Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 1 StR 81/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4119

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Gegenstand

Mord: Anforderungen an das Mordmerkmal der Heimtücke


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. November 2021

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des Totschlags schuldig ist,

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Annahme des [X.] der Heimtücke wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s las der Angeklagte am Abend des 12. Oktober 2020 Chat-Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die seine Ehefrau, das Tatopfer, mit [X.] ausgetauscht hatte. Der Angeklagte fürchtete daher um den Fortbestand der Ehe, an der er festhalten wollte, um weiterhin am Vermögen seiner Ehefrau zu partizipieren; er stellte seine Ehefrau, die sich in einen anderen Raum zurückgezogen hatte und auf einem Sofa saß, zur Rede. Sie forderte ihn indes auf zu verschwinden und äußerte sinngemäß, "dass alles okay wäre, wenn sie ihn jetzt umbringe". Der Angeklagte, wütend, gekränkt, wegen des "[X.]" seiner Ehe sich für "gescheitert" haltend und seiner über Jahre angestauten Aggression nachgebend, griff mit seiner rechten Hand nach einem auf dem Beistelltisch – unter nicht weiter aufklärbaren Umständen – abgelegten Küchenmesser, das er bereits rund eineinhalb Stunden zuvor dort gesehen hatte, um seine Ehefrau zu töten. Zugleich "streckte [er] unterdessen seinen linken Arm in einer abwehrenden Bewegung nach vorn, um hierdurch von vornherein eine etwaige Bewegung seiner Ehefrau in Richtung des Messers zu unterbinden und dieses ungehindert ergreifen zu können" ([X.]). Sich nach Ergreifen des Messers nach links drehend, versetzte der Angeklagte seiner Ehefrau, die gerade aufstand und die dem Angriff wegen dessen Schnelligkeit nichts Wirksames entgegenzusetzen hatte, einen ersten Stich in den vorderen Rumpfbereich. Der Ehefrau gelang es nicht, die Hände oder Arme des Angeklagten zu ergreifen, der mindestens zehn weitere Male [X.], und zwar in den Kopf-, Hals- und Brustbereich. Schließlich würgte der Angeklagte die zu Boden gesunkene Ehefrau am Hals, um den Todeseintritt zu beschleunigen. Die Ehefrau verstarb an ihren äußeren und inneren Blutungen; sie erstickte, weil sie Blut eingeatmet hatte.

3

2. Die Feststellungen tragen nicht das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 zweite Gruppe Variante 1 StGB).

4

a) [X.] handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.

5

aa) [X.] ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung für die Frage der [X.]igkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des [X.] die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt (st. Rspr.; zuletzt [X.], Beschluss vom 15. Februar 2022 – 4 StR 491/21 Rn. 9 mwN).

6

Die [X.]igkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2021 ‒ 4 StR 337/20 Rn. 12; Beschluss vom 26. März 2020 – 4 [X.] Rn. 13; je mwN).

7

bb) In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des [X.] voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des [X.] erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das [X.] kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (st. Rspr.; [X.], Beschluss vom 21. Juli 2021 – 4 StR 53/21 Rn. 5 mwN). Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des [X.], die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt ([X.], Beschluss vom 16. August 2018 – 1 [X.] Rn. 7 mwN).

8

b) Gemessen an diesen Vorgaben ist die Begründung des [X.] nicht rechtsfehlerfrei.

9

aa) Bedenken begegnet bereits die Annahme einer [X.]igkeit der Ehefrau in objektiver Hinsicht. Ihre Äußerung, ‚sie könne den Angeklagten jetzt umbringen‘, könnte nahelegen, dass sie ihrerseits von einer drohenden schweren tätlichen Auseinandersetzung ausging. Sie könnte aufgestanden sein, um selbst den Angeklagten zu attackieren oder ihm zuvorzukommen. Beide Umstände hat das [X.] – offensichtlich mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten – nicht weiter aufgeklärt; so bleibt insbesondere offen, ob die Äußerung der Ehefrau [X.] gemeint war.

bb) Jedenfalls sind der [X.] bezüglich der [X.]igkeit der Ehefrau und nachfolgend das [X.] nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

(a) Mit dem Vorstrecken des linken Arms wollte der Angeklagte von vornherein verhindern, dass seine Ehefrau auf das Messer zugreifen konnte. Dieser Zweck beinhaltet, dass der Angeklagte seine Ehefrau nicht für gänzlich arglos hielt. Diesen durchgreifenden Widerspruch hat das [X.] nicht aufgelöst.

(b) Die Heimtücke lässt sich nicht allein darauf stützen, dass der Angeklagte durch einen schnellen Messerstich seine Ehefrau überraschen wollte. Dieser Entschluss setzte nicht zwingend den Plan des Angeklagten voraus, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des [X.] für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vornherein zu unterbinden, ohne Weiteres auch mit der – festgestellten – Annahme des Angeklagten in Einklang zu bringen, sich andernfalls möglicherweise in eine Auseinandersetzung mit seiner dann zur Abwehr bereiten Ehefrau begeben zu müssen (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 2004 – 4 [X.] Rn. 9 aE).

cc) Die Heimtücke lässt sich auch nicht mit einem ʺIn-den-Hinterhalt-Lockenʺ oder einem ʺraffinierte-Falle-Stellenʺ begründen (zu solchen Fallkonstellationen vgl. [X.], Urteile vom 21. Januar 2021 ‒ 4 StR 337/20 Rn. 13 und vom 11. November 2020 – 5 [X.] Rn. 10 f.; Beschlüsse vom 26. März 2020 ‒ 4 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 43 Rn. 13 und vom 31. Juli 2018 – 5 StR 296/18, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 42 Rn. 7). Denn es ist weder festgestellt, dass der Angeklagte vor Beginn des Gesprächs das Messer auf dem Beistelltisch bereitlegte, um es sogleich einzusetzen, noch, dass er seine Ehefrau zum Sofa lockte (vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2021 – 3 StR 316/20 Rn. 22 f.). Dass er das Messer bereits zuvor gesehen hatte, genügt nicht.

c) Der Senat ändert entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch. Aufgrund der erschöpfenden Beweiserhebung, insbesondere der [X.] eingehenden Auswertung der Einlassungen des Angeklagten, und des Fehlens weiterer Beweismittel ist auszuschließen, dass in einem zweiten Rechtsgang noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Heimtücke tragen könnten. Gleiches gilt angesichts der umfangreichen Feststellungen zur Ehe sowie zum Vor- und Nachtatgeschehen für die anderen Mordmerkmale, namentlich das der niedrigen Beweggründe.

d) Die Änderung im Schuldspruch entzieht der ausgeurteilten Strafe die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf seiner Strafzumessung neue Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

Raum     

      

Fischer     

      

Hohoff

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 81/22

05.04.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 26. November 2021, Az: 1 Ks 123 Js 190303/20

§ 211 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 1 StR 81/22 (REWIS RS 2022, 4119)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4119

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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