Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 1 StR 547/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 261

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Gegenstand

Strafverfahren: Einführung der polizeilichen Vernehmung eines Arztes in die Hauptverhandlung nach Widerruf der Entbindung von der Schweigepflicht


Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. [X.] einer Verletzung des § 252 [X.] ist unbegründet.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Der Angeklagten liegt zur Last, ihrem Ehemann mit einem [X.] zwei Stichverletzungen in den linken Oberkörperbereich versetzt zu haben, nachdem dieser sich schützend vor seine neue Partnerin gestellt hatte, der die Angeklagte als Nebenbuhlerin das Gesicht zerschneiden wollte. Der Geschädigte - als Ehemann der Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt - hatte zunächst die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. In der Hauptverhandlung machten dann sowohl der Geschädigte (gemäß § 52 [X.], [X.]) als auch die behandelnden Ärzte (gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.], [X.]), gegenüber denen der Geschädigte mittlerweile die Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das [X.] hat deshalb die Angaben des behandelnden Arztes Dr. S. über die Verletzungen des Geschädigten dadurch in die Hauptverhandlung eingeführt, dass es die polizeiliche [X.] zu den von diesem im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben vernommen hat ([X.] ff.). Zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung waren die behandelnden Ärzte vom Geschädigten von der Schweigepflicht entbunden gewesen ([X.]). Das [X.] hat die auf diese Weise in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Arztes Dr. S. über die Verletzungen des Geschädigten dem Urteil auch zugrunde gelegt (UA S. 41).

b) Entgegen der Annahme der Revision stand der Verwertung dieser Angaben kein sich aus § 252 [X.] ergebendes Verwertungsverbot entgegen.

aa) Zwar ist die Vorschrift des § 252 [X.] grundsätzlich auch auf Berufsgeheimnisträger [X.]. § 53 [X.] anwendbar (vgl. [X.], Urteil vom 20. November 1962 - 5 StR 462/62, [X.]St 18, 146; Beschluss vom 24. September 1996 - 5 [X.], [X.], 233). Nach der Rechtsprechung des [X.], an der der Senat festhält, darf aber der Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aussage eines gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 [X.] zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Arztes vernommen werden, die dieser vor dem Ermittlungsrichter gemacht hat, wenn der Arzt bei dieser Aussage gemäß § 53 Abs. 2 [X.] von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden war; § 252 [X.] ist dann nicht anwendbar ([X.]St 18, 146; [X.] [X.], 233; [X.], [X.], 54. Aufl., § 53 Rn. 49 und § 252 Rn. 3; [X.] in KK-[X.], 6. Aufl., § 252 Rn. 6; [X.]/[X.] in [X.], 26. Aufl., § 53 Rn. 83; [X.] in KMR-[X.] § 53 Rn. 41; [X.]/[X.] in [X.], 26. Aufl., § 252 Rn. 4; [X.], NJW 1962, 689, 691; [X.], Jura 1988, 305, 311 f.; [X.]. [X.] 1963, 267).

Grund hierfür ist, dass in einem solchen Fall der Pflichtenwiderstreit, auf den das Verwertungsverbot des § 252 [X.] Rücksicht nimmt, nicht auftreten kann (zutr. [X.] aaO). Denn durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 [X.] wird der Berufsgeheimnisträger geschützt und nicht diejenige Person, die ihn von der Schweigepflicht entbinden kann. Ihr Recht beschränkt sich darauf, darüber zu entscheiden, ob sie den Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbindet oder nicht. Sie hat indes keinen Anspruch darauf, dass der Berufsgeheimnisträger die Aussage verweigert und das Gericht nicht verwertet, was er gleichwohl ausgesagt hat ([X.]St 18, 146, 147). War der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aussage vor dem Ermittlungsrichter von der Schweigepflicht befreit, befand er sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und Schweigepflicht.

bb) Für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der zunächst von der Schweigepflicht [X.] im Ermittlungsverfahren seine Angaben nicht vor einem Ermittlungsrichter, sondern im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemacht hat, führt ebenfalls nicht zum Vorliegen eines Verwertungsverbots gemäß § 252 [X.]. Denn die Verwertbarkeit der Angaben der [X.] ergibt sich im Fall der Vernehmung einer jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Schweigepflicht entbundenen Person nicht erst aus der besonderen Bedeutung der richterlichen gegenüber einer sonstigen Vernehmung (vgl. dazu [X.]St 49, 72, 77; [X.], [X.], 54. Aufl., § 252 Rn. 14 mwN), sondern bereits daraus, dass die Vorschrift des § 252 [X.] mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers von vornherein nicht anwendbar ist (vgl. [X.] [X.], 233). Die vom Zeugen Dr. S. nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben durften daher auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung der polizeilichen [X.] in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet werden.

2. [X.] einer Verletzung des sich aus Art. 6 I Satz 1 und 6 III Buchst. [X.] ergebenden Konfrontationsrechts, weil dem behandelnden Arzt des Geschädigten, dem Zeugen Dr. S., keine "dem kontradiktorischen Verfahren entsprechenden Fragen" hätten gestellt werden können, ist bereits unzulässig.

Zum einen ist die Rüge nicht innerhalb der [X.] des § 345 [X.] erhoben worden, sondern erst in der Gegenerklärung auf die Antragsschrift des [X.]. Zum anderen genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.], weil sie sich lediglich auf die Behauptung einer Verletzung des Konfrontationsrechts beschränkt und weder Angaben zum Inhalt der Vernehmung noch dazu enthält, ob die Angeklagte oder die Verteidigung von dem Vernehmungstermin unterrichtet waren, wann sie vom Inhalt der Vernehmung Kenntnis erlangt haben und ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens die Gelegenheit hatten, den Zeugen Dr. S. zu befragen oder befragen zu lassen (vgl. dazu [X.]St 51, 150, 154 ff. sowie [X.], [X.], 54. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 22a mwN). Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob sie einen derartigen Versuch unternommen haben. Schließlich teilt die Revision auch nicht mit, welche über die von den [X.] Polizeibeamten gestellten hinausgehenden weiteren Fragen aus ihrer Sicht dem Zeugen hätten gestellt werden sollen.

Wahl                                      [X.]                                      Elf

                     Graf                                             [X.]

Meta

1 StR 547/11

20.12.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 6. Juni 2011, Az: 1 Ks 121 Js 11740/10

§ 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO, § 252 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 1 StR 547/11 (REWIS RS 2011, 261)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 261

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