Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2017, Az. 4 StR 366/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11341

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:090517B4STR366.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 366/16

vom
9.
Mai
2017
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 9.
Mai
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18.
März 2016

mit Ausnahme der Feststellungen, die bestehen bleiben

aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als un-begründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1
-
3
-
I.
Nach den Feststellungen kannte der Angeklagte den 1972 geborenen Nebenkläger, der unter einer leichten Intelligenzminderung leidet und schwer-hörig ist, aus der [X.] seiner früheren Tätigkeit als Leiter einer Förderschule für geistige Entwicklung in M.

.
Nachdem es anlässlich eines Schulfestes, an dem
auch
der Angeklagte und ehemalige Schüler der Förderschule teilgenommen hatten, wieder zum Kontakt zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger und in der Folgezeit zu einem ohne sexuelle Interaktion verlaufenden Besuch des Angeklagten beim Nebenkläger gekommen war, besuchte der Angeklagte
an einem nicht mehr näher eingrenzbaren Tag zwischen 2010 und 2012 erneut den Nebenkläger in dessen Wohnung. Dort schauten beide Pornofilme mit heterosexuellen Hand-lungen. n-g-te oberhalb der Kleidung an den Penis des [X.], der daraufhin einmal ng des Angeklagten aber nichts Weiteres entgegenzusetzen vermochte. Der Angeklagte forderte den geschockten und überrumpelten Geschädigten sodann auf, auch ihm an den Penis zu fassen, was der Nebenkläger auch tat. Nachdem sich beide im [X.] hatten, drang der Angeklagte mit seinem Penis, über den er ein Kondom gestreift hatte, anal in den Nebenkläger ein. Danach führte der Nebenkläger auf Aufforderung des Angeklagten den Oralverkehr bei diesem bis zum [X.] durch.
Der Geschädigte wollte den Sexualkontakt nicht und empfand großen Ekel. Aufgrund seiner Intelligenzminderung in Verbindung mit den Persönlich-2
3
4
-
4
-
keitsbesonderheiten und der Deprivation bei [X.] war er nicht in der Lage, sich gegen die homosexuellen Handlungen des Angeklagten zu wehren. Der Angeklagte, der

ausweislich der Ausführungen der Strafkammer im Rah-men der Beweiswürdigung

wusste, dass der Geschädigte den sexuellen [X.] nicht wollte, kannte die geistige Behinderung und Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten sowie die ihm aus Sicht des Geschädigten zukommende
Autoritätsstellung. Die Defizite des [X.] nutzte er bewusst zur [X.] aus.
II.
Die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsun-fähiger Personen nach §
179 Abs.
1 Nr.
1, Abs.
5 Nr.
1 StGB in der bis 9.
No-vember 2016 geltenden Fassung kann nicht bestehen bleiben, weil im Revisi-onsverfahren nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch das Fünfzigs-te
Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches

Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.
November 2016 ([X.]
[X.]) umge-staltete Vorschrift des §
177 StGB nF bei der gebotenen konkreten Betrach-tungsweise gemäß §
2 Abs.
3 StGB als milderes Recht Anwendung findet.
1.
Nach §
179 Abs.
1 StGB in der bis
zum 9.
November 2016 geltenden Fassung macht sich strafbar, wer eine Person, die aus den in der Norm näher genannten Umständen zum Widerstand unfähig ist, dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung der [X.] sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. [X.] im [X.] dieser Vorschrift setzt nach der Rechtsprechung des [X.] voraus, dass das Tatopfer

wenn auch nur vorübergehend

gänzlich unfähig ist, einen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle 5
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-
5
-
Ansinnen des [X.] zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen. Die Feststellung der [X.] erfordert eine normative Entscheidung, die der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung zu treffen hat, in welche auch das aktuelle Tatgeschehen und etwaige Beeinträchtigungen des [X.] durch die [X.] infolge Überraschung, Schreck oder Schock einzubezie-hen sind
(st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 15.
März 1989

2
StR
662/88, [X.]St 36, 145, 147; Beschlüsse vom 23.
September 1997

4
StR
433/97, [X.], 83; vom 23.
November 2010

3
StR
410/10, [X.], 210; vom 10.
August 2011

4
StR
338/11, [X.], 150; Urteil vom 5.
November 2014

1
StR
394/14, [X.], 44, 45).
Das [X.] ist

sachverständig beraten

aufgrund der gebotenen umfassenden Gesamtbetrachtung zu der Überzeugung gelangt, dass der [X.] wegen seiner kognitiven Einschränkungen in Verbindung mit den weiteren [X.] und den besonderen Gegebenheiten der [X.] insoweit widerstandsunfähig war, als er zwar in der Lage war, einen den homosexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu artikulieren, diesen Willen jedoch gegenüber dem Angeklagten bei der Tat nicht durchsetzen konnte. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Mit Blick auf die festgestellte anale und orale Penetration des Geschädigten hat die [X.] ferner zutreffend die Qualifikation des §
179 Abs.
5 Nr.
1 StGB aF bejaht und ist im Rahmen der Strafzumessung von einem minder schweren Fall des schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen gemäß §
179 Abs.
6 StGB aF ausgegangen.
2.
Mit dem am 10.
November 2016 in [X.] getretenen Fünfzigsten
Ge-setz zur Änderung des Strafgesetzbuches

Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.
November 2016 ([X.]
[X.]) hat der 7
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6
-
Gesetzgeber die Vorschrift des §
179 StGB aF aufgehoben und mit dem neu gefassten §
177 StGB nF eine einheitliche Strafnorm zur Erfassung sexueller Übergriffe auf Menschen mit und ohne Behinderung geschaffen (vgl. Be-schlussempfehlung und Bericht des [X.], BT-Drucks. 18/9097, S.
2, 21). Die neu gefasste Vorschrift des §
177 StGB nF enthält insbesondere in den Absätzen
1, 2 Nrn.
1 und 2 und Absatz
4 Nachfolgeregelungen
zu §
179 StGB aF, die hinsichtlich des geschützten Rechtsguts und der inkriminierten Angriffsrichtung unverändert geblieben sind und damit einen identischen Unrechtskern aufweisen
(vgl. [X.], Beschluss vom 7.
März 2017

1
StR
52/17).
Da die Tatbestände des §
177 Abs.
2 Nr.
1 und 2 StGB nF und die Quali-fikationsnorm des §
177 Abs.
4 StGB nF ausschließlich an die Fähigkeit zur Bildung und Äußerung eines entgegenstehenden Willens anknüpfen, wird die nach altem Recht unter den
Begriff der [X.] subsumierte Unfähigkeit, einen Abwehrwillen gegenüber dem Täter zu realisieren, von die-sen Vorschriften des neuen Rechts nicht erfasst (vgl. [X.] in [X.], 3.
Aufl., §
177 nF Rn.
60; [X.],
StGB, 64.
Aufl., §
177 Rn.
59). Das [X.] über den artikulierten entgegenstehenden Willen des [X.] unterfällt vielmehr unabhängig von einer zustandsbedingten habituellen Unfähigkeit zur Durchsetzung dieses Willens lediglich dem Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs nach §
177 Abs.
1 StGB nF, der mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren eine gegenüber §
179 Abs.
1 StGB aF deutlich niedrigere Strafandrohung enthält. Bei der Vornahme des [X.] oder ähnli-cher sexueller Handlungen,
die das Opfer besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind, sieht das neue Recht in §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF ein Regelbeispiel für einen beson-ders schweren Fall mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor.
9
-
7
-
3.
Ob die nach §
354a StPO auch im Revisionsverfahren zu beachtende Änderung des materiellen Rechts bei der gebotenen konkreten Betrachtungs-weise nach §
2 Abs.
3 StGB
die Anwendung des neuen Rechts zur Folge hat, hängt von der als Strafzumessungsakt allein dem Tatrichter obliegenden Ent-scheidung über die Regelwirkung des §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF ab und kann daher vom Senat auf der Grundlage der bisherigen,
sich hierzu nicht verhaltenden Urteilsausführungen nicht abschließend beurteilt werden. Bei An-nahme eines besonders schweren Falls entsprechend dem
Regelbeispiel des §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF ist das neue Recht nicht milder und es ver-bleibt bei der Anwendung des §
179 StGB aF, während sich bei
einem
Absehen von der Regelwirkung des §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF das neue Recht für den Angeklagten mit der Strafandrohung aus §
177 Abs.
1 StGB nF als günstiger darstellt, sodass es nach §
2 Abs.
3 StGB anzuwenden ist. Da das [X.] von dem Normalstrafrahmen des §
179 Abs.
5 Nr.
1 StGB aF, der wie §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vorsieht, abgewichen ist und einen minder schweren Fall gemäß §
179 Abs.
6 StGB aF mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren an-genommen hat, kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit aus-schließen, dass der Tatrichter bei Zugrundelegung des neuen Rechts die Re-gelwirkung des §
177 Abs.
6 Satz
2 Nr.
1 StGB nF verneint hätte.
Der Senat hebt daher den Schuld-
und Strafausspruch auf. Die rechts-fehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen
10
11
-
8
-
durch den neu zur Verhandlung und Entscheidung berufenen Tatrichter bleiben möglich.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Bender
Feilcke

Meta

4 StR 366/16

09.05.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2017, Az. 4 StR 366/16 (REWIS RS 2017, 11341)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11341

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4 StR 366/16

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