Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.06.2022, Az. VIII R 26/19

8. Senat | REWIS RS 2022, 6151

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Gegenstand

(Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben)


Leitsatz

1. Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte.

2. Gemäß § 171 Abs. 7 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 26.07.2019 - 6 K 3189/17 ist gegenstandslos, soweit es die Vermögensteuer auf den 01.01.1996 betrifft.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerinnen als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Klägerinnen zu 95 % und der Beklagte zu 5 % zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die [X.] und Revisionsklägerinnen ([X.]) sind Erbinnen ihrer Eltern. Am [X.] verstarb der Vater der [X.] (im Folgenden: Erblasser). Während des Revisionsverfahrens verstarb auch die Mutter (im Folgenden: Erblasserin), die als Miterbin des Erblassers bis dahin ebenfalls Klägerin und Revisionsklägerin war.

2

Der Erblasser und die Erblasserin wurden in den Streitjahren 1995 bis 2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung für das [X.] reichten sie am 10.03.1997 ein, jene für die Streitjahre ab 1996 in den Jahren 1998 bis 2002. Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre wurden bestandskräftig.

3

Der Erblasser und sein Bruder hatten in den 1980er Jahren von ihrem Vater Depots im [X.] ([X.]) und in der [X.] geerbt. Nach hälftiger Aufteilung unter den [X.] brachte der Erblasser seinen Anteil in zwei Stiftungen mit Sitz in [X.] ein. Die daraus erzielten Kapitalerträge gab er in den Einkommensteuererklärungen nicht an und verkürzte dadurch bewusst u.a. die Einkommensteuer der Streitjahre um jeweils sechsstellige Euro-Beträge.

4

Die [X.] hatten hiervon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod im Jahr 2007 erhielten sie noch im selben Jahr Auskehrungen der liechtensteinischen Stiftungen. Am 02.12.2014 reichten sie beim [X.] eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechtensteinischen Kapitalerträge für die Einkommensteuerveranlagungen ab 2002 nacherklärten. Für die Streitjahre gaben die [X.] keine Berichtigungserklärungen zu den eingereichten Einkommensteuererklärungen ab.

5

Auf der Grundlage von Steuerfahndungsberichten erließ das [X.] am 23.12.2016 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung [X.]) Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und zur [X.] auf den [X.] Es richtete diese Bescheide an die Erblasserin und die [X.] als Gesamtrechtsnachfolgerinnen des Erblassers. Das [X.] ging davon aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre wegen einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. [X.] noch nicht abgelaufen sei.

6

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die [X.] gemeinsam mit der Erblasserin Klage und beriefen sich auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung.

7

Durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2019, 1731 veröffentlichte Urteil wies das Finanzgericht ([X.]) [X.] die Klage ab. Die Änderungsbescheide für die Streitjahre seien rechtmäßig, da der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. [X.] gehemmt gewesen sei. Durch die Nichterfüllung ihrer Pflicht zur Erklärungsberichtigung nach § 153 Abs. 1 [X.] hätten die [X.] ihrerseits die Einkommensteuer der Streitjahre hinterzogen. Eine Berichtigung sei im Laufe des Jahres 2007 durchführbar und den [X.] zumutbar gewesen.

8

Mit ihrer Revision rügen die [X.] die Verletzung von Bundesrecht. Das [X.] habe § 171 Abs. [X.] unzutreffend ausgelegt.

9

Die aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfristen seien zwar bei dessen Versterben am [X.] noch nicht abgelaufen gewesen. Für sämtliche Streitjahre habe die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] auch gegenüber den [X.] gegolten. Der jeweilige Fristablauf sei aber nicht nach § 171 Abs. [X.] über das Ende dieser Festsetzungsfrist hinaus gehemmt worden. § 171 Abs. [X.] erfasse allein die Steuerstraftat des Erblassers als des originären Steuerpflichtigen und könne nur zu einer Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung dieser Tat führen. Eine Analogie oder teleologische Extension der Regelung zulasten der [X.] in der Weise, dass eine Steuerhinterziehung des Erben aufgrund einer unterbliebenen Erklärungsberichtigung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 [X.]) eine Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung der Tat des Erben auslöse, komme nicht in Betracht. Der Zweck des § 171 Abs. [X.] bestehe nur darin, eine Inkongruenz zwischen der steuerlichen Festsetzungsverjährung und der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung bei dem "Ursprungstäter" bzw. "lebenden Steuerpflichtigen" (hier: dem Erblasser) zu vermeiden. Der Erbe könne nach dem Eintritt der Festsetzungsverjährung nur durch einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 71 i.V.m. § 191 Abs. 1, Abs. 5 [X.]).

Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folge, habe jedenfalls der Änderungsbescheid für das Streitjahr 1995 nicht mehr ergehen dürfen. Denn die Steuerhinterziehungen der [X.] durch Unterlassen seien insoweit bis zum Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist am 31.12.2007 noch nicht vollendet gewesen, da das [X.] selbst bei einer unverzüglichen Anzeige und Berichtigung der Einkommensteuererklärung des Erblassers für das [X.] bis zum Jahresende 2007 keinen Änderungsbescheid für dieses Streitjahr mehr hätte erlassen können.

Nach Bekanntgabe eines [X.] vom 12.05.2022 zur [X.] auf den 01.01.1996 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt.

Die [X.] beantragen,
das Urteil des [X.] [X.] vom 26.07.2019 - 6 K 3189/17, die Einspruchsentscheidung vom 12.12.2017 sowie die [X.] für die Jahre 1995 bis 2001 vom 23.12.2016 aufzuheben,
hilfsweise, das Urteil des [X.] [X.] vom 26.07.2019 - 6 K 3189/17 wegen der Einkommensteuer 1995 aufzuheben und zurückzuverweisen.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Das Revisionsverfahren wurde durch den Tod der Erblasserin am xx.xx.2020 gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) i.V.m. §§ 239, 246 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht unterbrochen, da sie durch die Prozessbevollmächtigte vertreten war. Das Verfahren war auch nicht nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO auszusetzen, da weder die Prozessbevollmächtigte noch das [X.] dies beantragt haben. Nach Annahme der Erbschaft führen die [X.] das Revisionsverfahren (auch) als Gesamtrechtsnachfolgerinnen der Erblasserin fort.

III.

Soweit das Urteil des [X.] auf den 01.01.1996 betrifft, ist es durch die Bekanntgabe des [X.] vom 12.05.2022 gegenstandslos geworden und deshalb aufzuheben. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt.

IV.

Soweit die Revision der [X.] die Einkommensteuer der Streitjahre betrifft, ist sie gemäß § 126 Abs. 2 [X.]O als unbegründet zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die [X.] die vom Erblasser hinterzogene Einkommensteuer als Gesamtrechtsnachfolgerinnen schulden (1.), die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] für die Korrektur der Einkommensteuerbescheide vorliegen (2.) und den am 23.12.2016 erlassenen [X.] wegen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 [X.] nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegenstand (3.). Auf Fragen der steuerlichen Haftung kommt es nicht an (4.).

1. Mit dem Erbfall am [X.] sind die [X.] als Erbinnen und Gesamtrechtsnachfolgerinnen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 [X.] --zunächst gemeinsam mit der [X.] neue [X.] des Erblassers geworden (vgl. § 44 Abs. 1 [X.]). Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes nach § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf eine oder mehrere Personen (Erben) über. Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts, sondern es erstreckt sich auch auf das öffentliche Recht und insbesondere auf das Steuerrecht (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.12.2007 - GrS 2/04, [X.], 129, [X.], 608, unter [X.] [Rz 56]; BFH-Urteil vom 29.08.2017 - VIII R 32/15, [X.], 1, [X.], 223, Rz 23).

2. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Das [X.] erlangte im Streitfall erst durch die von den [X.] für die Jahre ab 2002 eingereichte Selbstanzeige vom 02.12.2014 Kenntnis davon, dass der Erblasser bereits in den Streitjahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als er dem [X.] in den eingereichten Einkommensteuererklärungen mitgeteilt hatte. Die Änderbarkeit der Einkommensteuerbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und die anzusetzenden Kapitaleinkünfte sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Die [X.] berufen sich ausschließlich auf die nach ihrer Auffassung schon vor dem Erlass der [X.] vom 23.12.2016 eingetretene Festsetzungsverjährung.

3. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass das [X.] die streitgegenständlichen [X.] vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen hat.

a) Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres, in dem die Erblasser die Einkommensteuererklärung für das jeweilige Streitjahr abgegeben hatten (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]). Sie verlängerte sich aufgrund der unstreitigen Steuerhinterziehungen des Erblassers für jedes Streitjahr auf [X.] (§ 169 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Für das älteste Streitjahr 1995 begann sie mit Ablauf des Jahres 1997 und endete --vorbehaltlich der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 [X.] (s. dazu unter [X.] mit Ablauf des Jahres 2007. Entsprechend endeten die zehnjährigen Festsetzungsfristen für die weiteren Streitjahre frühestens mit Ablauf der Jahre 2008 (Streitjahre 1996 und 1997), 2009 (Streitjahr 1998), 2010 (Streitjahr 1999), 2011 (Streitjahr 2000) und 2012 (Streitjahr 2001).

b) Die durch die Steuerhinterziehungen des Erblassers für die Streitjahre in Gang gesetzten zehnjährigen Festsetzungsfristen liefen für die [X.] als Gesamtrechtsnachfolgerinnen jeweils bis zum Ablauf des [X.] weiter. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an und geht mit dem Übergang der Steuerschuld nach § 45 Abs. 1 [X.] auf den Gesamtrechtsnachfolger über (vgl. dazu BFH-Urteile vom 02.12.1977 - III R 117/75, [X.], 302, BStBl II 1978, 359, unter 2.c [Rz 13], und in [X.], 1, [X.], 223, Rz 23 f., 33 ff.).

c) Die von den [X.] als Erbinnen durch Unterlassen der Erklärungsberichtigungen begangenen Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 [X.]) lösten für die Einkommensteuer der Streitjahre keine erneute zehnjährige Festsetzungsfrist aus. Zwar ist auch eine Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueranspruch auf [X.] zu verlängern. Die Steuerhinterziehung des Erben bewirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf [X.], wenn es sich bei dieser --anders als im [X.] um eine erstmalige Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt (vgl. [X.] Hamburg, Urteil vom 26.02.2020 - 5 K 95/17, E[X.] 2020, 1034, Rz 117 f., und [X.], [X.] § 153 Rz 26).

d) Die zehnjährige Festsetzungsfrist war für alle Streitjahre zum Zeitpunkt des Erlasses der [X.] vom 23.12.2016 noch nicht abgelaufen. Der Ablauf der Festsetzungsfristen war gemäß § 171 Abs. 7 [X.] gehemmt, da Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] vorlagen und die Verfolgung der Steuerstraftaten der [X.] noch nicht verjährt war.

aa) Nach § 171 Abs. 7 [X.] endet die Festsetzungsfrist in den Fällen der Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.

aaa) Nach dem Wortlaut des § 171 Abs. 7 [X.] setzt die Hemmung der Festsetzungsverjährung nicht voraus, dass die noch nicht verjährte Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit die Tat ist, die zur Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] geführt hat. Erforderlich ist allein, dass eine verlängerte steuerliche Festsetzungsfrist vorliegt und die Verfolgungsverjährung für eine dieselbe Steuerschuld betreffende Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit noch nicht eingetreten ist. Entgegen der Auffassung der [X.] handelt es sich bei dieser Auslegung des § 171 Abs. 7 [X.] weder um eine teleologische Extension der Vorschrift noch um eine Analogie, sondern um eine Auslegung des Tatbestands, die die Grenzen des Wortlauts, den Normzweck und die Systematik beachtet. Sie wird auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. die Urteile des [X.] München im Streitfall und des [X.] Hamburg in E[X.] 2020, 1034) sowie in Teilen des Schrifttums befürwortet (vgl. [X.] in [X.]/von [X.], Steuerstrafrecht, 6/2021, 5. Kapitel, 7.5.3 zu [X.]; [X.]/[X.], [X.], 15. Aufl., § 171 Rz 88; [X.], Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht --wistra-- 2020, 175 f.; [X.], Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht 2020, 251 f.; [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 171 Rz 303; anderer Ansicht [X.], Betriebs-Berater 2016, 987, 989; [X.] in Tipke/[X.], § 171 [X.] Rz 80; BeckOK [X.]/[X.], [X.]. [01.07.2022], [X.] § 171 Rz 328 f.; [X.], [X.], 1747, 1750; Lampe, Praxis Steuerstrafrecht 2015, 95 ff.; [X.] in [X.], [X.] § 171 Rz 137; [X.], Steuerberater Woche 2014, 956, 960; [X.]/[X.], Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2015, 63, 69 f.).

bbb) Diese Auslegung ist auch durch den Zweck des § 171 Abs. 7 [X.] geboten. Dieser besteht darin, zu verhindern, dass eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zwar noch verfolgt werden kann, die dadurch hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Steuerbeträge aber wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden dürfen (vgl. [X.], S. 152; Banniza in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 171 [X.] Rz 163; [X.] in Tipke/[X.], § 171 [X.] Rz 76). Der Gesetzgeber will auf die Festsetzung einer Steuer nicht verzichten, solange die Bestrafung bzw. Ahndung eines diese Steuer betreffenden Steuerdelikts noch möglich ist (vgl. BFH-Urteil in [X.], 302, BStBl II 1978, 359, unter 2.b [Rz 12], mit weiteren Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte und dem daraus hervorgehenden Normzweck).

ccc) Ein systematisches Argument für diese Auslegung ist aus § 171 Abs. 9 [X.] abzuleiten. Diese Vorschrift sieht eine einjährige Ablaufhemmung für den Fall eines "rechtstreuen" Erben vor, der seine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 [X.] ordnungsgemäß erfüllt. Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 [X.], so endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 9 [X.] nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (vgl. zu dieser Vorschrift BFH-Urteil vom [X.], [X.], 49, [X.], 771). Auch dies spricht für die Anwendung des § 171 Abs. 7 [X.] während der Dauer einer möglichen Strafverfolgung des "rechtsuntreuen" Erben. Denn es wäre wertungswidersprüchlich und mit dem Normzweck des § 171 Abs. 7 [X.] nicht vereinbar, wenn eine Ablaufhemmung im Fall der eigenen Steuerhinterziehung des Erben, nachdem schon der Erblasser dieselbe Steuer hinterzogen hatte, nicht bestünde oder wenn sie kürzer als im Fall rechtstreuen Verhaltens des Erben wäre (vgl. zum Argument des [X.] auch BFH-Urteil in [X.], 49, [X.], 771, Rz 29).

bb) Die Voraussetzungen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 [X.] sind danach in allen Streitjahren erfüllt. Aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers lagen unstreitig Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] vor. Die [X.] haben als Erbinnen bezüglich der Einkommensteuer der Streitjahre jeweils eigene Steuerhinterziehungen durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] begangen, deren Verfolgung zum Zeitpunkt der [X.] vom 23.12.2016 noch nicht verjährt war.

aaa) Die [X.] waren nach dem Erbfall gemäß § 153 Abs. 1 [X.] zur Anzeige und Berichtigung der Einkommensteuererklärungen der Erblasser für die Streitjahre verpflichtet. Aufgrund ihres bereits vor dem Tod des Erblassers erlangten Wissens erkannten die [X.] unmittelbar nach dem Erbfall und damit noch vor dem jeweiligen Ablauf der auf [X.] verlängerten Festsetzungsfrist (für das älteste Streitjahr 1995 am 31.12.2007), dass die von den Erblassern ursprünglich abgegebenen Einkommensteuererklärungen unvollständig waren und dass es dadurch in den Streitjahren zu [X.] gekommen war. Die [X.] traf als Gesamtrechtsnachfolgerinnen deshalb nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 [X.] die Verpflichtung, dies dem [X.] unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Dieser Verpflichtung sind sie nach der zutreffenden Würdigung des [X.] bewusst nicht nachgekommen. Sie haben das [X.] auf diese Weise pflichtwidrig über die steuerlich erheblichen Kapitalerträge in Unkenntnis gelassen und dadurch die Einkommensteuer des Jahres 1995 und der folgenden Streitjahre verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 [X.]). Die Anzeige- und Berichtigungspflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Erbe bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen hatte, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge, d.h. auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil in [X.], 1, [X.], 223, Rz 30).

bbb) Die Würdigung des [X.], dass die Steuerhinterziehungen der [X.] vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungsverjährung vollendet waren, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit das [X.] im Hinblick auf die Einkommensteuer 1995 eine noch vor dem Jahresende 2007 vollendete Steuerhinterziehung bejaht hat. Bei der Hinterziehung von [X.] durch Unterlassen ist für die Vollendung der Tat i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] regelmäßig derjenige Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung (hier: die betreffende Berichtigung) eingereicht worden wäre (vgl. Beschlüsse des [X.] --BGH-- vom 19.01.2011 - 1 StR 640/10, [X.], 484, Rz 8 ff., und vom 04.11.2021 - 1 StR 236/21, [X.], 204, Rz 13). Infolge ihrer bereits vor dem Erbfall vorhandenen Kenntnisse bezüglich der liechtensteinischen Kapitalanlagen waren die [X.] in der Lage, auch für das älteste Streitjahr 1995 unverzüglich nach dem Tod des Erblassers am [X.] eine Berichtigung vorzunehmen. Das [X.] hätte sodann noch vor dem Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist (für das Streitjahr 1995 am 31.12.2007) einen Änderungsbescheid erlassen können. Entgegen dem Vorbringen der [X.] in der mündlichen Verhandlung wäre der Erlass dieses Änderungsbescheids auch spätestens bis zum Ende des Jahres 2007 zu erwarten gewesen.

ccc) Die strafrechtliche Verfolgung der von den [X.] begangenen Hinterziehungen der die Streitjahre betreffenden Einkommensteuer war bis zum Erlass der [X.] am 23.12.2016 noch nicht verjährt. Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung beginnt bei einer Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 78a des Strafgesetzbuchs, sobald die Tat beendet ist. Die Verjährungsfrist für eine --hier unstreitig [X.] besonders schwere Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.]) betrug nach der im Streitfall anwendbaren Fassung des § 376 Abs. 1 [X.] a.F. (vgl. Art. 97 § 23 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung) [X.] (zu den unterschiedlichen Fassungen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] in den Jahren 2007 und 2008 sowie zu § 376 Abs. 1 [X.] a.F. vgl. [X.] vom 26.10.2016 - 1 StR 172/16, [X.], 196, Rz 16 ff., und vom 05.09.2017 - 1 StR 365/16, [X.], 224, Rz 20 ff.; zur Verlängerung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 376 Abs. 1 [X.] bei einer besonders schweren Steuerhinterziehung zunächst auf die im vorliegenden Fall maßgeblichen [X.] und inzwischen auf 15 Jahre vgl. [X.] in [X.], § 376 [X.] Rz 8 ff.). Aufgrund der von den [X.] im zweiten Halbjahr 2007 begangenen Steuerhinterziehungen war deshalb bis zum Erlass der [X.] am 23.12.2016 bezüglich aller Streitjahre keine Strafverfolgungsverjährung eingetreten.

4. Entgegen der Auffassung der [X.] konnten sie nicht nur gemäß § 71 i.V.m. § 191 [X.] als Haftungsschuldnerinnen in Anspruch genommen werden, da sie durch die Erbfolge selbst zu [X.] für die Einkommensteuer der Streitjahre geworden sind (zur Exklusivität von Steuerschuld und Haftungsschuld vgl. BFH-Urteil vom 23.06.2020 - VII R 56/18, [X.], 1, Rz 13 ff.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 Satz 1 [X.]O. Da das [X.] in Anbetracht des [X.] zur [X.] nicht nur zu einem geringen Teil i.S. des § 136 Abs. 1 Satz 3 [X.]O unterlegen ist (vgl. BFH-Urteil vom 28.06.2017 - XI R 23/14, [X.], 517, Rz 79), waren die Kosten gemäß dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens zu teilen.

Meta

VIII R 26/19

21.06.2022

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 26. Juli 2019, Az: 6 K 3189/17, Urteil

§ 171 Abs 7 AO, § 45 AO, § 153 Abs 1 AO, § 169 Abs 2 S 2 AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 AO, § 376 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.06.2022, Az. VIII R 26/19 (REWIS RS 2022, 6151)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6151 NJW 2022, 3534 REWIS RS 2022, 6151


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 6 K 3189/17

FG München, 6 K 3189/17, 26.07.2019.


Az. VIII R 26/19

Bundesfinanzhof, VIII R 26/19, 21.06.2022.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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1 StR 640/10

1 StR 172/16

1 StR 365/16

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