Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2020, Az. VI R 54/17

6. Senat | REWIS RS 2020, 3266

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Gegenstand

(Keine Steuerermäßigungen nach § 35a EStG bei Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen)


Leitsatz

Die gemäß § 32d Abs. 3 und 4 EStG veranlagte und dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegende Einkommensteuer kann nicht nach § 35a EStG ermäßigt werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Steuerermäßigungen gemäß § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Steuer, welche sich aus der Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1, 3 und 4 EStG ergibt, mindern.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr (2014) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte. Die Summe der Einkünfte sowie das zu versteuernde Einkommen waren negativ. Daneben erzielte die Klägerin (positive) Einkünfte aus Kapitalvermögen. Ein Teil dieser Einkünfte unterlag dem Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 43 EStG. Im Übrigen sind sie gemäß § 32d Abs. 3 EStG in die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin mit dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG eingegangen.

3

In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin zudem Aufwendungen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen im Privathaushalt in Höhe von 25.379 €, für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 424 € und für Handwerkerleistungen in Höhe von 6.482 € geltend. Zudem beantragte sie die Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge sowie eine Überprüfung des [X.] für bestimmte Kapitalerträge.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom 29.04.2016 ohne Berücksichtigung von Steuerermäßigungen gemäß § 35a EStG zur Einkommensteuer. In den Erläuterungen des Bescheids teilte er der Klägerin mit, die Günstigerprüfung habe ergeben, dass die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif nicht günstiger sei.

5

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Ihr stehe nach § 35a EStG ein Ermäßigungsbetrag in Höhe von 5.200 € zu. Bei der Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer sei dieser Betrag im Wege der Kürzung zu berücksichtigen.

6

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2018, 372 veröffentlichten Entscheidungsgründen ab.

7

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

8

Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] Hamburg vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30.06.2016 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2014 zuletzt vom 06.04.2018 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer um 5.200 € vermindert wird.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision mit der Maßgabe für unbegründet, dass das Urteil des [X.] vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 aufgehoben und die Klage abgewiesen wird; eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das [X.] zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 [X.]O). Das [X.] hat über den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 29.04.2016 entschieden. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 06.04.2018 getreten, der nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Damit liegt dem [X.]-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (s. [X.]surteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16, [X.], 532, [X.], 496, Rz 17, m.w.[X.]). Da sich durch die Bescheidänderung hinsichtlich des streitigen Punkts keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es allein insoweit keiner Zurückverweisung der Sache an das [X.] gemäß § 127 [X.]O. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des [X.]s in der Sache (s. [X.]surteil in [X.], 532, [X.], 496).

2. Der [X.] kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] in der Sache selbst entscheiden. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Die [X.] der Klägerin ist nicht gemäß § 35a EStG zu mindern.

a) Nach § 35a Abs. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es sich um eine geringfügige Beschäftigung i.S. des § 8a des [X.] handelt, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 510 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Für andere als in Abs. 1 dieser Vorschrift aufgeführte haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach Abs. 3 dieser Vorschrift sind, ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen (§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG). Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 % der Aufwendungen des Steuerpflichtigen, höchstens jedoch um 1.200 € (§ 35a Abs. 3 Satz 1 EStG).

b) Demgemäß kann die Klägerin die Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht beanspruchen. Zwar hat sie nach den unangefochtenen und damit den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen getätigt. Gleichwohl kommt eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer vorliegend nicht in Betracht.

aa) Tarifliche Einkommensteuer ist der Steuerbetrag, der sich aus der Anwendung des [X.] gemäß § 32a EStG auf das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG, in das Kapitalerträge nach § 32d Abs. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG nicht einzubeziehen sind (§ 2 Abs. 5b EStG), ergibt. Dieser Betrag lautet vorliegend auf 0 €. Denn die Klägerin hat kein positives zu versteuerndes Einkommen erzielt.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die gemäß § 32d Abs. 3 und 4 EStG "veranlagte" und dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterliegende Einkommensteuer nicht (Bestand-)Teil der tariflichen Einkommensteuer. Vielmehr ist diese um die Einkommensteuer auf Kapitalerträge gemäß § 32d EStG zu erhöhen (§ 32d Abs. 3 Satz 2 EStG). Dem entspricht die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer in § 2 Abs. 6 EStG. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern und um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu vermehren. Daraus wird deutlich, dass die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallende, gesondert zu ermittelnde Steuer nicht der tariflichen Einkommensteuer zugehört, sondern lediglich eine Maßgröße für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist. In die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif und damit in die tarifliche Einkommensteuer gehen Einkünfte aus Kapitalvermögen nur im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung ein (§ 32d Abs. 6 EStG).

cc) Zudem übersieht die Klägerin, dass in § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die Reihenfolge der erforderlichen Rechenschritte, um von der tariflichen Einkommensteuer zu der festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen, festgeschrieben ist. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer zunächst u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern und erst dann um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu erhöhen. Daher kommt keine Steuerermäßigung in Betracht, wenn die tarifliche Einkommensteuer 0 € beträgt ([X.]surteil vom [X.] - VI R 44/08, [X.], 261, [X.], 411, Rz 12). Sie kann deshalb auch nicht als negative Rechengröße in die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer eingehen (im Ergebnis auch: [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 32d Rz 55; [X.] in [X.], § 2 EStG Rz [X.], 245.1; [X.]/[X.], § 35a EStG Rz 52; Frantzmann, E[X.] 2018, 374; [X.] vom 18.01.2016 - IV C 1-S 2252/08/10004:017, [X.], 85, Rz 132). Dies gilt auch dann, wenn sich --wie im [X.] durch die Vermehrung dieses (negativen) Betrags durch die "veranlagte" Einkommensteuer auf Kapitalerträge (§ 32d Abs. 3 und 4 EStG) oder andere Hinzurechnungsgrößen eine positive festzusetzende Einkommensteuer ergibt. Denn negative Rechengrößen kennt das Einkommensteuerrecht im Rahmen der Ermittlung der Steuer anders als bei der Ermittlung der Einkünfte (§ 10d EStG) nicht.

dd) Soweit die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 und § 43 Abs. 5 EStG der abgeltenden Kapitalertragsteuer unterlegen haben, kommt eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG ebenfalls nicht in Betracht. Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht in Streit. Der [X.] sieht daher insoweit von einer weiteren Begründung ab.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 54/17

28.04.2020

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Hamburg, 23. November 2017, Az: 6 K 106/16, Urteil

§ 2 Abs 5 EStG 2009, § 2 Abs 5b EStG 2009, § 2 Abs 6 EStG 2009, § 32a EStG 2009, § 32d Abs 1 EStG 2009, § 35a EStG 2009, § 43 Abs 5 EStG 2009, § 32d Abs 3 EStG 2009, § 32d Abs 4 EStG 2009, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2020, Az. VI R 54/17 (REWIS RS 2020, 3266)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3266


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI R 54/17

Bundesfinanzhof, VI R 54/17, 28.04.2020.


Az. 6 K 106/16

Finanzgericht Hamburg, 6 K 106/16, 23.11.2017.


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