Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.05.2017, Az. 2 AZR 606/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 10657

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Gegenstand

Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung - Sozialauswahl - Betriebsratsanhörung


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 25. Mai 2016 - 6 Sa 452/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

2

[X.]ie Beklagte betreibt ein Telekommunikationsunternehmen. [X.]er Kläger war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit Mai 1999, zuletzt an ihrem Standort in [X.] im Bereich Finance Controlling (FC) in der Abteilung [X.] ([X.]) als „Spezialist [X.]ataWareHouse“ beschäftigt.

3

[X.]ie Beklagte und der in [X.] gebildete Betriebsrat schlossen unter dem 21. März 2013 einen Interessenausgleich und Sozialplan nebst einer Zusatzvereinbarung. Nach dessen Anlage 1c sollten ua. die aus insgesamt vier Mitarbeitern bestehenden Gruppen [X.]R und [X.]S der Abteilung [X.] dem Standort [X.] zugeordnet werden. [X.]er Kläger gehörte ausweislich der Anlage 5 zum Interessenausgleich zu diesen Mitarbeitern.

4

Nachdem der Kläger ein ihm unterbreitetes Angebot, mit Wirkung ab [X.]ezember 2013 zu im Übrigen unveränderten Konditionen in [X.] weiterbeschäftigt zu werden, nicht angenommen hatte, hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. Mai 2013 zu einer auf dieses Ziel gerichteten Änderungskündigung zum 30. November 2013, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin, an. [X.]er Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Änderungskündigung mit Schreiben vom 28. Mai 2013 und wies zur Begründung auf konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten am Standort in [X.] hin sowie darauf, dass die Beklagte fehlerhaft keine Sozialauswahl durchgeführt habe.

5

[X.]ie Beklagte erklärte - hiervon gehen jedenfalls beide Parteien aus - mit Schreiben vom 31. Mai 2013 gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung mit dem ihm zuvor unterbreiteten Änderungsangebot.

6

[X.]er Kläger hat dieses unter dem Vorbehalt seiner [X.] Rechtfertigung angenommen und die vorliegende Änderungsschutzklage erhoben. [X.]r hat sich „die Widerspruchsgründe des Betriebsrates zu eigen gemacht“ und eine nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.

7

[X.]er Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Wege der Änderung des [X.] durch die Änderungskündigung vom 31. Mai 2013 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.

8

[X.]ie Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Änderungskündigung für wirksam gehalten. [X.]er bisherige Arbeitsplatz des [X.] in [X.] sei in Umsetzung der ausweislich des Interessenausgleichs getroffenen unternehmerischen [X.]ntscheidung weggefallen. Gleichzeitig sei ein äquivalenter Arbeitsplatz in [X.] geschaffen worden. Andere freie Arbeitsplätze am Standort [X.] seien nicht vorhanden gewesen. [X.]ine Sozialauswahl sei nicht vorzunehmen gewesen. [X.]ie vom Kläger benannten Mitarbeiter seien nicht mit ihm austauschbar gewesen.

9

[X.]as Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. [X.]as [X.] hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger - sinngemäß - die Wiederherstellung der erstinstanzlichen [X.]ntscheidung.

Entscheidungsgründe

[X.]ie Revision hat [X.]rfolg. [X.]as Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 [X.]. [X.]ie Abweisung der vom Kläger erhobenen [X.] wird von seinen Gründen nicht getragen. Ob die Änderung der Arbeitsbedingungen des [X.] sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 [X.] ist, steht noch nicht fest. [X.]ies führt zur Aufhebung der angefochtenen [X.]ntscheidung und Zurückverweisung an das [X.].

I. [X.]ine betriebsbedingte Änderungskündigung ist sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 [X.], wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und der Arbeitgeber sich darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. [X.]ie Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags an die verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. [X.]ie angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur [X.]rreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist ([X.] 24. September 2015 - 2 [X.] - Rn. 13, [X.][X.] 153, 9; 29. September 2011 - 2 [X.] - Rn. 28).

II. [X.]iese Grundsätze hat das [X.] für seine [X.]ntscheidung nicht herangezogen. [X.]as [X.] hat bezogen auf den vom Kläger geltend gemachten [X.], die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt, ausschließlich geprüft, ob die Beklagte eine fehlerhafte Sozialauswahl iSd. § 1 Abs. 3 [X.] durchgeführt habe. [X.]ieser materielle Rechtsfehler bei der Anwendung von § 1 Abs. 2 iVm. § 2 [X.] ist vom Senat gem. § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG unabhängig von einer darauf bezogenen Sachrüge der Revision zu prüfen.

1. [X.]as [X.] ist zwar ersichtlich davon ausgegangen, dass § 1 [X.] nach seinem betrieblichen Geltungsbereich gem. § 23 Abs. 1 [X.] im Zeitpunkt der Änderungskündigung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand. [X.]er Kläger hat aber nicht allein eine fehlerhafte Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 iVm. § 2 [X.] gerügt, sondern auch eine mangelnde [X.] Rechtfertigung der Änderung seiner Arbeitsbedingungen in Hinblick auf die vom Betriebsrat benannten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in [X.]. [X.]r hat damit in Abrede gestellt, dass die Änderung seiner Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung durch dringende betriebliche [X.]rfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] bedingt war. [X.]ine diesbezügliche Würdigung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen.

2. Sollte das [X.] unausgesprochen das Vorliegen dringender betrieblicher [X.]rfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] für die Änderung der Arbeitsbedingungen des [X.] bejaht haben, sind die hierfür erforderlichen Tatsachen nicht festgestellt. [X.]as [X.] hat weder Feststellungen dazu getroffen, ob der bisherige [X.] für den Kläger in [X.] durch Verlagerung seines Arbeitsplatzes nach [X.] mit Wirkung ab [X.]ezember 2013 tatsächlich entfallen ist noch ob es andere, sich vom bisherigen Inhalt seines Arbeitsverhältnisses weniger weit entfernende Beschäftigungsmöglichkeiten gab. Selbst wenn [X.]rsteres unstreitig gewesen sein sollte, ist dies bislang nicht festgestellt. [X.]as [X.] hat den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten als streitig wiedergegeben. Zu konkret vorhandenen anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger in [X.] haben die Parteien nach dem Tatbestand der angefochtenen [X.]ntscheidung ebenfalls widerstreitend vorgetragen. [X.]s ist auch nicht festgestellt, dass die Voraussetzungen der Vermutungswirkung gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 [X.] gegeben gewesen wären.

3. Hätte es demnach, wie vom Kläger behauptet, andere sich vom bisherigen Inhalt seines Arbeitsverhältnisses weniger weit entfernende Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben, hätte das [X.] die Klage nicht abweisen dürfen.

III. [X.]ieser Rechtsfehler führt zur Zurückverweisung der Sache an das [X.], damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Für die neue Verhandlung und [X.]ntscheidung gibt der Senat die folgenden Hinweise:

1. In der Senatsrechtsprechung ist bereits geklärt, dass das Gebot der ausreichenden Berücksichtigung [X.]r Gesichtspunkte gem. § 1 Abs. 3 [X.] auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen gilt und dass es bei diesen für die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer darauf ankommt, ob die Arbeitnehmer auch für die Tätigkeit, die Gegenstand des Änderungsangebots ist, wenigstens annähernd gleich geeignet sind, ob eine Austauschbarkeit also auch bezogen auf den mit der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatz gegeben ist ([X.] 9. September 2010 - 2 [X.] - Rn. 44; 18. Januar 2007 -  2 [X.]  - Rn. 26 ). Sollte das [X.] auch nach dem fortgesetzten Berufungsverfahren zu der Feststellung gelangen, die vom Kläger benannten Arbeitnehmer der Gruppe „[X.]“ könnten die von ihm in [X.] auszuübende Tätigkeit nicht - und zwar auch nicht nach einer kurzen [X.]inarbeitungszeit (vgl. [X.] 31. Mai 2007 - 2 [X.] - Rn. 40, [X.][X.] 123, 20; 18. Oktober 2006 - 2 [X.] - Rn. 30) - ausführen, hätte die Beklagte diese demnach zu Recht nicht in eine Sozialauswahl mit dem Kläger einbezogen.

2. [X.]ie Würdigung des [X.]s, die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG angehört, lässt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision zeigt einen solchen nicht auf. [X.]ie Beteiligung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG im Falle einer Versetzung des Arbeitnehmers ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine mit diesem Ziel erklärte Änderungskündigung ([X.] 8. Juni 1995 - 2 AZR 739/94 - zu II der Gründe; 30. September 1993 - 2 [X.] - zu [X.] 3 der Gründe, [X.][X.] 74, 291).

        

    Koch     

        

    Niemann    

        

    Rachor     

        

        

        

    Grimberg     

        

    Brossardt     

                 

Meta

2 AZR 606/16

18.05.2017

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 15. Januar 2014, Az: 15 Ca 4524/13, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 KSchG, § 1 Abs 3 KSchG, § 2 KSchG, § 99 BetrVG, § 102 Abs 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.05.2017, Az. 2 AZR 606/16 (REWIS RS 2017, 10657)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10657

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Änderungskündigung


Referenzen
Wird zitiert von

4 Sa 181/17

5 Sa 87/17

5 Sa 245/16

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