Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2017, Az. V ZB 127/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 9196

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:220617BVZB127.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

22. Juni 2017

in der Zurückweisungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 15 Abs. 5
Die Anordnung von [X.] setzt keinen Haftgrund im Sinne von §
62 Abs. 3 [X.] voraus.
[X.], Beschluss vom 22. Juni 2017 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am
22. Juni 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
[X.], die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland und die
Richter Dr.
Kazele
und Dr. Hamdorf

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 6. September 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:

I.

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste
2012 nach [X.] ein. Der von ihm gestellte Asylantrag wurde mit Bescheid des [X.] vom 10. Juni 2014 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Zugleich wurde er aufgefordert, die [X.] binnen einer Woche zu verlassen.
Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung nach [X.] angedroht.

Am 21. Juli 2016 wollte der Betroffene mit dem Zug über [X.] erneut in das [X.] einreisen. Bei einer polizeilichen Kontrolle im Bereich von 1
2
-

3

-
Rosenheim konnte er sich mit keinem aufenthaltslegitimierenden Dokument ausweisen; er führte nur eine am 1.
April 2013 abgelaufene Aufenthaltsgestat-tung mit sich. Er erhielt eine schriftliche Einreiseverweigerung, in der seine Zu-rückweisung nach [X.] vorgesehen ist.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2016 Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis zum 21. Januar 2017 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] die Haftdauer auf den Zeitraum bis zum 21. Oktober 2016 beschränkt und die Be-schwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, den Beschluss des [X.]s aufzuheben, soweit die Be-schwerde zurückgewiesen wurde, und festzustellen, dass er durch den Be-schluss des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt ist. Die beteiligte Behörde beantragt sinngemäß die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Nach Auffassung des [X.] liegen die Voraussetzungen für eine Haftanordnung vor. Der Betroffene sei aufgrund einer unerlaubten [X.] vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.]), da er weder den für die Einreise erforderlichen Pass noch einen Aufenthaltstitel be-sessen habe. Die vollziehbare Ausreisepflicht bestehe darüber hinaus gemäß §
58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.]. Der Haftanordnung habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Aus ihm gehe hervor, dass der Betroffene ge-mäß § 15 [X.], Art.
14 VO ([X.]) Nr. 562/2006 nach [X.] zurückgewie-sen werden solle. Auch enthalte er eine ausreichende Begründung für die [X.] Haftdauer. Die Abschiebungsandrohung vom 10. Juni 2014, die nach 3
4
-

4

-
einer Bescheinigung des [X.] vom 18. Juli 2014 dem Betroffenen als zugestellt gelte, sei nicht verbraucht, weil der Betroffene nach seinen eigenen Angaben bei der Polizei nicht nach [X.] zurückgekehrt
sei, sondern sich in [X.] und [X.] aufgehalten habe. Ferner bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 15 Nr. 5
[X.]. Der Betroffene
habe erklärt, sich seit 2014 verborgen gehalten zu haben und keinesfalls einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nachkommen zu wollen. Die Dauer der Haft sei abzukürzen gewesen, da nach
Mitteilung der beteiligten Behörde in der Woche vom 26. September 2016 bis zum 2. Oktober 2016 mit einem Ergebnis der Vorführung bei der [X.] Botschaft zu rechnen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die erforderlichen Papiere in der darauffolgenden Woche vorlägen und der Flug bis zum 21.
Oktober 2016 stattfinden könne.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1.
Entgegen der Ansicht des Betroffenen liegt ein zulässiger Antrag der beteiligten Behörde auf Anordnung von [X.] vor.

a) Soweit er rügt, dass der Haftantrag zwar auf eine Zurückweisungsver-fügung Bezug nehme, diese aber nicht beigefügt gewesen sei, begründet dies keine Verletzung des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr.
5 FamFG, wonach die Vorausset-zungen der Zurückweisung
in dem Haftantrag darzulegen sind. Der Antrag ent-5
6
7
-

5

-
hält
zu diesem Punkt hinreichende
Ausführungen. Er verweist darauf, dass der Betroffene der Pass-
und Aufenthaltstitelpflicht unterliege und er weder über einen gültigen Aufenthaltstitel (§ 4 [X.]) noch über einen gültigen Pass (§
3 [X.]) verfügt habe. Damit lägen die Voraussetzungen für die Anord-nung der Zurückweisung vor. Die Verfügung über die Zurückweisung sei dem Betroffenen mitgeteilt und durch einen Dolmetscher übersetzt worden. Dass die Verfügung [X.] nicht bezeichnet ist, ändert nichts daran, dass der Be-troffene sich mit der gegebenen Begründung sachgerecht auseinandersetzen kann. Das
Beifügen
der dem Betroffenen bekannten -
diese Feststellung greift die Rechtsbeschwerde nicht an

Zurückweisungsverfügung
ist dazu nicht er-forderlich.

b) Auch die Rüge, der Haftantrag habe keine Ausführungen zu einer An-drohung der Vollstreckung der Zurückweisungsverfügung durch Zwangsmaß-nahmen enthalten, bleibt ohne Erfolg. Die Zurückweisungsentscheidung
erfor-dert keinen vorangegangenen Verwaltungsakt und auch keine Androhung mit Fristsetzung.
Sie stellt selbst einen Verwaltungsakt dar, auch wenn sie zugleich eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung in Form des unmittelbaren Zwangs nach §§ 12, 15 Abs. 2 VwVG sein kann ([X.] [X.]/[X.], 14.
Edition, §
15 Rn. 3; vgl. auch [X.] in[X.]/Dienelt, [X.], 11.
Aufl.,
§
15
[X.] Rn. 66). Daher sieht auch § 15 Abs. 5 [X.] für die Anordnung von [X.] eine derartige Vollstreckungsandro-hung
nicht vor.

c) Weiterhin enthält der Haftantrag hinreichende Ausführungen dazu, dass die Zurückweisung nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Soweit die beteiligte Behörde Ausführungen zu dem Vorliegen einer konkreten Gefahr
macht, wonach
der Betroffene entgegen der Zurückweisung versuchen wird, 8
9
-

6

-
unerlaubt einzureisen,
und sie in diesem Zusammenhang meint, dass diese Umstände auch
Haftgründe i.S.d § 62 Abs. 2 Satz
1 Nr. 5 [X.] i.V.m. § 2 Abs.
14 [X.], [X.] und Nr. 5 [X.] ausfüllten, ist dies unschädlich. Aus dem Gesamtzusammenhang der Darlegungen ergibt sich in klarer und eindeu-tiger Weise, dass die beteiligte Behörde aus dem Untertauchen des Betroffe-nen, der Unterdrückung von Dokumenten, der fehlenden Mitwirkung bei der Feststellung seiner Identität sowie der Erklärung, auf keinen Fall in sein Heimat-land [X.] zurückkehren zu wollen, die Einschätzung ableitet, der Betroffene werde sich der Zurückweisung entziehen.

2. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] gegen den Betroffenen lagen vor. Zwar rügt die [X.] zu Recht, dass das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für die Anord-nung einer Abschiebungs-
oder Zurückschiebungshaft nicht von jenen für die Anordnung einer [X.] trennt. Voraussetzung für die Anordnung von [X.] ist nach § 15 Abs.
5 Satz 1 [X.] das Vorliegen einer Zurückweisungsentscheidung, die nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Hingegen setzt die Anordnung von [X.] keinen Haftgrund im Sinne von § 62 Abs. 3 [X.] voraus. Eine Verweisung auf diese [X.] enthält § 15 Abs. 5 [X.] nicht. Nach dessen Satz 2 finden nur die in §
62 Abs. 4 [X.] bestimmten Höchstgrenzen entsprechende Anwendung. Ob für die Anordnung von [X.] eine konkrete Gefahr bestehen muss, dass der
Ausländer entgegen der Zurückweisung den Versuch unter-nehmen wird, unerlaubt einzureisen (vgl. [X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 11.
Aufl., §
15 [X.] Rn. 42; [X.]/Fränkel, [X.], 2.
Aufl., § 15
[X.] Rn. 18; [X.] [X.]/[X.], § 15 [X.] Rn.
25), kann offen bleiben. Aus den Feststellungen des [X.]

10
-

7

-

ergibt sich jedenfalls, dass auch von einer solchen konkreten Gefahr auszuge-hen war.

a) Soweit das Beschwerdegericht von einer unerlaubten Einreise des Betroffenen ausgeht, ist dies allerdings unter zwei Gesichtspunkten rechtsfeh-lerhaft. Zum einen hat der Haftrichter von der Zurückweisungsentscheidung der Behörde als Grundlage für seine Anordnung
und damit von einer nicht erfolgten Einreise
auszugehen. Über die
Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentschei-dung hat er nicht zu entscheiden. Rechtsschutz wird insoweit allein durch die Verwaltungsgerichte gewährt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 315 Rn. 11, 21 zum Transitaufenthalt; [X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 11.
Aufl., § 15 [X.] Rn. 69; [X.] [X.]/[X.], 14. Edition, § 15 [X.] Rn. 7). Zum anderen ist auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] eine
unerlaubte
Einreise
nicht zu erkennen. Die Einreise im Sinne von § 13 [X.] ist der tatsächliche Vorgang des Betretens des Hoheitsgebiets der [X.] [X.]. Dieser Vorgang ist zeitlich und räumlich gestreckt. An einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer nach § 13 Abs. 2 Sätze
1 und 2
[X.] nicht schon dann rechtlich
eingereist, wenn er die Grenze überschrit-ten hat, sondern erst dann, wenn er die Grenzübergangsstelle endgültig pas-siert hat ([X.] [X.]/[X.], 14. Edition, § 13 [X.] Rn. 2). [X.] ist
bei Kontrollen in einem fahrenden Zug
nach Punkt 13.2.7 Satz 1 AVwV-[X.] zu § 13
[X.] eine Einreise erst dann erfolgt, wenn sich der Zug auf [X.] Hoheitsgebiet befindet, die grenzpolizeiliche Kontrolle im Zug beendet wurde und die [X.] den Zug verlassen haben.
Hier ist der Betroffene in einem Zug einer grenzpolizeilichen Kontrolle unterzogen worden, so dass noch keine Einreise in das [X.] vorliegt; das stellt 11
12
-

8

-
auch die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede.

b) Aus den Feststellungen des [X.] ergibt sich neben dem Vorliegen einer Zurückweisungsentscheidung auch, dass diese nicht un-mittelbar vollzogen werden kann. Die mit der Einreiseverweigerung getroffene Entscheidung über die
Zurückweisung nach [X.] konnte nicht unmittelbar
vollzogen werden, weil der Betroffene nicht im Besitz eines gültigen Reisepas-ses war und deshalb über die [X.] Botschaft ein Passersatzpapier be-schafft werden musste. Weiterhin geht aus den Ausführungen des Beschwer-degerichts im Zusammenhang mit den von ihm angenommenen
Haftgründen
das
Bestehen eines begründeten
Verdachts hervor, dass der Betroffene versu-chen wird, unerlaubt in das [X.] einzureisen. Die Rechtsbeschwerde greift die insoweit vorgenommene tatrichterliche Würdigung nur dahingehend an, dass
in rechtlich unzutreffender
Weise Haftgründe geprüft worden
seien.
Dass die tatrichterliche Würdigung auf eine unzureichende Tatsachengrundla-ge gestützt worden ist, macht sie nicht geltend.

3. Auf die von der Rechtsbeschwerde gerügte fehlende Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung aus dem [X.] und deren Verbrauch durch die erfolgte Ausreise des Betroffenen kommt es für die Anordnung der [X.] nicht an. Auch der Befristung eines Einreise-
und Aufenthaltsverbots
bedurfte es nicht, da die Zurückweisung -
anders als die Abschiebung oder Zu-rückschiebung -
nicht zu einem Einreise-
und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs.
1 Satz 1 [X.] führt
und
keine Einreisesperre auslöst
([X.] [X.]/[X.], 14. Edition, § 15 Rn. 5).
13
14
-

9

-
IV.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgese-hen.

[X.] Brückner Weinland

Kazele

Hamdorf

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.07.2016 -
1 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 06.09.2016 -
4 T 2847/16 -

15

Meta

V ZB 127/16

22.06.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2017, Az. V ZB 127/16 (REWIS RS 2017, 9196)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9196

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 127/16 (Bundesgerichtshof)

Zurückweisungssache: Voraussetzung der Anordnung von Zurückweisungshaft


V ZB 162/17 (Bundesgerichtshof)

Zurückweisungshaftsache: Abschließendes Sonderregime für die Haftanordnung; Erforderlichkeit eines begründeten Verdachts der unerlaubten Einreise


V ZB 162/17 (Bundesgerichtshof)


65 T 2894/18 (LG Landshut)

Antrag auf Verlängerung der Zurückweisungshaft


64 T 2644/18, 64 T 2654/18 (LG Landshut)

Abschiebungshaft, Ausschreibung, Syrien, Bundespolizei, Haft, Rückführungsmaßnahmen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 127/16

V ZB 274/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.