Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2017, Az. VI ZR 477/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 3853

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[[X.].]:[[X.].]:[[X.].]H:2017:171017UVIZR477.16.0

BUN[[X.].]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [[X.].]S VOLKES

URTEIL
VI [[X.].]
Verkündet am:

17. Oktober 2017

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[[X.].]HZ:
ja
[[X.].]HR:
ja

[[X.].] § 110 Abs. 1

Die [[X.].] als Trägerin der Arbeitslosenversicherung ist nicht Sozialversicherungsträger im Sinne von § 110 Abs. 1 Satz 1 [[X.].].

[[X.].]H, Urteil vom 17. Oktober 2017 -
VI [[X.].] -
OLG [X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [[X.].] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober
2017 durch den Vorsitzenden [[X.].], den Richter
[[X.].], die Richterinnen
Dr. [[X.].], [[X.].] und Müller
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandes-gerichts [X.]
vom 12. Oktober
2016
wird auf Kosten der
Klä-gerin
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die klagende [[X.].]
nimmt
als Trägerin der gesetzli-chen Arbeitslosenversicherung
den [[X.].]n gemäß § 110 Abs. 1 [[X.].] auf Ersatz ihr entstandener
Aufwendungen nach
einem
Arbeitsunfall ihres Versi-cherten [[X.].] in Anspruch.
Der bei dem [[X.].]n beschäftigte Versicherte
brach am 16. April 2009 bei Dachdeckerarbeiten durch ein Hallendach und stürzte etwa 6,5 Meter in die Tiefe. Dabei
verletzte er sich so
schwer, dass er nicht mehr in seinem Beruf als Dachdecker arbeiten kann. Durch ordentliche Kündigung vom 27.
Juni 2009 beendete der [[X.].]
das Arbeitsverhältnis des Versicherten
zum
31. Juli 2009. Vom 14. Oktober 2010 bis zum 11. Oktober 2011 bezog der Versicherte Arbeitslosengeld. Zusammen mit Sozialversicherungsbeiträgen wendete die Klägerin dafür einen Betrag von

auf, dessen Ersatz sie
von dem 1
2
-

3

-

[[X.].]n begehrt.
Ferner
beantragt sie die Feststellung, dass der [[X.].] zum Ersatz sämtlicher weiterer ihr aus dem Schadensereignis entstehender Aufwendungen verpflichtet ist.
Das [[X.].] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der
Klägerin
ist
ohne Erfolg
gebliebenen. Mit der vom Berufungsge-richt zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihr Klagebegehren
weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts
scheidet ein Anspruch aus § 110 Abs. 1 [[X.].] aus, weil die Klägerin als Trägerin der Arbeitslosenversicherung kein Sozialversicherungsträger im Sinne dieser Vorschrift und deshalb nicht anspruchsberechtigt sei. Der Gesetzgeber
unterscheide zwischen Sozialversi-cherung, Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [[X.].] und Arbeitsför-derung nach dem [[X.].]I. Als für die Arbeitsförderung zuständiger
Träger zähle die Klägerin nicht zu den Versicherungsträgern nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB
[X.], weshalb der Gesetzgeber § 116 Abs. 10 [[X.].]
geschaffen und dadurch die Eigenschaft der Klägerin als Versicherungsträger im Sinne dieser Norm fingiert habe. Demgegenüber fehle
es in § 110 [[X.].] an einer § 116 Abs. 10 [[X.].] vergleichbaren Regelung. Auch in anderen Normen des Sozial-gesetzbuchs sei
die Klägerin ausdrücklich als den Versicherungsträgern gleich-gestellt aufgeführt worden. Etwas Anderes ergebe sich weder aus dem [[X.].] noch
aus § 58 SGB
Vll.
3
-

4

-

Zudem scheiterten Ansprüche der Klägerin nach § 110 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] daran, dass sie ihre Leistungen nicht
allein
"infolge des Versicherungs-falls"
und den damit einhergehenden körperlichen Beeinträchtigungen
des Ver-sicherten
erbracht habe, sondern infolge
der Kündigung und der Arbeitslosig-keit.
Ein Fall einer unberechtigten Ungleichbehandlung verschiedener Leis-tungsträger, die aufgrund des gleichen Schadensereignisses
Leistungen er-brächten, liege nicht vor.

II.
Die
Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist zutreffend da-von ausgegangen, dass die klagende [[X.].]
kein Sozialver-sicherungsträger
im Sinne des §
110 Abs. 1 [[X.].] und daher nicht an-spruchsberechtigt ist.
1. Den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführende Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107
[[X.].] beschränkt ist, haf-ten den Sozialversicherungsträgern nach § 110 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs. Ob die Klägerin als Trägerin der [[X.].] zu den von dieser Norm erfassten Sozialversicherungs-trägern zählt, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Im Schrifttum
ist die Frage um-stritten.
a) Die überwiegende Ansicht in der Literatur hält die [[X.].]
im Rahmen
des § 110 Abs. 1 [[X.].] nicht für anspruchsberechtigt. Zur Begründung wird angeführt, bei ihr handele es
sich nicht um einen Sozialversi-4
5
6
7
8
-

5

-

cherungsträger im Sinne dieser Vorschrift
([[X.].]ke, Unfalltod und Schadener-satz, 2. Aufl., § 2 Rn. 787 ff.; [[X.].]., [[X.].], 4. Aufl., § 4 Rn. 608; [[X.].], [[X.].] 2017, 385541; vgl. auch [[X.].][[X.].], 5. Aufl., [[X.].]. 9 Rn. 70; [[X.].] Sozialrecht/Stelljes, § 110 [[X.].] Rn. 7, 24 [Stand: 31. Juli 2016]). Zudem leiste sie als
Trägerin
der [[X.].] nicht wegen des Arbeitsunfalls, sondern wegen der Ar-beitslosigkeit des Versicherten
([[X.].], [[X.].] 1998, 54, 62 mit [[X.].]. 128; [[X.].] in [[X.].]., [[X.].]-Komm, §
110 Rn. 6 [Stand: Juni 2013]; [[X.].]., [[X.].] 2004, 68, 74; [[X.].] in [[X.].], Unfallversicherung, [[X.].], 4. Aufl., §
110 Rn. 7 [Stand: Januar 2015]; v. [[X.].] in [X.]/[[X.].]/
Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl., §
110 [[X.].] Rn. 5;
[[X.].], [[X.].] des § 110 [[X.].] unter be-sonderer
Betrachtung des neu eingeführten Absatzes
1a, 2008, S. 38; zu § 640 [[X.].] bereits [[X.].], [[X.].] 1963, Sonderheft Mai, [[X.].], 25).
b) Die Gegenansicht hält die [[X.].]
als Trägerin
der Arbeitslosenversicherung für gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] anspruchsbe-rechtigt
(Ricke in [[X.].] Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 110 [[X.].]
Rn. 5 [Stand: September 2015]; [[X.].] in [[X.].], [[X.].], [[X.].], §
110 Rn. 6 [Stand: 31. August 2016]). Das Argument, sie
leiste nicht wegen des Versicherungsfalls, sondern wegen der Arbeitslosig-keit, sei aufgrund von § 58 [[X.].] nicht schlüssig
(Ricke, aaO).
2. Nach Auffassung des
Senats ist die Klägerin
jedenfalls
deshalb nicht gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] anspruchsberechtigt, weil sie
nicht Sozial-versicherungsträger im
Sinne dieser Vorschrift
ist. Zwar führt deren
Auslegung nach Wortlaut sowie
Sinn und Zweck zu keinem klaren Ergebnis. Die Entste-hungsgeschichte legt aber das Verständnis
nahe, dass der Begriff des Sozial-versicherungsträgers im Sozialgesetzbuch und damit auch in § 110 Abs. 1
9
10
-

6

-

[[X.].] in [[X.].], den Träger der Arbeitslosenversicherung nicht einschließenden Sinn gebraucht wird. Dies wird
durch die systematische Auslegung bestätigt.
a) Der Wortlaut des
§ 110 Abs. 1 SGB
VII, der wie zuvor § 640 [[X.].] in seinen Wirkungsbereich alle
Träger der Sozialversicherung einbezieht (zu §
640 [[X.].] vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 1974 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 63, 313, 317), ist für beide Deutungen offen. Der Begriff der Sozialversicherung kann in einem materiellen weiten Sinn, der die Arbeitslosenversicherung mit-einbezieht, verstanden werden. In diesem Sinne wird die [[X.].] in ihrer Funktion als Trägerin der Arbeitslosenversicherung im Rahmen des §
117 Abs.
3 Satz 2 [[X.].], nach dem ein
gegenüber seinem Versicherungs-nehmer leistungsfreier Pflichthaftpflichtversicherer
auch gegenüber dem [[X.].] leistungsfrei ist, wenn dieser Ersatz seines Schadens von einem Sozialversicherungsträger erlangen kann, als Sozialversicherungsträger angesehen (MünchKomm-[[X.].]/[[X.].], 2.
Aufl.,
§ 117 Rn. 40; [[X.].] in [[X.].]/[[X.].], [[X.].], 29. Aufl., §
117 Rn. 32; Langheid in Langheid/Rixecker, [[X.].], 5.
Aufl., §
117 Rn. 32; [[X.].] in [[X.].], [[X.].], 9. Aufl., § 117 Rn. 66; [[X.].] in Looschel[[X.].]/Pohlmann, [[X.].], 3. Aufl., § 117 Rn. 22; [[X.].]/[[X.].], 2016, § 117 [[X.].] Rn. 39; zur Vorgängernorm des §
158c [[X.].] bereits [[X.].], [[X.].], 233; [[X.].], NJW-RR 1986, 1474 f.; dazu auch [[X.].]H, Urteil vom 23. September 1965 -
II ZR 144/63, [[X.].]HZ 44, 166, 168 f.).
Der Begriff der Sozialversicherung kann jedoch auch
in [[X.].] Sinn gedeutet
werden, der -
neben der erst nachträglich geschaffenen Pflegeversicherung
-
nur die vier zunächst in der [[X.].] geregelten "klassischen"
Versicherungszweige (Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall) umfasst. Gerade weil
der Begriff der Sozialversicherung
häufig in diesem beschränkten, engen Sinne verstanden wird, spricht das Grundgesetz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12
von der "Sozialversicherung einschließlich 11
-

7

-

der Arbeitslosenversicherung". Damit wird dem
beson[[X.].] naheliegenden Miss-verständnis vorgebeugt, in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes stehe das Wort "Sozialversicherung"
nur für die vier "klassischen"
[[X.].]. Es wird klargestellt, dass die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG
den Begriff
"Sozialversicherung"
als verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff
versteht, der alles umfasst, was sich "der Sache nach"
als Sozialversicherung darstellt
([[X.].] 11, 105, 111 f.).
b) Die teleologische Auslegung des § 110 Abs. 1 [[X.].] ist unergiebig. Maßgeblich dafür, dem Schädiger in den dort genannten
Fällen eine Ersatz-pflicht aufzubürden, sind -
neben dem das Schadensrecht beherrschenden Ausgleichsgedanken -
letztlich präventive und erzieherische Gründe, die dann greifen
sollen, wenn der durch das Haftungsprivileg begünstigte Schädiger den Unfall und damit die Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers durch ein beson[[X.].] zu missbilligendes Verhalten verursacht hat (Senatsurteile vom 11.
Februar 2003 -
VII ZR 34/02, [[X.].]HZ 154, 11, 18; vom 27. Juni 2006 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 168, 161 Rn. 9;
vom 15. Juli 2008 -
VI [[X.].], [[X.].], 1407 Rn. 31; [[X.].] Sozialrecht/Stelljes, § 110 [[X.].] Rn. 3 ff. [Stand: 31.
Juli 2016]; zu § 640 [[X.].] vom 20. November 1979 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 75, 328, 330 f.; vom 18. Oktober 1988 -
VI [[X.].], [[X.].], 109, 110). Diese Zwecke werden einerseits auch dann erreicht, wenn die [[X.].] als Trägerin
der Arbeitslosenversicherung ersatzbe-rechtigt ist, erfordern andererseits aber nicht deren Einbeziehung in den Kreis der Anspruchsberechtigten. So werden, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, auch
den
einst nach § 903 [[X.].] anspruchsberechtigten
Sozialhil-feträgern ihre durch einen Versicherungsfall entstehenden Aufwendungen be-reits seit Inkrafttreten des
durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz
12
-

8

-

-
[[X.].]) vom 30. April 1963 ([[X.].]Bl. I S. 241) geschaffenen
§ 640
[[X.].] als Vor-gängerregelung des § 110 Abs. 1 [[X.].] nicht mehr ersetzt.
c) Die
Entstehungsgeschichte
spricht aber dafür, dass
der historische Gesetzgeber nicht den Willen hatte, den Träger der gesetzlichen Arbeitslosen-versicherung in § 110 Abs. 1 [[X.].] und in den Vorgängervorschriften in den
Kreis der Anspruchsberechtigten einzubeziehen. Während in der bis zum 30.
Juni 1963 geltenden Norm des §
903 [[X.].] Gemeinden, Träger der [[X.].], Krankenkassen, der [[X.].], Ersatzkassen, Ster-be-
und andere Unterstützungskassen sowie die Träger der gesetzlichen Un-fallversicherung anspruchsberechtigt waren, so dass insbesondere eine Aktiv-legitimation des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bestand
(vgl. Senatsurteile
vom 5. November 1957 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 26, 16, 18 ff.
zur Invalidenversicherung; vom 30. November 1971 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 57, 314, 315
ff.), erweiterte der Gesetzgeber den Kreis der Anspruchsberechtigten in der vom 1. Juli 1963 bis zum 31. Dezember 1996 geltenden, durch das
Un-fallversicherungs-Neuregelungsgesetz ([[X.].]) vom 30. April 1963 eingeführten Vorschrift des §
640 [[X.].] auf die
"Träger der Sozialversicherung". Die Begrün-dung des Gesetzesentwurfs ging auf diese Änderung und auf die Frage, ob da-zu auch der Träger der Arbeitslosenversicherung gehöre, zwar
nicht ein ([[X.].]. [[X.].], [[X.].] -
zu § 639; vgl. ferner Senatsurteil vom 30. November 1971 -
VI [[X.].], [[X.].]HZ 57, 314, 318), ebenso
wenig der schriftliche Bericht des [[X.].] ([[X.].]. [[X.].]/938 (neu), S. 18 -
zu §
639). Ein erster Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung, der
am 21. März 1957 dem [[X.].] zugeleitet worden war, hatte
aber -
noch als § 795 [[X.].]-E1
-
folgende
Formulierung
enthalten: "Haben die Unternehmer oder die in § 632 genannten Personen den Unfall vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt, so haften sie für alles, was Träger der Unfallversicherung, Träger der gesetzlichen Renten-13
-

9

-

versicherungen, Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und Träger der öffentlichen Fürsorge nach Gesetz oder Satzung aufwenden müssen"
([[X.].]. II/3318, S. 44 f.). Die dortige Begründung, die auf die Änderung der [[X.].] ebenfalls nicht eingegangen war, war bereits fast
wortgleich mit jener des späteren, insoweit Gesetz gewordenen Entwurfs (vgl. [[X.].]. II/3318, S. 100 -
zu § 795 sowie [[X.].], [[X.].], [[X.].] -
zu § 639). Ein zwei-ter Regierungsentwurf
eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetz-lichen Unfallversicherung, der dem [[X.].] am 16. Dezember 1958 zugeleitet worden war, hatte
in § 632 [[X.].]-E2 die Aufzählung der An-spruchsberechtigten
ersetzt durch die -
mangels Begründung einer abweichen-den Bedeutung ([[X.].]. [[X.].]/758, [[X.].]) offenbar als
inhaltlich gleichbedeu-tende Zusammenfassung gemeinte -
Formulierung "die Träger der Sozialversi-cherung und die Träger der öffentlichen Fürsorge"
([[X.].]. [[X.].]/758, [[X.].]). Der später Gesetz gewordene Entwurf strich die Träger der öffentlichen [[X.].] als Ersatzberechtigte und hielt an der Formulierung "Träger der Sozialversi-cherung"
fest. Daraus lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber diese [[X.].] allein aus redaktionellen Gründen wählte, um -
wie im ersten Entwurf -
die Ersatzberechtigung der Träger der Unfall-, Renten-
und Krankenversicherung zu regeln.
In diesem Sinne wurde der neu geschaffene § 640 [[X.].] auch in der Lite-ratur verstanden. Dort wurde
betont, dass im Gegensatz zu dem bisher gelten-den Recht die Träger der Rentenversicherung ersatzberechtigt seien (vgl. [[X.].], [[X.].] 1963, 403, 406; [[X.].]., NJW 1963, 1046, 1048; [[X.].], NJW 1963, 1706, 1709; [[X.].], [[X.].], 29, 30; [[X.].], [[X.].] 1964, 1493, 1494; Wus-sow, [[X.].], 8. Aufl., 1963, Rn. 1982; [[X.].], [[X.].], 12. Aufl., 1964, [[X.].]. 28 Rn. 3). Die Ansicht, dass dies auch für die Träger der Arbeitslosenversicherung gelte, wurde unter der Geltung der [[X.].], soweit ersichtlich, hingegen nicht vertreten; soweit man auf diese Frage ein-14
-

10

-

ging, lehnte man eine
Einbeziehung der Arbeitslosenversicherung vielmehr ab ([[X.].], NJW 1963, 1706, 1709; [[X.].], Die Ersatzansprüche der Sozialversi-cherungsträger nach §§ 640 und 1542 [[X.].], 2. Aufl., 1964, [[X.].]; [[X.].]/
Waltermann, [[X.].], 3. Aufl., § 640 [[X.].] Rn. 35 [Stand: September 1992]; im Ergebnis auch [[X.].], [[X.].] 1963, Sonderheft Mai, S.
5, 25) oder zählte die anspruchsberechtigten Sozialversicherungsträger ohne Nennung der Arbeitslosenversicherung auf (Gotzen/[[X.].], Kommentar zur Unfallversicherung, 1963, [[X.].]; [[X.].], [[X.].] 1964, 1493, 1494; [[X.].], [[X.].] 1966, 489, 490).
Durch das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfall-versicherung in das Sozialgesetzbuch ([[X.].] -
UVEG) vom 7. August 1996 ([[X.].]Bl. I 1254) wurde § 640 [[X.].] in § 110 [[X.].] überführt, wobei an der Anspruchsberechtigung der Sozialversicherungsträ-ger festgehalten wurde, ohne dies und die Frage, ob dazu auch die Träger der Arbeitslosenversicherung gehören sollen, für begründungsbedürftig zu halten (vgl. [[X.].]. 13/2204, [[X.].]). Daraus ist zu schließen, dass eine inhaltliche Änderung zu § 640 [[X.].] hinsichtlich des [[X.].] der Anspruchsberechtigten nicht beabsichtigt war.
d) Dieses
aus der Entstehungsgeschichte abgeleitete Ergebnis, dass die Träger der Arbeitslosenversicherung im Rahmen des § 110 Abs. 1 [[X.].] nicht anspruchsberechtigt sind, wird durch systematische
Erwägungen
bestä-tigt. Denn das Sozialgesetzbuch unterscheidet einerseits zwischen der Sozial-versicherung
im formellen engen Sinn,
zu der es die gesetzliche Kranken-, Ren-ten-, Unfall-
und Pflegeversicherung zählt
(Fünftes bis Siebtes und Elftes Buch
des [X.]), und andererseits
der
Grundsicherung für Arbeitsu-chende nach dem [[X.].] Buch
und der -
die Arbeitslosenversicherung regeln-den -
Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch des
[X.]
([[X.].] in 15
16
-

11

-

[[X.].]/[[X.].], [[X.].], §
116 Rn. 61a
[Stand: November 2014]; [[X.].]/[[X.].], [[X.].], 2. Aufl., § 4 Rn. 5, 8; [[X.].] Sozialrecht/[[X.].], [[X.].], § 4 Rn. 2
[Stand: 1. März 2017]; vgl. auch [[X.].]/[[X.].], [[X.].]V, 2. Aufl., § 29 Rn.
3; Udsching in [[X.].]/[[X.].], [[X.].]V, § 1 Rn. 13 [Stand: April 2014]). Schon aus dem mit "Sozialversicherung"
überschriebenen § 4 [[X.].] wird deutlich, dass der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch einen formellen engen Begriff der Sozialversicherung verwendet. Nachdem dessen Absatz 1 jedem im Rahmen dieses Gesetzbuchs ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung eröffnet, konkretisiert Absatz 2 den Inhalt dieses Rechts (nur) im Rahmen der gesetzli-chen Kranken-, Pflege-, Unfall-
und Rentenversicherung einschließlich der Al-terssicherung der Landwirte,
nicht jedoch hinsichtlich der Arbeitslosenversiche-rung. Daraus wird zu Recht abgeleitet, dass die seit dem 1. Januar 1998 im Dritten
Buch des [X.]
geregelte Arbeitsförderung, die in § 3 Abs.
2
[[X.].] gesondert aufgeführt ist, nicht
zur
Sozialversicherung im Sinne des [X.]
gehört (vgl. [[X.].] in [[X.].]/[[X.].], [[X.].]V, § 4 Rn. 5 [Stand: Dezember 2012]; [[X.].] Sozialrecht/[[X.].], [[X.].], § 4 Rn. 2 [Stand: 1. März 2017]; [[X.].]/[[X.].], [[X.].], 2. Aufl., § 4 Rn. 2, 5; [[X.].]/
[[X.].], § 4 [[X.].] Rn. 5 [Stand: März 2017]). Dementsprechend sind die
"gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung"
im [[X.].] und damit erst hinter den im [[X.].] und Dritten Buch
gere-gelten Materien der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der [[X.].] angeordnet ([[X.].] in [[X.].]/[[X.].], [[X.].]V, § 4 Rn. 5 [Stand: Dezember 2012]). Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]V
gelten diese gemeinsamen Vorschrif-ten für die gesetzliche Kranken-, Unfall-
und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte sowie die [[X.].] Pflegeversicherung (Versi-cherungszweige). § 1 Abs. 1 Satz 2 [[X.].]V ordnet sodann zwar an, dass die Vorschriften des [[X.].]V mit gewissen Ausnahmen auch für die [[X.].] gelten, bestimmt aber in § 1 Abs. 1 Satz
3
[[X.].]V, dass die
Bundesagen--

12

-

tur für Arbeit nur als Versicherungsträger im Sinne dieses Buches "gilt"
(vgl. Löcher in [[X.].]/[[X.].], [[X.].], [[X.].], [X.], 2012, § 29 [[X.].]V Rn. 7).
Wie in § 1 Abs. 1 Satz 3 [[X.].]V hat
der Gesetzgeber in einer Reihe von weiteren Bestimmungen des [X.] die [[X.].] den Sozialversicherungsträgern gleichgestellt und dadurch im Umkehrschluss zu erkennen gegeben, dass er sie nicht zu ihnen rechnet. So ist
die [X.] für Arbeit
als für die Arbeitsförderung zuständige Trägerin (§ 368 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]I) kein
Sozialversicherungsträger
im Sinne von
§ 116 Abs. 1 Satz
1 [[X.].] ([[X.].] in [[X.].]/[[X.].], [[X.].], § 116 Rn. 61a
[Stand: November 2014]; Waltermann in [[X.].], Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl., §
116 [[X.].] Rn. 22; [X.] in v. Wulffen/Schütze, [[X.].], 8. Aufl., § 116 Rn. 4a; [X.]/[[X.].], [X.], 16.
Aufl., [[X.].]. 74 Rn. 39 ff.). Schon in der
vom 1. Juli 1983 bis zum [X.] 1997 geltenden
Fassung des
§ 127 des Arbeitsförderungsgesetzes
([X.]) wurde
für den Fall, dass das Arbeitsamt einem durch einen Unfall Verletzten Arbeitslosengeld gewährte, für den Übergang von Schadensersatzansprüchen die nur entsprechende Geltung des § 116 Abs. 1
SGB
[X.] angeordnet. Eine un-mittelbare Anwendung dieser Norm
kam nicht in Betracht, da es sich bei der damaligen [X.] nicht um
einen Versicherungsträger im Sin-ne des [X.] handelte (so bereits Senatsurteil vom 19. September 1989 -
VI [X.], [[X.].]HZ 108, 296, 299).
Mit der Einordnung des [X.] als [X.] in das Sozialgesetzbuch sah es der [X.] für erforderlich an, die Fiktion des § 116 Abs. 10 [[X.].] aufzustellen, wo-nach die [[X.].] als Versicherungsträger im Sinne dieser Vorschrift gilt.
17
-

13

-

Auch in weiteren Bestimmungen innerhalb und auch außerhalb des [X.] differenziert der Gesetzgeber zwischen den Trägern der
Sozialversicherung einerseits und der [[X.].] anderer-seits, etwa in § 350 Abs. 2 [[X.].]I, § 18f Abs. 1 Satz 1 [[X.].]V, § 293 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 94 Abs. 1a [[X.].]
und
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (vgl. [[X.].]-ke, Unfalltod und Schadensersatz, 2. Aufl., § 2 Rn. 789 mit weiteren
Beispie-len).
3.
Da der Gesetzgeber dem § 110 Abs. 1 [[X.].] keine Norm beigefügt hat, die entsprechend § 116 Abs. 10 [[X.].]
die [[X.].] den Sozialversicherungsträgern gleichstellt, kommt eine Gleichstellung im Rahmen des § 110 [[X.].]
nicht in Betracht. Insbesondere scheidet entgegen der [X.] der Revision eine
analoge Anwendung des § 116 Abs. 10 [[X.].] aus. Ei-ne Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem [X.] vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen [X.] ge-kommen. Die Unvollständigkeit des Gesetzes muss "planwidrig"
sein (Senatsur-teil vom 1. Juli 2014 -
VI [X.], [[X.].]HZ 201, 380 Rn. 13 mwN). Von einer -
gar planwidrigen -
Regelungslücke kann nicht ausgegangen werden, da der Begriff des Sozialversicherungsträgers schon im Rahmen von § 640 [[X.].] eng ausgelegt wurde und keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der

18
19
-

14

-

Gesetzgeber bei der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversiche-rung in das Sozialgesetzbuch daran etwas ändern wollte.
Galke

[[X.].]

[[X.].]

Roloff
Müller
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 04.02.2016 -
1 O 1140/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 12.10.2016 -
1 [X.] -

Meta

VI ZR 477/16

17.10.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2017, Az. VI ZR 477/16 (REWIS RS 2017, 3853)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3853

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 477/16 (Bundesgerichtshof)

Anspruchsberechtigung der Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitslosenversicherung bei einem Arbeitsunfall


VI ZR 143/05 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 70/07 (Bundesgerichtshof)


VI ZB 50/14 (Bundesgerichtshof)


VI ZB 50/14 (Bundesgerichtshof)

Rechtsweg für eine Regressklage des Unfallversicherungsträgers gegen einen Arbeitgeber im Falle der Schwarzarbeit


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZR 477/16

VI ZR 345/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.