Bundessozialgericht, Urteil vom 01.02.2022, Az. B 12 R 19/19 R

12. Senat | REWIS RS 2022, 1603

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Gegenstand

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführerin einer GmbH - erweiterte Rechtsmacht - abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit - Vorliegen einer umfassenden, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassenden Sperrminorität


Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des [X.] vom 29. Oktober 2019 sowie insoweit das Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2018 aufgehoben, als die [X.] ab 16. Oktober 2015 betroffen ist. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens um die Sozialversicherungspflicht der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführerin der zu 1. [X.] i.L. (im Folgenden: Beigeladene) in der [X.] vom 16.10.2015 bis zum 31.12.2016.

2

Die Klägerin war in der [X.] vom 1.1.2015 bis zum 31.12.2016 Geschäftsführerin der [X.], die derzeit liquidiert wird, und hielt [X.] der Gesellschaftsanteile. [X.] wurden mit einfacher Mehrheit gefasst (§ 7 Abs 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrags vom 5.6.2014). Durch am 23.10.2015 in das Handelsregister eingetragenen Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 16.10.2015 wurde für bestimmte, in § 7 Abs 4 Satz 4 GV aufgelistete Angelegenheiten eine Mehrheit von [X.] festgelegt. Dazu gehören ua Satzungsänderungen, die Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern, Liquidatoren und Prokuristen einschließlich der Entscheidung über die Vertretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der [X.] mit diesen, Zustimmungen und Weisungen zu [X.], Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung sowie der Ausschluss von Gesellschaftern nebst deren Umsetzung. Der zum 1.1.2015 abgeschlossene Geschäftsführervertrag vom 31.12.2014 ([X.]) regelt in § 2 eine Reihe von Geschäften, die von der Klägerin "nur nach vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung" ausgeführt werden durften.

3

Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Kranken- ([X.]), Renten- ([X.]) und [X.] Pflegeversicherung ([X.]) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund Beschäftigung für die [X.] ab 1.1.2015 fest. Ab 1.1.2016 sei sie in der [X.] und [X.] versicherungsfrei (Bescheid vom 29.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 1.6.2016).

4

Das [X.] hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit ab 16.10.2015 Beschäftigung sowie Versicherungspflicht in der [X.], [X.], [X.] und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt worden sei. Zudem hat es festgestellt, dass die Klägerin ab diesem [X.]punkt selbstständig tätig gewesen sei, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 15.10.2018). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe seit der Satzungsänderung eine qualifizierte Sperrminorität gehabt. Sie habe zwar nicht gestaltend auf das Unternehmen ohne Zustimmung des weiteren Gesellschafters Einfluss nehmen können. Allerdings habe sie sich gegen Änderungen der Gesellschaft wirksam wehren und Weisungen an sich als Geschäftsführerin verhindern können. Ohne ihre Zustimmung habe auch die Geschäftsordnung der Geschäftsführung nicht geändert, sie nicht abberufen und ein weiterer Geschäftsführer nicht berufen sowie Zustimmungen zu [X.] nicht erteilt werden können (Urteil vom 29.10.2019).

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 7 Abs 1 SGB IV. Die Klägerin habe keine allumfassende Sperrminorität gehabt. Nach dem [X.] habe die Klägerin in zahlreichen Angelegenheiten einem Zustimmungserfordernis unterlegen. Eine notwendige Zustimmung habe sie kraft ihrer Sperrminorität nicht herbeiführen, sondern allenfalls verhindern können. Eine vom Mehrheitsgesellschafter versagte Zustimmung komme einer Weisung an die Klägerin gleich, das beabsichtigte Geschäft nicht auszuführen. Jedenfalls bis zur Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister sei mangels deren Wirksamkeit von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 29. Oktober 2019 sowie insoweit das Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2018 aufzuheben, als die [X.] ab 16. Oktober 2015 betroffen ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte überspanne die Anforderungen an eine Sperrminorität. Sperrminorität bedeute, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung blockieren zu können. Das sei bei ihr der Fall gewesen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

Zu Unrecht hat das [X.] die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das SG der Klage für die [X.] ab 16.10.2015 stattgegeben. Die mangels verfahrensrechtlicher Hindernisse zulässige Klage (dazu 1.) war insgesamt abzuweisen, denn auch hinsichtlich des noch streitigen [X.]raums ist der Bescheid vom 29.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2016 rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte hat gemäß § 7a [X.] (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, [X.]) zutreffend die Versicherungspflicht der Klägerin in ihrer Tätigkeit als [X.] der Beigeladenen in der [X.] (§ 5 Abs 1 [X.]) und [X.] (§ 20 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] idF des [X.] vom [X.], [X.] 926), jeweils bis 31.12.2015, in der [X.] (§ 1 Satz 1 [X.]I idF des Gesetzes vom [X.], aaO) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) festgestellt. Eine die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht nach den vom Senat entwickelten Maßstäben (dazu 2.) verlieh ihr weder ihre Beteiligung von [X.] der Anteile an der klagenden GmbH noch die nur eingeschränkt eingeräumte Sperrminorität (dazu 3.). Dem steht nicht das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit von [X.] bei einer Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin (dazu 4.) oder bei Weisungen zu [X.] (dazu 5.) entgegen. Ob bereits das in § 2 [X.] geregelte Zustimmungserfordernis zu einzelnen Geschäften eine "echte" Sperrminorität ausschließt, kann daher dahingestellt bleiben (dazu 6.).

1. Die Auflösung (§ 60 GmbHG) der [X.] steht einer Entscheidung des [X.] nicht entgegen. Als in Liquidation befindliche GmbH (§§ 66 ff GmbHG) ist die Beigeladene weiterhin rechtlich existent (vgl § 69 GmbHG; [X.], GmbHG, 10. Aufl 2021, § 69 RdNr 1 f). Insofern kommt es nicht darauf an, ob nach vollständiger Abwicklung des Arbeitgebers eine Statusentscheidung noch zulässig ist.

2. Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 [X.] (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, [X.]) die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass die Arbeitnehmerin von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn die Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem [X.], Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom Senat entwickelten [X.] (vgl [X.] Urteil vom 4.6.2019 - [X.] R 11/18 R - [X.]E 128, 191 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 14 f ) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl zuletzt [X.] Urteil vom [X.]; [X.] Urteil vom [X.] - [X.] R 18/18 R - juris RdNr 14; [X.] Urteil vom 7.7.2020 - [X.] R 17/18 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] RdNr 16; [X.] Urteil vom [X.] KR 30/19 R - [X.]E 130, 123 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 15).

Ist eine GmbH-Geschäftsführerin zugleich als Gesellschafterin am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für sie ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs [X.] Urteil vom 11.11.2010 - [X.]/09 - Slg 2010, [X.] - juris; [X.] Urteil vom 9.7.2015 - [X.]/14 - NJW 2015, 2481 [X.]; [X.] Urteil vom 10.9.2015 - [X.]/14 - [X.], [X.], 8 - juris Rd[X.], 47 (Holterman Ferho); [X.] Urteil vom [X.] - II ZR 244/17 - [X.]Z 221, 325 RdNr 25 ff, 32). Eine [X.] ist nicht per se kraft ihrer Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigte angesehen zu werden, über ihre Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei Gesellschaftern gegeben, die [X.] der Anteile am Stammkapital halten. Eine Minderheitsgeschäftsführerin wie die Klägerin ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Sie ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständige anzusehen, wenn ihr nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit sind [X.] nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in [X.] (§ 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl zB [X.] Urteile vom 8.7.2020 - [X.] R 26/18 R - [X.]E 130, 282 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 13 und [X.] R 4/19 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] RdNr 14, jeweils mwN).

3. Über solche, einer Selbstständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügte die Klägerin in der klagenden Gesellschaft nicht. Sie war mit einer Kapitalbeteiligung von nur [X.] keine Mehrheitsgesellschafterin und verfügte nach dem [X.] weder in seiner Fassung vom 5.6.2014 (dazu a) noch in seiner geänderten Fassung durch Beschluss vom 16.10.2015 (dazu b) über eine umfassende, dh die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität.

a) Bis zur Wirksamkeit des den [X.] ändernden [X.] vom 16.10.2015 war der Klägerin eine Sperrminorität gesellschaftsrechtlich schon nicht eingeräumt. Denn bis zu diesem [X.]punkt wurden Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst (§ 7 Abs 4 Satz 1 [X.]). Die am 16.10.2015 beschlossene Änderung des [X.] ist gemäß § 54 Abs 3 GmbHG erst mit ihrer Eintragung in das Handelsregister wirksam geworden. Erst mit dieser Eintragung war der Klägerin gesellschaftsrechtlich überhaupt eine Sperrminorität eingeräumt worden.

b) Aber auch die wirksame Änderung des [X.] hat nicht zu einer die abhängige Beschäftigung ausschließenden Rechtsmacht geführt. Die Tätigkeit einer Geschäftsführerin ist nur dann unternehmerisch, wenn sie auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann. Gesellschafter-Geschäftsführer müssen daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik (vgl [X.] Urteil vom 1.2.2022 - [X.] KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in [X.]E und [X.] vorgesehen). Daher reicht es für die erforderliche Rechtsmacht nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Dem bei der [X.] zu beachtenden Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (stRspr; vgl zB [X.] Urteil vom 7.7.2020 - [X.] R 17/18 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] RdNr 24) ist nur Rechnung getragen, wenn klar erkennbar ist, dass der [X.] bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität eingeräumt ist. Daran fehlt es hier. Der durch Beschluss vom 16.10.2015 geänderte [X.] räumte ihr zwar eine gegenüber dem [X.] vom 5.6.2014 erweiterte Rechtsmacht ein, erlaubte ihr aber nur in bestimmten Fällen eine maßgebliche Einflussnahme auf Gesellschafterbeschlüsse. In der Gesellschafterversammlung der [X.] bedurften nunmehr nur Beschlüsse in bestimmten, in § 7 Abs 4 Satz 4 [X.] gesondert aufgezählten Angelegenheiten einer Mehrheit von [X.]. Ansonsten konnten Beschlüsse weiterhin grundsätzlich mit einfacher Mehrheit ohne Vetorecht der Klägerin gefasst werden.

4. Das in § 7 Abs 4 Satz 4 [X.] geregelte Mehrheitserfordernis von [X.] bei der Abberufung von Geschäftsführern ändert die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht. Die Möglichkeit, die eigene Abberufung zu verhindern, ist in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität (vgl [X.] Urteil vom 29.6.2016 - [X.] R 5/14 R - juris RdNr 39). Ungeachtet dessen besteht eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund (vgl [X.] Urteil vom 7.7.2020 - [X.] R 17/18 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] RdNr 26), über dessen Vorliegen der Geschäftsführer in eigener Sache nicht mit abstimmen darf (vgl [X.] Urteil vom 8.7.2020 - [X.] R 26/18 R - [X.]E 130, 282 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 22 mwN; OLG Düsseldorf Beschluss vom 9.6.1999 - 16 W 17/99 - juris). Die "Gefahr" der außerordentlichen Abberufung betrifft zwar alle Geschäftsführer, da es sich bei § 38 Abs 2 GmbHG um zwingendes, nicht disponibles Recht handelt. Der auf wichtige Gründe beschränkte Widerruf der Geschäftsführerbestellung ist daher allein nicht geeignet, die sich aus einer Kapitalbeteiligung oder umfassenden Sperrminorität ergebende Rechtsmacht in Frage zu stellen (vgl [X.] Urteil vom [X.] - [X.] R 18/18 R - juris RdNr 23). Die nur außerordentliche Kündbarkeit vermag aber bei einem aufgrund der Mehrheitsverhältnisse weisungsgebundenen Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht andersherum auch nicht erst zu begründen ([X.] Urteil vom 1.2.2022 - [X.] KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in [X.]E und [X.] vorgesehen).

5. Es ist auch unerheblich, dass der Klägerin nach § 7 Abs 4 Satz 4 [X.] wegen des Mehrheitserfordernisses von [X.] bei Weisungen an die Geschäftsführung eine Sperrminorität eingeräumt war. Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 37 Abs 1, § 46 [X.] und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren (§ 45 Abs 1 GmbHG) Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH. Eine solche Einschränkung aufgrund eines Weisungen blockierenden Vetorechts des Geschäftsführers entspricht allein noch nicht einer "echten", alle Gegenstände umfassenden Sperrminorität, die zur Annahme einer die abhängige Beschäftigung ausschließenden Rechtsmacht ausreicht.

Zwar ist in der [X.]rechtsprechung darauf hingewiesen worden, dass ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer "zumindest" ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können müsse (vgl zB [X.] Urteil vom 14.3.2018 - [X.] R 5/16 R - juris RdNr 16 f). Mit dieser Formulierung ist die erforderliche Rechtsmacht aber nicht auf die ablehnende Haltung der Minderheitsgesellschafterin-Geschäftsführerin nur gegenüber Weisungsbeschlüssen der Gesellschafterversammlung reduziert worden. Allein die Rechtsmacht, in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen (oder diesen zu verhindern), reicht noch nicht, um die Geschicke des Unternehmens in allen Bereichen mitzubestimmen. Selbstständigkeit erfordert eine sich schon formal auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Sperrminorität (vgl hierzu 3. b; [X.] Urteil vom 1.2.2022 - [X.] KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in [X.]E und [X.] vorgesehen).

6. Da schon aus den genannten Gründen der Klägerin keine ausreichende Rechtsmacht eingeräumt war, kann dahinstehen, ob sie auch deshalb nicht über eine "echte" umfassende Sperrminorität verfügte, weil sie zusätzlich nach § 2 [X.] der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu einem umfassenden Katalog von [X.] bedurfte. Diese Zustimmung konnte ebenso nur mit einer Mehrheit von [X.] der Stimmen herbeigeführt werden, über die die Klägerin nicht verfügte. Es kann insoweit offenbleiben, ob ein solcher Zustimmungsvorbehalt wie eine Weisung wirkt, bestimmte Tätigkeiten zu unterlassen (vgl aber [X.] Urteil vom 8.7.2020 - [X.] R 26/18 R - [X.]E 130, 282 = [X.] 4-2400 § 7 [X.], RdNr 26; kritisch hierzu [X.], [X.], 198, 205 ff). Ob unter solchen Umständen selbst eine umfassende Sperrminorität zur Annahme von Selbstständigkeit noch ausreichen würde oder ob für eine "echte" umfassende Sperrminorität zusätzlich zu fordern ist, dass dem Geschäftsführer gerade dadurch auch umfassende Handlungsmöglichkeiten vermittelt werden, braucht der Senat hier ebenfalls nicht zu entscheiden.

7. Zutreffend hat die Beklagte die Versicherungspflicht in der [X.] und [X.] nur vom 1.1. bis zum 31.12.2015 festgestellt. Diese Versicherungspflicht endete mit Ablauf des ersten Jahres, in dem die [X.] überschritten wurde (§ 6 Abs 4 Satz 1 und [X.] idF des [X.]-Finanzierungsgesetzes vom 22.12.2010, [X.] 2309; § 20 Abs 1 Satz 1 SGB XI). Das war nach der Änderung des [X.] ab 1.1.2015 zum 31.12.2015.

8. [X.] beruht auf § 193 SGG.

[X.]                 [X.]

Meta

B 12 R 19/19 R

01.02.2022

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hamburg, 15. Oktober 2018, Az: S 15 R 751/16, Urteil

§ 25 Abs 1 S 1 SGB 3, § 7 Abs 1 SGB 4, § 7a SGB 4, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB 5, § 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 20 Abs 1 S 1 SGB 11, § 20 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 11, § 37 Abs 1 GmbHG, § 38 Abs 2 GmbHG, § 45 Abs 1 GmbHG, § 46 Nr 5 GmbHG, § 46 Nr 6 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 01.02.2022, Az. B 12 R 19/19 R (REWIS RS 2022, 1603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1603

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