Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2015, Az. III ZR 195/14

3. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12169

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Gegenstand

Baulandsache betreffend die Anfechtung eines gemeindlichen Umlegungsbeschlusses: Reichweite der Rechtmäßigkeitsprüfung; Öffentlichkeitserfordernis bei einem Beschluss eines Gemeinderats in Baden-Württemberg; Amtsermittlung über den Inhalt eines nichtöffentlichen Teils einer Gemeinderatssitzung; Beweiswert der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung


Leitsatz

1. Im Rahmen der Anfechtung des Umlegungsbeschlusses ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Umlegung zu überprüfen (Fortführung der Senatsurteile vom 12. März 1987, III ZR 29/86, BGHZ 100, 148, 149 und 155 sowie vom 2. April 1981, III ZR 131/79, NJW 1981, 2124, 2125).

2. Zum Öffentlichkeitserfordernis nach § 35 Abs. 1 GemO BW bei einem Beschluss des Gemeinderats über die Anordnung einer Umlegung nach § 46 BauGB.

3. Zur Amtsermittlung über den Inhalt eines (nichtöffentlichen) Teils einer Gemeinderatssitzung.

4. Die gemäß § 38 Abs. 1 GemO BW zu fertigende Niederschrift über die Gemeinderatssitzung ist eine öffentliche Urkunde, bezüglich deren Inhalt der Beweis der Unrichtigkeit zulässig ist (§§ 415, 418 Abs. 1 und 2 ZPO; Anschluss an VGH Baden-Württemberg, 14. Dezember 1987, 1 S 2832/86, NVwZ-RR 1989, 153). Eine negative Beweiskraft dergestalt, dass in der Niederschrift nicht aufgenommene Vorgänge als nicht stattgefunden zu behandeln sind, ist ihr nicht beizumessen.

Tenor

Auf die Revision der Beteiligten zu 5 und 6 wird das Urteil des 102. Senats für [X.] des [X.] vom 3. Juni 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beteiligten zu 1 bis 4 sind Eigentümer von teilweise bebauten Grundstücken im Bereich des [X.] "M.     Ö.    " in [X.]          . Diese Grundstücke liegen im Bereich des - mehrfach geänderten - Bebauungsplans "M.      ", der im Mai 1983 in [X.] getreten ist.

2

In der öffentlichen Sitzung am 13. März 2012 beriet der Gemeinderat der Beteiligten zu 5 über den Beschluss zur Anordnung der Umlegung für ein Teilgebiet des Bebauungsplans "M.       Ö.     ". Im Protokoll ist vermerkt, dass der Bürgermeister der Beteiligten zu 5 um 20.45 Uhr für fünf Minuten die Nichtöffentlichkeit herstellte. Danach wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt, weiter beraten und der Beschluss über die Anordnung der Umlegung gefasst. Aufgrund dieses [X.] erließ der Beteiligte zu 6 am 30. April 2012 den Umlegungsbeschluss.

3

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

4

Dieser Antrag ist vom [X.], das die von den Beteiligten zu 1 bis 4 erhobenen Einwände gegen die Erforderlichkeit einer Umlegung für nicht durchgreifend erachtet hatte, zurückgewiesen worden.

5

Die Beteiligten zu 1 bis 4 haben gegen das Urteil des [X.]s Berufung eingelegt. Nachdem die Beteiligte zu 5 auf entsprechenden richterlichen Hinweis das Protokoll über die Sitzung des Gemeinderats vom 13. Februar 2012 vorgelegt hatte, haben die Beteiligten zu 1 bis 4 weiter die Unwirksamkeit der Anordnung der Umlegung wegen Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Sitzungen des Gemeinderats geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und den Umlegungsbeschluss der Beteiligten zu 6 vom 30. April 2012 aufgehoben.

6

Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 5 und 6 mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat Erfolg.

I.

8

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der [X.] sei rechtswidrig, da der Beschluss über die Anordnung der Umlegung, der inzident zu überprüfen sei, seinerseits rechtswidrig sei. Dieser habe nach § 35 [X.] BW in öffentlicher Sitzung des Gemeinderats beraten und beschlossen werden müssen. Ausweislich des [X.] habe der Bürgermeister von 20 Uhr 45 bis 20 Uhr 50 die [X.]keit der Sitzung hergestellt, ohne dass der Anlass für diese Verfahrensweise in der Niederschrift festgehalten worden sei. Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei nur zulässig, wenn persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse zur Sprache kämen, an deren Kenntnisnahme schlechthin kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen könne und deren Bekanntgabe dem Einzelnen nachteilig sein könne. Dies müsse im Einzelfall geprüft werden. Die Beteiligte zu 5 habe den Ausschluss der Öffentlichkeit in der Gemeinderatssitzung damit begründet, dass die Namen der einzelnen Eigentümer der [X.] im geplanten [X.] hätten genannt werden sollen. Die bloße Nennung der Namen der Eigentümer verletze jedoch nicht deren rechtlich geschützten oder sonstigen schutzwürdigen Interessen. Es sei auch nicht ersichtlich, inwieweit die Bekanntgabe dieser Namen dem Einzelnen nachteilig sein könne. Gleiches gelte, wenn über die Folgen der Umlegung für die einzelnen Bestandsgebäude und Grundstücke habe diskutiert werden sollen. Dabei kämen noch keine persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zur Sprache, bezüglich deren Kenntnisnahme kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen könne. Die Auswirkungen einer Umlegung seien grundstücksbezogen und nicht personenbezogen.

9

Zuletzt habe der Bürgermeister der Beteiligten zu 5 erklärt, Anlass für das Herstellen der [X.]keit seien die Fragen zweier Gemeinderatsmitglieder gewesen, ob die Umlegung den einen oder anderen Eigentümer von [X.]n "kaputt mache". Wenn über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Personen gesprochen werden solle, rechtfertige dies allerdings den Ausschluss der Öffentlichkeit der Verhandlung nach § 35 [X.] BW, weil an den persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Eigentümer kein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit bestehe. Auf das substantiierte Bestreiten eines solchen Anlasses für das Herstellen der [X.]keit könne jedoch nicht mit einer hinreichenden Sicherheit festgestellt werden, dass der Gemeinderat über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer des künftigen [X.]s habe sprechen wollen. Zwar komme der Sitzungsniederschrift nach § 38 Abs. 1 [X.] BW, die einen solchen Vorgang nicht ausweise, keine negative Beweiskraft in dem Sinne zu, dass dort nicht aufgenommene Geschehnisse nicht stattgefunden hätten. Vielmehr könne der Anlass für das Herstellen der [X.]keit auch durch außerhalb der Sitzungsniederschrift liegende Umstände und Beweismittel festgestellt werden. Die Feststellung, dass ein ausreichender Anlass für das Herstellen der [X.]keit der Verhandlung des Gemeinderats zur Anordnung der Umlegung vorgelegen habe, lasse sich jedoch vorliegend nicht treffen: Die Beteiligten zu 1 bis 4, die teilweise an der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats teilgenommen hätten, hätten erklärt, vor der Herstellung der [X.]keit sei keine Frage zu den wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Beteiligter gestellt worden. Es sei auch kaum nachvollziehbar, dass in den fünf Minuten, in denen die [X.]keit der Sitzung hergestellt gewesen sei, über die wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer von [X.]n gesprochen worden wäre. Auf ein entsprechendes Gesprächsthema ließen die protokollierten Erklärungen nach der Wiederherstellung der Öffentlichkeit der Verhandlung des Gemeinderats nicht ausreichend rückschließen. Die Beteiligte zu 5 habe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung die Namen derjenigen Gemeinderatsmitglieder nicht nennen können, die Fragen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Grundstückseigentümer gestellt haben sollen.

Eine Veranlassung, nach § 221 Abs. 2 BauGB von Amts wegen eine Beweisaufnahme durchzuführen, bestehe nicht. Wichtige öffentliche Interessen veranlassten hier eine Untersuchung von Amts wegen nicht. Die Beteiligte zu 5 könne bei einem entsprechenden politischen Willen des Gemeinderats ohne gravierende Nachteile durch einen damit einhergehenden Zeitablauf einen verfahrensfehlerfreien [X.] noch herbeiführen. Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung begründe regelmäßig auch dann, wenn die Öffentlichkeit - wie hier - nur zeitweilig ausgeschlossen worden sei, eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung. Die Rechtswidrigkeit des [X.] führe auch zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen [X.]es. Die Voraussetzungen des § 46 [X.] BW, der auf die [X.], die kein Verwaltungsakt sei, nur entsprechende Anwendung finde, seien hier nicht erfüllt; denn die Entscheidung des Gemeinderats darüber, ob eine Umlegung angeordnet werden solle, stelle eine Entscheidung mit Beurteilungsspielraum dar und hätte auch im verneinenden Sinne ergehen können. Es sei daher nicht offensichtlich, dass die Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht angeführten Begründung kann derzeit die Unwirksamkeit des [X.] für die Umlegung nach § 46 Abs. 1 BauGB durch den Gemeinderat der Beteiligten zu 5 und des daran anschließenden [X.]es der Beteiligten zu 6 nicht festgestellt werden.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der angegriffene [X.] nur dann rechtmäßig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Umlegung vorliegen. Hierzu gehört auch die Beschlussfassung über die Anordnung der Umlegung nach § 46 Abs. 1 BauGB. Ein solcher Beschluss ist kein Verwaltungsakt und nach der Rechtsprechung des Senats nur zusammen mit dem [X.] anfechtbar und kann nur so zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden. Im Rahmen der Anfechtung des [X.]es ist dann die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Umlegung zu überprüfen (vgl. Senatsurteile vom 12. März 1987 - [X.], [X.], 148, 149 und 155 sowie vom 2. April 1981 - [X.], NJW 1981, 2124, 2125).

2. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts kann derzeit nicht festgestellt werden, dass der Beschluss des Gemeinderats der Beteiligten zu 5 vom 13. März 2012 über die Anordnung der Umlegung wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Öffentlichkeit unwirksam ist.

Allerdings ist dem Berufungsgericht im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass Anordnungs- und [X.] gleichermaßen rechtswidrig sind, wenn bei der Beschlussfassung des Gemeinderats die Vorschriften der Gemeindeordnung über die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen verletzt worden sind. Nicht zu folgen ist der Argumentation der Revision, der [X.] beinhalte nur einen "internen Auftrag" des Gemeinderats an die [X.] zur Durchführung der Umlegung, so dass es für die Rechtmäßigkeit des [X.]es nur auf die materiellen Voraussetzungen für eine Umlegung nach § 46 Abs. 1 BauGB ankomme: Mangels Außenwirkung blieben Verfahrensmängel bei der Beschlussfassung des Gemeinderats "intern" und seien daher nicht geeignet, den später gefassten [X.] gleichsam zu "infizieren". Der [X.] des Gemeinderats kann, auch wenn es sich um einen internen Vorgang ohne Verwaltungsaktqualität handelt, grundsätzlich nur dann Grundlage eines rechtmäßigen [X.]es sein, wenn die allgemein für Gemeinderatsbeschlüsse geltenden ([X.] eingehalten sind (vgl. [X.] in [X.]/[X.], AHB-Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., Teil 2 C Rn. 29; s. auch Senatsurteil vom 11. Mai 1967 - [X.], NJW 1967, 1662 zu der, soweit ersichtlich allein strittigen, Frage der Befangenheit von Ratsmitgliedern, denen im [X.] gelegene Grundstücke gehören, s. dazu [X.] aaO mwN).

a) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich. [X.] darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung gehört zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts. Er hat die Funktion, dem Gemeindebürger Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder zu ermöglichen und dadurch eine auf eigener Kenntnis und Beurteilung beruhende Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie eine Willensbildung zu schaffen, den Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen. Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung begründet regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung und führt daher zur Rechtswidrigkeit eines [X.] (vgl. [X.], [X.] 2013, 269, 270 mwN). Diese Grundsätze gelten auch, wenn der zu überprüfende Beschluss zwar in öffentlicher Sitzung gefasst wurde, jedoch ohne Beratung erfolgt ist und die Sachdiskussion in einer nichtöffentlichen vorangegangenen Sitzung durchgeführt wurde. Eine solche Verfahrensweise widerspricht dem Sinn und Zweck des Gebots der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen (vgl. [X.], NVwZ-RR 2001, 462, 463). Keinen Verstoß gegen das Prinzip der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung stellt es jedoch dar, wenn nur eine Einzelfrage in nichtöffentlicher Sitzung behandelt wird, die der Information der Gemeinderäte dient und nicht die Rede davon sein kann, dass die nichtöffentliche Vorberatung die in öffentlicher Sitzung zu führende Sach- und Abwägungsdiskussion ersetzt, vorweggenommen oder in sonstiger Weise der öffentlichen Wahrnehmung entzogen hat (vgl. [X.] [X.] 2011, 393, 394).

[X.] muss verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern. Berechtigte Interessen Einzelner im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 [X.] BW können rechtlich geschützte oder sonstige schutzwürdige Interessen sein. Sie erfordern den Ausschluss der Öffentlichkeit in der Gemeinderatssitzung, wenn im Verlauf einer öffentlichen Sitzung persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse zur Sprache kommen können, an deren Kenntnis schlechthin kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen kann und deren Bekanntgabe dem Einzelnen nachteilig sein könnte ([X.], [X.], 196, 197 f mwN; vgl. auch [X.], NVwZ 1995, 897). Zutreffend geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass im Falle einer fehlenden generellen Regelung - wie hier - die Voraussetzungen im Einzelfall festgestellt werden müssen.

b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Berufungsgerichts nicht.

aa) Die gemäß § 38 Abs. 1 [X.] BW zu fertigende Niederschrift über die Gemeinderatssitzung ist eine öffentliche Urkunde, bezüglich deren Inhalt der Beweis der Unrichtigkeit zulässig ist (§§ 415, 418 Abs. 1 und 2 ZPO; [X.] NVwZ-RR 1989, 153). Eine negative Beweiskraft dergestalt, dass in der Niederschrift nicht aufgenommene Vorgänge als nicht stattgefunden zu behandeln sind, hat das Berufungsgericht der Niederschrift zu Recht nicht beigemessen.

bb) Nicht tragfähig ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die Nennung der Namen der Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines beabsichtigten [X.]s in öffentlicher Gemeinderatssitzung verletze keine rechtlich geschützten oder sonstigen Interessen dieser Personen.

Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, sind die Auswirkungen einer Umlegung grundstücksbezogen und nicht personenbezogen. Die Namen der Eigentümer sind für die Voraussetzungen und die Zweckmäßigkeit einer Umlegung zunächst ohne Belang. Dementsprechend ist auch für die Öffentlichkeit regelmäßig kein anerkennenswertes Interesse ersichtlich, die Namen der Eigentümer der in einem [X.] liegenden Grundstücke zu erfahren. Gründe dafür, dass dies im konkreten Einzelfall anders zu bewerten ist, sind vom Berufungsgericht weder festgestellt noch von den Beteiligten vorgetragen worden.

Auf der anderen Seite haben die Eigentümer ein durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem daraus abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschütztes Recht, darüber zu entscheiden, wer die Information über ihre Eigentümerstellung erhält. Deshalb macht das Gesetz die Einsichtnahme in das Grundbuch, mit der der Rechtsverkehr typischerweise diesen Umstand in Erfahrung bringt, davon abhängig, dass ein berechtigtes Interesse dafür besteht (§ 12 Abs. 1 Satz 1 GBO; siehe dazu [X.], Beschluss vom 17. August 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1651 Rn. 7; KG, [X.] 2004, 464). Die Bekanntgabe dieser Tatsache in öffentlicher Sitzung des Gemeinderats stellt mithin einen Eingriff in die Rechte der Eigentümer dar.

cc) Der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, es könne nicht festgestellt werden, dass der Gemeinderat in dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer des künftigen [X.]s gesprochen habe. Insoweit geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Sitzungsniederschrift - die sich hierzu nicht verhält - keine negative Beweiskraft zukommt, vielmehr die tatsächlichen Umstände auch aufgrund anderer Beweismittel festgestellt werden können. Auch die Einbeziehung der Einlassung der Antragsteller, die an der öffentlichen Sitzung teilgenommen haben, ist geboten. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese nur Auskunft geben können über die in öffentlicher Sitzung gefallenen Äußerungen, die insoweit allenfalls ein Indiz dafür darstellen, was tatsächlich in der nichtöffentlichen Sitzung beraten worden ist.

Soweit das Berufungsgericht entscheidend darauf abgestellt hat, dass die Beteiligte zu 5 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung den Namen derjenigen Gemeinderatsmitglieder nicht habe nennen können, die Fragen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Grundstückseigentümer gestellt haben sollen, hält dies einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Für die Überprüfung der Frage, was tatsächlich Gegenstand der Beratung in der nichtöffentlichen Sitzung war, kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die konkreten Namen der Ratsmitglieder genannt werden, die bestimmte Fragen (in öffentlicher Sitzung) gestellt haben. Die Teilnehmer der (nichtöffentlichen) Sitzung, die über diesen Gesichtspunkt (nach Entbindung von ihrer Schweigepflicht durch den Bürgermeister, vgl. § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.]) Auskunft geben können, sind in der Niederschrift der Sitzung vermerkt. Insoweit hat sich das Berufungsgericht zu Unrecht allein auf die Würdigung der Einlassung des Bürgermeisters der Beteiligten zu 5 beschränkt. Nach § 221 Abs. 2 BauGB war das Berufungsgericht gehalten, von Amts wegen die Aufnahme von Beweisen anzuordnen und gegebenenfalls auch solche Tatsachen zu berücksichtigen, die von den Beteiligten nicht vorgebracht worden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats vermag diese Vorschrift eine gerichtliche "Befugnis" im Sinne einer Verpflichtung des Gerichts zur Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes zu begründen. Die (begrenzte) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im baulandgerichtlichen Verfahren ist im Zusammenhang zu sehen mit den - auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird - zunehmend anerkannten Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten. Dementsprechend findet die Pflicht der Tatsachengerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zur weiteren Sachaufklärung bietet (vgl. Senatsurteil vom 16. März 2006 - [X.], [X.], 1729, 1731). Die Verpflichtung des Gerichts zur Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes besteht dann, wenn sonst eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu befürchten wäre und wenn wichtige öffentliche Interessen im Spiel sind. Die Vorschrift macht es dem Gericht zur Pflicht, die von einem der Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingeführte Behauptung, soweit sie rechtserheblich ist, von Amts wegen zu klären (vgl. Senatsurteile vom 4. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 38, 45; und vom 7. Februar 1974 - [X.], NJW 1974, 947). Hiervon ausgehend hätte das Berufungsgericht Gemeinderatsmitglieder dazu befragen müssen, was Gegenstand der Beratung des nichtöffentlichen Teiles der hier in Rede stehenden Gemeinderatssitzung gewesen ist. Die Begründung des Berufungsgerichts, es bedürfe deshalb keiner Beweisaufnahme von Amts wegen, weil das gesamte - wie die Ausführungen des [X.] gezeigt haben, außerordentlich umstrittene und von einigen der beteiligten Grundstückseigentümern vehement angegriffene - Umlegungsverfahren erneut in Gang gesetzt werden könne, ist nicht tragfähig.

dd) Unzureichend ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts auch insoweit, als es keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob selbst bei einem angenommenen nicht hinreichenden Grund für die Herstellung der [X.]keit gleichwohl ein zur Nichtigkeit des Beschlusses führender Verfahrensfehler ausscheidet. Da die Beratung der Beschlussvorlage über die Anordnung der Umlegung und die Abstimmung in öffentlicher Sitzung durchgeführt wurden, und es hier nur eine kurze Unterbrechung dieser öffentlichen Beratung gegeben hat durch einen nichtöffentlichen Teil der Sitzung, hätte ausgehend vom Inhalt der nichtöffentlichen Beratung geprüft werden müssen, ob diese die Sach- und Abwägungsdiskussion ersetzen, vorwegnehmen oder in sonstiger Weise der öffentlichen Wahrnehmung entziehen sollte. Nur in einem solchen Fall bestünde bei der gegebenen Sachlage Anlass, einen zur Rechtswidrigkeit führenden wesentlichen Verfahrensfehler bei der Fassung des Beschlusses anzunehmen (vgl. [X.] [X.] 2011, 393, 394).

3. Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts kann derzeit nicht angenommen werden, dass der Beschluss über die Anordnung der Umlegung durch den Gemeinderat der Beteiligten zu 5 wegen Verstoßes gegen § 35 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW bei der Beratung der Beschlussfassung in der Gemeinderatssitzung vom 13. März 2012 unwirksam ist. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Sache selbst nicht entscheidungsreif ist (§ 221 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Schlick                         Wöstmann                         Tombrink

                Remmert                             [X.]

Meta

III ZR 195/14

23.04.2015

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 3. Juni 2014, Az: 102 U 2/13

§ 46 Abs 1 BauGB, § 221 Abs 2 BauGB, § 35 Abs 1 S 2 GemO BW, § 38 Abs 1 GemO BW, § 415 ZPO, § 418 Abs 1 ZPO, § 418 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2015, Az. III ZR 195/14 (REWIS RS 2015, 12169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12169

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