Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2017, Az. 5 StR 409/16

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 17599

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Gegenstand

Schwere Brandstiftung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Suizidabsicht: Bedingter Tötungsvorsatz bei einer Brandstiftung und anschließender Herbeiführung eines Frontalzusammenstoßes; konkrete Gefahr des Todes bei Inbrandsetzen eines Mehrfamilienhauses mit Brandbeschleuniger


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 4. Mai 2016 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer [X.]stiftung (Fall 1 der Anklage) und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit versuchter Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel und mit Sachbeschädigung (Fall 2 der Anklage) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es (auf Grundlage der Verurteilung im Fall 2 der Anklage) dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen, eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte im Fall 1 der Anklage nur wegen schwerer [X.]stiftung verurteilt worden ist. Sie erstrebt mit ihrer insoweit beschränkten, zuungunsten des Angeklagten eingelegten und vom [X.] vertretenen Revision die Verurteilung wegen besonders schwerer [X.]stiftung und wegen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2

1. Das [X.] hat zu Fall 1 der Anklage folgende Feststellungen getroffen:

3

Aufgrund des Verlustes seines Arbeitsplatzes Ende Juli 2015 und vergeblicher Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle verlor der Angeklagte allmählich sein Selbstwertgefühl und seine Lebensenergie. Er zog sich zurück und geriet in einen Zustand sich steigernder Depressivität, den er mit Alkoholkonsum zu bewältigen suchte. Bei sich verschlechternder Stimmungslage und „damit verbundener eingeschränkter psychosozialer Funktionsfähigkeit“ wuchs in ihm die Idee, sich zu töten und zuvor seinen persönlichen Lebensraum zu vernichten. Er stellte sich vor, seine Wohnung mit seinen persönlichen Gegenständen „abzufackeln“, wie er bereits im Jahr 2005 nach einer Auseinandersetzung mit seinem damaligen Arbeitgeber einen „Haufen persönlicher Dinge“ in seiner damaligen [X.] in [X.] gesetzt hatte; zu einem Strafverfahren war es seinerzeit nicht gekommen.

4

In Umsetzung seines Plans erwarb der Angeklagte 20 Liter Benzin, die er in einem Kanister im Kofferraum seines Pkw‘s lagerte. Im weiteren Tagesverlauf trank er in seiner Wohnung größere Mengen Alkohol und schlief ein. Als er am Abend erwachte, begann er erneut, über eine Sinnlosigkeit des Lebens zu grübeln. Er entschloss sich, seinen Plan zur Inbrandsetzung seiner im Erdgeschoss eines zweigeschossigen Wohnhauses gelegenen Wohnung und zur anschließenden Selbsttötung zu realisieren. Zu diesem Zeitpunkt und auch später bei der Tatbegehung, war er aufgrund seiner psychischen Verfassung und der sie verstärkenden Wirkung des Alkohols (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,07 ‰) in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.

5

Er holte den Benzinkanister. Weil er aus der Nachbarwohnung im Erdgeschoss die Geräusche eines laufenden Fernsehgeräts hörte, wartete er das Abschalten des Geräts ab. Er wollte sicher sein, dass sein Nachbar eingeschlafen war, weil er fürchtete, dass es bei einem zu schnellen Herbeirufen der Feuerwehr durch diesen nicht mehr zum vollständigen Ausbrennen seiner Wohnung kommen werde. Dagegen machte er sich keine Gedanken darüber, dass als Folge seiner [X.]legung der [X.] oder Erdgeschossbewohner des unmittelbar („[X.]“) angrenzenden [X.] körperlich zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnte.

6

Er stapelte Kleidungsstücke und sonstigen brennbaren Inhalt seiner Schränke auf einer Couch und kippte den Inhalt des Benzinkanisters darüber aus. Gegen 2:30 Uhr zündete er die benzingetränkte Couch an und verließ das Haus. Wie von ihm erwartet brannte seine Wohnung samt Inventar aus. Über das Treppenhaus verbreitete sich das Feuer in das obere Dachgeschoss und setzte den Dachstuhl in [X.]. Von dort griff es auf den Dachstuhl des zweigeschossigen [X.] über, bevor die Feuerwehr den [X.] unter Kontrolle bringen und löschen konnte.

7

Die Dachgeschosswohnungen beider Häuser waren zur Tatzeit nicht bewohnt. Aufgrund der mit der [X.]ausbreitung verbundenen Geräusche wurden sowohl der noch wach im Bett liegende [X.] als auch eine im Erdgeschoss des [X.] schlafende Anwohnerin aufgeschreckt, die dort mit ihrer betagten und schwerbehinderten Mutter wohnte. Deswegen konnten alle Bewohner der beiden Häuser ihre Wohnungen, teilweise über einen weiteren zur Hofseite gelegenen Ausgang, rechtzeitig verlassen und sich in Sicherheit bringen.

8

Der Angeklagte fuhr nach der [X.]legung in seinem Pkw umher. Nachdem er sich vom Erfolg der Inbrandsetzung seiner Wohnung überzeugt hatte, wollte er nunmehr seinem Leben ein Ende setzen. Hierzu wollte er - was den Gegenstand der in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung im Fall 2 der Anklage bildet - einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug herbeiführen. Als er ein ihm mit eingeschaltetem Sondersignal entgegenkommendes Polizeifahrzeug bemerkte, steuerte er seinen Pkw auf die Gegenfahrbahn. Die Kollision konnte jedoch durch eine geistesgegenwärtige Reaktion des Polizeibeamten gerade noch verhindert werden.

9

2. Die [X.] hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen angenommen, der Angeklagte habe sich zur Tatzeit in einer durch zunehmende Angst, Depression, Anspannung und Gekränktheit gekennzeichneten besonderen psychischen Lage befunden. Diese habe zu einer kognitiv-emotionalen Einengung geführt und in Verbindung mit der enthemmenden Wirkung des Alkohols einen Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet.

Sie hat das Verhalten des Angeklagten als schwere [X.]stiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Tatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB sei nicht erfüllt, weil keine konkrete Gefahr für das Leben eines anderen Menschen bestanden habe.

Eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 22, 23 StGB hat das [X.] verneint, weil nicht sicher feststellbar gewesen sei, dass der Angeklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung oder des Todes zu bringen. Zwar müsse ein Täter, der unter Verwendung einer großen Menge [X.]beschleuniger seine in einem Mehrfamilienhaus liegende Wohnung in [X.] setze, „unter normalen Umständen“ davon ausgehen, dass das Feuer auf andere Teile des Hauses übergreife und dort wohnende Menschen in Todesgefahr bringe. Dieser „Erfahrungssatz“ sei hier aber ausnahmsweise nicht gültig. Denn der Angeklagte habe nach dem plausiblen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen angesichts der massiven gedanklichen Einengung, Ich-Bezogenheit und Emotionalität, in die ihn die depressive Grundstimmung verbunden mit dem Selbsttötungsentschluss gebracht habe, das Schicksal seiner Nachbarn aus seinen Überlegungen möglicherweise vollständig ausgeblendet. Dies habe eine Bestätigung im Verhalten bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gefunden, als er sich nach einem Hinweis des Vernehmungsbeamten auf mögliche Folgen seiner [X.]legung für Nachbarn völlig überrascht gezeigt habe.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt keinen Rechtsfehler auf.

1. Die Beweiswürdigung des [X.]s zum Tötungsvorsatz hält eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteile vom 18. September 2008 - 5 [X.], [X.], 401; vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13, [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64) sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. [X.], Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186, und vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, [X.], 204 mwN). Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist. Ein mögliches Fehlen des [X.] hat der [X.] gerade auch in Fällen anerkannt, in denen der Täter seine lebensgefährlichen Handlungen, mit denen er Dritte tötete oder in Todesgefahr brachte, in (prä-)suizidaler Situation ohne feindselige Gesinnung gegenüber den Gefährdeten vorgenommen hat (vgl. [X.], Urteile vom 22. November 2001 - 1 [X.], [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 53, und vom 12. Juni 2008 - 4 [X.], [X.], 309, 310; Beschluss vom 27. Juni 1986 - 2 [X.], [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1).

b) Zwar hat die [X.] die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, insgesamt nur relativ knapp erörtert. Sie hat in ihre Betrachtung jedoch die wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und insbesondere die Gefährlichkeit der Tathandlung nicht aus den Augen verloren. Auch die Revision zeigt mit ihrer Wiederholung der Feststellungen, die sie lediglich einer eigenen Wertung unterzieht, keinen Aspekt auf, den das [X.] übersehen haben könnte.

Soweit die Beschwerdeführerin einen Widerspruch darin zu erkennen meint, dass das [X.] hinsichtlich des unmittelbar nachfolgenden Tatgeschehens im Fall 2 der Anklage trotz derselben psychischen Verfassung des Angeklagten einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen habe, ist dies in der Beweiswürdigung nachvollziehbar begründet worden. Danach war es zwangsläufige Folge des Suizidplans des Angeklagten, dass wegen der Einheitlichkeit des Kollisionsvorgangs auch die Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs zu Tode kommen konnten (sogenanntes Mitbewusstsein, vgl. etwa LK-StGB/[X.], 12. Aufl., § 15 Rn. 137 f. mwN). Entgegen der Auffassung der Revision ging daher nicht „unzweifelhaft“ von beiden Handlungen „gleichermaßen“ massives Gefährdungspotential aus. Zudem hat das [X.] in seine Beweiswürdigung auch die Äußerungen des Angeklagten unmittelbar nach seiner Festnahme einbezogen. Ihnen ist zu entnehmen, dass er - anders als bezüglich möglicher Folgen der [X.]legung - die vom beabsichtigten Frontalzusammenstoß ausgehende Fremdgefährdung erkannt und hingenommen hatte ([X.]). Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

2. Die [X.] hat den Angeklagten zu Recht auch nicht wegen besonders schwerer [X.]stiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt.

a) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Hierzu muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben. Die Sicherheit einer bestimmten Person muss - was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - so stark beeinträchtigt worden sein, dass der Eintritt der Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing. Allein der Umstand, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt dabei noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr in diesem Sinne (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2013 - 4 StR 401/13, [X.]R StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1 Todesgefahr, konkrete 1, mwN).

b) Auf Grundlage der von der [X.] getroffenen Feststellungen war noch keine konkrete Todesgefahr eingetreten, als die Bewohner der Nachbarwohnung bzw. des [X.] wegen der Geräuschentwicklung auf den [X.] aufmerksam wurden. So verblieb dem unmittelbaren Nachbarn Zeit, seine Wohnung zu verlassen, um die Geräuschquelle herauszufinden und vom Hausflur aus den [X.] festzustellen. Anschließend vermochte er die Feuerwehr zu verständigen, bevor er das Haus verließ. Die ebenerdigen Fluchtwege aus seiner Wohnung und der Erdgeschosswohnung des [X.], auf denen sich sämtliche gefährdeten Hausbewohner eigenständig in Sicherheit bringen konnten, waren durch den [X.] noch nicht beeinträchtigt. Die Revision verkennt mit ihren Ausführungen zu einer „unmittelbaren Notsituation für die im Haus verbliebenen Bewohner“, dass die Feststellungen zum Ausmaß des Feuers und der [X.]schäden nicht die Gefahrenlage in dem Zeitpunkt beschreiben, in dem die Nachbarn die Häuser verließen. Vielmehr betreffen sie die spätere Entwicklung des [X.]es und dessen Folgen.

Soweit die Beschwerdeführerin eine [X.] der Feststellungen bemängelt im Hinblick auf die Bauweise des Hauses und in Bezug auf die Frage, wie stark sich dort [X.] entwickelt und der [X.] in der Wohnung des Angeklagten sich ausgebreitet hatte, als der Nachbar den Hausflur betrat, ist eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden.

[X.]     

       

Dölp     

       

König 

       

[X.]     

       

[X.]     

       

Meta

5 StR 409/16

11.01.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Neuruppin, 4. Mai 2016, Az: 11 Ks 2/16

§ 15 StGB, § 21 StGB, § 20 StGB, § 22 StGB, § 23 StGB, § 211 StGB, § 306b Abs 2 Nr 1 StGB, § 315b StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2017, Az. 5 StR 409/16 (REWIS RS 2017, 17599)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1765 REWIS RS 2017, 17599

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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