Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.10.2013, Az. 5 C 32/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 2109

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Gegenstand

Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für heterologe In-vitro-Fertilisation


Leitsatz

Beamte des Landes Baden-Württemberg, die an Zeugungsunfähigkeit leiden, können nach dem derzeitigen Beihilferecht des Landes für ihre berücksichtigungsfähige Ehefrau, deren Empfängnisfähigkeit gestört ist, grundsätzlich eine Beihilfe zu den Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung der Samenzellen eines Spenders (heterologe In-vitro-Fertilisation) beanspruchen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Beihilfe zu den Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung in Form der heterologen In-vitro-Fertilisation.

2

Der Kläger, ein im Dienst des Beklagten stehender Beamter, leidet unter einer Azoospermie, d.h. dem völligen Fehlen von Samenzellen. Bei seiner gesetzlich krankenversicherten Ehefrau ist die Funktionsfähigkeit der Eileiter gestört.

3

Nach sechs erfolglosen Inseminationen ließen der Kläger und seine Ehefrau in der [X.] vom 2. bis 4. Februar 2010 eine heterologe In-vitro-Fertilisation durchführen. Dabei wurden der Ehefrau des [X.] nach einer Hormonstimulation Eizellen entnommen, die außerhalb des Körpers mit den Samenzellen eines Spenders befruchtet wurden. Der so gezeugte Embryo wurde anschließend in die Gebärmutter eingesetzt. Weitere Eizellen wurden kryokonserviert und eingelagert.

4

Den Antrag des [X.], ihm eine Beihilfe zu den hierfür entstandenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 3 574,18 € zu zahlen, lehnte der Beklagte ab. Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage in Höhe von 893,55 € stattgegeben. Der [X.]hof hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten das Urteil des [X.] geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

5

Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des [X.] über die Gewährung von Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen - Beihilfeverordnung ([X.]) - bezogen auf seine Person keine Beihilfe zu den im Januar/ Februar 2010 entstandenen Aufwendungen für die künstliche Befruchtung beanspruchen. Die aufgrund der Azoospermie vorliegende Sterilität des [X.], d.h. das Unvermögen, genetisch eigene Kinder zu zeugen, sei zwar unstreitig eine Krankheit im Sinne dieser Vorschriften. Die künstliche Befruchtung in Form der In-vitro-Fertilisation unter Verwendung der Samenzellen eines Spenders stelle aber keine Krankenbehandlung für den Kläger im Sinne des Beihilferechts dar. Denn durch den medizinischen Eingriff werde die vollständige und dauerhafte Zeugungsunfähigkeit des [X.] nicht partiell oder zeitweise gelindert oder mit der Unfruchtbarkeit etwa zusammenhängende Schmerzen oder Beschwerden beseitigt. Auch werde dadurch - anders als bei einer homologen In-vitro-Fertilisation - das körperliche Unvermögen des [X.], genetisch eigene Kinder zu zeugen, nicht ersetzt. Es genüge nicht, dass der Kläger im Falle eines Erfolgs der künstlichen Befruchtung gemäß § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB als Vater des von seiner Ehefrau zur Welt gebrachten Kindes gelte. Der Umstand, dass auch bei der Ehefrau des [X.] im Hinblick auf die gestörte Funktion der Eileiter eine Krankheit im Sinne des Beihilferechts vorliege, führe zu keinem anderen Ergebnis. Da die heterologe In-vitro-Fertilisation eine Gesamtmaßnahme darstelle, die bezogen auf den Kläger beihilferechtlich nicht als Krankenbehandlung angesehen werden könne, könnten deren Kosten auch nicht als für die berücksichtigungsfähige Ehefrau entstandene Aufwendungen erstattet werden. Daher komme es nicht darauf an, ob die Aufwendungen nach § 5 Abs. 4 Nr. 4 [X.] auch deshalb nicht beihilfefähig seien, weil der Gesamtbetrag der Einkünfte der Ehefrau in den beiden Kalenderjahren vor der Stellung des [X.] jeweils 18 000 € überstiegen habe.

6

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 und des § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sowie des Art. 3 Abs. 1 und 3 Satz 2 GG.

7

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt [X.] (§ 127 Nr. 2 [X.]. § 63 Abs. 3 Satz 2 [X.]eamtStG; vgl. Urteil vom 29. April 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] 77.08 - [X.]VerwGE 137, 30 = [X.] 271 [X.] jeweils Rn. 6 m.w.N.), soweit der Verwaltungsgerichtshof entscheidungstragend annimmt, die künstliche [X.]efruchtung in Form der heterologen In-vitro-Fertilisation sei eine Gesamtmaßnahme mit der Folge, dass die beihilferechtliche Notwendigkeit der hierfür entstandenen Aufwendungen für die berücksichtigungsfähige Ehefrau des [X.] nicht anders als für den beihilfeberechtigten Kläger selbst beantwortet werden könne. Ob Aufwendungen für die Ehefrau des [X.] beihilfefähig sind, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden, sodass die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist.

9

Die Rechtsgrundlage für die geltend gemachte [X.]eihilfe findet sich in den allgemeinen Vorschriften über die [X.]keit der Aufwendungen bei Krankheit der Verordnung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums des [X.] über die Gewährung von [X.]eihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen - [X.]eihilfeverordnung ([X.]) - vom 28. Juli 1995 ([X.]) in der Fassung vom 30. Oktober 2008 ([X.]), die auf § 101 Satz 2 und 3 in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung des [X.] vom 17. Februar 2004 ([X.]) fußt. Für die rechtliche [X.]eurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die [X.]eihilfen verlangt werden (stRspr, vgl. Urteil vom 8. November 2012 - [X.]VerwG 5 [X.] 2.12 - [X.] 2013, 33 m.w.N.). Die streitgegenständlichen Aufwendungen sind nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) im Januar/Februar 2010 entstanden. Die [X.]eihilfeverordnung des [X.] enthält keine spezielle Regelung über die [X.]keit medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, sodass auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen ist. Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass danach dem beihilfeberechtigten Kläger für sich selbst keine [X.]eihilfe zu den Aufwendungen für die künstliche [X.]efruchtung unter Verwendung der Samenzellen eines Spenders zusteht (1.) Zu Unrecht hat er aber angenommen, dass der Kläger auch für seine berücksichtigungsfähige Ehefrau - sofern deren Aufwendungen beihilfefähig sein sollten - keine [X.]eihilfe beanspruchen kann (2.)

1. Nach § 1 Abs. 4 [X.] werden [X.]eihilfen zu den beihilfefähigen Aufwendungen der beihilfeberechtigten Personen gewährt. Dazu zählen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] [X.]eamte, wenn und solange sie unter anderem Dienstbezüge erhalten. [X.] sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus Anlass einer Krankheit unter anderem Aufwendungen für gesondert erbrachte und berechnete ärztliche Leistungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, besteht auf die [X.]eihilfe ein Rechtsanspruch (§ 1 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Der Kläger ist als ein im Dienst des [X.] stehender [X.]eamter beihilfeberechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Einklang mit revisiblem Landesrecht entschieden, dass die aufgrund einer Azoospermie vorliegende Sterilität des [X.] eine Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] darstellt (a). Er hat die [X.]keit der Aufwendungen für die heterologe In-vitro-Fertilisation in [X.]ezug auf den Kläger der Sache nach in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise wegen ihrer fehlenden beihilferechtlichen Notwendigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] verneint (b). Das verletzt nicht höherrangiges Recht (c).

a) Für den Krankheitsbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] ist mangels einer eigenständigen [X.]egriffsbestimmung in der [X.]eihilfeverordnung grundsätzlich auf den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] zurückzugreifen. Danach ist Krankheit ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen [X.]ehandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Dabei ist der [X.]egriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung körperlicher oder geistiger Funktionen ermöglicht. Jemand ist krank, wenn er in seiner Körper- oder Geistesfunktion beeinträchtigt ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 1982 - [X.]VerwG 6 [X.] 8.77 - [X.]VerwGE 65, 87 <91> = [X.] 238.4 § 30 SG Nr. 5 S. 5; [X.]eschlüsse vom 4. November 2008 - [X.]VerwG 2 [X.] 19.08 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 4 und vom 30. September 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 66.11 - [X.] 270 § 5 [X.]hV Nr. 21 Rn. 7 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung des [X.]SG).

Der Verwaltungsgerichtshof hat diese [X.]egriffsbestimmung zugrunde gelegt und in deren Anwendung zu Recht dahin erkannt, dass bei dem Kläger eine Erkrankung im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] vorliegt. Hierüber besteht zwischen den [X.]eteiligten kein Streit. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs leidet der Kläger an einer Azoospermie. Infolge des völligen Fehlens von Samenzellen ist er auf Dauer unfähig, genetisch eigene Nachkommen zu zeugen. Seine Unfruchtbarkeit stellt einen regelwidrigen Körperzustand dar, der vom Normalzustand der Fortpflanzungsfähigkeit erwachsener Menschen im zeugungsfähigen Alter abweicht. Die Kinderlosigkeit an sich stellt demgegenüber keine Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] dar (vgl. [X.]GH, Urteile vom 17. Dezember 1986 - [X.] - [X.]GHZ 99, 228 und vom 12. November 1997 - [X.] - NJW 1998, 824; [X.]VerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 [X.]vL 5/03 - [X.]VerfGE 117, 316; s.a. [X.]SG, Urteil vom 21. Juni 2005 - [X.] 8 KN 1/04 KR R - [X.] 4-2500 § 27a Nr. 2).

b) Aufwendungen sind dem Grunde nach notwendig im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.], wenn sie für eine medizinisch gebotene [X.]ehandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der [X.]esserung oder Linderung von [X.], der [X.]eseitigung oder dem Ausgleich körperlicher oder geistiger [X.]eeinträchtigungen dienen. Die [X.]ehandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren (vgl. Urteil vom 8. November 2012 a.a.[X.] Rn. 13; [X.]eschluss vom 30. September 2011 a.a.[X.] Rn. 11). Die [X.]keit der Maßnahme setzt weder einen vollständigen noch einen dauerhaften Erfolg voraus. Eine Maßnahme dient schon dann der Linderung von [X.] oder dem Ausgleich körperlicher oder geistiger [X.]eeinträchtigungen, wenn dieser Erfolg nur partiell oder nur zeitweise erreichbar ist (vgl. Urteil vom 27. November 2003 - [X.]VerwG 2 [X.] 38.02 - [X.]VerwGE 119, 265 <269> = [X.] 240 § 69 [X.][X.]esG Nr. 6 S. 8; Urteil vom 7. November 2006 - [X.]VerwG 2 [X.] 11.06 - [X.]VerwGE 127, 91 = [X.] 237.8 § 90 RhPL[X.]G Nr. 2 jeweils Rn. 16).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht angenommen, dass die Aufwendungen für die künstliche [X.]efruchtung unter Verwendung der Samenzellen eines Spenders für den Kläger selbst nicht notwendig im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind. Die ärztlichen Leistungen dienen unstreitig nicht der Wiedererlangung der Gesundheit, d.h. der Zeugungsfähigkeit des [X.]. Es reicht nicht aus, dass die heterologe In-vitro-Fertilisation gemäß § 1592 Nr. 1 [X.]G[X.] zu einer rechtlichen Vaterschaft des [X.] führen kann. Die ärztlichen Maßnahmen zielen auch nicht auf eine Linderung seiner Unfruchtbarkeit, weil der Kläger durch die in Rede stehende [X.]ehandlung seine Zeugungsfähigkeit auch nicht wenigstens teilweise oder wenigstens vorübergehend erwirbt. Ebenso wenig ersetzen sie die gestörte Körperfunktion des [X.] dergestalt, dass dieser in die Lage versetzt wird, sich auf einem anderen als dem natürlichen Weg fortzupflanzen. Denn durch die heterologe In-vitro-Fertilisation kann dem Kläger nicht zu einem vom ihm genetisch abstammenden Kind verholfen werden.

c) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Kläger keine [X.]eihilfe für sich selbst beanspruchen kann. Darin liegt - entgegen der Ansicht des [X.] - weder eine gleichheitswidrige [X.]enachteiligung nach Art. 3 Abs. 1 GG (aa) noch ein Verstoß gegen das Verbot der [X.]enachteiligung [X.]ehinderter nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ([X.]). Auch die dem Dienstherrn obliegende Fürsorgepflicht, die verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 5 GG verankert ist, wird dadurch nicht verletzt (cc).

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist daher vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche [X.]ehandlung rechtfertigen können. Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen anknüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn durch [X.]ildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der [X.]egünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt. Im [X.]ereich der gewährenden Staatstätigkeit unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise zwar einer weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Aber auch hier muss die von ihm getroffene Regelung durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt sein (stRspr, vgl. [X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 10. November 1998 - 1 [X.]vL 50/92 - [X.]VerfGE 99, 165 <177 f.>; [X.]VerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - [X.]VerwG 5 [X.] 28.12 - NJW 2013, 2775 = zur [X.] in der amtlichen Entscheidungssammlung [X.] vorgesehen Rn. 30).

Der Kläger wird gegenüber beihilfeberechtigten männlichen [X.]eamten bzw. berücksichtigungsfähigen männlichen Ehegatten, hinsichtlich derer eine homologe künstliche [X.]efruchtung möglich ist, also die Eizellen unter Verwendung jeweils der eigenen Samenzellen künstlich befruchtet werden können, nicht ungerechtfertigt benachteiligt. Im Fall einer homologen In-vitro-Fertilisation ist die beihilferechtliche Notwendigkeit deshalb zu bejahen, weil durch diese [X.]ehandlungsmethode eine fehlende oder beeinträchtigte Körperfunktion ersetzt wird. Es wird - anders als bei der heterologen künstlichen [X.]efruchtung - ein "Funktionsausgleich" geschaffen, indem die Fortpflanzung auf einem anderen als dem natürlichen Weg erfolgen kann. Dadurch werden die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes überwunden, und den Eltern wird zu einem genetisch von ihnen abstammenden Kind verholfen (vgl. Urteile vom 27. November 2003 a.a.[X.] 268 f. und vom 10. Oktober 2013 - [X.]VerwG 5 [X.] 29.12 - zur [X.] in der amtlichen Entscheidungssammlung [X.] vorgesehen Rn. 45). Dieser Unterschied rechtfertigt die unterschiedliche beihilferechtliche [X.]ehandlung.

Die durch die Vorenthaltung der begehrten [X.]eihilfe für sich selbst bewirkte [X.]enachteiligung des [X.] gegenüber beihilfeberechtigten männlichen [X.]eamten bzw. berücksichtigungsfähigen männlichen Ehegatten, die krankheitsbedingt zwar ein Kind nicht auf natürlichem Wege zu zeugen vermögen, bei denen aber Samenzellen für eine künstliche [X.]efruchtung gewonnen werden können, ist sachlich dadurch gerechtfertigt, dass Letztgenannten durch den ärztlichen Eingriff zu genetisch eigenen Nachkommen verholfen werden kann.

[X.]) Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist nicht verletzt.

Der Senat lässt dahinstehen, ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schon deshalb ausscheidet, weil das [X.]egehren des [X.] als von dem Grundrecht nicht gewährleisteter originärer Leistungsanspruch anzusehen wäre (vgl. dazu [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 [X.]vR 9/97 - [X.]VerfGE 96, 288 <304> m.w.N.). Auch unabhängig davon ist eine Grundrechtsverletzung zu verneinen.

Eine [X.]enachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt unter anderem bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des [X.]ehinderten wegen seiner [X.]ehinderung verschlechtern, indem ihm etwa Leistungen verwehrt werden, die jedermann zustehen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - [X.]VerwG 5 [X.] 3.12 - [X.] 271 L[X.]eihilfeR Nr. 43 Rn. 34; [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 8. Oktober 1997 a.a.[X.] S. 303). Dies ist hier nicht der Fall.

Die heterologe künstliche [X.]efruchtung erfüllt im Hinblick auf den Kläger - wie aufgezeigt - nicht die an die beihilferechtliche Notwendigkeit zu stellenden Anforderungen und ist deshalb von diesem Anspruch nicht erfasst. Dass für Aufwendungen, die nach beihilferechtlichem Maßstab dem Grunde nach nicht notwendig sind, kein Anspruch auf [X.]eihilfegewährung besteht, gilt für behinderte Menschen und solche ohne [X.]ehinderung gleichermaßen. Mithin wird der [X.]eihilfeanspruch des [X.] von keinen anderen als den für jedermann geltenden Voraussetzungen abhängig gemacht.

cc) Auch die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG) führt zu keiner anderen [X.]eurteilung.

Sie ergänzt die ebenfalls durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn. Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der [X.]eamten und ihrer Familien auch in besonderen [X.]elastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt oder Tod sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass [X.]eamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können. Dies ist auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "[X.]" zu beurteilen, in dem zur Eigenvorsorge der [X.]eamten durch Abschluss einer auf die [X.]eihilfevorschriften abgestimmten Versicherung die ergänzende [X.]eihilfegewährung tritt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt weder, dass Aufwendungen der [X.]eamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende [X.]eihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der [X.]eihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. Urteil vom 26. Juni 2008 - [X.]VerwG 2 [X.] 2.07 - [X.]VerwGE 131, 234 = [X.] 270 § 6 [X.]hV Nr. 17 jeweils Rn. 13 m.w.N.).

Die Fürsorgepflicht in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen wird grundsätzlich abschließend durch die [X.]eihilfevorschriften konkretisiert. Aus der Fürsorgepflicht ergeben sich nur dann Leistungsansprüche, wenn diese andernfalls in ihrem Wesenskern verletzt wäre. Den Wesenskern der Fürsorgepflicht können allenfalls unzumutbare [X.]elastungen des [X.]eamten berühren (stRspr, vgl. z.[X.]. Urteil vom 28. Mai 2003 - [X.]VerwG 5 [X.] 28.02 - [X.] 232 § 72 [X.][X.]G Nr. 38 Rn. 16 m.w.N.).

Es ist weder erkennbar noch vom Kläger geltend gemacht worden, dass seine amtsangemessene Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt wird, weil ihm die begehrte [X.]eihilfe als Folge seiner Erkrankung vorenthalten wird.

2. Das Urteil verletzt [X.], soweit in ihm die Gewährung von [X.]eihilfe für Aufwendungen der Ehefrau des [X.] abgelehnt wird. Nach § 1 Abs. 4 [X.] werden [X.]eihilfen auch zu den beihilfefähigen Aufwendungen der berücksichtigungsfähigen Angehörigen des [X.]eihilfeberechtigten gewährt. Zu diesen zählt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] unter anderem der Ehegatte des [X.]eihilfeberechtigten. Der [X.]eihilfeanspruch aus Anlass einer Krankheit des Ehegatten unterliegt denselben Voraussetzungen wie der [X.]eihilfeanspruch aus Anlass einer Krankheit des [X.]eihilfeberechtigten. Darüber hinaus darf die [X.]keit nicht nach § 5 Abs. 4 Nr. 4 [X.] zu verneinen sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass auch die Ehefrau des [X.] an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] leidet (a). Er hat aber [X.] verletzt, indem er der Sache nach davon ausgegangen ist, die beihilferechtliche Notwendigkeit der Aufwendungen für die In-vitro-Fertilisation sei für den Kläger und seine Ehefrau zwangsläufig einheitlich zu beantworten (b). Ob sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen, nämlich weil die Aufwendungen der Ehefrau des [X.] schon wegen der Überschreitung von Einkommensgrenzen nicht beihilfefähig sind, als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), kann der Senat anhand der bisher festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden (c).

a) Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs leidet die Ehefrau des [X.] an einer Funktionsstörung der Eileiter und kann infolgedessen nicht auf natürlichem Weg Nachkommen empfangen. Dies erfüllt den beihilferechtlichen Krankheitsbegriff des § 6 Abs. 1 [X.] (vgl. Urteil vom 27. November 2003 - [X.]VerwG 2 [X.] 38.02 - [X.]VerwGE 119, 265 <268 f.> = [X.] 240 § 69 [X.][X.]esG Nr. 6 S. 7 f.). Das ist zwischen den [X.]eteiligten auch nicht streitig.

b) Sind - wie hier - sowohl der [X.]eihilfeberechtigte als auch sein berücksichtigungsfähiger Ehegatte unfruchtbar, ist für beide getrennt und selbstständig zu prüfen, ob die Aufwendungen der künstlichen [X.]efruchtung notwendig im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind.

Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs findet im Gesetz keine Stütze. Sie widerspricht dem [X.]harakter der [X.]eihilfen als anlassbezogene Leistungen aus öffentlichen Mitteln (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - [X.]VerwG 2 [X.] 49.07 - [X.]VerwGE 131, 20 = [X.] 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 jeweils Rn. 21 und 22). Nach dem gegenwärtigen [X.]eihilfensystem wird die [X.]eihilfe als Hilfeleistung, die die Eigenvorsorge der [X.]eamten ergänzt, unabhängig von einer finanziellen Notlage gewährt, um einen bestimmten Vomhundertsatz der Kosten in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen zu erstatten. Nach dem beihilferechtlichen Leistungsprogramm sind grundsätzlich diejenigen Aufwendungen beihilfefähig, die durch einen konkreten Anlass verursacht werden (vgl. Urteil vom 29. September 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 80.10 - [X.] 270 § 5 [X.]hV Nr. 22 Rn. 19 m.w.N.). Konkreter Anlass für die [X.]eihilfen im Krankheitsfall ist die Krankheit des [X.]eihilfeberechtigten oder - wenn dieser eine [X.]eihilfe zu den Aufwendungen für einen berücksichtigungsfähigen Angehörigen begehrt - die Krankheit des berücksichtigungsfähigen Angehörigen. Die Anlassbezogenheit kommt nicht nur in dem Grundsatz zum Ausdruck, dass im Krankheitsfall die [X.]ehandlungskosten im Rahmen der Notwendigkeit und der Angemessenheit beihilfefähig sind (vgl. Urteile vom 29. September 2011 a.a.[X.] und vom 12. November 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] 61.08 - [X.] 270 § 5 [X.]hV Nr. 19 Rn. 12). Sie hat zudem zur Folge, dass die notwendigen [X.]ehandlungskosten in [X.]ezug auf die Krankheit und damit die Person zu bestimmen sind, auf die das [X.]eihilfebegehren gestützt wird.

In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben sind die Aufwendungen für die heterologe In-vitro-Fertilisation für die Ehefrau des [X.] grundsätzlich notwendig im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Denn - wie das [X.]undesverwaltungsgericht ebenfalls bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 27. November 2003 a.a.[X.]) - kann durch die In-vitro-Fertilisation die gestörte Funktionsfähigkeit der Eileiter überwunden und jedenfalls der Frau die Möglichkeit der Empfängnis genetisch eigener Nachkommen (wieder-)eröffnet werden.

c) Nach § 5 Abs. 4 Nr. 4 [X.] sind die in §§ 6 bis 10 [X.] genannten Aufwendungen, die für den Ehegatten des [X.]eilhilfeberechtigten entstanden sind, nicht beihilfefähig, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 des EStG) des Ehegatten in den beiden Kalenderjahren vor der Stellung des [X.]eihilfeantrags jeweils 18 000 € übersteigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend, insoweit keine Feststellungen getroffen. Die Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, damit er diese Prüfung nachholen kann. Kommt der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte der Ehefrau des [X.] in den beiden Kalenderjahren vor der Stellung des [X.]eihilfeantrags jeweils über 18 000 € gelegen hat, wird er die im tatsächlichen [X.]ereich angesiedelte Frage zu klären haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im Zusammenhang mit der heterologen In-vitro-Fertilisation berechnete Einzelleistungen medizinisch indiziert und erforderlich gewesen sind. Zudem wird der Verwaltungsgerichtshof zu beachten haben, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum für die Aufwendungen berücksichtigungsfähiger Angehöriger eine [X.]eihilfe in Höhe von 70 v.H. beanspruchen konnte (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.]).

Meta

5 C 32/12

10.10.2013

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 14. Februar 2012, Az: 2 S 3010/11, Urteil

§ 1 Abs 3 S 1 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 1 Abs 4 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 2 Abs 1 Nr 1 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 3 Abs 1 S 1 Nr 1 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 5 Abs 1 S 1 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 5 Abs 4 Nr 4 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 6 Abs 1 Nr 1 BhV BW 1995 vom 30.10.2008, § 1592 Abs 1 Nr 1 BGB, Art 3 Abs 1 GG, Art 3 Abs 3 S 2 GG, Art 33 Abs 5 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.10.2013, Az. 5 C 32/12 (REWIS RS 2013, 2109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2109

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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