannabis von bis zu 50 g (Abs. 2) stehen der vorbenannten Grenzwertfestsetzung nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil sich aus der legalisierten [X.] keine Aussage zur Gefährlichkeit des Wirkstoffes ableiten lässt. Die Variationsbreite des praktisch festzustellenden [X.] ist hoch (vgl. [X.]/[X.], NStZ 2022, 146, 147 f.). Zwar ist denkbar, dass auch der Besitz einer die Strafbarkeitsschwelle nur geringfügig überschreitenden Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 60 g – das [X.] des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] verwirklicht. Allerdings verbleibt in Anbetracht – praktisch ebenfalls relevanter – niedriger Wirkstoffgehalte ein Anwendungsraum für eine Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 [X.], bei welcher das [X.] nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] nicht erfüllt ist. Vorgaben hinsichtlich eines zu wahrenden „Abstands“ zu den erlaubten [X.] ergeben sich aus den Regelungen des [X.]cannabisgesetzes nicht (so auch [X.], Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24).

(4) Schließlich ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des [X.]cannabisgesetzes nichts anderes.

An dem grundsätzlichen Verbot des Umgangs mit Cannabis hat der Gesetzgeber festgehalten. Hinsichtlich der Bestimmung des Grenzwerts nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] führt die Gesetzesbegründung aus, der konkrete Wert sei „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ ([X.]. 20/8704, [X.]). „Im Lichte der legalisierten Mengen [werde] man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und [werde] der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit“ ([X.]. 20/8704, [X.]). Mit der Anknüpfung an die seit Jahrzehnten ständige Rechtsprechung zur Bestimmung der nicht geringen Menge hat sich der Gesetzgeber die hierfür geltenden Maßstäbe im Ausgangspunkt zu eigen gemacht. Er hat damit im Ergebnis selbst auf die konkrete Wirkungsweise und -intensität des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol abgestellt, die sich nicht geändert haben. Soweit von einer „geänderten Risikobewertung“ (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]) die Rede ist, sind der – nicht bindenden – Gesetzesbegründung keine tatsachenbasierten Informationen zu entnehmen, auf welche weitergehende Rückschlüsse oder gar eine Berechnung gestützt werden könnten. Es wird schon nicht klar, worauf genau sich diese geänderte Risikobewertung beziehen soll (kurzfristige Wirkweise, Nebenwirkungen, Langfristschäden, [X.]entwicklung, Vergleich zu Nachbarstaaten, gesellschaftliche Auswirkungen, Kriminalitätsentwicklung). Konkrete, allgemein anerkannte und wissenschaftlich belegte oder belegbare Prämissen benennt der Gesetzgeber nicht. Insbesondere lässt sich weder aus Gesetz noch Begründung ableiten, welche [X.]- oder Wirkstoffmenge medizinisch-toxikologisch (noch) unbedenklich sein soll. Auch den Widerspruch, der sich aus dem Regelungszweck des Gesundheitsschutzes und den ihm dienenden Vorschriften einerseits und der „geänderten Risikobewertung“ andererseits ergibt, löst die Gesetzesbegründung nicht auf. Wenngleich die Absenkung der in § 34 [X.] vorgesehenen Strafrahmen gegenüber den vormals geltenden Straftatbeständen des [X.]es zeigt, dass der Gesetzgeber die unter Strafe gestellten Handlungen nunmehr für weniger strafwürdig hält als zuvor, ergeben sich daraus keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] unterliegen soll (so auch [X.], Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24).

b) Demnach kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.

aa) Der Strafbemessung ist nach den Feststellungen des [X.]s der Strafrahmen aus § 34 Abs. 3 Satz 1 [X.] zugrunde zu legen. Ein Entfallen der Regelwirkung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 [X.] liegt in Anbetracht der Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge um das 2.946,3-fache und der weiteren festgestellten Umstände fern. Jedoch sieht der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 [X.] für besonders schwere Fälle Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, während der vom [X.] – bei Verkündung des Urteils zutreffend – angewandte Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünfzehn Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) eröffnet. Durch die Absenkung des Strafrahmens hat der Gesetzgeber sein im Vergleich zu den dem [X.] unterstellten Suchtstoffen geringeres Unwerturteil über die mit Strafe bedrohten Taten zum Ausdruck gebracht, wenn sich diese auf Cannabis beziehen (vgl. [X.]. 20/8704, [X.]31 f.). Dem ist im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen. Die Maßstäbe, wonach – ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens – der Überschreitung des Grenzwerts als im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmendem [X.] strafschärfende Bedeutung zukommt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 15. März 2017 – 2 [X.] Rn. 17 ff. [X.]), gelten zwar fort. Sie werden allerdings in das durch § 34 [X.] geschaffene [X.] einzufügen sein.

bb) Der [X.] kann nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass das [X.] bei Anwendung des Strafrahmens aus § 34 Abs. 3 Satz 1 [X.] niedrigere Strafen gegen die Angeklagten verhängt hätte.

c) Da lediglich ein Wertungsfehler gegeben ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind zulässig, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.

3. Von der Korrektur der Liste der angewandten Vorschriften (§ 260 Abs. 5 Satz 1 StPO) sieht der [X.] ab. Die Liste ist weder Bestandteil der Urteilsformel noch der Urteilsgründe (vgl. [X.], Urteile vom 15. Mai 2018 – 1 [X.] Rn. 73; vom 25. September 1996 – 3 StR 245/96, [X.]R StPO § 260 Abs. 5 Liste 1), so dass deren Berichtigung durch das Revisionsgericht zwar statthaft ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. Februar 2010 – 3 [X.] Rn. 2 und vom 22. August 1985 – 4 [X.] Rn. 8), etwaige Unzulänglichkeiten im Revisionsverfahren aber unbeachtet bleiben können. Eine Änderung der Liste der angewandten Vorschriften ist jederzeit möglich, auch noch nach Rechtskraft eines Urteils (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 – 3 [X.] Rn. 32 [X.]).

Jäger     

      

Bär     

      

Allgayer

      

Munk     

      

Welnhofer-Zeitler     

      

Meta

1 StR 106/24

18.04.2024

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ulm, 18. Dezember 2023, Az: 2 KLs 73 Js 9434/23

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2024, Az. 1 StR 106/24 (REWIS RS 2024, 2005)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2005

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