Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 40/08

3. Senat | REWIS RS 2011, 4169

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 04.08.2011 III R 55/08 - Kindergeld für im Inland selbständig tätige polnische Staatsangehörige - Persönlicher, zeitlicher und sachlicher Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Zurückverweisung wegen Amtsermittlungspflicht des FG)


Leitsatz

1. NV: Der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene .

2. NV: Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. D aufgeführt sind .

3. NV: Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der EU versichert ist .

4. NV: Auf einen Familienangehörigen sind, sofern er nicht selbst Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 ist, die Art. 13 ff. dieser Verordnung nicht anwendbar .

5. NV: Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, bestimmt sich dies grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Anzuknüpfen ist dabei nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt .

6. NV: Die Art. 77 ff. der VO Nr. 1408/71 enthalten spezielle Vorschriften für Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern. Das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gehört zu den Familienbeihilfen i.S.d. Art. 77 der Verordnung .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist [X.] Staatsangehöriger. Im Oktober 2004 meldete er bei der [X.] ein Gewerbe "Hausmeisterservice" an. Seine Ehefrau und der gemeinsame, im Januar 1992 geborene [X.] leben in Polen.

2

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des [X.], ihm für seinen [X.] Kindergeld zu gewähren, im Oktober 2006 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch des [X.] wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2007 als unbegründet zurück.

3

Mit Urteil vom 15. November 2007  14 K 2815/07 Kg (juris) hob das Finanzgericht ([X.]) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verpflichtete sie, über den Antrag des [X.], ihm für seinen [X.] ab November 2005 Kindergeld zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab.

4

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung ([X.]) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (Amtsblatt der Europäischen [X.]en --ABl[X.]-- 1997 Nr. L 28, [X.]) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung ([X.]) Nr. 647/2005 des [X.] und des Rates vom 13. April 2005 ([X.] --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, [X.]).

5

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

7

I[X.] [X.]ie Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

8

1. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geht das [X.] zwar davon aus, dass der Kläger die Voraussetzungen der §§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) erfüllt. Nicht gefolgt werden kann dem [X.] jedoch insoweit, als es der Ansicht ist, dass der danach grundsätzlich bestehende Kindergeldanspruch des [X.] allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der [X.] 1408/71 ausgeschlossen sein könnte. [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst wird und welches Recht in diesem Fall auf ihn anzuwenden wäre.

9

2. [X.]er Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die [X.] 1408/71 und die Verordnung ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die [X.]urchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung ([X.]) Nr. 118/97 des Rates vom 2. [X.]ezember 1996 (ABl[X.] 1997 Nr. L 28, [X.]) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung ([X.]) Nr. 647/2005 des [X.] und des Rates vom 13. April 2005 ([X.] 2005 Nr. L 117, [X.]) --[X.] 574/72--, ausgeschlossen sein.

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. [X.]ie [X.] 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit --[X.] 883/2004-- ([X.] 2004 Nr. L 166, [X.]). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer [X.]urchführung erlassenen Verordnung. [X.]iese --die Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die [X.]urchführung der [X.] 883/2004 --[X.] 987/2009-- ([X.] 2004 Nr. L 284, [X.])-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in [X.]. [X.]ie [X.] 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der [X.] 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die [X.] 1408/71 und die hierzu ergangene [X.] 574/72.

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der [X.] 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- vom 14. Oktober 2010 [X.]/09, [X.], Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --[X.]-- 2011, 86 Rdnr. 33).

c) [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 unterfällt.

aa) [X.]er persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der [X.] 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

[X.]ie in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 aufgeführten Systeme der [X.] Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der [X.] 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der [X.] Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. [X.] vom 7. Juni 2005 [X.]/03, [X.] und [X.], [X.]. 2005, [X.]. 29 ff.; vom 10. März 2011 [X.]/09, [X.], [X.] 2011, 436 [X.]. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus ([X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach [X.], [X.] Kommentierung, Art. 72 [X.] 1408/71 Rz 5). [X.]ie [X.] 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme [X.] Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. [X.] aufgeführt sind. [X.]enn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein [X.] Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel [X.] der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels [X.] der [X.] 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. [X.] vom 12. Mai 1998 [X.]/96, [X.], [X.]. 1998, I-2691 [X.]. 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 [X.]/96, [X.], [X.]. 1999, [X.] [X.]. 89 ff.; ferner [X.] vom 30. Januar 1997 [X.], [X.], [X.] und [X.], [X.]. 1997, [X.] [X.]. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 [X.]/95, [X.], [X.]. 1997, I-3279 [X.]. 21 ff., und vom 5. März 1998 [X.]/96, [X.], [X.]. 1998, [X.] [X.]. 35 f., jeweils zu Art. 73 der [X.] 1408/71; ferner [X.]-Urteil [X.] in [X.] 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 [X.]/07, [X.], 358, [X.], 923 Rz 16 ff.). [X.]as setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 bereits bejaht wurde.

Sollte sich dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 13. August 2002 [X.] ([X.]E 200, 204, BStBl II 2002, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VII[X.] Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des [X.] für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der [X.] Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der [X.] ([X.]) versichert ist. [X.]ass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 in Bezug auf ihre in [X.]eutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der [X.] Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

[X.]ie [X.] 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern, soll jeweils das System der [X.] Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die [X.] Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch [X.]-Urteil [X.] in [X.]. 1999, [X.] Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 zu bestimmen.

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in [X.] und/oder in [X.]eutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt.

[X.]a der Kläger in Bezug auf seine Tätigkeit in [X.]eutschland nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig war, gilt er zwar insoweit nicht als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71. Wie dargelegt, reicht es für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] 1408/71 jedoch aus, wenn der Kläger in irgendeinem Mitgliedstaat der [X.] als Arbeitnehmer oder Selbständiger i.S. ihres Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a gilt. Entgegen der Auffassung der Familienkasse hat das [X.] bislang allerdings noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. weshalb der Kläger in [X.] im Streitzeitraum sozialversichert war und ob er deshalb ggf. als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 anzusehen war, so dass deren persönlicher Geltungsbereich eröffnet war. Es erhält nun Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zum [X.] System der [X.] Sicherheit und dem konkreten Versichertenstatus des [X.] im Rahmen dieses Systems nachzuholen.

ee) [X.]ahinstehen kann, ob die Ehefrau des [X.] als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 und der Kläger als ihr Familienangehöriger anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 richten würde. [X.]enn diese Bestimmungen knüpfen nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. [X.]-Urteil vom 3. Juni 1999 [X.]/97, [X.], [X.]. 1999, [X.] [X.]. 22 ff.).

3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des [X.] ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst ist, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der [X.] 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt.

Anzuknüpfen ist dabei allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. [X.]ie Vorschriften des Titels II der [X.] 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von [X.] gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II dieser Verordnung im Lichte der [X.]efinitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. [X.]-Urteil vom 30. Januar 1997 [X.]/95, Hervein, [X.]. 1997, I-609 [X.]. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der [X.] Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der [X.] 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in [X.]eutschland ausgeübten Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71.

b) Im Fall des [X.] ist zu berücksichtigen, dass die Art. 77 ff. der [X.] 1408/71 auch spezielle Vorschriften für Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern enthalten. Zu den Familienbeihilfen i.S. des Art. 77 der [X.] 1408/71 gehört auch das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG (vgl. Erklärung der Bundesrepublik [X.]eutschland nach Art. 5 der [X.] 1408/71, ABl[X.] 2003 Nr. [X.], [X.], unter Ziffer IV.). Wie sich aus dem Tatbestand des [X.]-Urteils ergibt, hatte der Kläger jedenfalls vorgetragen, in [X.] eine Rente zu beziehen, von der Krankenversicherungsbeiträge abgezogen würden. Feststellungen des [X.] hierzu fehlen allerdings bislang.

c) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 ergeben, dass auf den Kläger [X.] Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des [X.] für den [X.] des [X.] ein Anspruch auf [X.] Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der [X.] 1408/71 bzw. der [X.] 574/72 zu klären. [X.]abei wären bei Anwendung des Art. 76 der [X.] 1408/71 bzw. des Art. 10 der [X.] 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 zu berücksichtigen.

d) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 die [X.] Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob [X.]eutschland als der nach der [X.] 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 [X.]/09 ([X.]E 231, 183) und [X.]/10 ([X.]E 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des [X.] in den bei diesem anhängigen Verfahren [X.]/10 und [X.]/10 in Betracht kommen könnte.

4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. [X.] Insoweit wäre, worauf das [X.] bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des [X.] für den [X.] des [X.] in [X.] ein Anspruch auf Familienleistungen bestand.

5. [X.]ie Streitsache wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O an das [X.] zurückverwiesen. Soweit der Senat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 [X.]/04 ([X.]E 210, 265, [X.], 184; vgl. ferner Senatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 1429) an einer entsprechenden Zurückverweisung an das [X.] gehindert sah, weil das [X.] --auch bei rechtlich gebundenen [X.] von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte nicht aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären dürfe, hält er daran im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des [X.] (§ 76 Abs. 1 [X.]O) nicht mehr fest.

Meta

III R 40/08

04.08.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 15. November 2007, Az: 14 K 2815/07 Kg, Urteil

§§ 62ff EStG 2002, § 62 EStG 2002, Art 1 Buchst a EWGV 1408/71, Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71, Art 13 EWGV 1408/71, Art 76 EWGV 1408/71, Art 77ff EWGV 1408/71, Anh I Teil I Buchst D EWGV 1408/71, Art 10 EWGV 574/72, Art 77 EWGV 1408/71, Art 13ff EWGV 1408/71, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO, § 76 Abs 1 FGO, Art 1 Buchst u EWGV 1408/71, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 40/08 (REWIS RS 2011, 4169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4169

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