Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2013, Az. VIII ZR 306/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8759

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BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VIII ZR 306/11
Verkündet am:

23. Januar 2013

Ermel,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-
2 -
Der VIII. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013
durch den Vorsitzenden [X.], die Richterinnen Dr.
Milger, Dr.
Hessel und Dr.
Fetzer sowie [X.] Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten
wird
das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 30. September 2011
im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 459,59

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die
Klägerin
verlangt
von der Beklagten, einem regionalen Gasversor-gungsunternehmen,
welches die
Klägerin
leitungsgebunden mit Erdgas ver-sorgte,
die Rückzahlung
eines Betrages in Höhe von zuletzt 2.483,12

Zinsen
aufgrund unwirksamer Gaspreisanpassungen im Zeitraum vom 1. Janu-ar 2006 bis 31. März
2009.

Die Parteien schlossen
mit Wirkung
zum 1. Juli
1998
einen
vorformulier-ten [X.] (Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 4,05
Pf/kWh
(2,07 ct/kWh)
netto vereinbart. Der Vertrag enthält
eine
Preisanpassungsklau-sel, aufgrund derer
die Beklagte wiederholt ihre Preise änderte. Die
Klägerin
1
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-
3 -
widersprach mit Schreiben vom 12. Mai 2009
den Preisanpassungen und [X.] an, künftige Zahlungen nur unter Vorbehalt zu leisten.
Nachdem das [X.] in einem Parallelver-fahren (Urteil vom 5. Mai 2009 -
11 [X.]) die Unwirksamkeit der Preisan-passungsklausel festgestellt hat, verlangt
die
Klägerin
die gezahlten [X.]
zurück. Sie
hat, ausgehend von dem
ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis,
den Rückforderungsanspruch zuletzt mit beziffert.

Das Amtsgericht hat der
dort zuletzt
auf Zahlung

h-teten
Klage
stattgegeben. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Beru-fung der
Beklagten zurückgewiesen
und auf die Anschlussberufung der [X.] der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren
weiter, soweit sie zur Zahlung von mehr als 459,59

.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat
Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Der
Klägerin
stehe ein
Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §
812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 [X.]
zu. Sie
habe
im Zeitraum von Januar 2006 bis
März 2009
Zahlungen in Höhe von 2.483,12

ohne Rechtsgrund ge-3
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6
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-
4 -
leistet.
Ihrem
Rückforderungsanspruch könne die
Klägerin
den ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis zugrunde legen.
Das vertragliche Preisänderungsrecht im Sondervertrag sei -
was die Beklagte nicht in Abrede stelle -
wegen eines Verstoßes gegen das Transpa-renzgebot
unwirksam.
Ein einseitiges [X.] der Beklagten er-gebe sich nicht aus einem Rückgriff auf die [X.], denn die vertragliche Preisanpassungsklausel enthalte eine ausdrückliche und abschließende [X.] über die Preisanpassung.
Ein Anspruch der Beklagten auf das erhöhte Entgelt folge
auch nicht aus einer stillschweigenden Vereinbarung des erhöhten Preises. Denn der
vorbe-haltslosen
Zahlung des auf der Grundlage einer unwirksamen Preisanpas-sungsklausel erhöhten Preises komme nicht der Erklärungswert einer [X.] Zustimmung zu dem erhöhten Preis zu.
Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung lasse sich nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 [X.] herleiten. Eine solche komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer un-wirksamen [X.] entstehende Lücke nicht durch [X.] Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interes-sen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das [X.] völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies sei hier nicht der Fall. Dabei könne dahinstehen, ob die
Beklagte nach dem Widerspruch des [X.] das Vertragsverhältnis habe beenden können. Denn die Voraussetzun-gen einer ergänzenden Vertragsauslegung lägen bei einer Gesamtabwägung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht vor. Insoweit sei insbesondere
zu berücksichtigen, dass [X.] wegen Verjährungseintritts nur für einen überschaubaren Zeitraum
geltend gemacht werden könnten, so dass die Beklagte
für die Zeit davor
so gestellt werde, als wären die Preisan-8
9
10

-
5 -
passungen wirksam gewesen. Zudem trage die Beklagte als Verwenderin das Risiko der Unwirksamkeit ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. [X.] ist zwar die Annahme des Berufungs-gerichts, dass der
Klägerin
dem Grunde nach ein Anspruch aus §
812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 [X.] auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen [X.] für
den Zeitraum von Januar 2006 bis
März
2009
gezahlten [X.] zusteht. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Rückforderungsanspruchs rechtsfehlerhaft den im Jahre 1998
vereinbarten [X.]
von 4,05 Pf/kWh (2,07 ct/kWh) netto
zugrunde gelegt.

1. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag um einen
(Norm-)Sonderkundenvertrag
han-delt und die
in diesem Vertrag enthaltene
Preisänderungsklausel
unwirksam ist.
2. Mit Recht -
und von der Revision ebenfalls unbeanstandet -
hat das Berufungsgericht auch
angenommen, dass weder in der Zahlung der abge-rechneten Beträge noch in dem Weiterbezug von Gas nach Ankündigung der Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung der
Klägerin
zur Erhöhung der Gaspreise liegt ([X.]surteile vom 14. März 2012 -
VIII [X.],
NJW 2012, 1865 Rn. 16
ff.,
zur Veröffentlichung in [X.]Z
192, 372
bestimmt,
und [X.], [X.], 265
Rn. 22 f.; vom 9. Februar 2011 -
VIII ZR 295/09, NJW 2011, 1342
Rn.
40 ff.; vom 14. Juli 2010 -
VIII ZR 246/08, [X.], 180 Rn.
57 ff.).

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-
6 -
3. Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat die
Klägerin
dem Grunde nach einen Anspruch aus §
812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 [X.] auf Rückzah-lung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis März
2009
gezahlten Erhöhungsbeträge.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zu-grunde zu legen. Dies
ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 [X.]) des [X.], deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich die
Klä-gerin
nicht darauf berufen kann, dass es für alle in dem klagegegenständlichen Zeitraum über den ursprünglich vereinbarten Anfangspreis hinausgehenden Zahlungen an einem Rechtsgrund fehlt.
a) Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der [X.] ([X.] nur zu Beginn des [X.] gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde -
und nicht das Versorgungsunternehmen -
Preis-änderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der [X.] oder der Lohn-
und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwar-ten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in ange-messener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte [X.] der Inhaltskontrolle nach § 307 [X.] (Art.
229 §
5 Satz
2 EG[X.]) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. [X.]surteile vom 14. März 2012 -
VIII [X.], [X.]O
Rn. 20, und [X.],
[X.]O Rn. 25;
jeweils mwN).
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-
7 -
Wie der [X.] -
nach Erlass des Berufungsurteils -
entschieden hat, ist diese Lücke im [X.] einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 [X.] in der Weise zu schließen, dass der
Kunde
die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn sie
diese
nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen [X.], in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, bean-standet hat (vgl. [X.]surteile vom 14. März 2012 -
VIII [X.], [X.]O
Rn.
21
ff., und [X.], [X.]O
Rn. 26 ff.; jeweils
mwN).
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht dieser Lösung nicht das -
nach den vorgenannten [X.]sentscheidungen ergangene -
Urteil des Gerichtshofs der [X.] (fortan: Gerichtshof) vom 14. Juni 2012 ([X.]. [X.]/10, NJW 2012, 2257 -
Banco Español de [X.]rédito) entgegen.
[X.]) Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist mit Art. 6 Abs. 1 der [X.][X.] eine mitgliedst[X.]tliche Regelung unvereinbar, die es dem nationa-len Gericht gestattet, "wenn es eine missbräuchliche [X.] in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher entdeckt, den In-halt dieser [X.] abzuändern, anstatt schlicht deren Anwendung gegenüber dem Verbraucher auszuschließen"
([X.], [X.]O Rn. 71). Eine Regelung dieses Inhalts kennt das innerst[X.]tliche [X.] Recht nicht. Nach § 306 Abs. 1, 2 [X.] bleibt der Vertrag vielmehr unter Wegfall der unwirksamen [X.] im Üb-rigen bestehen, wobei an die Stelle der unwirksamen [X.] die dispositiven gesetzlichen Bestimmungen treten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist dem nationalen Gericht die inhaltliche Abänderung einer wegen unangemessener Benachteiligung unwirksamen [X.], die dazu führen würde, der [X.] mit einem (noch) zulässigen Inhalt Geltung zu [X.] (geltungserhaltende Reduktion), verboten (vgl. grundlegend [X.], Ur-17
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-
8 -
teile vom 17. Mai 1982 -
VII ZR 316/81, [X.]Z 84, 109, 116 f.; vom 19. Sep-tember 1983 -
VIII ZR 84/82, NJW 1984, 48 unter [X.]).
Von der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener [X.]n zu unterscheiden ist die ergänzende Vertragsauslegung. Bei ihr geht es nicht
da-rum, einer unangemessenen [X.] im Wege der Auslegung einen anderen, noch angemessenen Inhalt beizulegen, sondern um die Ausfüllung einer Lücke im Vertragsgefüge, die durch den Wegfall der unwirksamen [X.] entsteht.
bb) Wie der Bundesgerichtshof
bereits entschieden hat ([X.], Urteil vom 12. Oktober 2005 -
IV ZR 162/03, [X.]Z 164, 297, 318), bestehen gegen eine ergänzende Vertragsauslegung -
wie sie auch in verschiedenen anderen euro-päischen Rechtsordnungen vorgesehen ist (vgl. [X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], Stand Mai 1999, [X.], [X.] Rn. 8) -
keine europa-rechtlichen Bedenken, da in der [X.][X.] nicht geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen der Vertrag ohne die unwirksame [X.] fortgilt. Dem ist auch die
Literatur einhellig gefolgt ([X.]/Hilf/[X.], [X.]O; [X.]/[X.], 6.
Aufl., §
306 Rn.
4; [X.] in [X.]/[X.]/
[X.], AGB-Recht, 11.
Aufl., §
306 [X.] Rn.
4c; [X.][X.]/
[X.], AGB-Recht, 5.
Aufl., Art. 6 RL Rn.
7; vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 13.
Aufl., § 306 Rn. 3). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der genannten Entscheidung des Gerichtshofs. Denn nach dieser Entscheidung ist mit Art.
6 der [X.][X.] nur eine geltungserhaltende Reduktion unvereinbar, nicht aber eine ergänzende Vertragsauslegung.
Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist es den Gerichten verboten, "durch Abänderung des Inhalts"
der missbräuchlichen [X.] den Vertrag anzupassen ([X.], [X.]O Rn. 65, 69, 71, 73). Eine solche Abänderung des Inhalts der [X.] entspricht im [X.]n Recht einer geltungserhaltenden Reduktion.

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-
9 -
Zudem betont der Gerichtshof, dass ohne eine strikte Nichtanwendung der unwirksamen [X.] Gewerbetreibende versucht sein könnten, diese [X.]n gleichwohl zu verwenden, wenn sie wüssten, dass der Vertrag durch die Gerichte im erforderlichen Umfang angepasst werde. Hierdurch würde das Ziel der Richtlinie, der Verwendung missbräuchlicher [X.]n "ein Ende zu setzen", unterlaufen ([X.], [X.]O Rn. 68 f.). Dies ist auch die Begründung für das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion im [X.]n Recht (vgl. [X.], Urteile vom 17. Mai 1982 -
VII ZR 316/81, [X.]O; vom 19. September 1983 -
VIII ZR 84/82, [X.]O).
cc) Um eine solche verbotene [X.]anpassung im Wege der geltungs-erhaltenden Reduktion handelt es sich bei der vom [X.] vorgenommenen er-gänzenden Vertragsauslegung indes nicht. Während die [X.]anpassung die Preisänderungsregelung als solche -
nur mit einem veränderten, gesetzeskon-formen Inhalt -
aufrechterhalten will, setzt die ergänzende Vertragsauslegung die unabänderliche Unwirksamkeit der den Verbraucher benachteiligenden [X.] voraus. Denn nur dann besteht eine dem Regelungsplan der Parteien widersprechende Lücke im Vertrag, die durch Auslegung geschlossen werden kann.
Der [X.] hat ausdrücklich klargestellt, dass es nicht in Betracht kommt, an die Stelle der unwirksamen -
den Vertragspartner des [X.]verwenders im Sinne des § 307 [X.] unangemessen benachteiligenden -
Preisänderungsklau-sel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen. Dem entsprechend hat der [X.] in den bereits ent-schiedenen Fällen die wegen der Unwirksamkeit der [X.] lückenhaften Verträge nicht um eine Preisanpassungsregelung mit abweichen-dem -
angemessenem -
Inhalt ergänzt, sondern unter Zugrundelegung des voll-ständigen Wegfalls der unangemessenen [X.] darauf ab-gestellt, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden 23
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-
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Abwägung ihrer Interessen nach [X.] und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten [X.] jedenfalls unsicher war ([X.]surteil vom 14. März 2012
-
VIII [X.], [X.]O Rn. 24). Das hierbei
gewonnene Ergebnis der ergänzen-den Vertragsauslegung lässt den Inhalt der unangemessenen [X.] und deren Unwirksamkeit unberührt; es ergänzt den Vertragsin-halt vielmehr auf der Rechtsfolgenseite um eine Regelung, die gerade deswe-gen erforderlich ist, weil das unangemessen ausgestaltete einseitige Preisan-passungsrecht vollständig entfällt und dadurch im Vertragsgefüge eine Lücke entsteht, die zu einem nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien untragbaren Ergebnis führen würde.
dd) Im Übrigen entspricht die vom [X.] vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung der Zielsetzung der [X.][X.].
Ziel der Richtlinie ist es, die nach dem Vertrag bestehende formale Aus-gewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine [X.] Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen ([X.], [X.]O Rn. 63). Dabei sind die Interessen beider Vertragsparteien in den Blick zu nehmen, um die angestrebte Ausgewogenheit der Interessen der Ver-tragsparteien zu gewährleisten ([X.], Urteil vom 15. März 2012 -
[X.]. [X.]/10, NJW 2012, 1781 Rn. 31 f. -

h-me auf den Schlussantrag der Generalanwältin vom 29. November 2011 -
[X.]/10, BeckRS 2011, 81770 Rn. 63).
(1) Die von Art. 6 Abs. 1 der [X.][X.] geforderte materielle Ausgewogenheit kann in der vorliegenden Konstellation nicht alleine durch den Wegfall der unwirksamen Bestimmung über das [X.] auch für die Vergangenheit wiederhergestellt werden. Denn da die Parteien durch die Vereinbarung der Preisanpassungsklausel nicht
von einer dispositiven Norm 26
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11 -
abgewichen sind, steht [X.] Gesetzesrecht im Sinne konkreter materiell-rechtlicher Regelungen eines [X.]s nicht zur Verfügung. Zu den gemäß § 306 Abs. 2 [X.] im Falle einer unwirksamen Vertragsbestimmung den Inhalt des Vertrages regelnden "gesetzlichen Vorschriften"
des insoweit maßgeblichen nationalen [X.]n Rechts (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juni 2012 -
[X.]. [X.]/10, [X.]O Rn. 72; ferner [X.], Urteil vom 1. April 2004 -
[X.]. [X.]/02, NJW 2004, 1647 Rn. 21 -
Freiburger Kommunalbauten) gehört aber auch die ergänzende Vertragsauslegung ([X.]surteil vom 1. Februar 1984
-
VIII ZR 54/83, [X.]Z 90, 69, 75), die ebenfalls eine materielle Ausgewogen-heit der Vertragsbeziehungen sicherstellt und es zugleich ermöglicht, grund-sätzlich die Wirksamkeit des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten (vgl. [X.], Urteil vom 15. März 2012 -
[X.]. [X.]/10, [X.]O Rn. 31). Denn die ergänzende Vertragsauslegung orientiert sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von [X.] und Glauben und führt zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen-den Regelung ([X.]surteil vom 14. März 2012 -
VIII [X.], [X.]O mwN).
(2) Nach der vom [X.] gebilligten Rechtsprechung des [X.]s (vgl. [X.], NJW 2011, 1339, 1341) findet die ergänzende Ver-tragsauslegung nicht in jedem Fall einer unwirksamen Preisanpassungsklausel in einem [X.], sondern nur in eng umgrenzten Ausnahme-fällen Anwendung. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen [X.] entstehende Lücke nicht durch [X.] Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beidersei-tigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebt ([X.]surteil vom 14. Juli 2010 -
VIII ZR 246/08, [X.], 180 Rn. 50 mwN). Diese Vor-aussetzungen hat der [X.] in einer Reihe von Fällen verneint, die dadurch gekennzeichnet waren, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in 29

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12 -
der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen (vgl. [X.]surteil vom 14. März 2012 -
VIII [X.], [X.]O Rn. 22 mwN).
Der [X.] nimmt jedoch -
unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalls (vgl. [X.], [X.]O) -
eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann an, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungs-verhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht wider-sprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (vgl. [X.]surteil vom 14.
März 2012 -
VIII [X.], [X.]O Rn. 23). In diesen Fällen vermag die ver-traglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen ([X.]surteil vom 14.
März 2012 -
VIII [X.], [X.]O), so dass nur die ergänzende Vertragsauslegung zu einer die
beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führt und das von der Richtlinie verfolgte Ziel gewährleistet, Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten (vgl. [X.], Urteile vom 15. März 2012 -
[X.]. [X.]/10, [X.]O Rn. 28, 31; vom 14. Juni 2012 -
[X.]. [X.]/10, [X.]O Rn. 40; jeweils mwN).
(3) Ohne die vom [X.] vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung in derartig gelagerten Fällen könnte sich
der Energieversorger -
auch in [X.] seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit (vgl. [X.], [X.]O)
-
darauf berufen, dass die Versorgung des Kunden zu dem [X.] für ihn eine unzumutbare Härte darstelle, wenn der bei dem [X.] zurück-liegenden Vertragsabschluss vereinbarte Preis seit vielen Jahren nicht mehr 30
31

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13 -
kostendeckend ist. Dies hätte gemäß § 306 Abs. 3 [X.] die Unwirksamkeit des Liefervertrages zur Folge, so dass das Vertragsverhältnis für die Vergangenheit nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln wäre. Hierbei wäre die materielle Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen indes nicht in dem gleichen Ma-ße sichergestellt wie bei der ergänzenden Vertragsauslegung.
c) In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall Folgendes:
Die
Klägerin
kann der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht den im Jahre 1998
vereinbarten [X.] zugrunde legen und somit auch nicht die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbeginn gel-tend machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die
Klägerin
den Preiserhöhungen zunächst nicht widersprochen, sondern die Preiserhö-hungen und Jahresabrechnungen bis in das Jahr 2009
ohne Beanstandungen hingenommen
und damit der Beklagten keine Veranlassung gegeben, eine Be-endigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses -
etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das [X.] (vgl. dazu [X.]surteile vom 14.
März 2012 -
VIII [X.], [X.]O
Rn. 37, und [X.], [X.]O
Rn. 32; vom 9. Februar 2011 -
VIII ZR 295/09, [X.]O
Rn. 39; [X.]sbeschluss vom 7.
Juni 2011 -
VIII ZR 333/10, juris, Rn. 8; jeweils mwN)
-
in Erwägung zu zie-hen. Soweit die Revisionserwiderung meint, dass die Beklagte bereits zuvor durch Widersprüche oder Klagen anderer Kunden Veranlassung gehabt hätte, auch den mit der Klägerin geschlossenen (Norm-)Sonderkundenvertrag zu kündigen, verkennt sie, dass Anlass zur Kündigung des individuellen [X.] für den Versorger erst besteht, wenn er wegen eines
Widerspruchs
im konkreten Vertragsverhältnis Anlass hat, das bis dahin praktizierte Gleich-gewicht von Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen ([X.]sur-teile vom 14.
März 2012 -
VIII [X.], [X.]O Rn. 23; [X.], [X.]O Rn.
28).
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-
14 -
Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.
Welchen Arbeitspreis die
Klägerin
ihrem
Rückforderungsanspruch zu-grunde legen kann, hängt daher davon ab, wann ihr die einzelnen Jahresab-rechnungen der Beklagten zugegangen sind und gegen welche der darin ent-haltenen Preiserhöhungen der Widerspruch der Klägerin noch rechtzeitig vor Ablauf von drei Jahren erfolgt ist.
Hierzu hat das Berufungsgericht -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
keine Feststellungen getroffen.

III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit es mit der Revision angegriffen worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuhe-ben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endent-scheidung reif ist, im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurück-

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15 -
zuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der [X.]en getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ball
Dr. Milger
Dr. Hessel

Dr. Fetzer
[X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
52 [X.] 447/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 30.09.2011 -
2 S 18/11 -

Meta

VIII ZR 306/11

23.01.2013

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2013, Az. VIII ZR 306/11 (REWIS RS 2013, 8759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8759

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VIII ZR 113/11

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VIII ZR 246/08

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