Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2015, Az. 3 StR 84/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7877

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Gegenstand

Grenzen des Notwehrrechts bei Einsatz einer Schusswaffe


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. November 2014 wird verworfen; jedoch wird das Urteil dahin klargestellt, dass neben der Waffe [X.] Modell 1361, Kaliber 22 long rifle, Seriennummer 668969, die sichergestellte Munition (20 Schuss Munition Kaliber 22 in gelbem Stoffbeutel) eingezogen ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe und von Munition zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Sie führt lediglich zur Präzisierung der Einziehungsentscheidung.

2

Die Nachprüfung des Urteils hat auch unter Berücksichtigung der [X.] keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. [X.] Erörterung bedarf nur Folgendes:

3

1. Das [X.] hat für seine Überzeugung vom bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten auf die hochgefährliche Tatbegehung (Abgabe des Schusses aus dem Kleinkalibergewehr in die Brust des Opfers aus einer Entfernung von zwei Metern) vor dem Hintergrund langjähriger Feindschaft zwischen den beiden Männern abgehoben. Die generellen Hemmungen gegenüber der Tötung eines anderen Menschen hat es dabei als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend bedacht. Weitere vorsatzkritische Elemente musste das [X.] bei dieser Sachlage nicht erörtern. Den Notruf bei der Telefonnummer 112 (zur Bedeutung von Lebensrettungsaktivitäten unmittelbar nach Tatbegehung vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, [X.], 331) setzte der Angeklagte nach der Tat nur auf Aufforderung des zu Hilfe geeilten Nachbarn ab. Die Tatbegehung trotz Anwesenheit zahlreicher anderer Personen in der Nähe des [X.] (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, [X.], 603, 604) war hier angesichts der zahlreichen verbalen, körperlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen im Verlauf der letzten Jahre, die in der Kleingartenkolonie bekannt waren und zu einer Lagerbildung für bzw. gegen den Angeklagten und das Opfer geführt hatten ([X.]), nicht ausdrücklich zu erörtern. Ohnehin ist der Aussagegehalt dieses Tatumstandes für die Differenzierung zwischen [X.] und Tötungsvorsatz nur gering (vgl. MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 212 Rn. 58).

4

2. Der Ausschluss der Notwehrrechtfertigung hält im Ergebnis ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.

5

Nach den Feststellungen des [X.]s drückte das spätere Opfer mit einer zwei Meter langen Holzlatte den Gartenzaun herunter, betrat das Grundstück des Angeklagten, schlug auf zwei Rasenmäher ein und beschädigte dabei einen von ihnen. Dabei zerbrach die Latte in mehrere Stücke. Zutreffend hat das [X.] ausgeführt, dass dieser Angriff des Nachbarn auf das Hausrecht und das Eigentum des Angeklagten den unmittelbaren Gebrauch der Schusswaffe unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der [X.] nicht hätte rechtfertigen können.

6

Ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Leben oder die Gesundheit des Angeklagten war zur Überzeugung des [X.]s objektiv nicht gegeben. Danach rief der Nachbar, als er gewahr wurde, dass der Angeklagte mit dem Gewehr im Anschlag auf ihn zugetreten war und zum Verlassen seines Grundstücks aufgefordert hatte, einen anderen Kleingartenbesitzer um Hilfe und erhob den in seiner Hand verbliebenen etwa 46 cm langen Holzstummel lediglich zu dem Zweck, einen Angriff des Angeklagten abzuwehren (UA S. 39).

7

Das Schwurgericht hat allerdings nicht festgestellt, welche Vorstellung der Angeklagte in dieser Situation vom weiteren Verhalten seines Nachbarn hatte, und deshalb nicht ausdrücklich geprüft, ob sich der Angeklagte in der irrtümlichen Annahme einer Notwehrlage (Putativnotwehr) befand. Das gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, da bei der irrigen Annahme eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Täter nicht mehr tun darf als der in wirklicher Notwehr Handelnde ([X.], Urteil vom 12. März 1987 - 4 StR 2/87, [X.]R StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2), und das [X.] rechtsfehlerfrei dargelegt hat, dass selbst im Falle eines Angriffs der Schuss in die Brust mangels Erforderlichkeit der [X.] nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Das Schwurgericht ist dabei von den Grundsätzen ausgegangen, die die Rechtsprechung für die Grenzen der Notwehr unter Benutzung einer Schusswaffe aufgestellt hat. Danach darf der Angegriffene grundsätzlich das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt; dem lebensgefährlichen Einsatz einer Schusswaffe sind gleichwohl Grenzen gesetzt. Er ist zwar nicht von vornherein unzulässig, kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen. [X.] dies nicht aus, so muss er, wenn möglich, vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen. In Frage kommen ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen, also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (vgl. [X.] aaO mwN). Dabei wird der Rahmen der erforderlichen Verteidigung durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt ([X.], Urteil vom 29. Juni 1994 - 3 [X.], [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 11 mwN). Angesichts der "konkreten Kampflage" - der Nachbar hatte lediglich noch einen Holzstummel in der Hand; der Angeklagte (sieben Jahre jünger und von kräftiger Statur) hatte sein Gewehr in Vorhalte; mit dem Gewehr konnte zwar nur ein Schuss abgegeben werden; der geringe Abstand zwischen den Kontrahenten ermöglichte indes einen sicheren Schuss auf weniger gefährliche Körperregionen - ist die Würdigung des [X.]s, der Angeklagte habe nicht sofort auf die Brust des Opfers schießen dürfen, ohne Rechtsfehler.

[X.]     

Pfister     

Ri[X.] Dr. Schäfer befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Mayer     

Gericke     

Meta

3 StR 84/15

21.07.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Trier, 4. November 2014, Az: 8032 Js 6600/14 - 1 Ks

§ 32 Abs 2 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2015, Az. 3 StR 84/15 (REWIS RS 2015, 7877)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7877

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Rechtfertigung durch Notwehr: Erforderlichkeit der Notwehrhandlung; lebensgefährdender Schusswaffeneinsatz


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 188/17

2 StR 188/17

4 StR 370/16

3 StR 84/15

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