Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.05.2013, Az. VI R 18/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 5858

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Gegenstand

Leiharbeitnehmer regelmäßig auswärts tätig


Leitsatz

Die regelmäßige Arbeitsstätte ist insbesondere durch den örtlichen Bezug zum Arbeitgeber gekennzeichnet. Ein Arbeitnehmer ist deshalb grundsätzlich dann auswärts tätig, wenn er außerhalb einer dem Arbeitgeber zuzuordnenden Tätigkeitsstätte (Betriebsstätte) tätig wird, wie dies insbesondere bei Leiharbeitnehmern der Fall ist.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob [X.]ahrtkosten eines Leiharbeitnehmers zwischen Wohnung und [X.]rbeitsstätte mit den tatsächlichen [X.]ufwendungen oder nur nach Maßgabe der Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (2009) Leiharbeitnehmer bei der [X.]irma [X.], einer gemeinsamen Tochtergesellschaft der [X.]irmen [X.] und [X.] [X.] bot am [X.]lughafen Z eine Reihe von Dienstleistungen an und war dabei insbesondere auf die Vermittlung von [X.]achkräften in den Bereichen [X.], [X.]lugzeuginstandhaltung und [X.]lugzeugreinigung spezialisiert.

3

Das [X.]rbeitsverhältnis des [X.] war zunächst bis 31. Dezember 2007 befristet, ab 1. September 2007 als Vollzeitarbeitstätigkeit ausgestaltet und wurde ab 24. November 2009 als unbefristetes [X.]rbeitsverhältnis fortgeführt. Der befristete Mitarbeitervertrag sah vor, den Kläger unter anderem am [X.]lughafen Z einzusetzen. [X.] war, dass der Kläger an verschiedenen Einsatzorten in [X.] beschäftigt werden sollte, bei Bedarf auch zu auswärtigen [X.]rbeitsleistungen verpflichtet war und jederzeit vom Kundeneinsatz abberufen und auch anderweitig außerhalb des [X.]lughafens Z eingesetzt werden konnte. Seinen die [X.]rbeitszeiten und [X.]rbeitsorte regelnden Dienstplan sollte er jeweils freitags für die [X.]olgewoche im Büro der [X.] erhalten.

4

Der Kläger war von Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an ausschließlich bei einem Kunden der [X.], der [X.]irma K, eingesetzt, einem hundertprozentigen Tochterunternehmen der [X.] Der Kläger war im [X.] innerhalb des eingezäunten [X.]lughafengeländes für alle dort startenden und landenden [X.]luggesellschaften eingesetzt. Er parkte sein [X.]ahrzeug arbeitstäglich auf einem der Mitarbeiterparkplätze des [X.]lughafens.

5

Der Kläger machte mit seiner Einkommensteuererklärung des [X.] [X.]ahrtkosten für beruflich veranlasste [X.]uswärtstätigkeiten in Höhe von 5.535 € (= 205 [X.]rbeitstage x 45 km einfache Entfernung x 0,30 € x 2) geltend.

6

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das [X.]inanzamt --[X.][X.]--) berücksichtigte dagegen die [X.]ahrtkosten nur als [X.]ahrten zwischen Wohnung und [X.]rbeitsstätte nach § 9 [X.]bs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit 0,30 € pro Entfernungskilometer in Höhe von insgesamt 2.767,50 € (= 205 [X.]rbeitstage x 45 km einfache Entfernung x 0,30 €).

7

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das [X.]inanzgericht ([X.]G) mit den in Entscheidungen der [X.]inanzgerichte 2012, 1738 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

8

Mit der Revision rügen die Kläger und Revisionskläger (Kläger) die Verletzung des § 9 [X.]bs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

9

Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des [X.]G Düsseldorf vom 24. [X.]ebruar 2012 aufzuheben und die Einkommensteuerfestsetzung dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften des [X.] aus nichtselbständiger [X.]rbeit in Höhe von 2.768 € berücksichtigt werden, und die Einkommensteuer dementsprechend herabzusetzen.

Das [X.][X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der als Leiharbeitnehmer tätige Kläger war an keiner regelmäßigen Arbeitsstätte tätig.

1. Eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig im Betrieb des Arbeitgebers oder im Zweigbetrieb der Fall (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, [X.], 147, [X.], 852; vom 9. Februar 2012 VI R 22/10, [X.], 426, [X.], 827), nicht aber bei der Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (Senatsurteile vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, [X.], 391, [X.], 818; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, [X.], 449, [X.], 822).

a) Die regelmäßige Arbeitsstätte ist nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats dadurch gekennzeichnet, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann. Für diesen Fall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip. Liegt keine solche auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt. Dies ist insbesondere bei [X.] der Fall (vgl. Senatsurteil in [X.], 426, [X.], 827, m.w.N.).

b) Dementsprechend hat der Senat die Frage, ob eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte sein kann (Urteile in [X.], 391, [X.], 818; in [X.], 449, [X.], 822), ebenso verneint wie die, ob ein Leiharbeitnehmer typischerweise über eine regelmäßige Arbeitsstätte verfügt (Urteil in [X.], 147, [X.], 852) sowie ob in so genannten [X.] Arbeitnehmer weiterhin an einer regelmäßigen Arbeitsstätte tätig werden (Urteil in [X.], 426, [X.], 827). Entscheidend dafür war jeweils insbesondere der von vornherein fehlende oder nachträglich entfallende örtliche Bezug zum Arbeitgeber (vgl. Schneider, [X.], 1732, 1733 f.). Denn ein Arbeitnehmer ist grundsätzlich dann nicht an einer regelmäßigen Tätigkeitsstätte, sondern auswärts tätig, wenn er außerhalb einer dem Arbeitgeber zuzuordnenden Tätigkeitsstätte (Betrieb, Zweigbetrieb oder Betriebsstätte) tätig wird, wie dies insbesondere bei Leiharbeitnehmern, aber auch bei allen anderen Arbeitnehmern der Fall ist, die vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden des Arbeitgebers tätig werden. Insoweit gilt eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise, welche im Nachhinein aufscheinende individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses unberücksichtigt lässt. Diese generalisierende und typisierende Betrachtungsweise ist im Übrigen ambivalent. So ist etwa der in einer betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätige Berufsanfänger nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart oder eine unbedingte Versetzungsbereitschaft erklärt hat (vgl. [X.], [X.] 2012, 783, 785 f.).

2. Gemessen daran lag entgegen der Auffassung des [X.] beim Kläger eine Auswärtstätigkeit vor.

a) Das [X.] hat zwar zutreffend die Rechtsprechung des erkennenden Senats insoweit angewandt, als es jedenfalls grundsätzlich aus der ex ante Betrachtung geprüft hat, ob der Arbeitnehmer sich im Sinne der vorgenannten Grundsätze auf die Tätigkeitsstätte hätte einrichten können. Ebenso zutreffend hat das [X.] auch entschieden, dass angesichts des Grundsatzes der [X.] jeweils für das betreffende Streitjahr zu prüfen ist, ob angesichts möglicher neuer Tatumstände die Tätigkeit im Vergleich zum vorangegangenen Veranlagungszeitraum neu und gegebenenfalls auch davon abweichend zu beurteilen ist.

b) Solche neuen Tatumstände liegen allerdings dann nicht vor, wenn die vertraglichen Grundlagen für die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers unverändert fortbestehen und lediglich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen [X.] es im Nachhinein den Anschein hat, als ob der als Leiharbeitnehmer tätige Steuerpflichtige an seinem jeweiligen Einsatzort fortdauernd und nachhaltig tätig werde. Letztlich ist die Würdigung, dass der Kläger als Leiharbeitnehmer sich auch künftig auf die Arbeitsstelle am [X.] werde einrichten können, eine Prognose, die sich auf eine ex post Betrachtung stützt, indem sie das in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen Praktizierte auf zukünftige Veranlagungszeiträume projiziert. Dies widerspricht indessen gerade dem Grundsatz, dass die Beurteilung einer regelmäßigen Arbeitsstätte sich unter Berücksichtigung des vorgefundenen Rechtsrahmens aus einer typisierenden ex ante Betrachtung ergibt. Bei einem unveränderten Rechtsrahmen wird ein Leiharbeitnehmer, der eben typischerweise nicht in einer betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird, sich auf den Ort, die Dauer und die weitere konkrete Ausgestaltung der dort von ihm zu verrichtenden Tätigkeit auch dann nicht für die Zukunft einstellen können, wenn er nach der bisher praktizierten betrieblichen Übung nahezu ausschließlich an einem bestimmten Ort tätig gewesen war.

c) Die Aufwendungen des Klägers für Fahrten an seine Beschäftigungsorte sind danach nicht mit der Entfernungspauschale, sondern, wie vom Kläger mit seiner Einkommensteuererklärung geltend gemacht und hier beantragt, mit seinen tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen. Ohne Einzelnachweis der tatsächlichen Gesamtkosten können die pauschalen [X.] angesetzt werden, wie sie auch von der Finanzverwaltung angewendet werden (R 9.5 Abs. 1 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 2008). Es handelt sich dabei um eine rechtlich mögliche typisierende Schätzung, die der Senat bislang in ständiger Rechtsprechung anerkannt hat (Beschluss vom 15. März 2011 VI B 145/10, [X.], 983, m.w.N.). Dies ist insoweit zwischen den Beteiligten auch nicht weiter streitig.

Meta

VI R 18/12

15.05.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 24. Februar 2012, Az: 11 K 3870/10 E, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG, R 9.5 Abs 1 S 5 LStR 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.05.2013, Az. VI R 18/12 (REWIS RS 2013, 5858)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5858

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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