Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.09.2013, Az. VI ZR 255/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2561

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

24. September 2013

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 254 [X.]; [X.] § 9; ZPO § 286 G
a)
Bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kraftfahrzeug darf bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetra-gen hat.

b)
Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des [X.] trägt regelmäßig der Halter des Kraftfahrzeugs.

[X.], Urteil vom 24. September 2013 -
VI [X.] -
OLG [X.]

LG Hildesheim

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
24.
September 2013
durch den Vorsitzenden Richter [X.], den
Richter Zoll, die Richterin [X.] und [X.] und Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5.
Zivilsenats des [X.] vom 3.
Mai 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von den [X.] wegen der Folgen eines [X.] und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung zukünftiger Schäden vorbehaltlich des [X.] auf Dritte, wobei sie eine Mithaftung von 75% hinnimmt.
Die Klägerin wurde am 6.
Februar 2009 gegen 20.11
Uhr als Fußgänge-rin beim Überqueren einer innerörtlichen Straße von dem bei der [X.] zu 2 haftpflichtversicherten PKW erfasst, dessen Halterin und Fahrerin die Beklag-1
2
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te zu 1 war. Dabei
wurde die Klägerin
schwer verletzt. Bei
der
ihr entnommenen
Blutprobe wurde
eine BAK von 1,75 Promille festgestellt.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Schmerzensgeldanspruch der Klä-gerin gegen die [X.] gemäß §
7 Abs.
1, §
11 Satz 2 [X.], §
115 Abs.
1 [X.]. Zwar habe sich der Unfall beim Betrieb des Fahrzeugs der [X.] zu
1 ereignet, doch habe die Klägerin ein Verschulden der [X.]
zu
1 am [X.] des Unfalls nicht bewiesen. Das von der Klägerin angebotene unfallanalytische Sachverständigengutachten scheide als Beweismittel aus, weil die notwendigen ausreichend konkreten
Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten
für die Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht gegeben
seien. Zwar
könnten die [X.] auch nicht den [X.] führen, doch treffe die Klä-gerin ein überwiegendes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Sie habe in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen §
25 Abs.
3 StVO die Straße überquert, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Das [X.] der Klägerin überwiege dermaßen, dass die Betriebsgefahr dahinter zurücktrete.
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II.
Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Im Ansatz
geht das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon aus, dass die [X.] auch ohne den Beweis eines Verschuldens der [X.] zu 1 grundsätzlich aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeuges für den [X.] Schaden gemäß §
7 Abs.
1,
§
11 Satz 2 [X.], §
115 Abs.
1 [X.] einzustehen haben, weil sie nicht den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gemäß §
7 Abs.
2 [X.] führen können.
2. Das Berufungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Haftung der [X.] wegen des überwiegenden Verschuldens der Klägerin verneint. Da die Klägerin weder Halterin noch Führerin eines beteiligten [X.] war, kommt eine Anspruchskürzung nach den §§
17, 18 [X.]
nicht in Betracht. Die [X.] zu
1
und 2
haften der Klägerin grundsätzlich als [X.] in vollem Umfang. Die Gefährdungshaftung kann allerdings im Rahmen der Abwägung nach §
9 [X.], §
254 Abs.
1 BGB entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhal-ten des Geschädigten darstellt (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 21. Dezember 1955 -
VI
ZR 63/55, [X.], 238
f.; vom 12. Oktober 1965 -
VI
ZR 81/64, [X.], 39
f.; vom 18. März 1969 -
VI
ZR 242/67, [X.], 571, 572 und vom 13. Februar 1990 -
VI
ZR 128/89, [X.], 535, 536). Die Abwä-gung
nach §
9 [X.],
§
254 Abs.
1 BGB setzt jedoch stets die Feststellung ei-nes haftungsbegründenden Tatbestandes
auf der Seite des Geschädigten vo-raus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach §
286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein (vgl. Senatsurteile vom 15. November 5
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5

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1960
-
VI
ZR 30/60, [X.], 249, 250; vom 8. Januar 1963 -
VI
ZR 35/62, [X.], 285, 286; vom 29. November 1977 -
VI
ZR 51/76, [X.], 183, 185; vom 10. Januar 1995 -
VI
ZR 247/94, [X.], 357, 358 und
vom 21. November 2006 -
VI
ZR 115/05, [X.], 263 Rn.
15 ff.; [X.], Urteil vom 20. Februar 2013 -
VIII
ZR 339/11, [X.], 2018
Rn.
34).
Nur [X.] oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf-grund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben
(vgl. Senatsurteil vom 20. März 2012 -
VI
ZR 3/11, [X.], 865
Rn.
12). Für die Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des §
254 Abs.
1 BGB
ist mit-hin
nur das Verhalten der Klägerin maßgebend, das
sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall
ursächlich niedergeschlagen hat (vgl. [X.] vom 10. Januar 1995 -
VI
ZR 247/94
aaO).
Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht annehmen, das Verschulden der Klägerin überwiege gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der [X.] dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Klägerin zurücktrete. Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein
derart
überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am [X.] des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese in erheblich alkoholisier-tem Zustand unter Verstoß gegen §
25 Abs.
3 StVO die Straße überquerte, oh-ne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Insoweit erweist sich das Berufungsur-teil als widersprüchlich zu der Begründung, mit der das Berufungsgericht die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat. Dazu
heißt es in dem angefochtenen Urteil, dass sich weder aus der Ermitt-lungsakte noch aus der Aussage des Zeugen M. oder der Anhörung der
Partei-en konkrete Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten entnehmen ließen, die ausreichten, um einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens über 8
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den Hergang des Unfalls zu
beauftragen. Mithin stand für das Berufungsgericht weder
fest, welche Wegstrecke die Klägerin auf der Fahrbahn bis zum Errei-chen des [X.] zurückgelegt hat, noch dass
sie für die Beklagte zu 1 nicht erkennbar gewesen ist und der Unfall durch eine
sofortige Reaktion der [X.] zu 1 nicht hätte vermieden werden können.
Das Berufungsgericht hat außerdem verkannt,
dass bei einer Nichtbe-weisbarkeit des Unfallhergangs die Beweislast für den unfallursächlichen [X.] der Klägerin nach allgemeinen Beweisgrundsätzen (vgl. [X.]/[X.], Handbuch der Beweislast 3.
Aufl. §
254 Rn.
6 f.) die [X.] tragen und nicht die Klägerin.

III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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Dabei wird sich das Berufungsgericht erforderlichenfalls auch mit der von der Revision erhobenen Verfahrensrüge zu befassen haben.

[X.]
Zoll
[X.]

Pauge
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.09.2011 -
3 O 417/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 03.05.2012 -
5 [X.] -

Meta

VI ZR 255/12

24.09.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.09.2013, Az. VI ZR 255/12 (REWIS RS 2013, 2561)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2561

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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