Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2019, Az. 5 StR 299/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 2805

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[X.]:[X.]:[X.]:2019:091019U5STR299.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR 299/19

vom
9. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

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2
-
Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 9. Okto-ber
2019, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.] Prof. Dr. Sander,

als Vorsitzender,

[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
die [X.] am [X.]
Prof. Dr. König,
Prof. Dr. [X.],

als beisitzende [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter des
[X.]s,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:

1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 2. Januar 2019 mit den Feststellungen

ausgenommen diejenigen zum objekti-ven Tatgeschehen

aufgehoben.

2.
Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Seine weitergehen-de Revision wird verworfen.

3.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.]s zurückverwiesen.

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Von Rechts wegen
-

Gründe:
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Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt. Die

vom [X.] vertretene und ebenfalls mit der Sachrüge begründete

Revision der [X.] hat zu Lasten des Angeklagten die überwiegende Aufhebung des Urteils zur Folge.
I.
1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte ist seit vielen Jahren alkoholabhängig und hat bereits mehrere Therapiemaßnahmen erfolglos durchlaufen. Seit 1985 musste er zahl-reiche Haftstrafen u.a. wegen Nötigung, Diebstahls, räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und räuberischer Erpressung verbüßen. Zuletzt wurde im März 2018 eine sechsmonatige [X.] wegen Körperverletzung und anderer Delikte gegen ihn verhängt.
In einer betreuten Wohneinrichtung für suchtkranke Menschen hatte er 2014 das spätere Tatopfer kennengelernt, die 18 Jahre jüngere

K.

; auch sie war dem Alkohol verfallen und litt zudem an einer [X.]. Beide waren seitdem liiert, stritten sich aber immer wieder. Ein im [X.] 2017 geborenes gemeinsames Kind wurde Anfang 2018 auf Drängen des [X.] dauerhaft in eine Pflegefamilie gegeben. Der Angeklagte machte hierfür insbesondere seine Partnerin verantwortlich, weil diese durch ihre zahl-reichen [X.] auch ihn wieder zu eigenem Alkoholkonsum verführt hätte. Er entwickelte schließlich, zumindest wenn er Alkohol getrunken hatte, Hassgefühle gegen sie.
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Nach einem Gerichtstermin gab es erneut erheblichen Streit zwischen beiden. Die Gedanken des Angeklagten kreisten darum, dass er sich von seiner Partnerin ausgenutzt fühle, sie sein Leben zer
Grünanlage unmittelbar vor dem Polizeirevier

gab es nach einer vorüber-gehenden räumlichen Trennung ein letztes Gespräch, bei dem der Angeklagte zunächst noch wünschte, hieraus die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wiedererlangen zu können. Das Gespräch verlief aber in eine andere Richtung.

sie ihm gegenüber ihre Verachtung zum Aus-druck.
Der gekränkte und enttäuschte Angeklagte beschloss nunmehr [X.], dass

K.

für das, was sie ihm angetan hatte, sterben müsse. Er führte im Hosenbund ein Küchenmesser mit 20 cm langer Klinge bei sich. Ohne dass sie zu einer Abwehrreaktion fähig war, stach er mit Tötungsabsicht
.
Er traf sie jedoch lediglich am linken Oberschenkel. Sie sprang schreiend auf und lief davon, wurde aber nach wenigen Metern vom [X.]n eingeholt, der ihr unmittelbar nachgesetzt hatte. Er stach ihr

wiederum mit
Tötungsabsicht

mit voller Wucht das Messer von hinten im Bereich der rech-ten Schulter in den Rücken. An der hierdurch verursachten schweren Verlet-zung starb

K.

kurze Zeit später. Der Angeklagte rief die Polizei und stellte sich, wobei er die Tat sogleich zugab.
2. Nach Auffassung des [X.]s hat der alkoholisierte, jedoch voll schuldfähige Angeklagte (maximal 2,1 Promille Blutalkoholkonzentration) zwar 5
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objektiv heimtückisch gehandelt. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er sich bei seinem Angriff auf das Leben seines Opfers des Umstandes bewusst war,
dass er es überraschte und seine Überraschung zur Überwindung der Gegenwehr ausnutzte.
II.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision zu Recht die Ab-lehnung des [X.] der Heimtücke.
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg-
und Wehrlosigkeit des [X.] bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilf-losen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Auch ein offen feind-seliger Angriff kann heimtückisch sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 15. November 2017

5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 mwN).
Für das bewusste Ausnutzen von Arg-
und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, ei-nen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 22. Mai 2019

2 StR 530/18, [X.], 520). Das [X.] kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet wer-8
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den, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juli 2018

5 [X.], [X.], 26). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer ra-schen Eingebung folgend begangen hat (vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 2019

2 StR 530/18 aaO mwN). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des [X.], die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beein-trächtigt ([X.], aaO mwN). Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegun-gen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der [X.] bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen [X.] des [X.] auf seine Erkenntnisfähigkeit ([X.], aaO mwN). Bei der Be-urteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht
zu bewertende Frage (vgl. [X.], aaO mwN).
2. Auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprü-fungsmaßstabes erweist sich die Ablehnung des [X.]s als rechtsfehlerhaft. Die zugrundeliegende Würdigung weist Lücken auf und
wird deshalb dem genannten Maßstab nur teilweise gerecht.
a) Das [X.] hat folgende Gründe zur Ablehnung des Ausnut-zungsbewusstseins angeführt: Der zu [X.] Verhalten neigende und nur eingeschränkt zur Impulskontrolle fähige Angeklagte sei emotional aufgewühlt und aufs Äußerste frustriert sowie alkoholisiert gewesen. Er habe sich Beleidi-gungen und Vorhalten des [X.] ausgesetzt gesehen. Unter Alkoholeinfluss baue er ein starkes Aggressionspotential auf und sei dann zu vernünftigen Problemlösungen nicht mehr in der Lage. Es sei daher nicht ausgeschlossen, 11
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dass der stets fahrige Angeklagte sich des Umstandes, sein Opfer durch einen Angriff mit dem Messer zu überraschen und seine Abwehr dadurch zu [X.], nicht bewusst gewesen sei. [X.] sei allein ein von ihm bilanzier-

der [X.] ohne Tötungsgedanken in das Gespräch gegangen.
b) Damit hat die [X.] ganz wesentlich auf Punkte abgestellt, die das Hemmungsvermögen des Angeklagten betreffen, ohne darzulegen, wes-halb diese unmittelbare Auswirkungen auf seine Fähigkeit gehabt haben sollen, die [X.] realistisch einzuschätzen. Dies versteht sich bei einem einfach gelagerten Geschehen wie dem vorliegenden auch nicht von allein. Nicht [X.] selbst hat angegeben, er sei sich nicht bewusst gewesen, sein Opfer mit dem Messerangriff zu überraschen, obwohl er ansonsten die Tatumstände detailliert und umfassend dargelegt hat. Die Ausführungen des Sachverständigen zu etwaigen psychischen Einschränkungen des Angeklagten bei der Tatbegehung enthalten auch
keine Hinweise auf tat-relevante Defizite bei der Wahrnehmung oder Einschätzung der [X.]. Vor diesem Hinter-grund hätte die [X.] näher darlegen müssen, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt war, die übersichtliche [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
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III.
Die Revision des Angeklagten führt zu seinen Gunsten zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] zu Lasten des [X.] gewertet, dass er sein Ziel energisch verfolgt habe, indem er nach den ersten beiden Stichen seinem Opfer nachgerannt sei und ihm den tödlichen dritten Stich versetzt habe. Damit lastet die [X.] entgegen § 46 Abs. 3 StGB an, dass er die Tat überhaupt vollendet hat und nicht vom [X.] zurückgetreten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Oktober 2003

2 StR 332/03,
mwN). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung ausgewirkt hat.
Soweit im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt wird, ob und [X.] wann die Verurteilung vom 21. März 2018 (Bewährungsstrafe von sechs Monaten) rechtskräftig geworden ist, wird dies
in der neuen Entscheidung nachzuholen sein.
Sander

[X.]

König

[X.]

Köhler

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Meta

5 StR 299/19

09.10.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2019, Az. 5 StR 299/19 (REWIS RS 2019, 2805)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2805

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5 StR 338/17

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