Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2012, Az. III R 58/08

3. Senat | REWIS RS 2012, 8081

STEUERRECHT AUSBILDUNG BUNDESFINANZHOF (BFH) KINDERGELD FREMDSPRACHEN

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Gegenstand

Au-Pair-Aufenthalte im Ausland als Ausbildung - Mindestanforderungen an begleitenden Sprachunterricht - Bindung an Sachverhaltswürdigung des FG


Leitsatz

1. Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses sind grundsätzlich nur dann als Berufsausbildung anzusehen, wenn sie von einem durchschnittlich mindestens zehn Wochenstunden umfassenden theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden (Bestätigung der Rechtsprechung). Bei weniger als durchschnittlich zehn Wochenstunden können ausnahmsweise einzelne Monate als Berufsausbildung zu werten sein, wenn sie durch intensiven, die Grenze von zehn Wochenstunden deutlich überschreitenden Unterricht geprägt werden (z.B. Blockunterricht oder Lehrgänge) .

2. Darüber hinaus können Auslandsaufenthalte im Einzelfall als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Fremdsprachenunterricht zwar weniger als zehn Wochenstunden umfasst, aber einen über die übliche Vorbereitung und Nachbereitung hinausgehenden zusätzlichen Zeitaufwand erfordert (z.B. fachlich orientierter Sprachunterricht, Vorträge des Kindes in der Fremdsprache) .

3. Auslandsaufenthalte, die von einer Ausbildungsordnung oder Prüfungsordnung zwingend vorausgesetzt werden oder der Vorbereitung auf einen für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest dienen (z.B. TOEFL oder IELTS), können unabhängig vom Umfang des Fremdsprachenunterrichts als Berufsausbildung zu qualifizieren sein .

Tatbestand

1

I. Die im Februar 1986 geborene Tochter des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) beendete ihre Schulausbildung am 30. Juni 2006. Von August 2006 bis 30. Juni 2007 hielt sie sich als Au-pair in [X.] auf. Sie beabsichtigte, danach Betriebswirtschaftslehre zu studieren, und wollte durch den Auslandsaufenthalt aus ihrer Sicht unentbehrliche [X.]kenntnisse erwerben. An einem College besuchte sie den [X.] "[X.] Skills for Life Level 1", der am 11. September 2006 begann und am 30. Juni 2007 endete. Sie hatte zweimal in der Woche je zwei Stunden Unterricht. Außerdem hatte sie wöchentlich zwei Stunden Virtual Learning Environment, die von einem Tutor beaufsichtigt wurden. Ihre Gastmutter bestätigte, sie zwei Stunden täglich in [X.] unterrichtet zu haben.

2

Der Kläger behauptet, seine Tochter habe wöchentlich rund 18 Stunden für den Sprachunterricht zuzüglich vier Stunden für Hausaufgaben aufgewendet. Hinzu komme die Unterweisung durch die Gastmutter. Zudem habe sie den Sprachtest abgelegt. Seit Oktober 2007 studiere sie an der [X.] in F.

3

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter ab Juli 2006 auf und forderte das überzahlte Kindergeld für den Zeitraum Juli bis Oktober 2006 in Höhe von 616 € zurück. Den Einspruch wies sie als unbegründet zurück.

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1640). Es führte aus, die Tochter sei während ihrer Au-pair-Tätigkeit nicht für einen Beruf ausgebildet worden (§§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --EStG--). Der Auslandssprachaufenthalt sei für das von ihr angestrebte Studium der Betriebswirtschaft nicht vorgeschrieben oder empfohlen worden. Sie habe nur an sechs Unterrichtsstunden wöchentlich am College teilgenommen. Es sei nicht ersichtlich, dass es sich bei der Unterweisung durch die Gastmutter um einen theoretisch-systematischen Unterricht gehandelt habe und dass die Gastmutter dafür qualifiziert gewesen sei. Der Test "[X.] Skills for Life" werde nur in [X.], [X.] und [X.] angeboten und richte sich insbesondere an Personen, die seit vielen Jahren in [X.] leben, die die [X.] Staatsbürgerschaft erwerben wollten, an Flüchtlinge oder Asylbewerber sowie an Gastarbeiter und an Familiennachzügler. Der von der Tochter besuchte [X.] bereite also auf einen Test vor, der der Integration von Zuwanderern in [X.] diene. Ein kindergeldrechtlich relevanter Prüfungsabschluss setze dagegen voraus, dass dieser international oder zumindest in dem Land, in dem das Kind eine Berufstätigkeit anstrebe, anerkannt sei.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die mangelhafte Sachaufklärung durch das [X.] sowie die Verletzung materiellen Rechts.

6

Der Kläger beantragt, das [X.]-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Aufhebungsbescheid aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für seine Tochter ab Juli 2006 festzusetzen.

7

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 [X.]/08, [X.], 546, [X.], 298).

a) Eine Berufsausbildung kann auch im Ausland absolviert werden. Sofern ein Kind dort z.B. eine [X.] oder Fachschule besucht oder ein Praktikum zur Erlangung beruflicher Qualifikationen ableistet (Senatsurteil vom 26. August 2010 III R 88/08, [X.], 26), kann es auch dann berücksichtigt werden, wenn zugleich ein Au-pair-Verhältnis besteht. Ein Au-pair-Verhältnis dient regelmäßig nicht der Ausbildung; es schließt die Berücksichtigung eines Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wegen einer anderweitigen Ausbildung jedoch ebenso wenig aus wie ein neben der Ausbildung bestehendes [X.] (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 III R 88/07, [X.], 132).

b) Nicht jeder Auslandsaufenthalt, der zu einer Verbesserung der Kenntnisse in der jeweiligen Landessprache führt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Ausbildung für einen Beruf (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 19. Februar 2002 [X.]/00, [X.], 192, [X.] 2002, 469; Senatsbeschlüsse vom 31. August 2006 III [X.]/06, [X.], 2256; vom 14. September 2009 [X.]/08, [X.], 34). Zwecks Abgrenzung von längeren Urlauben und sonstigen Auslandsaufenthalten, etwa zur Persönlichkeitsbildung --z.B. zur Verbesserung der Selbstständigkeit oder um andere Länder und Kulturen kennenzulernen--, werden Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses nach ständiger Rechtsprechung daher nur dann als Berufsausbildung angesehen, wenn sie von einem [X.] Sprachunterricht begleitet werden, der nach seinem Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigt und grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden umfassen muss ([X.]-Urteil vom 9. Juni 1999 [X.], [X.], 88, [X.] 1999, 701). Dabei ist grundsätzlich eine Durchschnittsbetrachtung für die Dauer des gesamten Aufenthaltes anzustellen, so dass bei insgesamt hinreichend umfangreichem Unterricht die Berücksichtigung in einem Ferienmonat nicht unterbrochen wird. Bei weniger als durchschnittlich zehn Wochenstunden können ausnahmsweise einzelne Monate gleichwohl als Berufsausbildung zu werten sein, wenn sie --z.B. infolge von Blockunterricht oder [X.] durch intensiven, die Grenze von zehn Wochenstunden deutlich überschreitenden Unterricht geprägt werden.

c) Sprachaufenthalte im Ausland können darüber hinaus unter besonderen Umständen des Einzelfalls als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Fremdsprachenunterricht zwar weniger als zehn Wochenstunden umfasst, aber einen über die übliche Vor- und Nachbereitung hinausgehenden erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand des Kindes erfordert. Dies kann z.B. darauf beruhen, dass Einzelunterricht oder fachlich orientierter Sprachunterricht (z.B. [X.] für Juristen) erteilt wird oder das Kind Vorträge in der Fremdsprache hält (Senatsbeschluss in [X.], 2256).

d) Bezwecken der Auslandsaufenthalt und der Sprachunterricht, ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest zu erlangen (z.B. [X.] oder [X.]), oder wird ein Auslandsaufenthalt von einer Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend vorausgesetzt, so kann ein Auslandsaufenthalt ebenfalls als Berufsausbildung zu qualifizieren sein, obwohl weniger als zehn Wochenstunden Sprachunterricht erteilt werden.

e) Ein Auslandsaufenthalt ohne gründliche Sprachausbildung gehört demgegenüber nicht bereits deshalb zur Berufsausbildung, weil er Erfahrungen und Fähigkeiten vermittelt, die sich allgemein förderlich auf die Aussichten auswirken, für einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung ausgewählt zu werden, ohne dafür indessen erforderlich zu sein. Denn derartige Vorteile können auch durch eine vorübergehende Berufstätigkeit im Ausland oder längere Besuche bei im Ausland lebenden Verwandten erreicht werden, die ebenfalls nicht als Berufsausbildung eingestuft werden könnten.

Im Übrigen berücksichtigen einige Hochschulen und Arbeitgeber bei der Bewerberauswahl auch die Ausübung von Mannschaftssportarten oder Leistungssport sowie soziales oder politisches Engagement von [X.], weil sie Kooperationsfähigkeit, Initiative oder Leistungsbereitschaft indizieren; um eine Berufsausbildung handelt es sich indessen bei der Mitgliedschaft in einer Sportmannschaft oder der Mitarbeit in einer Hilfsorganisation oder der Jugendorganisation einer politischen Partei unzweifelhaft nicht.

2. Die Entscheidung des [X.], dass die Tochter des [X.] während ihres [X.] nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde, ist danach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Tochter des [X.] --ohne Berücksichtigung der behaupteten Unterweisung durch die [X.] weniger als zehn Unterrichtsstunden wöchentlich erhalten hat. Der vom Kläger behauptete Zeitaufwand für Hausarbeiten von vier Stunden ist dabei vom [X.] in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] im Hinblick auf das Erfordernis von zehn Wochenstunden nicht einbezogen worden (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 192, [X.] 2002, 469).

b) Ob eine sprachliche Unterweisung durch eine Person ohne Lehrqualifikation --hier die [X.] als theoretisch-systematischer Fremdsprachenunterricht zu werten ist, hat das [X.] aufgrund der Umstände des Einzelfalls als Tatsacheninstanz zu entscheiden. Seine Sachverhaltswürdigung bindet den [X.] nach § 118 Abs. 2 [X.]O, wenn sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30).

Mangels detaillierter Angaben des gemäß § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung in erhöhtem Maße zur Mitwirkung an der Aufklärung des [X.] verpflichteten [X.] zu Inhalt und Form des Unterrichts (systematisches Durcharbeiten eines Lehrbuches? Konversation beim Bügeln und beim Hausputz?) und zur Vorbildung der Gastmutter (höherer Schulabschluss?) ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] die bescheinigte Unterweisung unberücksichtigt ließ.

c) [X.] nicht zu beanstanden ist auch die Entscheidung des [X.], dass es sich bei der Prüfung "[X.]" nicht um einen anerkannten Prüfungsabschluss im Sinne des [X.]-Urteils vom 9. Juni 1999 [X.] ([X.], 107, [X.] 1999, 710) handelt, der es rechtfertigen würde, den Au-pair-Aufenthalt trotz des weniger als zehn Wochenstunden umfassenden Unterrichts als Berufsausbildung anzusehen. Da die absolvierte Sprachprüfung für die Integration von Einwanderern konzipiert wurde und --anders als [X.] und [X.]-- für die weitere Zulassung zu einem Ausbildungsgang oder Beruf nicht unmittelbar nützlich ist, ist die Sachverhaltswürdigung des [X.] jedenfalls möglich und daher für den [X.] bindend (§ 118 Abs. 2 [X.]O).

3. Die Verfahrensrüge der mangelhaften Sachverhaltsaufklärung greift nicht durch. Von einer Begründung sieht der Senat ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 [X.]O).

Meta

III R 58/08

15.03.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 22. Januar 2008, Az: 12 K 775/07, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2002, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 118 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2012, Az. III R 58/08 (REWIS RS 2012, 8081)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8081

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